Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 10, S. 349-355
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1961

Karl Marx

Die spanische Revolution -
Griechenland und die Türkei


["New-York Daily Tribune" Nr. 4148 vom 4. August 1854]

<349> London, Freitag, 21 Juli 1854.

"Ne touchez pas à la Reine" (Rührt die Königin nicht an) - so lautet ein alter kastilischer Grundsatz, aber die abenteuerlustige Madame Muñoz und ihre Tochter Isabella haben bereits zu lange die Grenzen selbst dessen überschritten, was kastilischen Königinnen erlaubt ist, und haben die treue Anhänglichkeit des spanischen Volkes auf eine zu harte Probe gestellt.

Die Pronunziamientos von 1843 dauerten drei Monate; die von 1854 kaum ebenso viele Wochen. Das Ministerium ist aufgelöst, Graf San Luis geflohen, Königin Christina versucht, die französische Grenze zu erreichen, und in Madrid haben sich sowohl die Truppen als auch die Bürger gegen die Regierung erklärt.

Die revolutionären Bewegungen in Spanien seit Beginn des Jahrhunderts bieten ein bemerkenswert einheitliches Bild; abgesehen von den Bewegungen zum Schutze provinzieller und örtlicher Belange, die in regelmäßigen Zeitabständen die nördlichen Provinzen in Unruhe versetzen, ist jede Palastverschwörung von Militäraufständen begleitet, und diese ziehen jedesmal Pronunziamientos der Städte nach sich. Für diese Erscheinung gibt es zwei Ursachen. Erstens sehen wir, daß der Staat im modernen Sinne, bedingt durch das ausschließlich provinzielle Leben des Volkes, gegenüber dem Hof keine nationale Verkörperung besitzt außer in der Armee. Zweitens haben die besondere Lage Spaniens und der Spanische Befreiungskrieg Bedingungen geschaffen, unter denen sich nur in der Armee die vitalen Kräfte der spanischen Nation zusammenfinden konnten. So gingen die einzigen nationalen Demonstrationen (die von 1812 und 1822) von der Armee aus, und so <350> hat sich der aufgeschlossenere Teil der Nation daran gewöhnt, die Armee als das natürliche Instrument jeder nationalen Erhebung zu betrachten. Während der unruhevollen Jahre von 1830 bis 1854 mußten die spanischen Städte jedoch die Erfahrung machen, daß die Armee, anstatt sich weiterhin für die Sache der Nation einzusetzen, zu einem Instrument wurde, mit dem die ehrgeizigen Bewerber um die militärische Bevormundung des Hofes ihre Rivalitäten austrugen. Folglich sieht die Bewegung von 1854 ganz anders aus als selbst die vom Jahre 1843. Das Volk hielt die émeute <Meuterei> des Generals O'Donnell für nichts anderes als eine Verschwörung gegen die am Hofe herrschende Richtung, zumal sie von dem früheren Favoriten Serrano unterstützt wurde. Stadt und Land zögerten demzufolge, auf den Appell der Kavallerie von Madrid zu reagieren. Deshalb war General O'Donnell gezwungen, die Art seines Vorgehens völlig zu ändern, um nicht isoliert zu bleiben und einen Mißerfolg zu riskieren. Er sah sich gezwungen, in seine Proklamation drei Punkte aufzunehmen, die gleichermaßen gegen die Oberherrschaft der Armee gerichtet waren: die Einberufung der Cortes, eine sparsame Regierung und die Bildung einer Nationalmiliz - die letzte Forderung ging von dem Wunsch der Städte aus, ihre Unabhängigkeit von der Armee wiederzuerlangen. Es steht daher fest, daß der Militäraufstand nur deshalb von einem Volksaufstand unterstützt wurde, weil er sich dessen Forderungen anpaßte. Es bleibt abzuwarten, ob er genötigt sein wird, sich daran zu halten und seine Versprechungen einzulösen.

