Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 12, Berlin/DDR 1961. S. S. 37-42.

Karl Marx

[Die Revolution in Spanien]

Geschrieben am 25. Juli 1856.
Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 4775 vom 8. August 1856, Leitartikel]

<37> Obwohl die gestern von der "Asia" gebrachten Nachrichten drei Tage später datiert sind als unsere vorangegangenen Berichte, enthalten sie keinerlei Anzeichen für eine rasche Beendigung des Bürgerkriegs in Spanien. O'Donnells coup d'état hat zwar in Madrid gesiegt, doch kann man noch nicht sagen, er hätte den endgültigen Erfolg errungen. Der französische "Moniteur", der den Aufstand zu Barcelona anfangs als bloßen Aufruhr bezeichnet hatte, sieht sich jetzt zu dem Eingeständnis genötigt, daß "der Kampf dort sehr heftig gewesen ist, daß aber der Erfolg der Truppen der Königin als gesichert angesehen werden kann". Nach der Darstellung dieses offiziellen Blattes dauerte der Kampf in Barcelona von 5 Uhr nachmittags des 18. Juli bis zur gleichen Stunde des 21., also genau drei Tage, zu welchem Zeitpunkt laut Bericht die "Insurgenten" aus ihren Positionen vertrieben worden und, von Kavallerie verfolgt, aus der Stadt geflohen sein sollen. Es wird indessen versichert, daß die Aufständischen noch im Besitz mehrerer Städte in Katalonien sind, darunter Gerona, Junquera und einige kleinere Ortschaften. Außerdem geht hervor, daß Murcia, Valencia und Sevilla ihre pronunciamientos <Aufstände> gegen den coup d'état gemacht haben, daß ein Bataillon der Garnison zu Pamplona, welches von dem Gouverneur dieser Stadt gegen Soria kommandiert war, sich unterwegs gegen die Regierung erklärt hat und auf Saragossa marschiert, um sich dort dem Aufstand anzuschließen; und daß endlich in Saragossa, in dem von Anfang an anerkannten Zentrum des Widerstandes, General Falcon über 16.000 Liniensoldaten, verstärkt durch 15.000 Mann Miliz und Bauern aus der Umgebung, Heerschau gehalten hat.

<38> Jedenfalls betrachtet die französische Regierung die "Insurrektion" in Spanien als noch nicht unterdrückt, und Bonaparte, weit davon entfernt, sich mit der Entsendung einer Reihe von Bataillonen zur Besetzung der Grenze zufriedenzugeben, hat angeordnet, daß eine Brigade an die Bidassoa vorrückt, und diese Brigade wird durch Verstärkungen aus Montpellier und Toulouse auf den Stand einer Division gebracht. Es scheint auch, daß eine zweite Division auf Grund der am 23. Juli direkt von Plombières aus ergangenen Befehle unmittelbar aus der Armee von Lyon detachiert worden ist und nun in Richtung Pyrenäen marschiert, wo nunmehr ein vollständiges corps d'observation <Beobachtungskorps> von 25.000 Mann zusammengezogen wird, Sollte sich der Widerstand gegen die Regierung O'Donnell behaupten können, sollte er sich als so stark erweisen, daß Bonaparte zu einer bewaffneten Invasion auf die Halbinsel verlockt wird, dann hätte der coup d'état von Madrid das Signal für den Zusammenbruch des coup d'état von Paris gegeben.

