Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 12, Berlin/DDR 1961. S. 187-193.

Karl Marx

Das englische Fabriksystem

Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 4999 vom 28, April 1857]

<187> London, 10. April 1857

Die Berichte der Fabrikinspektoren des Vereinigten Königreichs für 1856 enthalten detaillierte Aufstellungen zur Fabrikstatistik, wie Anzahl der Fabriken, der angewandten Pferdekraft, der Maschinen und der beschäftigten Personen. Ähnliche Aufstellungen wurden vom Unterhaus 1835, 1838 und 1850 angefordert; die Informationen hierfür wurden aus den von den Fabrikbesitzern ausgefüllten Fragebogen gesammelt. Auf diese Weise bot sich reichliches Material für Vergleiche mit den verschiedenen Perioden des Fabriksystems, welches nach dem Gesetz nur die Fabriken umfaßt, in denen zur Herstellung von Textilien Dampf- oder Wasserkraft angewandt wird.

Das charakteristischste Merkmal der sozialen Geschichte des Vereinigten Königreichs während der vergangenen sechs Jahre findet man zweifellos in der schnellen Ausdehnung dieses Systems.

Die Anzahl der Fabriken beträgt nach den Daten der letzten drei Berichte:

1838

1850

1856

Baumwollfabriken

1.819

1.932

2.210

Wollfabriken

1.322

1.497

1.505

Kammgarnfabriken

416

501

525

Flachsfabriken

392

393

417

Seidenfabriken

268

277

460

Insgesamt

4.217

4.600

5.117

Der durchschnittliche Zuwachs von Fabriken, der von 1838 bis 1850 pro Jahr 32 betragen hatte, stieg von 1850 bis 1856 um fast das Dreifache und erreichte 86 jährlich. In der folgenden Übersicht wird eine Analyse des Gesamtwachstums in jeder Periode gegeben:

<188> Gesamtzuwachs von 1838 bis 1850

Gesamtzuwachs von 1850 bis 1856

Prozent

Prozent

Baumwollfabriken

6

   Baumwollfabriken

14,2

Wollfabriken

13

   Wollfabriken

0,5

Kammgarnfabriken

20

   Kammgarnfabriken

4,7

   Flachsfabriken

6,1

   Seidenfabriken

66,0

Aus dieser Tabelle ersieht man, daß der Zuwachs in der ersten Periode auf die Baumwoll-, Woll- und Kammgarnindustrie beschränkt war, während er in der letzten Periode auch Flachs- und Seidenfabriken umfaßt. Die Proportionen, in denen die verschiedenen Zweige am Gesamtzuwachs teilhaben, differieren in den beiden Perioden ebenfalls. Von 1838 bis 1850 fand der Hauptzuwachs im Kammgarn- und Wollgewerbe statt, wobei das letztere in der Zeit von 1850 bis 1856 beinahe einen Stillstand aufweist und das erstere auf eine viermal geringere Wachstumsgeschwindigkeit zurückfällt. Andererseits stehen Baumwolle und Seide während der letzten Periode an der Spitze der Bewegung, wobei die Seidenindustrie im relativen und die Baumwollindustrie im absoluten Zuwachs den ersten Platz einnimmt.

