Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 11, S. 231-238
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1961

Friedrich Engels

Der Krimkrieg

Geschrieben am 21. Mai 1855.
Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 4411 vom 8. Juni 1855, Leitartikel]

<231> Während wir schreiben, müssen die Feldoperationen in der Krim begonnen haben, von denen wir vor einigen Tagen als in Vorbereitung stehend sprachen. <Siehe die deutsche Variante im vorl. Band, S. 213-216> Mit diesen Operationen tritt der Krieg, soweit er auf die Halbinsel beschränkt ist, in ein neues und wahrscheinlich entscheidendes Entwicklungsstadium. Die rasche Ankunft der piemontesischen und französischen Reserven und besonders die plötzliche Veränderung, in deren Resultat Canrobert sein Kommando mit dem über ein einziges Korps vertauschte, während Pélissier den Oberbefehl übernimmt, sind sichere Anzeichen dafür, daß die Zeit gekommen ist für eine Änderung in der Taktik der Alliierten.

Was eine allgemeine Beschreibung des Geländes angeht, auf das der Schauplatz der Operationen verlegt werden soll, und eine allgemeine Übersicht über die Kräfte, die jetzt engagiert werden, so verweisen wir auf unseren vorigen Artikel. Man wird sich erinnern, daß die Hauptposition der russischen Observationsarmee, die die Verbindung mit der Nordseite Sewastopols aufrechterhält, auf dem Plateau zwischen Inkerman und der Stelle liegt, wo die Straße von Balaklawa nach Simferopol den Bergkamm kreuzt, der die Täler der Tschornaja und des Belbek voneinander trennt. Diese Position - von großer natürlicher Stärke - haben die Russen vollständig verschanzt. Sie dehnt sich ungefähr vier Meilen zwischen der Spitze der Bucht von Sewastopol und der unzugänglichen Gebirgskette aus, und die Russen werden in der Lage sein, dort mindestens 50.000 oder 60.000 Mann Infanterie und Artillerie zu konzentrieren, was für die Verteidigung vollauf genügt.

<232> Diese Position in der Front zu attackieren, würde eine große zahlenmäßige Überlegenheit erfordern und furchtbare Opfer mit sich bringen; indessen können sich die Alliierten weder das eine noch das andere leisten. Selbst wenn es ihnen gelänge, die Verschanzungen zu erobern, wären ihre Verluste so schwer, daß sie nicht imstande wären, die Kampagne energisch weiterzuführen. Sie müssen deshalb versuchen, eine Anzahl Russen von dort abzuziehen und Wege zu finden, sie zu umgehen. Zu diesem Zwecke war die mysteriöse Expedition nach Kertsch unternommen worden. Ungefähr 15.000 Mann der Alliierten wurden eingeschifft, zogen vor den Augen der Russen an Jalta vorbei, segelten nach Kertsch und wieder zurück. Warum sie nicht den Versuch machten zu landen, wird mit einem telegraphischen Befehl aus Paris zu erklären versucht. Auf alle Fälle muß dieser bloße Ersatz für eine Demonstration als ein völliges Fiasko bezeichnet werden; keinen General, der bei Sinnen ist, würde man veranlassen können, seine Truppen für die Durchführung einer Expedition zu teilen, die nicht einmal wagt, auch nur den Anschein eines Gefechtes zu liefern. Ein Angriff auf Kaffa, selbst wenn man ihn im Hauptquartier erwogen hatte, scheint schließlich auch aufgegeben worden zu sein. Truppen nach Eupatoria zu bringen, um von diesem Punkt aus vorzubrechen, konnte nicht in Frage stehen, denn sonst wären die piemontesischen und französischen Reserven sofort dort hingeschickt worden. Und da es weder an der Küste zwischen Balaklawa und Kaffa noch zwischen Sewastopol und Eupatoria einen anderen Hafen oder eine gute Reede gibt, scheint man schließlich den Gedanken aufgegeben zu haben, die Russen zur See zu umgehen; es bleibt also nichts anderes übrig, als sie zu Lande zu umgehen, was sich - wie wir bereits festgestellt haben - als eine äußerst schwierige Operation erweisen muß.

