Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 10, S. 274-286
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1961

Friedrich Engels

Die Belagerung Silistrias

Geschrieben am 10. Juni 1854.
Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 4115 vom 26. Juni 1854, Leitartikel]

<274> Nach einer Zwischenperiode militärischer Bewegungen, die unter aller Kritik waren, weil sie nicht aus strategischen und taktischen, sondern aus diplomatischen und parlamentarischen Erwägungen unternommen wurden, bietet die Belagerung Silistrias und der Angriff auf diesen Ort endlich ein Ereignis von militärischem Interesse.

Dieser Angriff zeigt, daß die Russen immer noch die Initiative haben und daß die Türken, die alliierten Armeen und alliierten Flotten bis zu diesem Augenblick einem Druck des Feindes folgen. Die russische Flotte in ihrer sicheren Zuflucht Sewastopol zieht unwillkürlich und unwiderstehlich die alliierten Flotten an, und da letztere nicht in der Läge sind, dieses Bollwerk ohne Landtruppen anzugreifen, werden sie daher von einer Flotte in Schach gehalten und gelähmt, die ihnen an Qualität und Anzahl der Schiffe bei weitem unterlegen ist. Selbst die Räumung der Forts an der kaukasischen Küste, die zur rechten Zeit und vor der Nase der britischen und französischen Dampfer ausgeführt wurde, zeigt die Entschlossenheit der Russen, solange wie möglich die Initiative zu behalten. Das spielt im Kriege eine große Rolle. Damit wird ein Beweis der Überlegenheit erbracht - sowohl in der Zahl und in der Qualität der Truppen als auch hinsichtlich der Führung. Damit wird die Moral des Soldaten trotz aller Schlappen und Rückzüge aufrechterhalten, außer bei einer Niederlage in einer entscheidenden Schlacht. Diese Initiative war es, die Wellingtons kleine Armee mitten unter Hunderttausenden französischen Soldaten in Spanien zusammenhielt und die sie zum Mittelpunkt machte, um den sich alle Ereignisse jenes fünfjährigen Krieges gruppierten. Man mag zum Rückzug gezwungen werden, man kann <277> einen Rückschlag erleiden, aber solange man in der Lage ist, einen Druck auf den Feind auszuüben, anstatt dem Druck des Feindes ausgesetzt zu sein, ist man ihm noch bis zu einem gewissen Grade überlegen, und was noch mehr bedeutet, die Soldaten selbst werden sich einzeln und alle zusammen dem Gegner überlegen fühlen. Der Angriff auf Silistria ist überdies die erste wirkliche Vorwärtsbewegung der Russen, seitdem sie die Besetzung des Donaugebietes abgeschlossen haben. Der Einmarsch in die Dobrudscha war in höchstem Grade defensiv; er bedeutete eine Verkürzung der russischen Frontlinie und einen Schritt zur Sicherung der Donaumündung. Doch der Angriff auf Silistria ist nicht nur ein kühnes, sondern auch ein außerordentlich gut geplantes Unternehmen.

In den Jahren 1828 und 1829 haben die Russen, damals Beherrscher des Schwarzen Meeres, Silistria eigentlich sehr vernachlässigt, um sich zuerst Varna zu sichern, da Varna eine neue Kommunikationslinie zur See mit ihrem eigenen Lände eröffnete. Dennoch war Silistria wichtig genug, um die Russen zu veranlassen, es zu nehmen, bevor sie den Balkan überschritten. Gegenwärtig verliert Varna zum größten Teil seine Bedeutung für die Russen, da die alliierten Flotten das Schwarze Meer beherrschen, und Silistria und Schumla sind die Hauptangriffspunkte. Für sie kann Varna jetzt nur negativen Wert haben; wenn sie es einnehmen, gewinnen sie keine bessere Operationsbasis, sondern nehmen dem Feind lediglich einen sogenannten maritimen Brückenkopf, in dessen Schutz er mit seinen Schiffen schnell eine Anzahl Truppen für eine besondere Operation konzentrieren kann. So setzten die Dänen 1849, nachdem sie die preußische Armee nach Jütland gelockt hatten, plötzlich einen starken Truppenverband nach ihrem maritimen Brückenkopf Fredericia über und vernichteten in einem Ausfall das ausgezeichnete, aber weit schwächere schleswig-holsteinische Korps, das zur Belagerung dort belassen worden war. Wenn daher die aus dem Schwarzen Meer vertriebenen Russen unter keinen Umständen den Balkan passieren können, bevor sie sich Varna gesichert haben, so können sie nicht gegen Varna vorrücken, bevor sie nicht zumindest die Herren Silistrias geworden sind.