Mit Ausnahme der Karlisten haben alle Parteien ihre Stimme erhoben - Progressisten, Anhänger der Verfassung von 1837, Anhänger der Konstitution von 1812, Unionisten (die die Annexion Portugals fordern) und Republikaner. Den Nachrichten über letztgenannte Partei ist mit Vorsicht zu begegnen, da sie erst durch die Zensur der Pariser Polizei müssen. Außer diesen Parteikämpfen befinden sich die miteinander rivalisierenden Machtansprüche der Militärs in voller Entfaltung. Kaum hatte Espartero von dem Erfolg O'Donnells gehört, als er auch schon seinen Zufluchtsort Leganés verließ und sich zum Haupt der Bewegung erklärte. Aber sobald Cäsar Narváez von dem Erscheinen seines alten Pompejus auf dem Schlachtfeld Kenntnis erhielt, bot er seine Dienste der Königin an, die auch angenommen wurden, und er ist dabei, ein neues Ministerium zu bilden. Aus den Einzelheiten, die ich darlegen werde, wird man ersehen, daß das Militär keineswegs überall die Initiative ergriffen hat, sondern daß es mitunter dem überwältigenden Druck der Bevölkerung nachgeben mußte. <351> Außer den Pronunziamientos in Valencia, von denen ich voriges Mal berichtete, gab es eins in Alicante. In Andalusien haben Pronunziamientos in Granada, Sevilla und Jaén stattgefunden. In Altkastilien hat es ein Pronunciamiento zu Burgos gegeben; in León zu Valladolid; in Biskaya zu San Sebastian und Vittoria; in Navarra zu Tolosa, Pamplona und Guipuzcoa; in Aragonien zu Saragossa; in Katalonien zu Barcelona, Tarragona, Lerida und Gerona; es heißt, daß auch auf den Balearen ein Pronunziamiento stattgefunden hat. In einem Brief aus Cartagena vom 12. Juli, nach dem man auch in Murcia mit Pronunziamientos rechnet, heißt es:

"Durch ein vom Militärgouverneur des Ortes veröffentlichtes Bando <Bekanntmachung> sind alle Einwohner Cartagenas, die im Besitz von Musketen und anderen Waffen sind, aufgefordert worden, diese bei den Zivilbehörden binnen 24 Stunden abzuliefern. Auf Verlangen des Konsuls von Frankreich hat der Gouverneur den Franzosen gestattet, ihre Waffen, wie im Jahre 1848, beim Konsulat abzuliefern."

Von all diesen Pronunziamientos verdienen nur vier besondere Erwähnung, nämlich die von San Sebastian in Biskaya, von Barcelona, der Hauptstadt Kataloniens, von Saragossa, der Hauptstadt Aragoniens, und von Madrid.

In Biskaya gingen die Pronunziamientos von den Stadtgemeinden aus, in Aragonien vom Militär. Der Stadtrat von San Sebastian sprach sich für den Aufstand aus, als die Forderung nach der Bewaffnung des Volkes laut wurde. Die Stadt war im Handumdrehen mit Waffen übersät. Erst am 17. konnten die beiden Bataillone, aus denen die Garnison der Stadt bestand, dazu gebracht werden, sich anzuschließen. Als die Vereinigung zwischen den Bürgern und dem Militär dann vollzogen war, machten sich 1.000 bewaffnete und von einigen Truppen begleitete Bürger auf den Weg nach Pamplona und organisierten den Aufstand in Navarra. Das bloße Erscheinen der bewaffneten Bürger aus San Sebastian erleichterte die Erhebung der Hauptstadt Navarras. General Zabala schloß sich danach der Bewegung an und ging nach Bayonne, wo er die Soldaten und Offiziere des Cordoba Regiments, die nach ihrer letzten Niederlage von Saragossa dorthin geflohen waren, aufforderte, sofort in ihr Land zurückzukehren und mit ihm in San Sebastian zusammenzutreffen. Einigen Berichten zufolge setzte er sich hierauf nach Madrid in Marsch, um sich unter den Befehl Esparteros zu stellen, während andere Berichte besagen, daß er auf dem Wege nach Saragossa war, um sich den aragonischen Aufständischen anzuschließen. General Mazarredo, der Befehlshaber der Baskischen Provinzen, der es ablehnte, <352> sich an dem Pronunziamiento in Vittoria zu beteiligen, wurde gezwungen, sich nach Frankreich zurückzuziehen. Die unter dem Befehl des Generale Zabala stehenden Truppen bestehen aus 2 Bataillonen des Regiments Bourbon, einem Bataillon Karabiniers und einer Abteilung Kavallerie. Bevor ich das Thema der Baskischen Provinzen verlasse, möchte ich noch auf den charakteristischen Umstand hinweisen, daß der Brigadekommandeur Barastequi, der zum Gouverneur von Guipuzcoa ernannt wurde, einer der früheren Adjutanten Esparteros ist.