Es gibt außer der von den Russen besetzten Straße oberhalb von Inkerman nur noch eine andere Heerstraße, die von Balaklawa nach Simferopol führt. Sie verläuft längs der Südküste bis nach Aluschta, wo sie ins Landinnere einbiegt, führt in einer Höhe von 2.800 Fuß über dem Meeresspiegel über die Berge östlich des Tschatyr-Dag oder des Zeltberges, des höchsten Berges auf der Krim, und steigt durch das Tal des Salgir, des Hauptflusses der Krim, nach Simferopol hinab. Von Balaklawa nach Aluschta sind es vier, von Aluschta nach Simferopol drei Tagemärsche - insgesamt etwa 95 englische Meilen. Da es aber keine Nebenstraßen gibt, auf denen die Truppen in mehreren parallelen Kolonnen marschieren könnten, müßte die ganze Armee auf dieser einen Straße in einer enorm auseinandergezogenen Kolonne vorrücken, wobei sie wenigstens vier oder fünf Tage lang in einem ununterbrochenen Strom marschieren müßte. In der Nähe von Aluschta und auf dem Paß gibt es <233> einige alte Befestigungen, und wir können sicher sein, daß man den Paß selbst stark verschanzt vorfinden wird. Statt sieben Tage würde die Armee vielleicht zwölf benötigen, ehe überhaupt der Paß des Tschatyr-Dag überquert werden könnte - Zeit genug für die Russen, das Korps anzugreifen, das für die Sicherung der Belagerung zurückbleibt, oder mit dem größeren Teil ihrer Streitkräfte gegen den Feind zu ziehen und von den Hügeln aus, wenn er aus dem Engpaß hervorbricht, mit überlegenen Kräften ihm zu begegnen, während leichte, bewegliche, auf den Fußpfaden an der Oberen Katscha und der Alma vorgeschickte Kolonnen sich auf seine Flanke und auf seine Nachhut werfen würden. Der größte Fehler einer Flankenbewegung über Aluschta würde jedoch das völlige Fehlen einer Operationsbasis sein. Die offene Reede von Aluschta läßt den Gedanken, diesen Ort auch nur in eine vorübergehende Basis zu verwandeln, nicht zu; so kann, sogar bevor Aluschta passiert wird, die russische leichte. Infanterie; die auf den durch die Berge führenden Fußpfaden herabkommt, die Verbindung mit Balaklawa durchaus wirksam unterbrechen.