Doch das sind im Augenblick Betrachtungen von untergeordneter Bedeutung. Ohne Unterstützung Österreichs kann Rußland nicht daran denken, vor den Augen seiner jetzigen Feinde den Balkan zu überschreiten. Als Verteidigungsstellung hat Silistria für die Russen im Augenblick überragende Bedeutung; sie ist so groß, daß die Russen ihren Feldzug für dieses Jahr als verloren betrachten können, wenn sie es nicht erobern. Silistria liegt genau vor dem Zentrum der russischen Stellung, die sich von Giurgewo über <278> Kalarasch und Cernavoda nach Kustendje erstreckt. Das starke Befestigungssystem vor dieser Stellung, Omer Pascha in Schumla, der wie eine Spinne mitten in ihrem Netz jede Bewegung seines ausersehenen Opfers beobachtet, die am Kamtschyk und am Devna-See zu erwartenden alliierten Truppen lassen nur sehr wenig Aussicht, daß die Streitkräfte allein, die Rußland für den Donaukrieg erübrigen kann, jemals einen Blick auf jene thrakisches Täler werfen werden, deren Grün die ermüdeten Soldaten Diebitschs von den Höhen des Balkans erfreute. Rußland kann zumindest für dieses Jahr nur mit einer Verteidigung seiner bisherigen Eroberungen rechnen, bis sich entweder Österreich ihm anschließt oder irgendwelche Umstände seinen am meisten zu fürchtenden Gegner, die englisch-französische Armee, kampfunfähig machen oder ihn abziehen lassen. Ein Defensivkrieg setzt ein System von Feld- oder, wenn möglich, ständigen Befestigungen voraus. Nachdem jetzt Silistria in den Händen des Feindes ist, haben die Russen keine ständigen Befestigungen zur Verfügung außer den kleinen Forts der Dobrudscha, die völlig nutzlos werden, sobald die Walachei verlorengeht. Sie können einige der Befestigungen von Braila und Rustschuk wiederaufgebaut und bei Bukarest ein verschanztes Lager gebildet haben; doch solange sie Silistria nicht besetzen, liegt ihre erste ernsthafte Verteidigungslinie weit hinten, am Sereth, bei Fokschani, Galatz und Ismail.

Aber vorausgesetzt, daß Silistria in den Händen der Russen ist, dann ändert sich die Aussicht des Krieges sofort. Silistria ist ein ausgezeichneter Punkt für einen russischen Brückenkopf an der Donau. Es liegt in einem einspringenden Winkel, der von einer Biegung der Donau gebildet wird, in einer gerade für diesen Zweck am besten geeigneten Lage. Im Norden und Westen befindet sich eine große Insel, die von einem Damm nach Kalarasch durchquert wird und die Ebene im Westen der Festung auf eine Entfernung von 1.000 Yards beherrscht - durchaus nahe genug, um die Laufgräben zu enfilieren oder Kolonnen zu bombardieren. Im Osten liegen außerdem zwei kleine Inseln, in deren Feuerbereich der östliche Zugang liegt; und zeitweilige Batterien, die dort bei niedrigem Wasserstand errichtet werden, würden einen Belagerer ganz empfindlich stören. Damit würde der Teil des Geländes, das die vom Norden angegriffenen Türken nicht für die Verteidigung ausnutzen können und deshalb dem Feind überlassen müssen, den Russen ausgezeichnete Stellungen für ihre Batterien geben, die einen vom Süden geführten Angriff flankieren. Dadurch würde sich die für einen Angriff offene Front auf die Basis des Dreiecks beschränken, an dessen Spitze, oder mit anderen Worten, an dessen Süd- oder Landfront Silistria liegt; und eine türkische oder alliierte Armee könnte nicht daran denken, Silistria <279> ernsthaft anzugreifen, bevor nicht wenigstens die Walachei den Russen weggenommen ist.

