Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 12, Berlin/DDR 1961. S. S. 58-63.

Karl Marx

[Die Ursachen der Geldkrise in Europa]

Geschrieben um den 14. Oktober 1856.
Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 4843 vom 27. Oktober 1856, Leitartikel]

<58> Die Geldkrise in Deutschland, die etwa Mitte September dieses Jahres begann, erreichte am 26. September ihren Höhepunkt und ließ von da an allmählich nach, wie die Geldpanik in England von 1847, die erstmalig Ende April auftrat und nach dem 4. Mai, wo sie ihren Höhepunkt erreicht hatte, allmählich abebbte. Damals legten die Verluste, die einige führende Handelshäuser in London wegen Zahlungsaufschub während der Panik erlitten, den unmittelbaren Grundstein für den vollständigen Bankrott, in den sie einige Monate später hineingezogen wurden. In Deutschland wird man bald von ähnlichen Ergebnissen erfahren, da der Panik nicht der Mangel an Umlaufmitteln zugrunde lag, sondern eine Disproportion zwischen dem disponiblen Kapital und der ungeheuren Anzahl der damals bestehenden industriellen, kommerziellen und spekulativen Unternehmen. Die Erhöhung des Diskontosatzes durch die verschiedenen Regierungs-, Aktien- und Privatbanken war das Mittel, mit dem die Panik vorübergehend eingedämmt wurde; einige erhöhten ihren Diskontosatz auf 6 Prozent, andere sogar auf 9 Prozent. Durch diese Erhöhung des Diskontosatzes wurde der Abfluß von Edelmetallen gestoppt, die Einfuhr ausländischer Produkte gelähmt, ausländisches Kapital mit dem Köder hoher Zinsen angelockt, und Außenstände wurden eingefordert. Der französische Crédit mobilier, der einen Monat vorher seine vertraglich festgelegten Raten auf die deutschen Eisenbahnen in Gefälligkeitswechseln bezahlt hatte, mußte bar bezahlen, und überhaupt sah sich Frankreich gezwungen, die damalige Importbilanz für Getreide und Nahrungsmittel mit klingender Münze abzutragen. Somit schlug die Geldpanik in Deutschland auf Frankreich zurück, wo sie sofort einen bedrohlicheren Aspekt annahm. Die den Spuren der deutschen Banken folgende Bank von <59> Frankreich erhöhte ihren Diskontosatz auf 6 Prozent, ein Vorgehen, das am 30. September dazu führte, daß sie sich mit der Bitte um eine Anleihe von mehr als einer Million Pfd.St. an die Bank von England wandte. Infolgedessen erhöhte die Bank von England am 1. Oktober ihren Diskontosatz auf 5 Prozent, ohne selbst auf das übliche Donnerstags-"parlor" <Direktorenkonferenz> zu warten, ein seit der Geldpanik von 1847 noch nicht dagewesener Fall. Ungeachtet dieser Zinserhöhung floß weiterhin Gold in Höhe von 40.000 Pfd.St. pro Tag aus den Gewölben der Threadneedle Street, während die Bank von Frankreich sich täglich von etwa 6.000.000 Francs in gemünztem Geld trennen mußte, wobei die Münze nur 3.000.000 ausgab, davon nur etwa 120.000 Francs in Silber. Um dem Einfluß der Bank von Frankreich auf den Metallvorrat der Bank von England zu begegnen, erhöhte diese etwa eine Woche später erneut ihren Diskont auf 6 Prozent für Wechsel von 60 Tagen und auf 7 Prozent für langfristigere Wechsel. Die Bank von Frankreich gab als Antwort auf diese Höflichkeit am 6. Oktober einen neuen Ukas heraus, wonach sie sich weigerte, Wechsel von mehr als 60 Tagen zu diskontieren, und erklärte, daß sie nicht mehr als 40 Prozent auf fundiertes Vermögen und 20 Prozent auf Eisenbahnaktien vorschieße und nur für einen Monat. Trotz dieser Maßnahmen konnte die Bank von England jedoch den Edelmetallabfluß nach Frankreich ebensowenig aufhalten, wie die Bank von Frankreich die Panik in Paris eindämmen oder den Strom von Metallgeld nach anderen Teilen des Kontinents einschränken konnte. Ein Beweis für die Heftigkeit der Panik in Frankreich ist das Fallen der Aktien des Crédit mobilier von 1.680 Francs (Notierung vom 29. Sept.) auf 1.465 Francs (6. Okt.), d.h. um 215 Francs innerhalb von acht Tagen, und selbst bei äußersten Anstrengungen war es unmöglich gewesen, davon mehr als 15 Francs bis zum 9. Oktober zurückzugewinnen. Es ist unnötig zu erwähnen, daß die Staatspapiere auch entsprechend fielen. Nach den hochtrabenden Versicherungen des Herrn Isaac Péreire, des großen Gründers des Crédit mobilier, daß das französische Kapital besonderen kosmopolitischen Charakter besäße, gibt es kaum etwas lächerlicheres als die Klagelieder der Franzosen über das Abwandern ihres Kapitals nach Deutschland. Inmitten dieser ganzen Verwirrung braute der große Zaubermeister Frankreichs, Napoleon III., sein Allheilmittel zusammen. Er verbot der Presse, von der Finanzkrise zu berichten; er gab den Geldwechslern durch Gendarmen zu verstehen, daß es ratsam wäre, die Anzeige des Agios auf Silber aus ihren Schaufenstern zu entfernen; und schließlich ließ er von seinem eigenen Finanzminister am 7. Oktober in <60> seinem "Moniteur" einen an ihn selbst gerichteten Bericht veröffentlichen, in dem behauptet wird, daß alles in Ordnung und nur die Einschätzung der Dinge durch das Volk falsch sei. Unglücklicherweise platzt zwei Tage später der Gouverneur der Bank von Frankreich mit folgenden charakteristischen Angaben in seinem Monatsbericht heraus:

Okt.

Sept.

(in frs.)

(in frs.)

Bargeld in der Kasse

77.062.910

113.126.401

Bargeld in den Filialen

89.407.036

122.676.090

diskontierte Wechsel

271.955.426

221.308.498

Wechsel in den Filialbanken

239.623.602

217.829.320

Agio auf Gold und Silber

2.128.594

1.496.313

Mit anderen Worten, das verfügbare Bargeld hatte sich in einem Monat um 69.332.545 Francs verringert, die diskontierten Wechsel waren um 72.441.210 Francs angestiegen, während das Agio beim Kauf von Gold oder Silber die Zahlen für September um 632.281 Francs überschreitet. Leider ist es auch Tatsache, daß das Horten von Edelmetallen bei den Franzosen unerhört um sich greift, und daß die Gerüchte über eine Einstellung der Barzahlungen an der Bank täglich Boden gewinnen. Es erweist sich, daß die Einmischung Napoleons in die Angelegenheiten des Geldmarktes ebenso wirksam ist wie etwa seine Einwirkung auf die Fluten der Loire in den überschwemmten Bezirken.

Die gegenwärtige Krise in Europa wird durch die Tatsache kompliziert, daß ein Edelmetallabfluß - der übliche Vorbote kommerzieller Erschütterungen - mit einer Entwertung des Goldes im Vergleich zu Silber verknüpft ist. Unabhängig von jedem anderen kommerziellen und industriellen Faktor mußte diese Entwertung solche Länder, in denen eine Doppelwährung existiert und Gold wie Silber in einem durch Gesetz festgelegten, doch durch ökonomische Tatsachen als falsch erwiesenen Verhältnis in Zahlung genommen werden muß, veranlassen, ihr Silber nach jenen Märkten zu exportieren, wo Gold der Wertmaßstab ist und der offizielle Silberpreis nicht von seinem Marktpreis abweicht. Da die Lage Englands und Frankreichs entsprechend ist, muß natürlich Silber von Frankreich nach England und Gold von England nach Frankreich fließen, bis dessen Silberwährung durch eine Goldwährung ersetzt wird. Einerseits ist klar, daß ein solches Ersetzen des üblichen Umlaufmittels von zeitweiligen Schwierigkeiten begleitet sein muß, daß man diesen Schwierigkeiten jedoch dadurch begegnen kann, indem man entweder die Goldwährung einführt und Silber aus dem Umlauf nimmt, wie <61> es auch geschehen ist, oder das Gold außer Kurs setzt und Silber zur alleinigen Währung erklärt, wie in Holland 1851 und in jüngerer Zeit in Belgien. Andererseits ist offensichtlich, daß, wenn kein anderer Faktor wirksam wäre als eine Entwertung von Gold im Vergleich zu Silber, der allgemeine Silberabfluß aus ganz Europa und Amerika sich selber neutralisiert und paralysiert hätte, weil die plötzliche Freisetzung einer solchen Menge Silber und seine Herausnahme aus dem Umlauf ohne ein besonderes Ersatzreservoir seinen Preis im Vergleich