Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 11, S. 328-331
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1961

Karl Marx

Mitteilungen verschiedenen Inhalts


["Neue Oder-Zeitung" Nr. 297 vom 29. Juni 1855]

<328> London, 26. Juni. In der gestrigen Unterhaussitzung erhob sich Herr Otway:

"Bezweckt Lord Palmerston irgendwelche Maßregeln zu ergreifen, um Lord Grosvenor zur Zurücknahme seiner Sunday Trading Bill zu veranlassen?" (Allgemeine cheers <Beifall>.)

Lord Palmerston:

"Wenn mein edler Freund" (Grosvenor) "diese allgemeinen cheers gehört hat, denke ich, wird er geneigt sein, sich nach ihnen zu richten." (Cheers.)

Man sieht, die Massendemonstration im Hyde Park hat das Unterhaus eingeschüchtert. Es läßt die Bill fallen und macht honne mine à mauvais jeu <gute Miene zum bösen Spiel>. Die "Times" nennt die Sonntagsszene im Hyde Park "einen großen Akt vergeltender Justiz", die Bill ein Produkt der "Klassengesetzgebung", "eine Maßregel organisierter Heuchelei" und erlustigt sich über "die parlamentarische Theologie".

Mit Bezug auf das Hangö-Massacre zeigt der Erste Lord der Admiralität, Sir Charles Wood, an, er habe heute Depeschen vom Admiral Dundas erhalten. Dadurch seien durch das Feuer der Russen getötet worden 5 Seeleute und der finnische Kapitän, verwundet und gefangengenommen 4 Seeleute und 2 Finnen, gefangengenommen ohne Verwundung 3 Offiziere, 4 Seeleute und 2 Finnen. Admiral Dundas habe einen Brief an den Gouverneur von Helsingfors gerichtet, die Tatsachen konstatiert und in entschiedenster Weise remonstriert gegen den abscheulichen Akt, auf ein Boot <329> unter Friedensflagge zu feuern. Er habe eine Antwort erhalten, worin der Gouverneur den Akt entschuldige und gewissermaßen rechtfertige. Er erkläre, ihrer eignen Aussage gemäß hätten Offiziere und Soldaten die Friedensflagge nicht gesehen. Sie seien erbittert gewesen, weil bei verschiedenen anderen Gelegenheiten Schiffe die russische Flagge aufgezogen hätten und in Zeitungen berichtet stehe, wie englische Schiffe anderswo die Friedensflagge benutzt hätten, um mit dem Senkblei zu sondieren. Die ganze Rechtfertigung beschränkt sich also auf die Kurzsichtigkeit der russischen Soldaten und Offiziere. Jedenfalls ist es ein Zeichen der Zivilisation, daß russische Soldaten Zeitungen lesen und von Zeitungsberichten "erbittert" werden.

Die Administrativen haben ein neues Meeting im Drury-Lane[-Theater] für morgen angekündigt. Wie früher: Meeting mit Einlaßkarten und vorherbestellten Rednern. Pontius Pilatus fragte: Was ist Wahrheit? Palmerston fragte: Was ist Verdienst? Die Administrativen haben geantwortet: Verdienst ist, was ein Mann jährlich verdient. Demgemäß haben diese Reformer eine Umwandlung in ihrer innern Organisation vorgenommen. Früher wurden die Mitglieder des Generalkomitees - in der Tat selbsterwählt - einer Scheinwahl durch allgemeine Abstimmung der Assoziation unterworfen. Nun wird selbstredend Mitglied des Generalkomitees, wer 50 und mehr Pfund Sterling jährliche Subskription zahlt. Früher wurde die Zehn-Guineen- und die Eine-Guinee-Klausel für hinreichend erachtet, um die "Bewegung" gegen plebejische Zudringlichkeit zu schützen. Jetzt werden die Zehn-Guineen-Herren nicht mehr für hinreichend "respektabel", und die Ein-Guinee-Personen völlig als "Mob" betrachtet. Es heißt wörtlich in den Plakaten, die das Meeting anzeigen:

"Zulassung nur auf Eintrittskarte, die von Mitgliedern erhalten werden kann. Subskribenten von 50 Pfund und mehr sind Mitglieder des Generalkomitees, Subskribenten von zehn Guineen und einer Guinee sind Mitglieder der Assoziation."

