Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 10, S. 486-491
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1961
Aus dem Englischen.
["New-York Daily Tribune" Nr. 4185 vom 16. September 1854]
<486> London, Freitag, 1. September 1854.
Der Einmarsch der Vicalvaro-Regimenter in Madrid hat die Regierung zu größerer konterrevolutionärer Aktivität ermutigt. Das Wiederinkrafttreten des restriktiven Preßgesetzes von 1837, mit all den Harten des Ergänzungsgesetzes von 1842 ausgestattet, hat alle "aufwiegelnden" Teile der Presse getötet, die nicht in der Lage waren, den erforderlichen cautionnement <Kautionsbetrag> zu bieten. Am 24. wurde die letzte Nummer des "Clamor de las Barricades" mit dem Titel "Ultimas Barricades" herausgebracht, da die beiden Redakteure verhaftet wurden. An ihre Stelle trat an demselben Tag eine neue, reaktionäre Zeitung mit dem Titel "Las Cortes".
"Seine Exzellenz, der Generalkapitän Don San Miguel", sagt das Programm des letztgenannten Blattes, "der uns mit seiner Freundschaft beehrt, hat dieser Zeitung die Gunst seiner Mitarbeit angeboten. Seine Artikel werden mit seinen Initialen gezeichnet werden. Die an der Spitze dieses Unternehmens stehenden Männer werden energisch die Revolution verteidigen, welche den Mißbrauch und die Ausschreitungen einer korrupten Macht bezwang, doch sie werden ihr Banner auch in der Konstituierenden Versammlung aufpflanzen. Dort muß die große Schlacht ausgefochten werden."
Die große Schlacht wird für Isabella II. und Espartero geschlagen. Sie werden sich erinnern, daß dieser selbe San Miguel auf einem Pressebankett erklärte, daß die Presse keinen anderen Korrektor als sich selbst, gesunden Menschenverstand und Allgemeinbildung habe, daß sie eine Institution sei, die weder das Schwert noch die Deportation oder Exil, noch irgendeine <487> andere Macht der Welt vernichten könne. An demselben Tage, da er sich als Mitarbeiter der Presse anbietet, findet er kein Wort gegen das Dekret, das seine geliebte Preßfreiheit aufhebt.
Der Unterdrückung der Preßfreiheit folgte bald, ebenfalls durch königliches Dekret, die Unterdrückung der Versammlungsfreiheit. In Madrid wurden die Klubs und in den Provinzen die Juntas und Komitees für öffentliche Sicherheit aufgelöst, mit Ausnahme der vom Ministerium als "Deputationen" anerkannten. Der Klub der Union wurde durch ein Dekret des gesamten Ministeriums geschlossen, obwohl Espartero erst einige Tage zuvor dessen Ehrenpräsidentschaft angenommen hatte, eine Tatsache, welche die "London Times" vergeblich zu leugnen versucht. Dieser Klub hatte eine Deputation an den Minister des Innern geschickt, um nachdrücklich die Entlassung Señor Sagastis, des Jefe politico <Gouverneurs> von Madrid, zu fordern, dem er vorwirft, die Preßfreiheit und das Versammlungsrecht verletzt zu haben. Señor Santa Cruz antwortete, er könne einen Staatsbeamten nicht dafür tadeln, daß er Maßnahmen ergriffen habe, die vom Ministerrat gutgeheißen wurden. Das Ergebnis war, daß ernsthafte Unruhen ausbrachen, doch die Plaza de la Constitución wurde von der Nationalgarde besetzt, und es geschah nichts weiter. Die kleinen Zeitungen waren kaum unterdrückt worden, als die größeren, die bisher Sagasti in Schutz genommen hatten, Gelegenheit fanden, sich mit ihm zu streiten. Um den "Clamor Público" zum Schweigen zu bringen, wurde sein Chefredakteur, Señor Corradi, zum Minister ernannt. Doch wird dieser Schritt nicht genügen, da man nicht alle Redakteure ins Ministerium aufnehmen kann.
