Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 10, S. 80-93
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1961

Karl Marx

Parlamentsdebatten 

Aus dem Englischen.  


["New-York Daily Tribune" Nr. 4022 vom 9. März 1854]

<80> London, Dienstag, 21. Februar 1854.

Dem Parlament sind die Veranschlagungen für Armee und Flotte vorgelegt worden. Für die Armee wird eine Mannschaftsstärke von insgesamt 112.977 Mann für das kommende Jahr gefordert, eine Erhöhung um 10.694 Mann gegenüber dem vergangenen Jahr. Die Gesamtausgaben für die Landstreitkräfte im In- und Auslandsdienst betragen für das am 31 . März 1855 endende Jahr, abgesehen von den Kosten für die australischen Kolonien und den der Ostindischen Kompanie übertragenen Kosten, 3.923.288 Pfd.St. Die Gesamtsumme beträgt 4.877.925 Pfd.St. für 5.719 Offiziere, 9.956 Unteroffiziere und 126.925 Soldaten. Die Ausgaben für die Flotte für das am 31. März 1855 endende Jahr sind für den aktiven Dienst mit insgesamt 5.979.866 Pfd.St. veranschlagt; das bedeutet eine Erhöhung um 1.172.446 Pfd.St. gegenüber dem letzten Jahr. Die Kosten für den Transport der Truppen und das Feldzeugamt betragen 225.050 Pfd.St., was eine Erhöhung um 72.100 Pfd.St. bedeutet. Die Gesamtsumme für das Jahr beläuft sich auf 7.447.948 Pfd.St. Die Mannschaften werden aus 41.000 Matrosen, 2.000 Schiffsjungen und 15.500 Marinesoldaten bestehen; das sind insgesamt 58.616 Mann einschließlich 116 Mann Hilfspersonal.

Herr Layard hatte am Abend des vergangenen Freitag angekündigt, er beabsichtige, die Aufmerksamkeit auf die orientalische Frage zu lenken; er ergriff gerade in dem Augenblick das Wort, als der Speaker seinen Platz verlassen wollte, damit das Haus die Veranschlagungen für die Flotte beraten könne. Kurz nach 4 Uhr waren alle Galerien überfüllt, und um 5 Uhr war das Haus versammelt. Zwei lange Stunden wurden zum offensichtlichen Verdruß der Mitglieder des Hauses und des Publikums mit nichtssagenden <81> Reden über Kleinigkeiten totgeschlagen. So sehr war die Neugier der ehrenwerten Herren erregt worden, daß sie das Abendessen bis 8 Uhr hinausschoben, um der Eröffnung der großen Debatte beizuwohnen - eine seltene Erscheinung im parlamentarischen Leben der Mitglieder des Unterhauses.

Herr Layard, dessen Rede ständig von Beifallsrufen unterbrochen wurde, begann mit der Erklärung, die Regierung habe die Mitglieder des Parlaments in eine so außergewöhnliche Situation gebracht, daß es schwierig für diese sei, ihren Standpunkt festzulegen. Bevor sie über die geforderten Bewilligungen abstimmen könnten, sei es die Pflicht der Regierung, zu erklären, was sie zu tun gedenke. Doch ehe er die Regierung hiernach befrage, möchte er wissen, was sie bereits getan habe. Er habe schon im vergangenen Jahr gesagt, daß die Regierung nicht in den Krieg hineingeraten wäre, hätte sie einen Ton angeschlagen, der dieses Landes würdiger ist; auch nach sorgfältiger Durchsicht der kürzlich herausgegebenen umfangreichen Blaubücher habe er keine Ursache, seine Ansichten zu ändern. Aus dem Vergleich des Inhalts mehrerer Depeschen von verschiedenen Seiten folgerte er, daß das Ministerium sehr hervorstechende Tatsachen übersehen, völlig unmißverständliche Tendenzen mißverstanden und ganz offenkundig trügerischen Versicherungen geglaubt habe. Er erklärte, die Tragödie von Sinope habe die Ehre Englands befleckt, und forderte eine ausreichende Erklärung, wobei er an Hand der veröffentlichten Dokumente bewies, daß die Admirale der vereinigten Flotten die Katastrophe hätten vermeiden können oder die Türken sie selbst verhindert hätten, wären nicht die ängstlichen und unentschlossenen Instruktionen der britischen Regierung gewesen. Aus ihren jüngsten Erklärungen schließe er, daß sie nach wie vor auf der Grundlage des Status quo ante bellum <Vorkriegszustands> verhandeln wolle; diesen mutmaßlichen Schritt mißbillige er. Er ermahnte die Regierung, ihre Pflicht zu erfüllen in der Gewißheit, daß das englische Volk die seine erfüllen werde.