Wenn wir den allgemeinen Handlungsablauf und die dramatis personae <Personen des Dramas> betrachten, dann erscheint diese spanische Verschwörung von 1856 als einfache Neuauflage des ähnlichen Versuchs von 1843, natürlich mit einigen geringfügigen Veränderungen. Damals, wie heute, Isabella in Madrid und Christina in Paris; Louis-Philippe an der Stelle von Louis Bonaparte, als Dirigent der Bewegung von den Tuilerien aus; auf der einen Seite Espartero und seine Ayacuchos, auf der anderen O'Donnell, Serrano, Concha, mit Narváez damals im Proszenium und jetzt im Postszenium. 1843 sandte Louis-Philippe auf dem Landwege zwei Millionen in Gold und auf dem Seewege Narváez und seine Freunde, nachdem der Vertrag, der die spanischen Heiraten betraf, zwischen ihm und Madame Muñoz abgeschlossen war. Auf die Mittäterschaft Bonapartes am spanischen coup d'état - Bonapartes, der möglicherweise die Heirat seines Vetters, des Prinzen Napoleon, mit einer Mademoiselle Muñoz eingefädelt hat und der in allen Fällen fortfahren muß, seinen Onkel <Napoleon I.> nachzuahmen -, auf diese Mittäterschaft weisen nicht nur die Drohungen hin, die der "Moniteur" seit zwei Monaten gegen die kommunistischen Verschwörungen in Kastilien und Navarra schlendert; nicht nur das Auftreten des französischen Botschafters in Madrid, des Herrn de Turgot, vor, während und nach dem coup d'état, desselben Mannes, der während Bonapartes eigenem coup d'état dessen Außenminister war; nicht nur die Tatsache, daß der Herzog Alba, Bonapartes Schwager, unmittelbar nach O'Donnells Sieg als Präsident des neuen Ayuntamientos <Stadtrats> von Madrid aufgetaucht ist; nicht nur, daß Ros de Olano, ein altes Mitglied der pro- <39> französischen Partei, der erste gewesen ist, dem man einen Posten in O'Donnells Kabinett angeboten hat; und nicht nur, daß Bonaparte sofort Narváez nach Bayonne geschickt hat, als die ersten Nachrichten über die Angelegenheit nach Paris gelangt waren. Auf diese Mittäterschaft wurde schon vorher hingedeutet, als große Mengen Munition von Bordeaux nach Bayonne befördert wurden, vierzehn Tage vor der jetzigen Krise in Madrid. Vor allem aber deutet auf sie der Operationsplan hin, den O'Donnell bei seinem Raubzug gegen die Bevölkerung jener Stadt befolgt hat. Gleich zu Anfang verkündete er, er würde nicht davor zurückschrecken, Madrid in die Luft zu sprengen, und während der Kämpfe hielt er sich genau an sein Wort. Nun hat aber O'Donnell, obwohl er ein dreister Bursche ist, noch niemals einen kühnen Schritt gewagt, ohne für einen sicheren Rückzug zu sorgen. Gleich seinem berüchtigten Onkel, dem Helden des Verrats <Enrique José O'Donnell>, verbrannte er niemals die Brücke hinter sich, wenn er den Rubikon überschritten hatte. Das Organ der Kampfeslust wird bei den O'Donnells in einzigartiger Weise durch die Organe der Vorsicht und der Verschwiegenheit gezügelt. Es ist klar, daß jeder General, der die Drohung ausstößt, die Hauptstadt in Schutt und Asche zu legen, dem aber sein Unternehmen mißglückt, seinen Kopf verwirkt. Wie aber wagte sich O'Donnell auf solch heiklen Boden? Das Geheimnis verrät das "Journal des Débats", das spezielle Organ der Königin Christina:

"O'Donnell erwartete eine schwere Schlacht und im besten Falle einen heiß umstrittenen Sieg. In seine Berechnungen wurde die Möglichkeit einer Niederlage aufgenommen. Wenn solch ein Unglück eingetreten wäre, hätte der Marschall mit dem Rest seiner Armee Madrid verlassen und, die Königin geleitend, sich nach den Nordprovinzen gewandt, um sich der französischen Grenze zu nähern."

Sieht das alles nicht gerade so aus, als hätte er seinen Plan mit Bonaparte abgesprochen? Genau der gleiche Plan war 1843 zwischen Louis-Philippe und Narváez vereinbart worden, und dieser wiederum war eine Kopie der geheimen Konvention zwischen Ludwig XVIII. und Ferdinand VII. aus dem Jahre 1823.

