Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 10, S. 205-208
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1961

Karl Marx

[Griechenland und die Türkei -
Die Türkei und die Westmächte -
Der Rückgang des Getreidehandels in England]

Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 4072 vom 6. Mai 1854]

<205> London, Freitag, 21. April 1854.

Aus der "Preußischen Correspondenz" erfahren wir, daß der berüchtigte Ritter Bunsen nicht abberufen worden ist, sondern auf eigenes Ansuchen einen längeren Urlaub erhalten hat. Man hat Graf Alvensleben zu seinem vorübergehen den locum tenens <Stellvertreter> ernannt. Die Verfassungskommission des schwedischen Reichstages hat mit einer Mehrheit von 12 gegen 11 Stimmen beschlossen, daß die Minister vor dem Obersten Gericht des Königreiches angeklagt werden sollen wegen ihrer Haltung zur Vereinfachung des Besteuerungssystems, die vor kurzem beraten wurde.

Einem Bericht Herrn Meronis zufolge, des Konsuls in Belgrad, müssen die Österreicher vorbereitet sein, auf den bewaffneten Widerstand der Serben zu stoßen, falls sie ihre Armeen in Serbien einmarschieren lassen.

Am 3. d.M. verließ Herr Metaxas Konstantinopel; innerhalb von weniger als 14 Tagen folgten ihm 40.000 bis 50.000 seiner Landsleute. Keine Gesandtschaft war willens, ihn zur Fortführung der laufenden Geschäfte vorübergehend zu vertreten. Der österreichische Gesandte lehnte mit der Begründung ab, da England und Frankreich die Schutzmächte Griechenlands seien, hätten ihre Kanzleien die Pflicht, Griechenland in der Zwischenzeit zu vertreten. Preußen wollte nicht annehmen, weil Österreich abgelehnt hatte. Die Gesandten Englands und Frankreichs erklärten den Zeitpunkt für zu unpassend, um selbst als Vertreter von Herrn Metaxas aufzutreten. Die Geschäftsträger der kleineren Mächte hielten es für das beste, jede Sympathie- wie auch Antipathiekundgebung sorgfältig zu vermeiden. Daher war Herr Metaxas gezwungen, einen eigenen Attaché zurückzulassen. Doch bald <206> entdeckte man, daß dieser die ihm von der Pforte gewährten Rechte mißbrauchte und fleißig Pässe unter den griechischen Rajahs austeilte, um ihnen die Möglichkeit zu gehen, sich den Aufständischen in Albanien anzuschließen. Infolgedessen ist die Tätigkeit der griechischen Kanzlei vollständig eingestellt worden; die Ausgabe von Pässen wurde jetzt einer Kommission übertragen, die aus zwei Türken und zwei Rajahs besteht.

Gleichzeitig wurde bekanntgegeben, daß jedem Untertanen des Königreiches Griechenland, der Untertan des Sultans zu werden wünsche, dies gestattet werden könne, wenn er zwei vertrauenswürdige Personen findet, die für seine Zuverlässigkeit bürgen. Da die hellenischen Einwohner Konstantinopels laut gedroht hatten, daß sie Konstantinopel vor ihrem Abzug in Brand setzen und plündern würden, sind von der Regierung außerordentliche Maßnahmen getroffen worden. Die Türken patrouillieren Tag und Nacht, und auf der Promenade von Pera sind fünfzig Kanonen aufgestellt worden. Von Sonnenuntergang bis Mitternacht muß jeder, der auf der Straße oder dem Feld geht oder reitet, eine Laterne bei sich tragen; nach Mitternacht ist jeder Verkehr verbeten. Eine andere Verordnung verbietet die Ausfuhr von Getreide. Den Griechen römisch-katholischen Glaubens wurde gestattet, auf Verantwortung der katholischen Bischöfe von Pera zu bleiben. Diese aus Tenos, Andros und Syros stammenden Griechen gehören größtenteils zur Kategorie der Bediensteten. Die Bewohner der Insel Kythera haben eine Petition an die Pforte gerichtet, worin sie den griechischen Aufstand scharf verurteilen und die Regierung anflehen, sie von den allgemeinen Maßnahmen auszunehmen. Auch eine Abordnung griechischer Untertanen der Pforte aus Trikkala in Thessalien ist eingetroffen mit der Bitte um energischen Schutz vor den hellenischen Räubern, die ganze Dörfer in Asche gelegt und ihre Einwohner, ohne Unterschied des Geschlechts oder Alters, zur Grenze getrieben haben, wo sie aufs grausamste gepeinigt wurden.