zu Gold herabsetzen müßte, da der Marktpreis jeder Ware vorübergehend durch das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage bestimmt wird und erst in einem Durchschnitt von Jahren durch die Produktionskosten Die Außerkurssetzung des Goldes in den holländischen und belgischen Banken konnte nur einen sehr geringen Einfluß auf den Wert des Silbers ausüben, da dies das hauptsächliche Tauschmittel in diesen Ländern gewesen war, und deshalb trug die Änderung eher juristischen als ökonomischen Charakter. Übrigens kann zugestanden werden, daß diese Änderungen einen kleinen Markt für das Silberangebot geöffnet und dadurch in geringem Maße die Schwierigkeiten gemindert haben.

In den letzten vier oder fünf Monaten ist das Metallgeld in der österreichischen Nationalbank tatsächlich von 20.000.000 Dollar auf 43.000.000 Dollar gestiegen; diese ganze Summe wird in den Bankgewölben gehortet, da Österreich die Barzahlung noch nicht wieder aufgenommen hat. Der größte Teil dieser Zunahme von 23.000.000 Dollar ist aus Paris und Deutschland für vom Crédit mobilier gekaufte Eisenbahnen abgezogen worden. Das ist bestimmt eine der Ursachen für den kürzlichen Abfluß von Silber, doch wäre es falsch, wollte man auf diesen Umstand schauen, als sei er in hohem Grade für die letzten Erscheinungen auf dem Geldmarkt verantwortlich. Man darf nicht vergessen, daß von 1848 bis 1855 durch die Produktion Kaliforniens und Australiens einhundertfünf Millionen Pfd.St. in Gold auf die Geldmärkte der Welt geworfen worden sind, ungeachtet der Ausbeute Rußlands und der anderen alten Lieferquellen. Die optimistischeren Freihändler nehmen an, daß von diesen einhundertfünf Millionen zweiundfünfzig Millionen für die neuzeitliche Ausdehnung des Handels erforderlich waren, und zwar als Umlaufmittel, als Bankreserven, als Goldbarren für den Ausgleich von Zahlungsbilanzen und die Korrektur des Wechselkurses zwischen verschiedenen Ländern, oder als Luxusartikel. Von den anderen dreiundfünfzig Millionen nehmen sie an und wir glauben, sie irren sich ziemlich -, daß diese Millionen nur einen gleichen Betrag an Silber ersetzt haben, das früher in Amerika und Frankreich in Gebrauch war - zehn Millionen in Amerika und dreiundvierzig Millionen in Frankreich. Wie diese Verschiebung vor sich <62> gegangen ist, kann man aus dem amtlichen Zollbericht über die Bewegung von Gold und Silber in Frankreich während des Jahres 1855 ersehen:

Goldimport 1855

Silberimport 1855

Barren

11.045.268 Pfd.St.

  Barren

1.717.459 Pfd.St.

Münzen

  4.306.887 Pfd.St.

  Münzen

  3.121.250 Pfd.St

Insgesamt

15.352.155 Pfd.St.

  Insgesamt

4.838.709 Pfd.St.

   