Wird diese plausible Parallele zwischen den spanischen Verschwörungen von 1843 und 1856 einmal anerkannt, so gibt es immer noch genügend Unterscheidungsmerkmale in den beiden Bewegungen, welche die gewaltigen Fortschritte anzeigen, die das spanische Volk in einer so kurzen Zeitspanne gemacht hat. Diese Merkmale sind: der politische Charakter des letzten Kampfes in Madrid, seine militärische Bedeutung und schließlich die Stellung Esparteros beziehungsweise O'Donnells 1856, verglichen mit der Stellung beider <40> im Jahre 1843. 1843 waren alle Parteien Esparteros überdrüssig geworden. Um sich seiner zu entledigen, wurde zwischen den Moderados und Progresistas eine mächtige Koalition geschlossen. Revolutionäre Juntas, die in allen Städten wie Pilze aus dem Boden schossen, bahnten Narváez und seinen Gefolgsleuten den Weg. 1856 haben wir nicht nur den Hof und die Armee auf der einen Seite gegen das Volk auf der anderen, sondern auch innerhalb der Reihen des Volks finden wir die gleichen Trennungslinien wie im übrigen Westeuropa. Am 13. Juli bot das Kabinett Espartero seinen erzwungenen Rücktritt an; in der Nacht vom 13. zum 14. konstituierte sich das Kabinett O'Donnell, am 14. früh verbreitete sich das Gerücht, daß O'Donnell, mit der Bildung eines Kabinetts beauftragt, Rios y Rosas, den übelbeleumdeten Minister der blutigen Julitage 1854, aufgefordert hätte, sich ihm anzuschließen. Um 11 Uhr vormittags bestätigte die "Gaceta" das Gerücht. Dann traten die Cortes zusammen; 93 Abgeordnete waren anwesend. Nach den Statuten dieser Körperschaft genügen 20 Mitglieder zur Einberufung einer Sitzung und 50 zur Beschlußfassung. Außerdem waren die Cortes formell nicht vertagt worden. General Infante, der Präsident, konnte nicht umhin, dem allgemeinen Wunsch auf Abhaltung einer regulären Sitzung nachzugeben. Ein Antrag wurde gestellt, der zum Ausdruck brachte, daß das neue Kabinett nicht das Vertrauen der Cortes genieße und daß Ihre Majestät von diesem Votum unterrichtet werden sollte. Gleichzeitig forderten die Cortes die Nationalgarde auf, sich kampfbereit zu halten. Unter Geleitschutz einer Abteilung der Nationalmiliz begab sich der Ausschuß der Cortes mit dem Mißtrauensvotum zur Königin. Als seine Mitglieder versuchten, in den Palast zu gelangen, wurden sie von den Linientruppen zurückgetrieben, die auf sie und ihre Eskorte das Feuer eröffneten. Dieser Zwischenfall gab das Signal für den Aufstand. Der Befehl, mit dem Bau von Barrikaden zu beginnen, wurde um 7 Uhr abends von den Cortes gegeben, deren Versammlung unmittelbar danach von den Truppen O'Donnells auseinandergesprengt wurde. Der Kampf begann in derselben Nacht, und nur ein Bataillon der Nationalmiliz schloß sich den königlichen Truppen an. Es ist bemerkenswert, daß schon am Morgen des 13. Señor Escosura, der Innenminister Esparteros, nach Barcelona und Saragossa telegraphiert hatte, ein coup d'état stünde bevor, und man müsse zum Widerstande rüsten. An der Spitze der Madrider Aufständischen standen Señor Madoz und General Valdez, der Bruder Escosuras. Kurz, es kann keinen Zweifel daran geben, daß der Widerstand gegen den coup d'état seinen Ursprung bei den Esparteristen, den Bürgern und den Liberalen überhaupt hatte. Während sie mit der Miliz auf einer von Osten nach Westen quer durch Madrid gehenden Linie Stellungen bezogen, <41> besetzten die Arbeiter unter Pucheta den Süden und einen Teil der Nordseite der Stadt.

Am Morgen des 15. ergriff O'Donnell die Initiative. Selbst nach dem voreingenommenen Zeugnis des "Débats" erlangte O'Donnell während der ersten Hälfte des Tages keinen merklichen Vorteil. Plötzlich waren gegen 1 Uhr die Reiben der Nationalmiliz ohne jeden erkennbaren Grund in Auflösung, um 2 Uhr waren sie noch mehr gelichtet, und um 6 Uhr waren sie gänzlich vom Schauplatz verschwunden und überließen damit die ganze Last des Kampfes den Arbeitern, die ihn bis zum 16. nachmittags 4 Uhr ausfochten. Somit gab es in diesen drei Tagen des Gemetzels zwei verschiedene Schlachten - einmal die der liberalen Miliz der Bourgeoisie mit Unterstützung der Arbeiter gegen die Armee, und zum anderen die der Armee gegen die von der Miliz im Stich gelassenen Arbeiter. Grad wie Heine sagt:

Es ist eine alte Geschichte,
doch bleibt sie immer neu.