Die Hauptvorteile würden jedoch nicht so sehr taktischer wie strategischer Natur sein. Mit der Dobrudscha und mit Silistria beherrscht Rußland die Donau und kann je nach den Umständen für zeitweilige offensive Kämpfe entweder vom Trajanswall oder von Silistria aus hervorbrechen. Der Feind wäre ohne die Entblößung Schumlas nicht in der Lage, an irgendeinem flußaufwärts gelegenen Punkt überzusetzen, außer wenn er doppelt so stark wäre wie die Russen. Das Übersetzen an einem weiter flußabwärts gelegenen Punkt als Silistria kommt gar nicht in Frage; es gibt keinen Übergang, der näher als Hirsowa liegt, und um den zu erreichen, muß man erst die Stellung bei Karasu und dann Hirsowa selbst einnehmen, das gegenüber einem Angriff von der Landseite aus ebenso stark wie es gegenüber einem Angriff vom Fluß her schwach ist. So bekommen durch den Besitz Silistrias die Forts der Dobrudscha für die Russen große Bedeutung. Ihre Armee erlangt einen doppelten Pivot, um den herum sie frei manövrieren kann, ohne ihre Kommunikationslinien zu gefährden; und selbst wenn eine zweifache Übermacht dem Feind ermöglichen sollte, bei Oltenitza oder Giurgewo überzusetzen, um Bukarest einzunehmen und die Russen hinter die Jalomitza zurückzudrängen, wäre die Belagerung Silistrias unumgänglich, bevor irgendein entscheidender Vormarsch nach Bessarabien gesichert wäre. Bevor Silistria nicht tatsächlich gefallen ist, können sich die Russen deshalb als Besitzer der Walachei betrachten, selbst wenn sie keinen einzigen Soldaten in dieser Provinz hätten. Kurz gesagt, Silistria würde für die Russen einen sechsmonatigen Besitz der Walachei bedeuten, und sechs Monate, die uns in den Winter führen, in dem in diesem Lande überhaupt keine Belagerung möglich ist, hieße weitere vier Monate gewinnen. Die Einnahme Silistrias wäre gleichbedeutend mit dem Sieg und ein Mißerfolg bei Silistria beinahe mit der Niederlage in diesem Feldzug.

Trotz Diplomatie, Bestechung, Feigheit und Unentschlossenheit sind wir hier also einmal durch die dem Kriege innewohnenden Notwendigkeiten zu einem entscheidenden Wendepunkt gekommen. Entweder wird Silistria seinem Schicksal überlassen, und dann steht sein Fall mit mehr als mathematischer Sicherheit fest, oder die Alliierten rücken zu seinem Entsatz vor, und dann wird dort eine entscheidende Schlacht stattfinden; denn ohne ihre Armee zu demoralisieren und ihr ganzes Prestige zu verlieren, können sich die Russen nicht aus dem Gebiet vor Silistria ohne Kampf zurückziehen, sie scheinen dazu auch nicht gewillt zu sein.

