Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 10, S. 235-239
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1961

Karl Marx

[Der Angriff auf Sewastopol -
Die Lichtung der Güter in Schottland]

Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 4095 "vom 2. Juni 1854]

<235> London, Freitag, 19. Mai 1854.

Der "erste Angriff auf Sewastopol", von dem die heutigen Zeitungen eine telegraphische Meldung bringen, scheint ungefähr die gleiche glorreiche Heldentat zu sein wie das Bombardement von Odessa, wo beide Seiten den Sieg für sich beanspruchten. Der Angriff soll mit Granaten aus "Ferngeschützen" durchgeführt und gegen die äußeren Befestigungen gerichtet worden sein. Ein Blick auf die Karte beweist, was überdies von jeder militärischen Autorität anerkannt wird, daß man mit Kanonen, gleich welchen Kalibers, weder den Hafen noch die Stadt Sewastopol angreifen kann, ohne in die Bucht hineinzufahren und sich den Verteidigungsbatterien zu nähern, und daß man sie ohne Unterstützung einer ansehnlichen Landungsarmee überhaupt nicht nehmen kann. Deshalb muß die Operation, wenn sie wirklich stattgefunden hat, als Scheinkampf betrachtet werden, der zur Erbauung derselben gobemouches <Einfaltspinsel> unternommen wurde, deren Patriotismus durch die Lorbeeren von Odessa aufgebläht wurde.

Die französische Regierung hat Herrn Bourrée in außergewöhnlicher Mission nach Griechenland gesandt. Er wird von einer Brigade unter dem Kommando von General Foray begleitet und hat den Auftrag, von König Otto die sofortige Zahlung der gesamten Zinsen der einhundert Millionen Francs zu fordern, die Frankreich der griechischen Regierung 1828 als Anleihe gegeben hat. Im Weigerungsfall sollen die Franzosen Athen und diverse andere Punkte des Königreichs besetzen.

Ihre Leser werden sich an meine Schilderung des Prozesses der Lichtung der Güter in Irland und Schottland erinnern, durch die in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts so viele Tausend Menschen vom väterlichen Boden <236> gejagt wurden. <Sieh Band 8, S. 499-505 und Band 9, S. 157-163> Der Prozeß dauert noch an, und zwar mit einer Energie, die der tugendhaften, vornehmen, religiösen und philanthropischen Aristokratie dieses Musterlandes völlig angemessen ist. Häuser werden über den Köpfen der hilflosen Insassen entweder in Brand gesteckt oder in Stücke geschlagen. Auf dem Landgut Neagaat in Knoydart wurde im vorigen Herbst im Auftrag des Landlords das Haus Donald Macdonalds, eines angesehenen, ehrlichen und hart arbeitenden Mannes, angegriffen. Seine Frau war ans Bett gefesselt und konnte nicht transportiert werden, doch der Faktor und seine Schurken warfen Macdonalds Familie mit sechs Kindern, alle unter 15 Jahren, hinaus und zerstörten das Haus bis auf ein kleines Stück Dach über dem Bett seiner Frau.

Der Mann war so erschüttert, daß er den Verstand verlor. Er wurde von Ärzten für geisteskrank erklärt und wandert jetzt umher, seine Kinder zwischen den Ruinen der verbrannten und zerstörten Hütten suchend. Um ihn herum weinen seine hungernden Kinder, doch er erkennt sie nicht, und man läßt ihn ohne Hilfe und Fürsorge frei umherlaufen, da seine Geistesstörung harmlos ist.

Zwei verheirateten, hochschwangeren Frauen wurden die Häuser über ihren Köpfen niedergerissen. Sie mußten viele Nächte im Freien schlafen und trugen als Folge davon unter fürchterlichen Qualen Frühgeburten aus, ihr Verstand trübte sich; sie wandern mit ihren großen Familien umher, hilflose und unheilbare Schwachsinnige, furchtbare Zeugen gegen die Klasse von Personen, die britische Aristokratie genannt wird.