Der kühnste Streich der Konterrevolution war jedoch die Erlaubnis für Königin Christina, nach Lissabon zu reisen, nachdem sich der Ministerrat verpflichtet hatte, sie den Konstituierenden Cortes auszuliefern - ein Vertrauensbruch, den sie zu vertuschen suchten durch eine vorweggenommene Konfiskation der Besitzungen Christinas in Spanien, die bekanntlich den geringsten Teil ihres Reichtums ausmachen. So wurde Christina die Flucht leicht gemacht, und wir hören jetzt, daß auch San Luis sicher in Bayonne eingetroffen ist. Der kurioseste Teil des Unternehmens ist die Art, in der das erwähnte Dekret zustande kam. Am 26. versammelten sich einige Patrioten und Nationalgarden, um die Sicherheit öffentlicher Angelegenheiten zu beraten, tadelten die Regierung wegen ihres Schwankens und ihrer halben Maßnahmen und beschlossen, eine Deputation an das Ministerium zu senden mit der Forderung, Christina aus dem Palast zu entfernen, wo sie Pläne zur <488> Unterdrückung der Freiheit schmiedete. Ein sehr verdächtiger Umstand war die Zustimmung zweier Adjutanten Esparteros und Sagastis selbst zu diesem Vorschlag. Infolgedessen trat das Ministerium zur Beratung zusammen, und das Ergebnis seiner Zusammenkunft war die Flucht Christinas.
Am 25. zeigte sich die Königin zum ersten Male in der Öffentlichkeit auf der Prado-Promenade, begleitet von ihrem sogenannten Ehemann und von dem Prinzen von Asturien. Sie scheint jedoch außerordentlich kühl empfangen worden zu sein.
Das Komitee, das zur Berichterstattung über die Finanzlage zur Zeit des Sturzes des Sartorius-Ministeriums ernannt wurde, hat seinen Bericht in der "Gaceta" veröffentlicht, wo ihm ein Exposé Señor Collados, des Finanzministers, vorausgeht. Hiernach beträgt die schwebende Schuld Spaniens jetzt 33.000.000 Dollar und das Gesamtdefizit 50.000.000 Dollar. Es stellt sich heraus, daß selbst die außerordentlichen Mittel der Regierung für Jahre vorweggenommen und verschwendet wurden. Die Einnahmen von Havanna und den Philippinen wurden für zweieinhalb Jahre im voraus verbraucht. Der Ertrag der Zwangsanleihe ist spurlos verschwunden. Die Almadener Quecksilberminen wurden auf Jahre hinaus verpfändet. Der Sollbestand der Depositenkasse in Bargeld war nicht vorhanden. Ebenso fehlte der Fonds für Militärsubstitutionen. Es waren 7.485.692 Realen für den Ankauf bereits erhaltenen Tabaks fällig, aber nicht bezahlt. Ebenso 5.505.000 Realen Rechnungen für öffentliche Arbeiten. Nach den Erklärungen Señor Collados beträgt die Summe der allerdringendsten Verpflichtungen 252.980.253 Realen. Die von ihm zur Deckung dieses Defizits vorgeschlagenen Maßnahmen sind die eines echten Bankiers - Ruhe und Ordnung wiederherzustellen, die Erhebung der alten Steuern fortzusetzen und neue Anleihen auszuschreiben. Gemäß diesem Rat hat Espartero von den wichtigsten Madrider Bankiers 2.500.000 Dollar für das Versprechen einer reinen Moderado-Politik erhalten. Wie sehr er willens ist, sein Versprechen zu halten, beweisen seine letzten Maßnahmen.
Man denke ja nicht, daß diese reaktionären Maßnahmen vom Volk völlig widerstandslos hingenommen wurden. Als die Abreise Christinas bekannt wurde, am 28. August, wurden wieder Barrikaden errichtet; doch wenn man einer telegraphischen Depesche aus Bayonne glauben soll, die von dem französischen "Moniteur" veröffentlicht wurde,
"nahmen die zur Nationalgarde vereinten Truppen die Barrikaden ein und schlugen die Bewegung nieder".