Daher kann der Marsch über Aluschta schwerlich unternommen werden. Das Risiko überwiegt bei weitem die möglichen Vorteile. Es gibt jedoch einen anderen Weg, die Russen zu umgehen. Wenn beim Marsch über Aluschta alle Vorteile, die den Alliierten die große Straße bietet, in bedeutendem Maße dadurch aufgewogen werden, daß die Russen die Fußpfade für Attacken ausnutzen können, warum könnten den Alliierten dann nicht die gleichen Fußpfade zum gleichen Vorteil gereichen? Das würde ein völlig anderes Operieren mit sich bringen. In diesem Falle würden die Alliierten die Hauptmasse ihrer Feldtruppen, einschließlich des Korps, das dazu bestimmt ist, die Nordseite Sewastopols zu blockieren, direkt gegenüber dem russischen Lager oberhalb Inkermans aufstellen und damit ihre Gegner zwingen, die große Masse ihrer Truppen in den Verschanzungen festzuhalten. Inzwischen würden Zuaven, Chasseure, leichte Infanterie, britische Schützen und sogar die berittenen Chasseurs d'Afrique <für den Dienst in Afrika bestimmte leichte Reiterei>, und auch was an Gebirgsartillerie aufzubringen ist, in ebenso viele Kolonnen formiert werden, wie es Fußpfade gibt, die vom Baidartal und von der Südküste in der Nähe Alupkas, 30 Meilen von Balaklawa, in die Täler des Belbek und der Katscha führen. Ein Nachtmarsch würde genügen, um die Truppen, die die äußerste linke Flanke der Russen umgehen müssen, über das Baidartal zur Südküste zu bringen, wo sie der Feind nicht mehr erreichen kann. Ein weiterer Tagemarsch würde sie nach Alupka bringen. Oberhalb von Alupka zieht sich die <234> steile Gebirgskette des Jaila-Gebirges hin, das auf seinem nördlichen Abhang ungefähr 2.000 Fuß über dem Meeresspiegel eine Hochebene bildet, die gutes Weideland für Schafe bietet; die Hochebene steigt über felsige Abgründe in die engen Täler der Flüßchen Bijuk Usen und Usen Basch herab, die bei ihrem Zusammenfließen den Fluß Belbek bilden. Drei Fußpfade führen zu diesem Plateau in der Nähe von Alupka hinauf und münden in die Täler der beiden Flüßchen Usen. Dieses ganze Gelände ist für eine Infanterie wie die Zuaven und Chasseure, die sich in Afrika an Gebirgskriegen weit schwierigerer Art gewöhnt haben, durchaus wegsam. Vom Tal der Oberen Tschornaja, besser bekannt unter dem Namen Baidartal, führen wenigstens zwei Fußpfade zum Tal des Oberen Belbek, und schließlich geht ein Pfad von der Straße nach Balaklawa und Simferopol kurz vor dem Bergpaß ab und überquert den Kamm drei Meilen südöstlich der Mackenzie-Pacht und führt unmittelbar zur linken Flanke der verschanzten Positionen der Russen. Wenn diese Pfade auch noch so beschwerlich sind, so müssen sie doch für die französischen leichten Truppen aus Afrika passierbar sein. "Wo eine Ziege gehen kann, kann auch ein Mensch gehen; wo ein Mensch, da auch ein ganzes Bataillon; wo ein ganzes Bataillon durchkommt, können mit einiger Mühe auch ein oder zwei Pferde durchkommen, und schließlich wird es auch vielleicht gelingen, ein Feldgeschütz durchzubringen." Wir sollten uns wirklich nicht wundern, wenn diese auf den Landkarten markierten, ausgetretenen Schafswege und Fußpfade sich sogar als Landstraßen erweisen, als schlechte zwar, aber doch als ganz brauchbar für eine Flankenbewegung, bei der sogar Artillerie die Kolonnen begleiten kann. In diesem Falle sollte die Umgehung mit möglichst starken Kräften durchgeführt werden, und dann werden die Russen, sogar ohne einen ernsthaften Frontalangriff, bald gezwungen sein, ihre Verschanzungen aufzugeben. Aber falls diese Pfade für Feldgeschütze nicht passierbar sind (Raketen und Gebirgshaubitzen kommen überall durch), werden die Umgehungsabteilungen sich in einfache bewegliche Kolonnen verwandeln, so weit sie können die russischen Truppen aus den oberen Tälern des Belbek hinausdrängen, ins Tal der Katscha eindringen, die Nachhut der Russen bedrohen, ihre Verbindungen unterbrechen, ihre Konvois vernichten, zuverlässige Nachrichten sammeln, das Land rekognoszieren und so viele russische Detachements wie möglich auf sich ziehen, bis die Straße, die die wenigsten Schwierigkeiten bietet, soweit wegsam gemacht worden ist, daß die Artillerie passieren kann. Dann könnte man ihnen starke Kräfte nachsenden und die russische Nachhut so ernstlich bedrohen, daß eine Räumung der Verschanzungen erzwungen wird. Wir glauben nicht, daß ein Vordringen bloß von Infanterie und leichter Kavallerie über diese Berge an der linken Flanke und <235> im Rücken der Russen eine solche Wirkung erzielen kann, da sie die russischen Kommunikationen nicht ernsthaft bedrohen könnten, ohne in ein Gelände hinabzusteigen, wo die Artillerie ihre volle Wirkung wiedererlangt und dadurch jener Seite das Übergewicht sichert, die es in Besitz nimmt. Aber es besteht kein Zweifel darüber, daß mit einiger Findigkeit die Artillerie in die Lage versetzt werden kann, den Umgehungskolonnen zu folgen. Bei Jena zeigte Napoleon, was man mit einem einfachen Fußpfad machen kann, der sich einen steilen Hügel hinaufwindet; innerhalb von fünf Stunden war der Weg für Kanonen breit genug gemacht, die Preußen wurden von der Flanke her attackiert, und der Sieg am nächsten Tag war gesichert. Und wo eine Krimarba <Krimkarren> durchkommt, kommt auch ein Feldgeschütz durch; einige der in Frage kommenden Fußpfade, besonders jene, die von der Tschornaja zu dem Belbek führen, scheinen solche alten Landwege für die Arbas zu sein.