Goldexport 1855

Silberexport 1855

Barren

203.544 Pfd.St.

  Barren

3.067.229 Pfd.St.

Münzen

  6.306.060 Pfd.St.

  Münzen

  9.783.345 Pfd.St

Insgesamt

6.509.604 Pfd.St.

  Insgesamt

12.850.574 Pfd.St.

       

Importsaldo, Gold

8.842.551 Pfd.St.

  Exportsaldo, Silber

8.011.865 Pfd.St.

Niemand kann also behaupten, daß die Freisetzung eines so großen Betrages an Silber (dreiundfünfzig Millionen Pfd.St.) durch die Verschiebung in der Geldzirkulation Frankreichs und Amerikas, oder durch das Horten der Bank von Österreich, oder durch beides genügend erklärt wird. Es ist zu Recht festgestellt worden, daß die italienischen und levantinischen Händler Silber vor anderem Geld sichtlich bevorzugten, da Silber im Unterschied zu Gold keine Entwertung drohte; daß die Araber große Mengen an Silber erworben und gehortet haben; und schließlich, daß die französischen Getreidehändler, um ihre Einkäufe am Schwarzen und Asowschen Meer zu bezahlen, es vorzogen, aus Frankreich, wo das alte Verhältnis des Silbers zu Geld aufrechterhalten wird, Silber abzuziehen und nicht Gold, dessen Verhältnis zu Silber sich im Süden Rußlands geändert hat. Wenn wir alle diese Ursachen für den Abfluß des Silbers zusammenfassen, können wir die Summe des dadurch erfolgten Abflusses auf nicht mehr als fünfzehn oder sechzehn Millionen Pfd.St. schätzen. Höchst unsinnigerweise führen die Wirtschaftsfachleute in der englischen Presse den Abzug des Silbers infolge des Orientalischen Krieges als eine weitere besondere Ursache für diesen Abfluß an, obgleich sie ihn mit in die allgemeine Einschätzung der durch die gestiegenen Bedürfnisse des neuzeitlichen Handels absorbierten zweiundfünfzig Millionen Pfd.St. in Gold einbezogen haben. Sie können natürlich dem Silber nicht das zuschreiben, was sie schon dem Gold zugeschrieben haben. Folglich ist außer all diesen speziellen Einflüssen noch eine größere Kraft am Werk, durch die der Silberabfluß zu erklären ist, und das ist der Handel nach China und Indien, der, merkwürdig genug, auch das Hauptmerkmal der großen Krise von 1847 bildete. Wir werden auf diesen Gegenstand zurückkommen, da es <63> wichtig ist, die ökonomischen Vorläufer der drohenden Krise in Europa zu studieren.

Soviel werden unsere Leser verstehen: was auch immer die zeitweilige Ursache der Geldpanik und des als ihr unmittelbarer Anlaß erscheinenden Edelmetallabflusses sein mag, in Europa waren alle Elemente des kommerziellen und industriellen Rückschlages herangereift. Und in Frankreich waren sie verstärkt worden durch den Mißerfolg in der Seidenernte, die Ausfälle in der Weinlese, durch die riesigen Getreideimporte, erheischt infolge der partiellen Mißernte von 1855 und der Überschwemmungen von 1856, und schließlich durch den großen Mangel an Wohnhäusern, den in Paris die ökonomischen Machenschaften des Herrn Bonaparte hervorgerufen haben. Uns scheint die bloße Durchsicht des Finanzmanifestes von Herrn Magne, das wir am Sonnabend veröffentlichten, hinreichend den Verdacht zu rechtfertigen, daß trotz des jetzt zusammentretenden zweiten Pariser Kongresses und trotz der Neapelfrage der dritte Napoleon guten Grund haben dürfte, sich zu beglückwünschen, wenn das Jahr 1857 nicht mit schlimmeren Vorzeichen über Frankreich hereinbricht als sie vor einem Jahrzehnt das Jahr 1847 begleiteten.