Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 11, S. 110-112
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1961

Karl Marx

Zur Geschichte der französischen Allianz


["Neue Oder-Zeitung" Nr. 115 vom 9. März 1855]

<110> London, 6. März. Der heutige "Morning Herald" überrascht London mit folgender Ankündigung:

"Wir haben ausgezeichnete Autorität für den Glauben, daß der Kaiser der Franzosen remonstriert hat gegen das Untersuchungskomitee über die Kriegführung und daß er erklärt hat, falls es fortfahre tätig zu sein, könnten die Armeen der beiden Nationen nicht länger zusammen handeln, obgleich sie beide für denselben Zweck handeln möchten. Um Louis-Napoleon daher Genüge zu tun, ohne das englische Volk vor den Kopf zu stoßen, wird eine Auflösung des Parlaments sobald als möglich stattfinden."

Ohne diesem Paragraphen des "Herald" besondere Wichtigkeit beizumessen, registrieren wir ihn als eines der vielen Symptome, daß geheime Kräfte diesseits und jenseits des Kanals an einer Auflösung der englisch-französischen Allianz arbeiten.

Man erinnere sich der Erklärungen des ausgeschiedenen Ministers Sir James Graham: Unter dem Zwang des Untersuchungskomitees wird unser Admiral gezwungen sein, alle Gründe zu enthüllen, die zum Aufschub der Blockade führten, und die Untersuchung würde bis zu unserer Verbindung mit unserem großen und mächtigen Verbündeten treiben zu einer Zeit, wo es von der äußersten Wichtigkeit ist, daß nicht das allergeringste Mißverständnis obwalte.

Sidney Herbert: Er fordere das Komitee heraus, auf den Grund der Sache zu gehen, ohne Gefahr unsere Armee in der Krim zu beschimpfen und vielleicht das Vertrauen unserer Alliierten zu erschüttern. Wenn nicht ein Mitglied des Komitees fähig sei, es aufzuhalten, wo es auf gefährlichem Grund grabe, würde großes Unrecht verübt werden, und selbst die Offiziere, die es vorlade, würden vielleicht geopfert werden, da ihnen beschuldigende Fragen <111> gestellt werden möchten, während sie nicht die Erlaubnis erhalten würden, Antwort zu geben, weil sie dadurch gefährliche und delikate Enthüllungen wagen müßten. Er für seinen Teil halte es für seine Pflicht, zu verhindern, die Offiziere der britischen Armee in eine Situation zu stellen, wo sie zum Gegenstand von Anklagen gemacht würden, während ihre Hände gebunden und sie unfähig wären, sich selbst zu verteidigen.

Gladstone: Unter anderen Dingen werde ein Komitee zu ergründen haben, warum nicht früher ein Weg von Balaklawa gebaut worden. Wenn das Komitee dies nicht untersuche, tue es gar nichts. Wenn es untersuche, werde die Antwort sein: Mangel an Arbeitskraft. Wenn es weiter frage, woher dieser Mangel an Arbeitskraft, werde es lauten, daß die Leute in den Laufgräben schanzten und daß diese von großem Umfang waren infolge des Verhältnisses, worin die Linien zwischen Franzosen und Engländern verteilt wurden. Ich erkläre auch, daß eine Untersuchung leerer Schein sein würde, wenn ihr die Frage der Wege nicht ergründet, und wenn ihr sie ergründet, wird die Verteidigung der angeklagten Parteien direkt die intimsten Beziehungen zwischen England und Frankreich berühren.