Die von diesem Wachstum der Industrie betroffenen Gebiete wechselten beträchtlich, wobei eine gewisse Verlagerung von einem Teil des Landes zum anderen stattfand. Hand in Hand mit dem allgemeinen Wachstum vollzieht sich ein örtlicher Rückgang, was in vielen Grafschaften und Städten bis zum völligen Verschwinden von früher bestehenden Fabriken geführt hat. Das allgemeine Gesetz, welches diese Veränderungen sowohl des Verfalls als auch des Wachstums regelt, ist das gleiche, das die moderne Industrie in allen ihren Zweigen durchdringt - das Gesetz der Konzentration. So haben Lancashire und die angrenzenden Teile von Yorkshire, die den Hauptsitz der Baumwollindustrie bilden, das Gewerbe aus anderen Teilen des Königreichs an sich gezogen. Die Anzahl der Baumwollfabriken in Lancashire und Yorkshire, die von 1838 bis 1856 um 411 gestiegen ist, hat sich in den Grafschaften Lanark (Glasgow), Renfrew (Paisley) und Antrim um 52 verringert. So konzentriert sich auch das Wollgewerbe in Yorkshire; während dort 200 Wollfabriken hinzukommen, finden wir in Cornwall, Devon, Gloucester, Monmouth, Somerset, Wilts, Wales und Clackmannan eine entsprechende Verringerung um 82 vor. Die Kammgarnindustrie ist fast ausschließlich auf Yorkshire beschränkt; in dieser Grafschaft ist ein Zuwachs von 107 Fabriken zu verzeichnen. Das Flachsgewerbe ist jetzt in Irland stärker als in jedem anderen Teil des Vereinigten Königreichs; aber den Zuwachs von 59 Flachsfabriken in Antrim, Armagh, Down und Tyrone begleitet <189> eine Abnahme in Yorkshire von 31, in Devonshire, Dorsetshire und Gloucestershire von 8 und in Fifeshire von 14 Fabriken. Dem Zuwachs von 76 Seidenfabriken in Cheshire, Derbyshire, Nottingham und Gloucestershire steht eine Abnahme von 13 in Somersetshire gegenüber. In manchen Fällen wird der Niedergang des einen Industriezweiges durch das Wachstum eines anderen aufgewogen, so daß die industriellen Verlagerungen lediglich als eine bestimmtere Herausarbeitung des Prinzips der Arbeitsteilung in großem Maßstabe erscheinen. Im ganzen aber ist dies nicht der Fall - da der Fortschritt des Systems eher dazu neigt, eine Teilung zwischen den Industrie- und Agrargebieten herbeizuführen. In England werden z.B. die südlichen Grafschaften Wilts, Dorset, Somerset und Gloucester rapide von ihren Fabriken entblößt, während die nördlichen Grafschaften Lancashire, Yorkshire, Warwick, Nottingham ihr Industriemonopol stärken. Bei der Gesamtzunahme an Fabriken im Vereinigten Königreich in der Zeit von 1838 bis 1856, welche die Zahl 900 erreicht, beansprucht Lancashire allein 360, Yorkshire 344, Warwick 71 und Nottingham 46, wobei die Zunahme in den zwei letztgenannten Grafschaften durch die Einführung verbesserter Maschinerie in zwei besonderen Gewerben verursacht worden ist - durch die Anwendung von Dampfkraft bei der Strickmaschine in Nottingham und beim Bandweben in Coventry.

Von der Zunahme der Anzahl der Fabriken muß man die Zunahme der angewandten Pferdestärken unterscheiden, da diese nicht nur von der Einrichtung neuer Spinnereien, sondern auch von der Aufstellung leistungsfähigerer Maschinen in den alten abhängt, davon, daß die Wasserkraft durch die Dampfmaschine ersetzt, dem Wasserrad die Dampfkraft hinzugefügt wird und von ähnlichen anderen Verbesserungen. Die folgende Tabelle enthält einen Vergleich der nominellen Antriebskräfte in den Fabriken in den Jahren 1838, 1850 und 1856:

Die in den Fabriken des Vereinigten Königreichs angewandten Antriebskräfte
(in Pferdestärken)