<489> Das ist der cercle vicieux <fehlerhafte Kreislauf>, in dem sich unreife revolutionäre Regierungen notwendig bewegen müssen. Sie erkennen die von ihren konterrevolutionären Vorgängern gemachten Schulden als nationale Verpflichtungen an. Um sie zahlen zu können, müssen sie deren alte Steuern beibehalten und neue Schulden machen. Um neue Anleihen aufnehmen zu können, müssen sie die "Ordnung" garantieren, das heißt, selbst konterrevolutionäre Maßnahmen ergreifen. So verwandelt sich die neue Volksregierung auf einmal in einen Handlanger der großen Kapitalisten und einen Unterdrücker des Volkes. Auf genau die gleiche Weise wurde die Provisorische Regierung Frankreichs 1848 zu der bekannten Maßnahme der 45-Centimes-Steuer und zur Konfiskation der Sparkassenfonds getrieben, um den Kapitalisten die Zinsen zu zahlen.
"Die revolutionären Regierungen Spaniens", sagt der englische Autor <Hughes> der "Revelations of Spain", "sind wenigstens nicht so tief gesunken, die schändliche Doktrin der Nichtanerkennung zu übernehmen, wie man es in den Vereinigten Staaten getan hat."
Tatsache ist, daß die berüchtigte Regierung von San Luis, wenn je in einer früheren spanischen Revolution die Nichtanerkennung durchgeführt worden wäre, keinen Bankier gefunden hätte, der bereit gewesen wäre, ihr Darlehn zu gewähren. Aber vielleicht ist unser Autor der Meinung, es sei das Privileg der Konterrevolution, Schulden zu machen, wie es das Privileg der Revolution sei, sie zu zahlen.
Anscheinend stimmen Saragossa, Valencia und Algeciras mit dieser Ansicht nicht überein, da sie alle ihnen unangenehmen Steuern aufgehoben haben.
Nicht genug damit, daß Bravo Murillo als Gesandter nach Konstantinopel geschickt wurde, hat die Regierung Gonzales Bravo in derselben Eigenschaft nach Wien entsandt.
Am Sonntag, dem 27. August, versammelten sich die Wahlvereine des Madrider Bezirks, um durch allgemeine Wahl die Bevollmächtigten zu bestimmen, die mit der Aufsicht der Wahlen in der Hauptstadt betraut werden. Es gibt in Madrid zwei Wahlkomitees - die Liberale Union und die Unión del Comercio <Handelsunion>.
Die oben angeführten Symptome der Reaktion erscheinen demjenigen, der mit der Geschichte der spanischen Revolutionen vertraut ist, weniger beängstigend als dem oberflächlichen Beobachter - zumal die spanischen Revolutionen im allgemeinen erst mit dem Zusammentritt der Cortes beginnen, <490> was gewöhnlich das Zeichen für die Auflösung der Regierung ist. Außerdem befinden sich in Madrid nur wenig Truppen und höchstens 20.000 Mann Nationalgarde. Von den letzteren sind jedoch nur ungefähr die Hälfte ordentlich bewaffnet, während bekannt ist, daß das Volk dem Aufruf, seine Waffen abzuliefern, nicht gefolgt ist.
Trotz der Tränen der Königin hat O'Donnell ihre Leibgarde aufgelöst, da die reguläre Armee auf die Vorrechte dieses Korps eifersüchtig war, aus dessen Reihen ein Godoy, bekannt als guter Gitarrenspieler und Sänger der seguidillas graciosas y picantes <graziösen und pikanten Seguidillas (Spanische Liedform und Tanz)>, sich zum Ehemann der Nichte des Königs erheben konnte, und ein Muñoz, nur wegen seiner privaten Vorzüge bekannt, zum Ehemann einer Königinmutter werden konnte.
In Madrid hat ein Teil der Republikaner folgende Verfassung einer iberischen Bundesrepublik verbreitet:
"TITULO I. Organisation der Iberischen Bundesrepublik.
Art. 1. Spanien mit seinen Inseln und Portugal werden vereinigt und bilden die Iberische Bundesrepublik. Die Farben des Banners werden eine Vereinigung der beiden gegenwärtigen Banner Spaniens und Portugals sein. Ihr Wahlspruch wird lauten: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.
Art. 2. Die Souveränität liegt bei der Gesamtheit der Bürger. Sie ist unveräußerlich und unverjährbar. Keine Person, kein Teil des Volkes kann sich ihre Ausübung aneignen.