Silistria war wechselvolleren Schicksalen unterworfen als irgendeine <280> andere Festung. 1810 nahmen es die Russen nach einer neuntägigen, Belagerung und fünf Tagen schweren Angriffs ein. 1828, die Festung war in genau demselben Zustand wie vorher, schlossen die Russen sie am 21. Juni mit ihren Landstreitkräften ein, und am 10. August kamen noch sechsunddreißig Kanonenboote dazu. Doch ihre Belagerungsartillerie traf nicht vor September ein und führte dann keine Munition mit, so daß ein förmlicher Angriff unmöglich war. Am 10. November mußten die Russen die Belagerung aufgeben, da der Winter eingesetzt hatte und die Donau Treibeis zu führen begann. Die desorganisierten und entmutigten Russen wurden auf ihrem Rückzug von der Besatzung sehr energisch verfolgt; ein Teil der russischen Belagerungsartillerie wurde in den Stellungen zurückgelassen, und den Rest erbeuteten die Türken während der Verfolgung in Richtung Rassova. Im nächsten Jahr erneuerte Diebitsch den Angriff, schloß die Festung am 7. Mai ein, wobei er die Türken aus den Linien und Redouten trieb, die die Russen im vorangegangenen Jahr errichtet hatten, und eröffnete das Feuer aus einunddreißig schweren Geschützen, die, anscheinend ohne jede Vorbereitung, auf einer Anhöhe ungefähr 900 Yards von der Stadt entfernt aufgestellt worden waren. Am 26. wurden ungefähr 600 Yards vom Wall entfernt Demontierbatterien errichtet. Zur selben Zeit wurde die zweite Parallele eröffnet, am 4. Juni die dritte, und am 12. begann man zur Krone des Glacis vorzudringen. Das Glacis wurde am 17. an einer Stelle gekrönt, doch wurde diese Operation erst am 26. beendet, als fünf Batterien direkt am Rande des Grabens aufgestellt wurden, dreißig Yards vom Hauptwall entfernt. Gleichzeitig hatte General Schilder, derselbe, der jetzt bei der Belagerung das Geniewesen leitet, die von ihm bevorzugten ausgedehnten Minieroperationen fortgeführt. Große Minen, die man unter die Kontereskarpe und unter den Festungswall gelegt hatte, wurden am 21. (dadurch entstand sofort eine sturmreife Bresche), am 25., 27., 28. und am 29. gesprengt, worauf sich die Festung schließlich ergab. Sogar dann hat wahrscheinlich noch keine zwingende Notwendigkeit zur Übergabe der Festung bestanden, abgesehen voll dem Schrecken, den die unterirdischen Explosionen unter den abergläubischen irregulären Soldaten hervorgerufen haben. Hinter der gesamten angegriffenen Front und dem zweiten Wall war eine coupure oder neue Verschanzung errichtet worden, die natürlich erneute Minier- oder Artillerieoperationen erfordert hätte, bevor sie hätte genommen werden können. So hat diese ungewöhnliche Festung, die seit 1810 in keiner Weise verstärkt worden war, doch fünfunddreißig Tage nach der Eröffnung der Trancheen ausgehalten, und neun Tage, nachdem eine sturmreife Bresche im Hauptwall erzielt worden war; sie hat die Russen gezwungen, 30.000 Kugeln und <281> und Granaten bei dem Artillerieangriff und 336 Zentner Pulver bei dem Minierangriff zu verbrauchen.

Finanzielle Schwierigkeiten und die ägyptischen Kriege haben die Türken gezwungen, diesen bedeutenden Punkt nach dem Frieden von Adrianopel in solchem Maße zu vernachlässigen, daß selbst im Jahre 1836 nicht nur die Breschen von 1829 überhaupt nicht repariert und die Gräben nicht gereinigt, sondern daß sogar die Spuren des Angriffs von 1810 noch zu sehen waren. Der Sultan beabsichtigte zwar, detachierte Forts zu errichten, doch aus dieser Absicht wurde eine Zeitlang nichts. Heute ist Silistria in einem ganz anderen Zustand, größtenteils durch die Bemühungen eines preußischen Offiziers in türkischen Diensten, Oberst Grach. Die ursprünglich fehlerhafte Bauweise der Festung erlaubt möglicherweise kaum wesentliche Verbesserungen, doch die detachierten Forts, die auf den Höhen errichtet wurden, haben sich bereits bewährt. Die Festung bildet einen Halbkreis, dessen Durchmesser, ungefähr 1.800 Yards, am Donauufer verläuft. Sie hat zehn bastionierte Fronten mit einer durchschnittlichen Länge von 500 Yards. Der Bau strotzt, wie alle türkischen Festungen des 16. und 17. Jahrhunderts, von all den Unzulänglichkeiten der alten italienischen Festungen: lange Kurtinen, kleine und enge Bastionen, kurze Flanken, die kaum einen Schutz für den Graben bieten, der Graben selbst flach (nicht über acht Fuß tief), kein gedeckter Weg, sondern lediglich ein Glacis, dessen Krete oder höchster Teil kaum vier Fuß höher war als die Spitze der Kontereskarpe. Der Wall war acht Fuß hoch bei einer Stärke von zwanzig Fuß und war aus Erde errichtet; Eskarpe und Kontereskarpe waren bis zur Höhe des Grabens befestigt, das heißt acht Fuß. Der Graben selbst ist durch die Höhe des Grundwasserstandes zwangsläufig trocken. Es gab nicht einmal Lünetten vor den Kurtinen. Das war Silistria bis 1836; und diese schwachen Stellen in seiner Verteidigung fanden darin ihre Krönung, daß die Festung innerhalb von 600 Yards vom Wall aus gerechnet von einer Höhenkette beherrscht wird, die sich südlich von ihr erstreckt. Diese Höhen sind die Ausläufer des bulgarischen Plateaus, das, vollkommen eben, bis auf 1.500 Yards an die Stadt heranreicht und dann zum Fluß zu abfällt; hier bietet sich ein ausgezeichnetes Gelände für Terrassenbatterien, für frontales und Enfilierfeuer, mit dem schmalen Flußarm an der einen und den Höhen an der anderen Seite. Major Moltke, der den Ort 1836 besichtigte und dessen Werk über den Feldzug von 1829 wir die obigen Einzelheiten verdanken, vertritt die Meinung,