In Barcelona hatte offensichtlich das Militär die Initiative ergriffen, aber den weiteren Nachrichten zufolge, die wir erhalten haben, erscheint die Spontaneität seines Vorgehens sehr zweifelhaft. Am 13. Juli, um 7 Uhr abends, schlossen sich die Soldaten, die in den Kasernen von San Pueblo und Buen Suceso stationiert waren, den Demonstrationen des Volkes an und erklärten ihr Pronunziamiento unter dem Ruf: Vive la Reine! Vive la Constitution! <Es lebe die Königin (Isabella II.)! Es lebe die Verfassung> Tod den Ministern! Fort mit Christina! Nachdem sie sich mit den Massen verbrüdert hatten und mit ihnen die Rambla entlanggezogen waren, machten sie am Platz der Verfassung halt. Die in Barceloneta liegende Kavallerie, die während der letzten sechs Tage Ausgehverbot hatte, weil sie dem Generalkapitän Mißtrauen einflößte, veranstaltete ihrerseits ein Pronunziamiento. Von diesem Moment an ging die ganze Garnison auf die Seite des Volkes über, und jeder Widerstand seitens der Behörden wurde unmöglich. Um 10 Uhr trat General Marchesi, der Militärgouverneur, unter dem allgemeinen Druck zurück, und um Mitternacht verkündete der Generalkapitän von Katalonien seinen Entschluß, für die Bewegung Partei zu ergreifen. Er ging zum Sitz des Ayuntamientos, wo er sich mit einer feierlichen Ansprache an das Volk wandte, das den Platz füllte. Am 18. wurde eine Junta gebildet, welcher der Generalkapitän und andere führende Persönlichkeiten angehörten; ihre Losung war: Verfassung, Königin und Sittlichkeit. Weitere Nachrichten aus Barcelona besagen, daß auf Befehl der neuen Behörden einige Arbeiter erschossen worden sind, weil sie Maschinen zerstört und Eigentum beschädigt hätten; auch soll ein republikanisches Komitee, das sich in einer benachbarten Stadt versammelt hatte, verhaftet worden sein; aber man sollte nicht vergessen, daß diese Nachrichten durch die Hände der Leute des 2. Dezember gehen, deren besonderer Beruf es ist, Republikaner und Arbeiter zu verleumden.

Es heißt, in Saragossa sei die Initiative vom Militär ausgegangen - eine Behauptung, die jedoch durch die hinzugefügte Bemerkung eingeschränkt <353> wird, daß sofort die Bildung eines Milizkorps beschlossen wurde. So viel steht fest und wird selbst durch die Madrider "Gaceta" bestätigt, daß dem Pronunziamiento von Saragossa 150 Soldaten aus dem Montesa-Regiment (Kavallerie), die sich auf dem Marsch nach Madrid befanden und in Torrejon (fünf Leagues <League = 4,83 km> von Madrid entfernt) einquartiert waren, revoltierten und sich von ihren Vorgesetzten lossagten, welche am Abend des 13. mit der Regimentskasse in Madrid ankamen. Die Soldaten unter dem Kommando des Hauptmanns Baraiban saßen auf und ritten in Richtung Huete, vermutlich mit der Absicht, sich in Cuenca mit den Truppen unter Oberst Buceta zu vereinigen. Was Madrid anbelangt, gegen das angeblich Espartero mit der "Armee des Zentrums" und General Zabala mit der Nordarmee marschiert, so war es nur natürlich, daß eine Stadt, die vom Hofe lebt, sich als letzte der aufständischen Bewegung anschließen würde. Die "Gaceta" vom 15. d.M. veröffentlichte noch ein Bulletin des Kriegsministers, das behauptet, die Meuterer seien auf der Flucht und die enthusiastische Loyalität der Truppen nehme zu. Graf San Luis, der die Situation in Madrid anscheinend sehr richtig eingeschätzt hat, erklärte den Arbeitern, daß sie unter General O'Donnell und den Anarchisten alle ihre Arbeit verlören, während die Regierung im Falle ihres Sieges alle Arbeiter für 6 Realen (75 Cent) pro Tag mit öffentlichen Arbeiten beschäftigen würde. Durch diesen Schachzug hoffte San Luis, den erregbarsten Teil der Einwohner Madrids um seine Fahne zu scharen. Sein Erfolg jedoch glich dem der Partei des "National" 1848 in Paris. Die Verbündeten, die er auf diese Weise gewonnen hatte, wurden bald seine gefährlichsten Feinde - die Geldmittel zu ihrer Unterhaltung waren schon am sechsten Tage erschöpft. Wie sehr die Regierung ein Pronunziamiento in der Hauptstadt fürchtete, wird durch die Proklamation General Laras (des Gouverneurs) offensichtlich, worin er jegliche Verbreitung von Nachrichten über das Fortschreiten des Aufstands untersagt. Es scheint ferner, daß sich die Taktik General Blasers nur darauf beschränkte, jeden Kontakt mit den Aufständischen zu vermeiden, um seine Truppen vor einer Infektion zu bewahren. Man sagt, daß General O'Donnell ursprünglich beabsichtigt habe, den Regierungstruppen in den Ebenen der Mancha zu begegnen, die für Kavalleneoperationen sehr geeignet sind. Dieses Vorhaben wurde jedoch infolge der Ankunft des früheren Favoriten Serrano fallengelassen, der mit einigen der wichtigeren Städte Andalusiens in Verbindung stand. Die konstitutionelle Armee beschloß daraufhin, nicht in der Mancha zu bleiben, sondern nach Jaén und Sevilla zu marschieren.