1838

Dampfkraft

Wasserkraft

Insgesamt

Baumwollfabriken

46.826

12.977

59.803

Wollfabriken

11.525

9.092

20.617

Kammgarnfabriken

5.863

1.313

7.176

Flachsfabriken

7.412

3.677

11.089

Seidenfabriken

2.457

927

3.384

Insgesamt

74.083

27.986

102.069

<190>

1850

Dampfkraft

Wasserkraft

Insgesamt

Baumwollfabriken

71.005

11.550

82.555

Wollfabriken

13.455

8.689

22.144

Kammgarnfabriken

9.890

1.625

11.515

Flachsfabriken

10.905

3.387

14.292

Seidenfabriken

2.858

853

3.711

Insgesamt

108.113

26.104

134.217

1856

Dampfkraft

Wasserkraft

Insgesamt

Baumwollfabriken

88.001

9.131

97.132

Wollfabriken

17.490

8.411

25.901

Kammgarnfabriken

13.473

1.431

14.904

Flachsfabriken

14.387

3.935

18.322

Seidenfabriken

4.360

816

5.176

Insgesamt

137.711

23.724

161.435

So groß zweifellos auch die aus den Zahlen ersichtliche Zunahme an Antriebskräften ist - 59.366 Pferdestärken in der Zeit von 1838 bis 1856 - so fällt sie nichtsdestoweniger viel geringer aus, als die tatsächlich für industrielle Zwecke zusätzlich verfügbaren und in Bewegung befindlichen Kräfte. Die in der Aufstellung angegebenen Zahlen beziehen sich alle bloß auf die nominelle Kraft der Dampfmaschinen und Wasserräder und nicht auf die Kraft, die wirklich angewandt wird oder angewandt werden kann. Die moderne Dampfmaschine von 100 Pferdestärken kann eine viel größere Kraft als früher entwickeln, infolge der Verbesserungen ihrer Einrichtung, des vergrößerten Fassungsvermögens und der verbesserten Konstruktion der Dampfkessel usw., und daher kann ihre nominelle Kraft nur als Index betrachtet werden, nach dem ihr wirkliches Leistungsvermögen errechnet werden kann. Herr Nasmyth, ein Zivilingenieur, faßt nach einer Erklärung des Wesens der letzten Verbesserungen an der Dampfmaschine, durch die die gleiche Maschine mit vermindertem Brennstoffverbrauch mehr Arbeit verrichten kann, die Resultate folgendermaßen zusammen:

"Von der Gewichtseinheit einer Dampfmaschine erhalten wir jetzt durchschnittlich mindestens 50 Prozent mehr Arbeit, und in vielen Fallen liefern dieselben Dampfmaschinen, die in den Tagen, wo die Geschwindigkeit auf 220 Fuß pro Minute beschränkt war, 50 Pferdestärken lieferten, heute über 100."

<191> Wenn man die Zunahme der Pferdestärken mit der der Fabriken vergleicht, so wird die Konzentration der Wollindustrie in einigen wenigen Händen augenscheinlich. Obwohl es 1856 nur acht Wollfabriken mehr gab als 1850, hat sich die in ihnen angewandte Kraft in der gleichen Zeit um 3.757 Pferdestärken erhöht. Die gleiche Tendenz zur Konzentration wirkt offensichtlich in den Baumwoll-, Kammgarn- und Flachsspinnereien. Während sich die Anzahl der Spindeln im Vereinigten Königreich 1850 und 1856 auf 25.638.716 bzw. 33.503.580 belief, war die durchschnittliche Anzahl der Spindeln in jeder Fabrik wie folgt:

1850

1856

Baumwollfabriken

14.000

17.000

Kammgarnfabriken

2.200

3.400

Flachsfabriken

2.700

3.700

In den Webereien scheint allerdings eher die Tendenz einer Ausdehnung des Gewerbes auf viele Besitzer vorzuherrschen als seine Konzentration auf wenige, wobei 1856 die Gesamtzahl der Webstühle 369.205 war gegenüber 301.445 im Jahre 1850, während die durchschnittliche Zahl der von jedem Fabrikanten angewandten Webstühle 1856 geringer ist als im Jahre 1850. Diese scheinbare Abweichung von der allgemeinen Tendenz des britischen Fabriksystems erklärt sich jedoch leicht durch die Tatsache, daß in der Weberei die Einführung des Fabriksystems verhältnismäßig jungen Datums und das Handwebstuhlsystem noch nicht ganz verdrängt worden ist. 1836 wurde die Dampfkraft fast ausschließlich für Baumwollwebstühle angewandt oder für mit Baumwolle gemischte Gewebe; einige Jahre später jedoch gab es ein schnelles Ansteigen der Anzahl der Maschinenwebstühle für alle Gewebe, ob Wolle, Kammgarn, Flachs oder Seide, und diese ständige Zunahme hält bis in die heutige Zeit an. Folgende Aufstellung zeigt die Zunahme an Maschinenwebstühlen seit 1836:

1836

1850

1856

Baumwollfabriken

108.751

249.627

298.847

Wollfabriken

2.150

9.439

14.453

Kammgarnfabriken

2.969

32.617

38.956

Seidenfabriken

1.714

6.092

9.260

Flachsfabriken

209

3.670

7.689

Insgesamt

115.793

301.445

369.205

Die Zunahme an Baumwollwebstühlen entspringt aus der Ausdehnung dieses Industriezweiges, nicht aus der Anwendung von Dampfkraft bei Artikeln, die bisher ausschließlich handgewebt wurden; bei anderen Geweben <192> hingegen wird jetzt die Dampfkraft beim Teppich-, Band- und Leinenwebstuhl angewandt, wo sie bisher wenig genutzt worden ist. Die Anwendung von Dampfkraft zum Wollekämmen, die sich seit der Einführung der Kammaschine, besonders der Listerschen, sehr verbreitet hat, hatte auch zur Folge, daß eine große Anzahl von Menschen arbeitslos geworden ist.

Das Ausmaß der gestiegenen Produktivkraft zeigt sich klar, wenn man die Exportstatistiken vergleicht. 1850 waren 1.932 Baumwollfabriken in Betrieb, wobei der Durchschnittswert der Baumwollwaren und Garne, die in den drei Jahren bis zum 5. Januar 1850 exportiert wurden, rund 24.600.000 Pfd.St. betrug. Wenn die 2.210 Baumwollfabriken, die im Jahre 1856 in Betrieb waren, nur im gleichen Verhältnis Waren oder Garn produziert hätten wie die Fabriken im Jahre 1850, so würde der Wert des Exports 28.000.000 Pfd.St. betragen. Der Durchschnittswert dieser Exporte belief sich jedoch in den drei Jahren bis zum 31. Dezember 1855 auf ungefähr 31.000.000 Pfd.St. Ähnlich steht es mit den Woll- und Kammgarnfabriken. Wir sehen also: Während sich die Anzahl der Maschinen, die durch jede Pferdestärke in Gang gesetzt werden, sich beträchtlich vermehrt hat, ist die Anzahl der pro Pferdestärke beschäftigten Personen unverändert geblieben, nämlich 4 Personen im Durchschnitt. Das ersieht man aus folgender Tabelle:

Gesamtzahl der beschäftigten Personen

1838

1850

1856

Baumwollfabriken

259.104

330.924

379.213

Wollfabriken

54.808

74.443

79.091

Kammgarnfabriken

31.628

79.737

87.794

Flachsfabriken

43.557

68.434

80.262

Seidenfabriken

34.303

42.544

56.137

Insgesamt

423.400

596.082

682.497

Die Gesamtzahl der arbeitenden Bevölkerung von 682.497 erscheint in der Tat klein, wenn man bedenkt, daß allein die Zahl der Handweber und ihrer Familien 1838 etwa 800.000 Personen betrug. Die folgende Tabelle zeigt das prozentuale Verhältnis der verschiedenen Kategorien von beschäftigten Arbeitskräften:

Kinder unter 13 Jahren

junge Männer zwischen 13 und 18 Jahren

Frauen über 13 Jahre

Männer über 18 Jahre

1838

5,9

16,1

55,2

22,8

1850

6,1

11,5

55,9

26,5

1856

6,6

10,6

57,0

25,8

<193> In der Zeit von 1838 bis 1850 hat die Zahl der beschäftigten Kinder zugenommen, aber nicht im Verhältnis zur allgemeinen Zunahme. Die Zunahme der Anzahl der Kinder ist in den Jahren von 1850 bis 1856 sehr beträchtlich, und beläuft sich somit auf 10.761, wovon 9.655 Kinder vom Baumwollgewerbe absorbiert worden sind. Es mag noch erwähnt werden, daß das menschenfreundliche Gesetz von 1844 gestattet, Kinder von 8 Jahren in Fabriken zu beschäftigen, während es vorher gesetzwidrig war, Kinder unter 9 Jahren zu beschäftigen.