"daß Silistria nicht ohne vier detachierte Forts auf den Höhen und einen Brückenkopf auf der großen gegenüberliegenden Insel zu einer ernsthaften Verteidigung ausgebaut werden kann".

<282> Den Brückenkopf zu schaffen war unmöglich, da die Insel zur Walachei gehört, die den Türken vertraglich verschlossen war; doch die Forts sind vorhanden und, wenn wir richtig unterrichtet sind, beinahe an denselben Stellen, auf die Major Moltke hingewiesen hat.

Was Oberst Grach mit dem unvollkommenen Hauptwall erreichen konnte, können wir nicht sagen. Es besteht jedoch kaum ein Zweifel darüber, daß er zumindest einen gedeckten Weg gebaut und zum Enfilieren des Grabens in der Mitte der Kurtine Schießscharten an jedem der gefährdetsten und am wenigsten geschützten Frontabschnitte angebracht hat. Was die vier detachierten Forts betrifft, so wissen wir über ihre Anlage noch gar nichts, aber da Oberst Grach ein Preuße ist und geringe Kosten bei der Pforte eine große Rolle spielen, können wir annehmen, daß sie höchstwahrscheinlich nach dem System erbaut sind, das jetzt beinahe überall auf dem Kontinent und besonders in Preußen eingeführt worden ist, das heißt einfache quadratische oder achteckige Redouten mit Schießscharten an jeder zweiten Ecke. Die Forts liegen auf den vier Höhenausläufern, die das Plateau zur Stadt hin abgrenzen und die durch drei Schluchten voneinander getrennt sind. Ihre Entfernung vom Festungswall muß im Durchschnitt 1.500 Yards betragen, so daß sie durch das Feuer der Festung nicht sehr wirkungsvoll geschützt werden können. Doch das ist nicht unbedingt notwendig; es scheint näher zur Stadt auf dem Abhang keinen Punkt zu geben, von dem ein Fort gut gegen ein vom beherrschenden Rand des Plateaus geführtes Enfilierfeuer geschützt werden könnte.

Außer diesen ständigen Werken hat Oberst Grach direkt auf dem Plateau ein zeitweiliges Erdwerk errichtet, das Arab-Tabia (Fort Arabia) genannt wird und in einer Entfernung von ungefähr 1.000 Yards vor den zwei zentralen Forts gelegen ist. Einige Berichte könnten zu dem Schluß führen, daß weitere Feldredouten errichtet wurden, um eine äußere Linie von Forts zu bilden, wodurch eine drei Linien tiefe Verteidigung entsteht. Arab-Tabia jedoch bleibt der Schlüssel dieser Stellung und muß genommen werden, bevor man sich der inneren Linie der Forts nähern kann. Diese Anordnung der Befestigungswerke verleiht Silistria eine große defensive und offensive Stärke. Da nur an ihrer Südfront der förmliche Angriff zu entscheidenden Ergebnissen führt, kann bei einer 15.000 bis 18.000 Mann starken Besatzung ein großer Teil davon für Ausfälle verwendet werden. Die ausfallenden Truppen finden auf dem Abhang hinter den detachierten Forts eine ausgezeichnet gedeckte Stellung, aus der sie ungesehen die Bergschluchten hinauf bis dicht an den Feind vorgehen können. In einem Sturm auf Arab-Tabia würden deshalb weniger die Besatzung dieses Forts, als vielmehr die aus- <283> fallenden Truppen von Silistria die Schlacht entscheiden. Nun zu der Belagerung selbst.