Zweifel, Mißtrauen und Feindseligkeit gegenüber den westlichen Alliierten bemächtigen sich der Türken. Sie sehen nun allmählich in Frankreich und England gefährlichere Feinde, als es der Zar selbst ist, und die allgemeine Meinung lautet: "Sie wollen den Sultan entthronen und das Reich aufteilen; sie wollen uns zu Sklaven der christlichen Bevölkerung machen!" Indem sie südlich von Konstantinopel gelandet sind statt nördlich von Varna, befestigen die Alliierten Gallipoli gegen die Türken selbst. Der Landstrich, in dem das Dorf liegt, ist eine lange Halbinsel, durch eine schmale Landenge mit dem Festland verbunden und vortrefflich als Stützpunkt für Eindringlinge geeignet. Von hier aus sagten einst die Genuesen den griechischen Kaisern Konstantinopels den Kampf an. Außerdem empört die Ernennung des <207> neuen Scheichs ul-Islam die orthodoxen Muselmanen, da er in ihren Augen kaum etwas anderes ist als ein Werkzeug der griechischen Geistlichkeit; und die Türken gelangen allmählich zu der festen Ansicht, daß es besser gewesen wäre, der einzigen Forderung von Nikolaus nachzugehen, als zum Spielball einer Bande gieriger Mächte zu werden.

Die Unzufriedenheit mit dem Koalitionsministerium und die Entrüstung, die die Art seiner Kriegführung im Volke hervorruft, sind so sehr gewachsen, daß selbst die "Times" sich vor die Wahl gestellt sieht, entweder ihre Auflage zu riskieren oder aufzuhören, vor dem Kabinett aller Talente zu dienern, und es für angebracht hielt, in ihrer Mittwochausgabe wütend über dieses herzufallen.

Der Quebecker Korrespondent der "Morning Post" schreibt:

"Unsere Flotte im Pazifik ist stark genug, alle russischen Forts und Posten entlang der Küste Russisch-Amerikas einzunehmen (im Innern des Landes gibt es keine) sowie auch jene, die es hier und da auf den Fuchsinseln, Aleuten und Kurilen besitzt und die zusammen eine Kette von der amerikanischen Küste bis nach Japan bilden. Mit der Einnahme dieser Inseln - die sehr wertvoll sind wegen der Pelze, des Kupfers, der Milde ihres Klimas und wegen der ausgezeichneten Häfen, die es auf einigen der Inseln in der Nähe des asiatischen Festlandes gibt, wo keine guten Häfen liegen - und mit der Eroberung Russisch-Amerikas würde unser Einfluß im Pazifik wesentlich steigen, und dies zu einer Zeit, da die Länder dieses Ozeans jene Bedeutung zu erlangen beginnen, die ihnen längst gebührt. Der größte Widerstand würde unserer Flotte von Neu-Archangelsk auf der Insel Sitka geboten werden, das nicht nur durch seine natürliche Lage stark ist, sondern auch vollständig befestigt und jetzt mit 60 oder 70 Kanonen ausgerüstet ist. Dort leben ungefähr 1.500 Menschen, die Garnison mit ungefähr 500 Mann eingerechnet, und es gibt auch eine Werft, wo schon viele Kriegsschiffe gebaut worden sind. Auf den meisten anderen Posten gibt es nicht mehr als etwa 50 bis 300 Menschen, und nur wenige dieser Posten haben Befestigungswerke von einigermaßen Bedeutung. Wenn wir diese Eroberung unternähmen und Frankreich hierfür als Ausgleich Territorium zu erlangen wünschte, so könnte man ihm erlauben, sich Kamtschatkas und der anliegenden Küste zu bemächtigen."

Die Berichte der "Gazette" über den Weizenverkauf in den Marktstädten von England und Wales zeigen ein beträchtliches Absinken im Vergleich zum entsprechenden Zeitraum des Jahres 1853, und das kann als ein Kennzeichen angesehen werden für die in den vorangegangenen Ernten eingebrachte Menge. Es wurden verkauft:

Januar

Februar

März

1853

qrs.

582.282

345.329

358.886

1854

qrs.

266.477

256.061

227.556

<208> Der Umsatz der letzten Woche betrug 36.628 Quarter gegenüber 88.343 Quarter in der entsprechenden Woche des Jahres 1853. Diese Zahlen zeigen also für die drei Monate ein Absinken um ungefähr eine halbe Million Quarter, verglichen mit den entsprechenden Monaten des Jahres 1853, und sind der schlagendste Beweis für die Dürftigkeit der letzten Ernte.

Der "Mark Lane Express" schreibt:

"Die reichlichen Lieferungen aus dem Ausland haben bisher verhindert, daß man den Mangel an inländischen Lieferungen ernsthaft gespürt hat, und es befinden sich noch beträchtliche Mengen Weizen und Mehl aus verschiedenen Ländern auf dem Weg nach England; können wir aber erwarten, daß der Import während der Zeit, die bis zur nächsten Ernte notwendig verstreichen muß, in dem gleichen großen Maßstab andauern wird? Amerika hat uns schon alles geschickt, was sich in seinen Seehäfen befunden hat; und obgleich wir nicht daran zweifeln, daß es im fernen Westen noch beträchtliche Vorräte hat, wird es doch hohe Preise verlangen müssen, um die Ausgaben für deren Transport an die Ostküste und von dort nach England zu decken. Die nördlichen Häfen Europas haben ihre alten Vorräte fast erschöpft, und der Krieg mit Rußland schneidet weitere Lieferungen vom Schwarzen Meer und aus Asow ab. Vorstehendes legen wir ohne weiteren Kommentar unseren Lesern zur Betrachtung vor."

Karl Marx