Selbst Kinder werden durch Schrecken und Verfolgung zum Irrsinn getrieben. In Doune in Knoydart wurden die Häusler vertrieben und suchten in einem alten Lagerhaus Zuflucht. Die Agenten des Gutsbesitzers umstellten dieses Lagerhaus mitten in der Nacht und zündeten es an, weil die armen Ausgestoßenen unter seinem Dach Schutz gesucht hatten. Wie von Sinnen rasten sie vor den Flammen davon, und einige wurden vor Schreck wahnsinnig. Die Zeitung "The Northern Ensign" schreibt:

"Ein Junge wurde geistesgestört; man wird ihn in Gewahrsam nehmen müssen; er springt aus dem Bett und schreit: 'Feuer, Feuer!' und versichert den Umstehenden, daß sich in dem brennenden Lagerhaus Männer und Kinder befinden. Wenn es Abend wird, versetzt ihn der Anblick von Feuer in Schrecken. Das furchtbare Bild von Doune, als das Lagerhaus in Flammen stand und den ganzen Bezirk erhellte als Männer, Frauen und Kinder, halb wahnsinnig vor Angst, umherliefen, löste bei ihm einen derartigen Schock aus."

<237> Das ist das Verhalten der Aristokratie gegenüber den arbeitsfähigen Armen, die sie reich machen. Hören Sie nun einiges über ihre Armenfürsorge. Die folgenden Fälle entnehme ich der Arbeit von Herrn Donald Ross aus Glasgow und dem "Northern Ensign".

"1. Witwe Matherson, 96 Jahre alt, erhält von der Pfarrei Strath, Skye, monatlich nur 2 sh. 6d.

2. Murdo Mackintosh, 36 Jahre alt, ist völlig arbeitsunfähig, weil er vor 14 Monaten von einem Wagen gequetscht wurde. Er hat Frau und sieben Kinder; das älteste ist 11, das jüngste 1 Jahr alt. Alles, was die Pfarrei Strath ihm gibt, sind 5 sh. im Monat.

3. Witwe Samuel Campbell, 77 Jahre alt, wohnt in Broadford, Skye, in einem verfallenen Haus, erhielt von der Pfarrei Strath 1 sh. 6 d. monatlich. Sie beklagte sich, daß es nicht ausreiche, woraufhin die Pfarreibehörden den Betrag nach vielem Murren auf 2 sh. pro Monat erhöhten.

4. Witwe M'Kinnon, 72 Jahre alt, Pfarrei Strath, Skye, hat 2 sh. 6 d. pro Monat.

5. Donald McDagald, 102 Jahre alt, wohnt in Kraydatt. Seine Frau ist 77 Jahre alt und beide sind sehr gebrechlich. Sie erhalten von der Pfarrei Glenelg jeder nur 3 sh. 4 d. monatlich.

6. Mary McDonald, eine Witwe, 93 Jahre alt und ans Bett gefesselt. Ihr Mann war in der Armee und verlor dort einen Arm. Er starb vor 20 Jahren. Sie erhält von der Pfarrei Glenelg 4 sh. 4 d. monatlich.

7. Alexander McIsaak, 53 Jahre alt, völlig arbeitsunfähig, hat eine Frau von 40 Jahren, einen blinden Sohn von 18 Jahren und vier Kinder unter 14 Jahren. Die Pfarrei Glenelg bewilligt dieser unglücklichen Familie insgesamt 6 sh. 6 d. monatlich, knapp 1 sh. monatlich für jeden.

8. Angus McKinnon, 72 Jahre alt, hat eine kranke Frau von 66 Jahren. Sie erhalten jeder 2 sh. 1 d. monatlich.

9. Mary M' Isaak, 80 Jahre alt, gebrechlich und stockblind, erhält von der Pfarrei Glenelg 3 sh. 3 d. monatlich. Als sie um mehr bat, sagte der Inspektor: 'Sie sollten sich schämen, mehr zu fordern, wenn andere weniger haben' und weigerte sich, sie anzuhören.

10. Janet M'Donald oder M'Gillioray, 77 Jahre alt und völlig arbeitsunfähig, erhält nur 3 sh. 3 d. monatlich.

11. Catherine Gillies, 78 Jahre alt und völlig arbeitsunfähig, erhält nur 3 5h. 3 d. monatlich von der Pfarrei Glenelg.

12. Mary Gillies oder Grant, 82 Jahre alt und in den letzten acht Jahren ans Bett gefesselt, erhält achtundzwanzig Pfund Grütze und 8 d. monatlich von der Pfarrei Adnamurchon. Der Armeninspektor hat sie in den letzten zwei Jahren nicht besucht; sie erhält keine medizinische Hilfe, keine Kleidung, keine Nahrung.