Seit Ende April haben die Russen Silistria über die Donau hinweg gelegentlich beschossen. Im Mai begannen sie reguläre Approchen auf der großen Insel gegenüber der Stadt auszuheben, nahe dem Damm, der nach Kalarasch führt, und am 10. hatten sie längs des Flußufers ihre Batterien komplettiert. Am 11. wurde die Stadt heftig bombardiert und die Nordfront direkt beschossen. Das wurde am 12. wiederholt; der eben eingetroffene Leutnant Nasmyth von der bengalischen Artillerie bestätigt das und berichtet darüber in der "London Times". Das Hauptziel war die nordöstliche oder Tschengel-Bastion, aus der die Türken mit größter Heftigkeit und mit großer Zielsicherheit das Feuer erwiderten. Das Schießen der Russen wird im Gegensatz dazu als sehr mittelmäßig bezeichnet. In der Stadt wurde eine große Anzahl Granaten gefunden, die man abgefeuert hatte, ohne die Kappe des Zünders abzunehmen, so daß sie sich nicht entzünden und nicht explodieren konnten. Solch ein Versehen kommt wohl bei der Feldartillerie in der Eile zu Beginn eines Kampfes vor, bei Belagerungen aber, wo immer verhältnismäßig langsam gefeuert wird, ist es bisher unbekannt. Es beweist, wie sich die Russen beeilt haben müssen, ihre Munition loszuwerden. Die Russen hatten außerdem während der Nacht auf der Insel Schiblak östlich von Silistria Batterien errichtet. (Sie hatten 1829 an demselben Ort zwei Batterien.) Die vier Geschütze dieser Batterie müssen zum Enfilieren der ganzen Nordfront vorgesehen gewesen sein.

Vom 13. bis zum 16. scheint nicht viel getan worden zu sein; zumindest schweigen sich die Berichte darüber völlig aus. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß die russischen Generale, nachdem sie gemerkt hatten, daß die Bombardierung einer türkischen Festung nutzlos ist, wie sie wohl hätten vermuten können, einen Angriff auf dem rechten Flußufer vorbereiteten. Dementsprechend wurde am 16. unterhalb Silistrias eine Brücke geschlagen; 20.000 Mann, denen sich kurz danach weitere 20.000 Mann aus der Dobrudscha angeschlossen haben sollen, setzten hier über. Die Russen bewegten sich allgemein zur Konzentrierung auf Silistria und Turtukai zu, denn sobald der Angriff auf dem rechten Ufer stattfinden sollte, waren Kräfte notwendig, um den Schutz gegen Omer Pascha bei Schumla und gegen englisch-französische Truppen zu übernehmen, die bei Varna gelandet werden könnten.