<354> En passant sei darauf hingewiesen, daß die boletinos <Tagesberichte> des Generals Blaser eine verblüffende Ähnlichkeit mit den Tagesbefehlen der spanischen Generale des sechzehnten Jahrhunderts haben, die Franz I. Anlaß zur Heiterkeit gaben, und mit denen des achtzehnten Jahrhunderts, die Friedrich der Große ins Lächerliche zog.

Es ist klar, daß dieser spanische Aufstand eine Quelle der Zwietracht zwischen den Regierungen Frankreichs und Englands werden muß, und der von einer französischen Zeitung gegebene Bericht, daß General O'Donnell vor dem Ausbruch im Palast des britischen Gesandten verborgen war, ist nicht dazu angetan, die diesbezüglichen Befürchtungen Bonapartes zu mindern. Gewisse Anfänge eines Zerwürfnisses zwischen Bonaparte und Victoria zeichnen sich bereits ab; Bonaparte hoffte, der Königin bei der Einschiffung seiner Truppen in Calais zu begegnen, aber ohne seinen Wunsch zu beachten, besuchte Ihre Majestät am gleichen Tage die Ex-Königin Amélie. Hinzu kommt, daß die englischen Minister, als man sie wegen der Nicht-Blockierung des Weißen Meeres, des Schwarzen Meeres und des Asowschen Meeres interpellierte, zu ihrer Entschuldigung das Bündnis mit Frankreich anführten. Bonaparte antwortete darauf im "Moniteur" mit der Verkündung eben jener Blockade, ohne das förmliche Einverständnis Englands abzuwarten. Schließlich veröffentlichte Bonaparte, da sich die Einschiffung von französischen Truppen nur auf britischen Schiffen in Frankreich negativ auswirkte, noch eine Liste französischer Schiffe, die zu demselben Zweck bestimmt waren, und hielt sich daran.

Die Pforte übermittelte den Vertretern der vier alliierten Mächte eine Note über die Erlaubnis für griechische Handelsschiffe, wieder in türkische Häfen einzulaufen. Diese Erlaubnis soll zwei Monate in Kraft bleiben, unter der Bedingung, daß die griechische Regierung sich keinerlei Handlung schuldig macht, die eine Aufhebung rechtfertigt. Falls mit Ablauf dieser Frist die griechische Regierung es versäumt haben sollte, der Pforte angemessene Reparationen zu zahlen, behält sich die letztere das Recht vor, den gegenwärtigen Status quo wiederherzustellen. Die in türkischen Häfen liegenden griechischen Schiffe werden den örtlichen Behörden unterstehen und nicht berechtigt sein, sich an andere Mächte um Schutz zu wenden. Innerhalb der beiden Monate wird man sich über die Grundsätze einer Übereinkunft und eines Handelsvertrages geeinigt haben. Die Entschädigung, die die Pforte für den durch den griechischen Aufstand erlittenen ungeheuren Verlust beansprucht, soll durch eine schiedsrichterliche Entscheidung festgesetzt <355> werden, auf Grund des Berichts eines Untersuchungskomitees, das an die betreffenden Orte geschickt werden soll und dem Franzosen, Engländer, Türken und Griechen angehören.

Schamyl ist von der Pforte offiziell der Titel Generalissimus der Armee von Tscherkessien und Georgien verliehen worden.

In Varna sind drei im Dienste der französischen Armee stehende Dragomane erschossen worden, die alle für schuldig befunden wurden, mit den Russen in Verbindung zu stehen. Zwei von ihnen waren Griechen, der dritte ein Armenier. Als die Hinrichtung vollzogen wurde, verschluckte einer von ihnen ein Stück Papier kompromittieren den Inhalts.

Aus Hermannstadt haben wir vom 16. d.M. erfahren, daß bisher in der Nähe von Frateschti kein Gefecht stattgefunden hat. Es ist natürlich nicht wahr, daß die alliierten Truppen Rustschuk erreicht haben; ihr ganzes Ziel besteht gegenwärtig darin, die - wie es die "Times" nennt - barbarische Raserei der siegreichen Türken im Zaum zu halten.

Karl Marx