Aber um solch eine Bewegung auszuführen, ist die erste Bedingung, über genügend Kräfte zu verfügen. Die Russen werden sicherlich zahlenmäßig im Vorteil sein und das Gelände besser kennen. Ersteres kann durch ein kühnes Vorgehen Omer Paschas von Eupatoria nach der Alma wettgemacht werden. Wenn die russische Superiorität in der Kavallerie es ihm auch nicht gestatten wird, sich schnell oder weit vorwärtszubewegen, so kann er dennoch, wenn er gut manövriert und seine Kommunikationen gut sichert, den Fürsten Gortschakow zwingen, mehr Infanterie gegen ihn einzusetzen. Aber sich auf eine derartige Nebenoperation zu verlassen, wäre für die Alliierten eine zu unsichere Sache. Um also das Vorrücken von Balaklawa zu bewerkstelligen wäre es für sie am besten, ein oder zwei Tage vor dem wirklichen Angriff einige 20.000 Türken nach dem Chersones zu überführen (was sie getan haben, wie wir vor einiger Zeit berichteten <dieser Satz wurde offensichtlich von der Redaktion der "N.-Y. D. T." eingefügt.>), wo sie doppelt soviel wert wären als in Eupatoria. Das würde ihnen die Möglichkeit geben, einschließlich der etwa 6.000 Mann starken Kavallerie mit nahezu 110.000 Mann die Russen zu attackieren, ihnen ungefähr 65.000-75.000 Mann (einschließlich 15.000 bis 20.000 Mann von der Garnison der Nordseite) und 10.000 Mann Kavallerie entgegenstellen zu können. Aber sobald das Umgehungskorps beginnt, die linke Flanke und die Nachhut der Russen zu bedrohen, werden die Kräfte, die man ihm entgegenstellen würde, verhältnismäßig schwach sein, da die Detachements von der Nordseite sich nicht der Gefahr aussetzen könnten, von ihrem um die Zitadelle gelegenen verschanzten Lager abgeschnitten zu werden; und daher würden die Alliierten, da sie in der Lage sind, ihre <236> ganze verfügbare Feldarmee überall dort, wo sie wollen, einzusetzen, sehr überlegen sein. In diesem Falle also könnten sie mit Sicherheit auf Erfolg rechnen; aber wenn sie ohne Hilfe die Russen attackieren und das zahlenmäßige Verhältnis beider Armeen, wie sie aus zuverlässiger Quelle angegeben werden, stimmt, haben sie nur geringe Chancen auf Erfolg. Ihr Flankenkorps wäre zu schwach und könnte von den Russen völlig unbeachtet bleiben, die ihrerseits durch einen kühnen Ausfall aus ihren Linien die geschwächten Alliierten den Abgrund hinunter in die Tschornaja treiben könnten.

Man hält auch ein anderes Manöver der Alliierten für möglich: einen unmittelbaren Sturm auf die Südseite Sewastopols. Es heißt sogar, daß aus Paris ein unbedingter Befehl telegraphiert worden sei, diesen Sturm zu unternehmen, und daß Canrobert resignierte, weil er es nicht verantworten konnte, eine Bewegung auszuführen, die seiner Meinung nach den Verlust von 40.000 Mann bedeutet hätte. Nach dem zu urteilen, was wir von den militärischen Ideen Louis Bonapartes kennengelernt haben, die er durch sein Eingreifen in die gegenwärtige Kampagne zur Schau stellt, ist es durchaus nicht unglaubhaft, daß ein solcher Befehl erteilt worden sein könnte. Aber es ist noch weniger wahrscheinlich, daß selbst ein so verwegener Sabreur wie Pélissier die Ausführung eines solchen Befehls auf sich genommen hätte. Im vergangenen Monat müssen die französischen Soldaten eine recht gute Vorstellung davon erhalten haben, auf welchen Widerstand sie bei einem Sturm stoßen werden. Und eine Operation, die nicht ohne den Verlust von etlichen 40.000 Mann ausgeführt werden kann, das sind mehr als ein Drittel der gesamten für den Sturm verfügbaren Armee, hat gewiß sehr wenig Aussicht auf Erfolg. Pélissier mag zwar darauf erpicht sein, den Marschallstab aufzuheben, der den Händen Canroberts entglitten ist, aber wir zweifeln sehr, ob er Bonapartist genug ist, sein Glück und seinen Ruf gegen eine solche Übermacht aufs Spiel zu setzen. Aber selbst wenn wir annehmen, daß der Sturm erfolgreich war, daß nicht nur die erste Verteidigungslinie, sondern auch die zweite Linie genommen wurde, daß selbst die Barrikaden, die mit Schießscharten versehenen Häuser und die Baracken der Verteidiger, die den Zugang zu den Küstenforts versperren, daß auch diese Küstenforts genommen worden sind und die ganze Südseite in die Hände der Alliierten gefallen ist, bei einem Verlust von, sagen wir, nur 30.000 gegenüber einem Verlust von 20.000 Russen - was dann? Die Alliierten würden 10.000 Mann mehr als die Russen verloren haben, der befestigte Platz müßte augenblicklich aufgegeben werden, und der Feldzug würde sogar noch schwieriger werden als vorher.