Am 19. wurde die erste Rekognoszierung gegen Arab-Tabia unternommen; große Truppenmassen wurden knapp außerhalb der Reichweite der Geschütze konzentriert, während eine Schützenlinie vorrückte. Nach einer kürzen Kanonade schickte Mussa Pascha einige Baschi-Bosuks auf das <284> Plateau, welche die Schützen zurücktrieben. Am 20. unternahmen die Russen einen erneuten Vorstoß; für eine einfache Rekognoszierung sah das zu ernsthaft aus - für einen wirklichen Angriff nicht ernsthaft genug. Am 21. fand der erste Angriff auf Arab-Tabia statt; Einzelheiten darüber fehlen noch, aber die Russen wurden mit großen Verlusten zurückgeschlagen. Zwei russische Offiziere liefen zu den Türken über und berichteten, daß der Feind 90.000 Mann stark und aus drei Armeekorps zusammengesetzt sei (das ist richtig, dem 3., 4. und 5.) und von Großfürst Konstantin befehligt werde. Diese letzte Behauptung ist offensichtlich ein Irrtum, da Konstantin bekanntlich die Flotte, die Truppen und die Küstenverteidigungen in Finnland befehligt. Die Mitteilung von einer beabsichtigten Wiederholung des Angriffs am folgenden Tage hat sich durch die Ereignisse nicht bestätigt. Die Russen standen unter Waffen, aber sie näherten sich dem Fort nicht. Wir haben also wieder keine Nachricht darüber, was bis zum 26. geschah; doch mit Tagesanbruch des 27. griffen die Russen erneut mit sehr beträchtlichen Kräften Arab-Tabia an. Dreimal wurde der Angriff wiederholt, und dreimal wurden die Angreifer mit gewaltigen Verlusten zurückgeschlagen. Die türkischen Berichte sprechen von 1.500 toten und 3.000 verwundeten Russen, was etwas übertrieben sein mag, aber der Wahrheit doch ziemlich nahekommt. Entschlossen, das Fort à la Suworow zu nehmen, hatte Paskewitsch am nächsten Morgen seine Kolonnen wieder für einen Angriff formiert. Das Massaker muß fürchterlich gewesen sein. General Silvan wurde getötet. Oberst Graf Orlow junior erhielt einen Schuß ins Auge und starb später. Ein anderer Oberst wurde schwer verwundet. Die Russen selbst geben einen Verlust von 186 Toten und 379 Verwundeten zu aber das ist offensichtlich nicht einmal ein Drittel ihrer wirklichen Verluste; bei den Massen, die sie zum Angriff vorgeschickt haben, müssen sie mindestens 2.000 Mann verloren haben.

In der folgenden Nacht unternahmen die Türken einen Massenausfall, fielen plötzlich in die russischen Linien ein und trieben die Russen mit großen Verlusten zurück (1.500 bis 1.800, wie es in den Berichten heißt). Dieser erfolgreiche Ausfall und der Umstand, daß bei dem letzten Angriff die russischen Truppen nicht ins Handgemenge gebracht werden konnten, obwohl die Kavallerie eingesetzt wurde, um sie anzutreiben und ihnen den Rückzug abzuschneiden, veranlaßten Fürst Paskewitsch, den Versuch aufzugeben, das Fort mit dem Bajonett zu nehmen. Zweifellos ist die Verteidigung dieser Redoute eine der glorreichsten Waffentaten nicht nur dieses Kampfes, sondern sogar aller russisch-türkischen Feldzüge. Das Gelände erlaubte einen <285> Angriff sehr großer Truppenmassen, und die Russen sind nicht diejenigen, die es unterlassen, soviel Truppen wie nur irgend möglich für einen Sturm zusetzen. Ihre zahlenmäßige Überlegenheit muß demnach sehr groß gewesen sein, und es erforderte nicht nur sehr große Tapferkeit, sondern auch gut geplante und koordiniert ausgeführte Ausfalloperationen der Türken, um sie zurückzuschlagen. Es besteht kaum ein Zweifel, daß die Russen gegen die Türken von 1829 die Festung genommen hätten. Ihre jetzigen wiederholten Niederlagen beweisen, daß die Türken, zumindest ein Teil von ihnen, an taktischer Fähigkeit und militärischen Kenntnissen gewonnen, ohne etwas von ihrer Tapferkeit verloren zu haben. In dieser Beziehung sind die Verteidigung von Arab-Tabia und das Treffen von Cetate die bemerkenswertesten Ereignisse des Fellzugs.