Art. 3. Das Gesetz ist der Ausdruck des nationalen Willens. Die Richter werden vom Volk durch allgemeine Wahlen bestimmt.
Art. 4. Wahlberechtigt sind alle Bürger über 21 Jahre, die ihre Bürgerrechte besitzen.
Art. 5. Die Todesstrafe ist sowohl für politische als auch für kriminelle Verbrechen abgeschafft. Das Geschworenengericht entscheidet in allen Fällen.
Art. 6. Das Eigentum ist heilig. Die den politischen Emigranten abgenommenen Güter werden ihnen zurückgegeben.
Art. 7. Die öffentlichen Abgaben werden dem Einkommen entsprechend bezahlt. Es gibt nur eine Steuer, direkt und allgemein. Alle indirekten öffentlichen Abgaben, Verbrauchssteuern und Torzölle sind aufgehoben. Ebenso sind die Regierungsmonopole für Salz und Tabak sowie für Stempel- und Patentgebühren und die Aushebung aufgehoben.
Art. 8. Die Freiheit der Presse, der Versammlung, der Vereinigung, der Wohnung, der Bildung, des Handels und des Gewissens wird garantiert. Jede Religion muß ihre Geistlichen selbst bezahlen.
Art. 13. Die Verwaltung der Republik erfolgt föderativ nach Provinzen und Gemeinden.
<491> TITULO II. Bundesversammlung.
Art. 14. Sie wird einem Exekutivrat übertragen, der von dem Zentralen Bundeskongreß ernannt und abberufen wird.
Art. 15. Die internationalen und Handelsbeziehungen, die Einheit der Maße, Gewichte und Münzen, die Post und die bewaffneten Streitkräfte gehören zum Bereich der Bundesverwaltung.
Art. 16. Der Zentrale Bundeskongreß setzt sich aus neun Deputierten für jede Provinz zusammen, die aus allgemeinen Wahlen hervorgehen und an ihre Weisungen gebunden sind.
Art. 7. Der Zentrale Bundeskongreß tagt in Permanenz.
Art. 20. Wann immer ein Gesetz erlassen werden soll, bringt die Verwaltung, die es für erforderlich hält, den Entwurf zur Kenntnis des Bundes und zwar sechs Monate vorher, wenn es den Kongreß betrifft, und drei Monate vorher, wenn es die Provinzgesetzgebung betrifft.
Art. 21. Jeder Volksdeputierte, der sich nicht an seine Instruktionen hält, wird der Justiz übergeben."
TITULO III bezieht sich auf die Provinz- und Gemeindeverwaltung und bestätigt ähnliche Grundsätze. Der letzte Artikel dieses Abschnitts lautet:
Es darf nicht länger Kolonien geben; sie werden in Provinzen umgewandelt und nach Provinzgrundsätzen verwaltet. Die Sklaverei wird abgeschafft.
TITULO IV. Die Armee.
Art. 34. Das ganze Volk wird bewaffnet und in der Nationalgarde organisiert, ein Teil soll mobil und der andere ortsgebunden sein.
Art. 35. Die mobile Truppe besteht aus den Unverheirateten im Alter von 21 bis 35 Jahren; ihre Offiziere werden in den Militärschulen durch Wahl bestimmt.
Art. 36. Die ortsgebundene Miliz besteht aus allen Bürgern zwischen 35 und 56 Jahren; die Offiziere werden durch Wahl bestimmt. Ihr Dienst besteht in der Verteidigung der Gemeinden.
Art. 38. Die Korps der Artillerie und Ingenieure werden aus Freiwilligen gebildet; sie bestehen ständig und dienen zur Besetzung der Festungen an den Küsten und Grenzen. Im Inneren werden keine Festungen geduldet."
Art. 39 bezieht sich auf die Marine und enthält ähnliche Vorkehrungen.
Art. 40. Die Stäbe der Provinzen und Generalkapitanate werden abgeschafft.
Art. 42. Die Iberische Republik verwirft alle Eroberungskriege und wird ihre Streitfragen der Vermittlung anderer Regierungen unterbreiten, deren Interessen in dieser Frage nicht berührt werden.
Art. 43. Es gibt kein stehendes Heer."
Karl Marx