Die Rechte der Mitglieder innerhalb der Assoziation sind also durch eine gleitende Skala von Guineen auskalkuliert. Die nackte, unverbrämte Herrschaft der Guineen ist brutal proklamiert. Die Cityreformer haben ihr Geheimnis ausgeplaudert. Welche Agitatoren! Die letzten Zeiten waren ihnen zudem nicht günstig. Drummond warf ihnen offen im Parlament "systematische Immoralität" und "Korruption" vor. Und welche Illustrationen der Reinheit ihrer Klasse folgten sich Schlag auf Schlag, wie auf ein Kommandowort! Erst bringt das "Lancet" (medizinische Zeitschrift) Beweise, daß die Verfälschung und Vergiftung aller Waren und Lebensmittel sich keineswegs auf Kleinkrämer beschränkt, sondern vom Großhandel prinzipiell betrieben <330> wird. Dann verlautet, daß "respektable" Cityfirmen falsche dockwarrants <Lagerscheine> zirkuliert haben. Endlich der große fraudulente, mit direktem Diebstahl an deponierten Sicherheiten verbundene Bankrutt der Privatbank von Strahan, Sir Jones Paul und Bates. In letzterem Falle hat die Aristokratie dem "administrativen" Talent der Cityherren huldigen gelernt, denn die Bank "administrierte" vor allen aristokratische Guineen. Palmerston ist Dulder, so der Marquis von Clanricarde, und Admiral Napier hat beinahe sein ganzes Vermögen eingebüßt. Die Kirche ist auch um viel irdisches Hab gekommen, da die Herren Strahan, Paul und Bates in einem besonderen Geruch der Heiligkeit standen, Meetings zur "Heidenbekehrung" in Exeter Hall gelegentlich präsidierten, unter den ersten Subskribenten der Gesellschaft für "die Verbreitung der Bibel" figurierten und sich im Vorstande des "Vereins zur Reform von Verbrechern" befanden. Ihr Glaube hatte ihnen Kredit verschafft. Sie waren die Lieblingsbank geistlicher Herren und freier Stiftungen. Aber ihr "administratives" Talent hat nichts verschont, von Witwen- und Waisengeldern bis zu den Sparpfennigen von Matrosen hinab. Warum sie nicht zur Administration der "Staatsgelder" zulassen; nach der sie jetzt die Hand ausstrecken?

"Es zeigen sich jetzt", ruft wehmütig die "Daily News", das Organ per excellence der Cityreformer, "Symptome unter uns, die beweisen, daß keine Zeit zu verlieren, um einen Fall von dem hohen unmoralischen Tone unter den industriellen Klassen vorzubringen."

Die Krise der Herren Strahan und Komp. hat natürlich einen "Run" des Publikums auf die Kassen der City-Privatbanken hervorgerufen, die bis dahin für ungleich respektabler galten als die Aktienbanken. Schon sehen sich die großen Privatbankiers genötigt, "öffentlich" sich zur wechselseitigen periodischen Einsicht in den Bestand der bei ihnen deponierten Sicherheiten aufzumuntern und ebenso ihre Kunden zur augenscheinlichen Besichtigung der ihnen anvertrauten Effekten durch die "Times" einzuladen. Ein andrer Umstand, der den reformierenden Cityherrn durchaus ungelegen kommt, ist folgender: Einer ihrer Könige, Rothschild, steht bekanntlich als ihr erwählter Repräsentant an der Schwelle des Unterhauses, ohne in das Allerheiligste zugelassen zu werden, weil er nicht den "Eid eines wahren Christen" schwören und Lord John Russell, sein Kollege, die Judenbill nicht "realisieren" will. Nun erhebt sich gestern Duncombe, hat ausgespürt, daß einem Parlamentsakt von 1782 gemäß jeder Deputierte, der einen Lieferungskontrakt mit der <331> Regierung nach seiner Wahl geschlossen, seines Sitzes im Unterhause verlustig geht, daß Rothschild die letzte Anleihe von 16 Millionen Pfd.St. übernommen, und zeigt daher an, daß er morgen abend die Ausschreibung einer neuen Citywahl beantragen werde. Noch mehr. Malins folgt Duncombe auf dem Fuße nach und kündigt einen ähnlichen Antrag gegen Lindsay an, der in der Reformdebatte von Sir Charles Wood offen angeklagt sei, Lieferungskontrakte für Schiffe mit der Regierung geschlossen zu haben, während er als Parlamentsmitglied sitzt und saß. Der Inzident ist nicht nur wichtig wegen der kompromittierten Personen, ein Citymagnat und ein Cityreformmagnat! Er ist wichtig, weil er dem Publikum ins Gedächtnis ruft, daß Pitt, Perceval und Liverpool, die sich über den Akt von 1782 hinwegsetzten, gerade in den Großwürdenträgern der City, den Kontrahenten von Anleihen und Lieferungen für die Regierung in und außerhalb des Parlaments ihre Grundpfeiler fanden. Diese Finanzaristokratie - damals korrupter wie unter Louis-Philippe - war die Seele des Antijakobinerkriegs. Während sie seine goldenen Hesperidenäpfel pflückte, demonstrierte sie der Nation in berüchtigten Citymeetings, daß

"sie Geld und Blut opfern müsse, um die gebenedeiten Komforts unsrer heiligen Religion vor den altarschänderischen Franzosen und sich selbst vor der düstern Verzweiflung des Atheismus zu retten".

So, zur ungelegensten Zeit; wird die Nation erinnert, daß die gegen die Oligarchie rebellierende City das Treibhaus war, worin dieselbe Oligarchie großwuchs und ihre üppigsten Blüten trieb.