Aber es gibt ein Moment, das sogleich den Gedanken an einen unmittelbaren Generalsturm ausschließt. Auf Grund halbamtlicher Berichte hatten wir <237> uns nur um der Polemik willen in einem früheren Artikel über die Belagerung <Siehe vorl. Band, S. 203> veranlaßt gesehen, einzuräumen, daß die Russen aus ihren neuen Außenwerken vor Sewastopol vertrieben worden seien. Gleichzeitig wiesen wir darauf hin, daß wir allen Grund hätten, die Richtigkeit solcher Berichte anzuzweifeln, da die Alliierten jeden Erfolg dieser Art laut und unmißverständlich verkündet hätten. Jetzt wissen wir positiv von russischer Seite, daß die Kamtschatka- (der Mamelon), Selenginsk- und Wolhynsk-Redouten noch in ihrem Besitz sind, während Berichte aus dem Lager der Alliierten das nicht nur bestätigen, sondern auch zugeben, daß die Belagerten weitere Außenwerke aufgeworfen haben. Das Übergewicht, das die Alliierten gewonnen haben, indem sie ihre vorgeschobenen Approchen näher an die Festung heranschoben, ist also von den Konterapprochen der Russen völlig aufgewogen worden, und die Linie, auf der die beiden Seiten mit gleichen Kräften einander begegnen können, ist noch weit vom Hauptgraben entfernt. Ein Sturm ist aber nur ratsam, wenn die Linie, an der die Stärke des Angreifers bei üblichen Belagerungsoperationen der des Verteidigers gleich ist, im Hauptgraben verläuft. Es ist klar, daß sonst die Sturmkolonnen niedergeworfen und aufgerieben würden, ehe sie noch den Rand der Brustwehr erreichen könnten. Solange also die Russen nicht über den Hauptgraben zurückgetrieben werden können, wird es unmöglich sein, den hinter diesem Hauptgraben gelegenen Hauptwall zu stürmen. Was die zweite hinter diesem Graben errichtete Linie anbelangt, kann gegenwärtig überhaupt keine Rede davon sein, sie zu nehmen.

Es ist möglich, daß eine Chance besteht für den Erfolg eines Teilangriffes auf die linke oder Stadtseite auf dem Abschnitt der Quarantäne-Bastion bis zur Flagstaff-Bastion, wo die Hauptattacke der Franzosen vorgetragen wird. Aber in dieser Hinsicht hält uns die Politik der französischen Regierung völlig im dunkeln, soweit es die Ausdehnung und Stärke der russischen Außenwerke angeht, und die neuesten russischen Nachrichten, die in letzter Zeit alle durch den Telegraphen übermittelt wurden, enthalten keine bestimmte und detaillierte Darstellung. Die Russen geben jedoch selbst zu, daß die französischen Werke bei der Flagstaff-Bastion dicht am Hauptwall liegen und dort eine Mine hochgegangen ist, wenn auch ohne irgendwelche bedeutenden Resultate. Hier könnte also ein lokaler Sturm von Erfolg sein, aber auf Grund der hervorspringenden Lage dieser Bastion und des beherrschenden Geländes dahinter (die russische Jasonowski-Redoute <im englischen Text: "the Russian Garden Battery" (die russische Gartenbatterie)>) ist es sehr zweifelhaft, ob irgend etwas durch die Eroberung dieser Bastion gewonnen würde, <238> die von den übrigen Befestigungswerken durch ein oder zwei Querwälle in ihrem Rücken isoliert worden sein muß, wodurch die stürmenden Kolonnen daran gehindert werden, sich dort festzusetzen, oder wenigstens daran, weiter vorzudringen.

Ob nun der Sturm versucht wird oder Feldoperationen unternommen werden, die Alliierten werden mit beträchtlichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Aber auf jeden Fall nähert sich die schläfrige Art der Kriegführung ihrem Ende, die seit der Ankunft der Alliierten vor Sewastopol betrieben wird, und aufregende Ereignisse sowie Operationen von wirklichem militärischem Interesse können jetzt erwartet werden.