13. John M'Eachan, 86 Jahre alt und bettlägerig, wohnt in Auehachraig, Pfarrei Adnamurchon; er erhält gerade ein Pfund Grütze pro Tag und 8 d. monatlich von der erwähnten Gemeinde. Er erhält weder Kleidung noch irgend etwas anderes.

14. Ewan M'Gallum, 93 Jahre alt und mit kranken Augen, fand ich bettelnd am Ufer des Crinan-Kanals in der Pfarrei Knapdale, Argyleshire. Er erhält nur 4 sh. 8 d. <238> monatlich, absolut nichts an Kleidung, medizinischer Hilfe, Brennmaterial oder Unterkunft. Er ist jetzt ein wandelndes Lumpenbündel und ein höchst jämmerlich aussehender Pauper.

15. Kate Macarthur, 74 Jahre alt und bettlägerig, lebt allein in Dunardy, Pfarrei Knapdale. Sie erhält von der Pfarrei 4 sh. 8 d. monatlich, jedoch sonst nichts. Kein Arzt besucht sie.

16. Janet Kerr oder M'Callum, eine Witwe, 78 Jahre alt, in schlechtem Gesundheitszustand, erhält 6 sh. monatlich von der Pfarrei Glassary. Sie besitzt keine Wohnung und erhält keine andere Hilfe als diese Geldunterstützung.

17. Archibald M'Laurin, 73 Jahre alt, Pfarrei Appin, völlig arbeitsunfähig, seine Frau ebenfalls arbeitsunfähig; sie erhalten von der Pfarreihilfe eine Unterstützung von je 3 sh. 4 d. monatlich - kein Brennmaterial, keine Kleidung oder Wohnung. Sie leben in einem elenden, menschenunwürdigen Schuppen.

18. Witwe Margaret M'Leod, 81 Jahre alt, lebt in Lasgach, Pfarrei Lochbroom, erhält 3 sh. monatlich.

19. Witwe John Makenzie, 81 Jahre alt, lebt in Ullapool, Pfarrei Lochbroom. Sie ist stockblind und in sehr schlechtem Gesundheitszustand, sie erhält nur 2 sh. im Monat,

20. Witwe Catherine M'Donald, 87 Jahre alt, Insel Luing, Pfarrei Killbrandon, stockblind und ans Bett gefesselt. Sie bekommt für den Unterhalt 7 sh. im Monat, von denen sie eine Krankenpflegerin bezahlen muß. Ihr Haus fiel zusammen, und doch lehnte die Pfarrei ab, ihr eine Unterkunft zu beschaffen. Sie liegt in einem offenen Nebengebäude auf der kahlen Erde. Der Inspektor weigert sich, irgend etwas für sie zu tun."

Doch hiermit ist die Roheit noch nicht zu Ende. In Strathcarron fand ein Gemetzel statt. Durch die Grausamkeit der durchgeführten und der noch zu erwartenden Austreibungen zur Raserei gebracht, sammelten sich eine Anzahl Frauen auf den Straßen, als sie hörten, daß mehrere Beamte des Sheriffs kamen, um die Pächter hinauszuwerfen. Die letzteren waren jedoch Steuereinnehmer und keine Beamten des Sheriffs; doch als sie hörten, daß eine solche Verwechslung vorlag, amüsierten sie sich darüber. Anstatt den Irrtum aufzuklären, gaben sie sich für Beamte des Sheriffs aus und sagten, sie kämen, um die Leute hinauszuwerfen, und wären entschlossen, dies auch durchzuführen. Als die Gruppe Frauen darüber sehr erregt wurde, hielten die Beamten ihnen eine geladene Pistole vor. Was dann folgte, entnehmen wir dem Brief von Herrn Donald Ross, der von Glasgow nach Strathcarron fuhr und zwei Tage in dem Bezirk damit verbrachte, Informationen zu sammeln und die Verwundeten zu untersuchen. Sein Brief trägt das Datum Royal Hotel, Oain, den 15. April 1854, und hat folgenden Inhalt:

"Mein Bericht soll das schändliche Verhalten des Sheriffs beweisen. Er warnte die Leute nicht vor seiner Absicht, die Polizei auf sie loszulassen. Er hat das Aufruhrgesetz nicht verlesen. Er ließ ihnen keine Zeit, auseinanderzugehen, sondern rief im gleichen Augenblick, als er mit seinen mit Knüppeln versehenen Leuten nahte: 'Platz da!' und <239> im nächsten Augenblick sagte er: 'Schlagt sie nieder!' und augenblicklich folgte eine Szene, die jeder Beschreibung spottet. Die Polizisten schlugen mit ihren schweren Knüppeln auf die Köpfe der unglücklichen Frauen und warfen sie zu Boden; als sie unten lagen, sprangen und trampelten sie auf ihnen herum und traten sie mit unbändiger Brutalität in jeden Körperteil. Der Platz war bald mit Blut bedeckt. Die Schreie der Frauen, der Jungen und Mädchen, die sich in ihrem Blute wälzten, waren herzzereißend. Einige der Frauen, die von den Polizisten verfolgt wurden, sprangen in den tiefen und reißenden Carron, sich lieber seiner Gnade als der der Polizisten oder des Sheriffs anvertrauend. Es gab Frauen, denen durch die Knüppel der Polizisten Haarbüschel ausgerissen wurden, und einem Mädchen wurde ein Stück Fleisch, ungefähr sieben Zoll lang und eineinviertel Zoll breit, mehr als ein Viertel Zoll dick, durch einen heftigen Schlag mit dem Knüppel aus ihrer Schulter herausgeschlagen. Ein junges Mädchen, das lediglich zugesehen hatte, wurde von drei Polizisten verfolgt. Sie schlugen sie auf die Stirn, verletzten sie am Kopf schwer und traten sie, als sie hingefallen war. Der Doktor trennte aus der Wunde ein Stück der Kappe, die der Stock des rasenden Polizisten in den Schädel hineingetrieben hatte. Die Spuren der Schuhnägel sind noch immer auf ihrem Rücken zu sehen. Infolge der brutalen Schläge der Polizisten befinden sich noch immer dreizehn Frauen in Strathcarron in einem schrecklichen Zustand. Dreien von ihnen geht es so schlecht, daß ihr behandelnder Arzt keine Hoffnung auf eine Genesung hat. Es ist meine eigene, feste Überzeugung, die ich durch das Aussehen dieser Frauen und die gefährliche Natur ihrer Wunden in Verbindung mit den von mir durchgearbeiteten medizinischen Berichten gewonnen habe, daß nicht die Hälfte der verwundeten Personen wieder genesen wird, und daß alle jene, die noch eine Weile dahinsiechen, an ihrem Körper traurige Zeugnisse der schrecklichen Brutalität aufweisen werden, der sie zum Opfer fielen. Unter den Schwerverwundeten befindet sich eine hochschwangere Frau. Sie war nicht in der Menge, die mit dem Sheriff zusammenstieß, sondern sah aus beträchtlicher Entfernung nur zu; dennoch wurde sie von den Polizisten heftig geschlagen und gestoßen, und ihr Zustand ist sehr ernst."

Wir können außerdem hinzufügen, daß die Zahl der überfallenen Frauen achtzehn betrug. Der Name des Sheriff s ist Taylor.

Solch ein Bild bietet die britische Aristokratie im Jahre 1854.

Die Behörden und die Regierung haben vereinbart, daß die gerichtliche Verfolgung Cowells, Grimshaws und der anderen Streikführer von Preston eingestellt werden soll, wenn die Untersuchung gegen die Polizeirichter und die Baumwoll-Lords Preston ebenfalls eingestellt wird. Diese Vereinbarung wurde durchgeführt.

Es heißt, daß die vierzehntägige Vertagung des Antrages von Herrn Duncombe auf Ernennung eines Untersuchungskomitees wegen des Verhaltens der Prestoner Polizeirichter eine Folge der obigen Vereinbarung ist.

Karl Marx