Über den russischen Angriff können wir nicht viel Gutes sagen. Paskewitsch scheint es so eilig zu haben, Silistria zu nehmen, daß er nicht einmal Zeit hat, die notwendigsten Maßnahmen zu treffen, um sein Ziel zu erreichen. Seine Unentschlossenheit ist ganz offensichtlich. Zuerst versuchte er ein Bombardement, obwohl er hätte wissen müssen, wie nutzlos das gegenüber einer türkischen Stadt ist. Ein Bombardement kann zu nichts anderem als zu einem großen Munitionsverbrauch für die Russen führen, eventuell noch zu einer Bresche im Wall an der Flußseite, wo die Nähe der Donau, ein natürlicher Graben von 1.000 Yards Breite, jeden Gedanken an einen Sturm ausschließt. Dann ist die Landfront angegriffen worden, aber das Feuer von Arab-Tabia wurde wahrscheinlich niemals zum Schweigen gebracht, und es wurde auch nicht ernsthaft versucht, ihre Befestigungsanlagen zu zerstören. All das ist für einen Nachfolger Suworows zu umständlich. Dieser erzrussische General sagte einst: "Die Kugel ist eine Närrin, das Bajonett ein ganzer Mann", und wenn dies auf das russische Bajonett zutrifft, welches gemäß einem Ausspruch derselben tapferen Autorität die Alpen durchdringt, so gilt es sicherlich weit mehr für die russischen Kugeln, die eine beständige und unwiderstehliche Neigung zur Abweichung haben. So wurde der Sturm befohlen, ausgeführt, wiederholt und abermals wiederholt, aber vergeblich. Es scheint, daß die Erdparapetts eines kleinen, aber stark gebauten türkischen Forts härter sind als der alpine Granit, gegen den Suworow kämpfte, und daß die Geschosse und Kugeln der Türken nicht so töricht sind wie die der Russen. Schließlich wird Paskewitsch zu der alten Maxime zurückkehren müssen: Stürme niemals ein Werk, bevor du nicht sein Feuer zum Schweigen gebracht und seine Befestigungsanlagen zerstört hast. So beginnt die förmliche Belagerung ungefähr am 30. oder 31. Mai und Paskewitsch nimmt schließlich Zuflucht zu der "törichten Kugel".

<286> Aber nein! Selbst das ist lediglich Schein. Hier ist es General Schilder, wohlbekannt aus dem Jahre 1829, der verspricht, die Festung durch seine ach so geliebten Minen zu bezwingen und das sogar in ein paar Tagen. Minen gegen ein Feldwerk sind der letzte Ausdruck militärischer Verzweiflung, einfältiger Wut in einer ausweglosen Lage. Wenn Minen angewandt werden sollen, so ist die erste Bedingung, um sie wirkungsvoll auszunutzen, daß das Glacis gekrönt wird. Bevor das Glacis gekrönt werden kann, muß das Feuer des Feindes zum Schweigen gebracht worden sein, das heißt, ein, zwei oder drei Parallelen müssen errichtet werden mit den dazugehörigen Batterien. Tatsächlich können Minen nur der Abschluß einer Belagerung, nicht ihr Anfang sein. Wenn Schilder nicht vorschlägt, einige zwanzig Quadratmeilen Boden zu unterminieren oder einen Tunnel unter die Donau zu graben, kann er der Notwendigkeit einer förmlichen Belagerung nicht ausweichen. Trotz Suworow sind die Kugeln unentbehrlich.

Nun könnte eine förmliche Belagerung Arab-Tabias sicherlich in wenigen Tagen beendet sein, da das Werk seine Aufgabe beinahe vollständig erfüllt hat und eine längere Verteidigung die Besatzung zu sehr schwächen würde. Aber das hieße eine förmliche Belagerung von wenigstens zwei Forts und dann noch eine der Stadt. Fünf Wochen ist sicherlich die allerkürzeste Zeit, in der die Russen durch die nachlässige Art ihrer Belagerungen das vollbringen können. Wenn dann die Türken genügend Lebensmittel und Munition haben und keine unvorhergesehenen Zwischenfälle eintreten sollten, kann die Festung bis Anfang Juli als gesichert betrachtet werden. Wir setzen natürlich voraus, daß die Forts von durchschnittlicher Stärke sind und die Wälle nicht zu reparaturbedürftig. Aber wenn Silistria 1829 offenen Verschanzungen 35 Tage standgehalten hat, wird es sicherlich 1854 mit den neuen Werken, mit einem tapferen und klugen Kommandanten, einem erfahrenen Chef der Artillerie und einer erstklassigen Besatzung in der Lage sein, wenigstens ebensolange standzuhalten. Wenn man sich auf die Alliierten verlassen könnte, dann könnten wir auch mit Sicherheit sagen, daß der Feldzug zu einem vollständigen Fehlschlag für die Russen werden muß, wenn nicht gar noch schlimmer.