Espartero verläßt die Cortes, die Cortes verlassen die Führer der Nationalgarde, die Führer verlassen ihre Männer, und die Männer verlassen das Volk. Am 15. indessen traten die Cortes noch einmal zusammen, als Espartero für einen Augenblick wieder auftauchte. Er wurde von Señor Assensio und anderen Abgeordneten an seine wiederholten Beteuerungen erinnert, daß er am ersten Tage, an dem die Freiheit des Landes in Gefahr wäre, sein glorreiches Schwert von Luchana ziehen werde. Espartero rief den Himmel als Zeugen an für seinen unerschütterlichen Patriotismus, und als er wegging, wurde fest damit gerechnet, daß man ihn bald an der Spitze der Erhebung sehen wird. Statt dessen begab er sich zum Haus des Generals Gurrea, wo er sich à la Palafox in einem bombensicheren Keller verbarg, und seitdem ward nichts mehr von ihm vernommen. Die Kommandeure der Miliz, denen am Abend zuvor jedes Mittel recht war, um die Milizionäre zum Ergreifen der Waffen anzustacheln, waren jetzt genauso eifrig dabei, in ihre Wohnungen zurückzukehren. Um 1/2 3 Uhr nachmittags rief General Valdez, der für einige Stunden das Kommando über die Miliz usurpiert hatte, die unter seinem unmittelbaren Kommando stehenden Soldaten auf der Plaza Mayor zusammen und sagte ihnen, daß der Mann, der naturgemäß an ihrer Spitze stehen müßte, sich nicht zeigen wolle und daß es demzufolge jedem freigestellt sei, zu gehen. Daraufhin stürzten die Nationalgardisten nach Hause, um eilends ihre Uniformen abzulegen und die Waffen zu verstecken. So lautet der wesentliche Inhalt des Berichts, der von einer gut informierten Quelle stammt. Eine andere Quelle bezeichnet als Grund für diesen plötz- <42> lichen Akt der Unterwerfung vor der Verschwörung, man hätte in Betracht gezogen, daß der Sieg der Nationalgarde wahrscheinlich den Untergang des Throns und die absolute Vorherrschaft der republikanischen Demokratie nach sich gezogen hätte. "La Presse" von Paris gibt uns auch zu verstehen, daß Marschall Espartero, nachdem er gesehen hatte, welche Wendung die Demokraten im Kongreß den Dingen gegeben hatten, nicht den Thron opfern oder sich in die Gefahren von Anarchie und Bürgerkrieg stürzen wollte und folglich alles in seiner Macht Befindliche tat, um die Unterwerfung unter O'Donnell zu bewirken.

Zwar werden die Einzelheiten in bezug auf die Zeitdauer, die Umstände und den Zusammenbruch des Widerstandes gegen den coup d'état von verschiedenen Autoren verschieden angegeben, aber alle stimmen hinsichtlich des einen, hauptsächlichen Punktes überein, daß Espartero die Cortes im Stich gelassen, die Cortes die Führer, die Führer die Bourgeoisie, und die Bourgeoisie das Volk. Das liefert uns eine neue Illustration des Charakters der meisten jener Kämpfe, die 1848/49 in Europa stattgefunden haben und im westlichen Teil dieses Kontinents künftig noch stattfinden werden. Auf der einen Seite stehen die moderne Industrie und der Handel, deren natürliches Oberhaupt, die Bourgeoisie, den militärischen Despotismus verabscheut; wenn sie aber andererseits den Kampf gegen diesen Despotismus aufnimmt, greifen die Arbeiter, jenes Produkt der modernen Organisation der Arbeit, selbst ein, um ihren gebührenden Anteil am Ergebnis des Sieges zu verlangen. Erschreckt also von den Konsequenzen eines ihr gegen ihren Willen auferlegten Bündnisses, weicht die Bourgeoisie wieder unter die schützenden Batterien des verhaßten Despotismus zurück. Dies ist das Geheimnis der stehenden Armeen Europas, die sonst dem künftigen Historiker unverständlich blieben. Der europäischen Bourgeoisie wird so zu verstehen gegeben, daß sie sich entweder einer politischen Macht, die sie verabscheut, ergeben und auf die Vorzüge der modernen Industrie und des Handels und der darauf begründeten gesellschaftlichen Beziehungen verzichten muß oder der Privilegien verlustig wird, welche die moderne Organisation der gesellschaftlichen Produktivkräfte in ihrem ersten Stadium ausschließlich einer Klasse verliehen hat. Daß diese Lektion gerade von Spanien erteilt werden sollte, ist ebenso treffend wie überraschend.