Man begreift, daß diese ministeriellen Erklärungen schon ausgestreuten Samen des Mißtrauens treibhausmäßig zur Entwickelung drängen. Die Relegation der englischen Armee in der Krim zum Wachtpostendienst bei Balaklawa hatte schon das Nationalgefühl empfindlich verletzt. Dann kam der halboffizielle Artikel im "Moniteur" mit seinen "imperatorischen" Betrachtungen über die englische Konstitution. Er rief beißende Repliken in der hiesigen Wochenpresse hervor. Dann die Veröffentlichung des Brüsseler "Memoires", worin Louis Bonaparte einerseits als Urheber der Krimexpedition, anderseits der Konzessionen an Österreich dargestellt wird. Die Kommentare, die zu diesem Memoire z.B. im "Morning Advertiser" erschienen, erinnern in ihrer Rücksichtslosigkeit an die "Briefe des Englishman" über den Staatsstreich vom 2. Dezember. Welches Echo dies alles in der eigentlichen Volkspresse findet, mag man aus folgendem Auszug aus dem "People's Paper", dem Chartistenorgan, ersehen:

"Bonaparte lockte England nach der Krim ... Unsre Armee, einmal in dieser Falle, wurde von ihm in eine solche Position gestellt, daß sie die Schneide der russischen Streitkraft brach, bevor diese Schneide seine eigene Armee erreichen konnte. Zu Alma, zu Balaklawa, zu Inkerman, zu Sewastopol wurden die Briten in den Posten der Gefahr hineingespielt. Sie hatten die Hitze des Gefechts zu tragen, sie den Hauptverlust zu erdulden. Vertragsmäßig hatte England nur ein Drittel der Mannschaft zu stellen im Verhältnis zu Frankreich. Dieses eine Drittel hatte beinahe alle Schlachten zu kämpfen. Dieses eine Drittel hatte mehr als die Hälfte der Linien vor Sewastopol einzunehmen. <112> Unsere Armee ward vernichtet, weil sie nicht an die Nahrung und Kleidung, die zu Balaklawa verfaulten, herankommen konnte. Sie konnte es nicht, weil kein Weg von Balaklawa nach Sewastopol vorhanden, und dieser Weg war nicht vorhanden, weil Napoleon darauf bestand, daß die Engländer mit weniger als ein Drittel der Gesamtstreitkraft mehr als die halbe Arbeit in den Laufgräben verrichten sollen; und darum hatten sie keine Leute für Wegebau zu entbehren. Dies ist das Geheimnis, worauf Graham, Herbert, Gladstone anspielten ... So hat Napoleon absichtlich 44.000 unserer Truppen gemordet etc. etc."

Alle diese Anzeigen mißtrauischer Verstimmung gegen den französischen Alliierten erhalten dadurch Bedeutung, daß Lord Palmerston sich an der Spitze der Regierung befindet - ein Mann, der jedesmal auf der Leiter der französischen Allianz seine Stellung erklettert und dann plötzlich die Allianz in fast unvermeidlichen Krieg zwischen Frankreich und England verkehrt. So in der türkisch-syrischen Angelegenheit 1840 und dem Vertrage vom 15. Juli, womit er seine 10jährige Allianz mit Frankreich krönte. Sir Robert Peel bemerkte in bezug hierauf im Jahre 1842:

"Er habe nie klar verstanden, warum die Allianz mit Frankreich gebrochen worden sei, auf welche der edle Lord stets so stolz zu sein vorgeschützt."

So abermals 1847 bei Gelegenheit der spanischen Heiraten. Damals behauptete Palmerston - der 1846 nur seinen Posten wieder antreten durfte, nachdem er Louis-Philippe seine Aufwartung gemacht, sich mit großer Ostentation mit ihm versöhnt, und dem Franzosen in einer Rede im Hause der Gemeinen geschmeichelt -, Louis-Philippe habe die Allianz aufgelöst, weil der Vertrag von Utrecht verletzt (ein Vertrag, der seit 1793 erloschen und seit der Zeit nie wieder erneuert war) und weil er eine "Treulosigkeit" gegen die englische Krone begangen. Mit der Treulosigkeit hatte es seine Richtigkeit, aber wie die später veröffentlichten Dokumente bewiesen, hatte Palmerston in der raffiniertesten Weise den französischen Hof in diese Treulosigkeit hineinmachiniert, um einen Vorwand zum Bruche zu erhalten. Während der schlaue Louis-Philippe ihn zu überlisten glaubte, fiel er nur in die sorgsam gelegte Falle des "scherzhaften" Vicomte. Die Februarrevolution allein verhinderte damals den Ausbruch des Krieges zwischen England und Frankreich.