Sir James Graham antwortete ihm mit der bei ihm bekannten Unverschämtheit, sie sollten entweder den Ministern vertrauen oder sie absetzen. Doch "lassen Sie uns inzwischen nicht über Blaubücher müßige Reden führen". Die Regierung wäre von Rußland, einem alten und treuen Alliierten Großbritanniens, betrogen worden, doch "finsterer, verderblicher Argwohn schlägt nicht so bald Wurzeln in großmütigen Geistern". Dieser alte Fuchs, Sir Robert Peels "gemeiner Laufbursche", der Mörder der Bandieras, war wirklich reizend in seinem "großmütigen Geist" und seiner "Abneigung gegen den Argwohn".

 <82> Dann traten Lord Jocelyn und Lord Dudley Stuart auf, deren Reden die Blätter am nächsten Tage füllten, das Haus jedoch an diesem Abend leerten. Es folgte Herr Roebuck, der damit begann, das Verhalten der Minister in einer heiklen Situation zu verteidigen, aber mit der Erklärung endete, daß es nun Zeit für das Ministerium wäre, offen auszusprechen, was es zu tun gedenke. Unter dem Vorwand, auf diese Frage antworten zu wollen, erhob sich Lord John Russell und rekapitulierte in apologetischer Weise die Geschichte der jüngsten Streitigkeiten, und als er sah, daß das nicht genügte, tat er, als wolle er ihnen erzählen, "was das Ministerium zu tun gedenke"; doch darüber war er sich wohl selbst nicht ganz im klaren. Nach seinen Worten wäre es nicht durch den Abschluß eines Vertrags, sondern durch einen Notenaustausch eine Art Allianz mit Frankreich eingegangen. England und Frankreich schlügen der Türkei jetzt auch so etwas wie einen Vertrag vor, wonach die Pforte ohne ihre Einwilligung nicht um Frieden ersuchen dürfe. Die Regierung sei durch die unbeschreibliche Gemeinheit des Zaren grausam überrumpelt worden. Er (Russell) habe die Hoffnung aufgegeben, daß der Frieden erhalten werden könne. Sie müßten wahrscheinlich in den Krieg eintreten. Demzufolge brauche er ungefähr 3 Millionen Pfd.St. mehr als im letzten Jahr. Geheimhaltung sei eine Bedingung für den Erfolg im Kriege, und deshalb könne er ihnen nicht sofort sagen, was die Regierung im Kriegsfalle unternehmen werde. Da der letzte oder besser theatralische Teil seiner Rede mit großer Lautstärke und viel moralischer Entrüstung über den Zaren, "den Schlächter", vorgetragen wurde, gab es gewaltigen Beifall, und das Haus war in seiner Begeisterung nahe dran, den Veranschlagungen zuzustimmen, als Herr Disraeli eingriff und erreichte, daß die Debatte auf Montag abend vertagt wurde.

Die Debatten wurden gestern abend wieder aufgenommen und erst um 2 Uhr morgens beendet.

Zuerst erhob sich Herr Cobden, wobei er versprach, sich streng auf die vorliegenden praktischen Fragen zu beschränken. Er gab sich viel Mühe, an Hand der Blaubücher zu beweisen, was von niemandem bestritten wurde, daß nämlich die französische Regierung "diesen bedauerlichen Streit" verursacht habe durch die Mission des Herrn Lavalette hinsichtlich der Heiligen Stätten und die Zugeständnisse, die der Pforte abgerungen wurden. Der französische Präsident, der zu jener Zeit einige Aussicht hatte, Kaiser zu werden, hatte vermutlich den Wunsch, aus diesen an die Türkei im Namen der römisch-katholischen Christen gestellten Forderungen ein wenig politisches Kapital zu schlagen. Deshalb können die ersten Schritte Rußlands auf das Vorgehen Frankreichs in dieser Frage zurückgeführt werden. Daß die Wiener <83> Note nicht unterzeichnet wurde, sei die Schuld der Alliierten, nicht der türkischen Regierung gewesen, denn die Pforte hätte sie sofort unterzeichnet, wenn man ihr mit dem Abzug der Flotte aus Besikabai gedroht hätte. Wir gehen in einen Krieg, weil wir von der Türkei verlangt haben, daß sie es in einer Note an Rußland ablehne, ihm das zuzusichern, was wir für uns selbst von ihr verlangen wollten, nämlich die Garantie für eine bessere Behandlung der Christen. Die riesige Mehrheit der Bevölkerung des Ottomanischen Reiches erwarte begierig den Erfolg gerade jener Politik, die Rußland jetzt betreibe (wie jetzt zum Beispiel in der Moldau und der Walachei). Er könne gerade an Hand der Blaubücher beweisen, daß die Kränkungen und Repressalien, denen diese christliche Bevölkerung ausgesetzt sei, nicht geduldet werden könnten - wobei er sich hauptsächlich auf Depeschen Lord Clarendons beziehe, die offenkundig in der Absicht geschrieben wurden, dem Zaren einen Gefallen zu erweisen. In einer dieser Depeschen schreibt Lord Clarendon:

"Die Pforte muß sich für die Beibehaltung eines irrigen religiösen Grundsatzes oder den Verlust der Sympathie und Hilfe seiner Alliierten entscheiden."

Dies veranlaßte Herrn Cobden zu fragen:

"Halte es das Haus für möglich, daß eine Bevölkerung wie die fanatischen Muselmanen ihre Religion aufgebe? Und ohne die vollständige Aufgabe der Gebote des Korans sei es absolut unmöglich, die Christen der Türkei den Türken gleichzustellen."

Wir können ebensogut Herrn Cobden fragen, ob es bei der bestehenden Staatskirche und den geltenden Gesetzen Englands möglich sei, die englischen Arbeiter den Cobden und Bright gleichzustellen. Weiter bemühte sich Herr Cobden, an Hand der Briefe Lord Stratford de Redcliffes und der britischen Konsularagenten zu beweisen, daß unter der christlichen Bevölkerung der Türkei allgemeine Unzufriedenheit herrsche, die drohe, in einem allgemeinen Aufstand zu enden. Wir erlauben uns, Herrn Cobden wiederum zu fragen, ob es nicht unter allen Völkern Europas eine allgemeine Unzufriedenheit mit den Regierungen und herrschenden Klassen gebe, eine Unzufriedenheit, die bald in einer allgemeinen Revolution zu enden droht? Wenn - wie in der Türkei - in Deutschland, Italien, Frankreich oder gar Großbritannien eine fremde Armee eingefallen wäre, die ihren Regierungen feindlich gesonnen ist und das aufrührerische Verlangen entfesselt -, wäre dann eines dieser Länder so lange ruhig geblieben wie die christliche Bevölkerung der Türkei?

England, das in einen Krieg zur Verteidigung der Türkei eintrete, schloß <84> Herr Cobden, kämpfe für die Herrschaft der türkischen Bevölkerung des Ottomanischen Reiches und gegen die Interessen der Mehrheit des Volkes jenes Landes. Zwischen der russischen Armee einerseits und der türkischen Armee andrerseits herrsche ein rein religiöser Streit. Alle seine Interessen verbänden England mit Rußland. Das Ausmaß seines Handels mit Rußland sei gewaltig. Wenn der Exporthandel nach Rußland lediglich 2 Millionen Pfd.St. betrage, so sei dies nur das vorübergehende Ergebnis dessen, daß Rußland noch den Schutzzollillusionen anhänge. Dennoch betrage der Import aus Rußland 13 Millionen Pfd.St. Mit Ausnahme der Vereinigten Staaten gäbe es kein anderes Land, mit dem es einen so bedeutenden Handel führe wie mit Rußland. Wenn England sich zum Kriege rüste, warum sende es dann Landstreitkräfte nach der Türkei, anstatt ausschließlich seine Flotte einzusetzen? Wenn die Zeit für den Kampf zwischen Kosakentum und Republikanertum gekommen sei, warum blieben dann Preußen, Österreich, die übrigen deutschen Staaten, Belgien, Holland, Schweden und Dänemark neutral, während Frankreich und England allein kämpfen müßten? Wenn dies eine Frage von europäischer Bedeutung sei, sollte man da nicht annehmen, daß, wer der Gefahr am nächsten wäre, als erster in den Kampf ziehen müßte? Zum Schluß erklärte Herr Cobden, "er sei gegen den Krieg mit Rußland". Seiner Meinung nach "wäre es das beste, auf die Wiener Note zurückzukommen".

Lord John Manners war der Meinung, die Regierung sei wegen ihrer Untätigkeit und gefährlichen Sorglosigkeit zu tadeln. Die ursprünglichen Mitteilungen Lord Clarendons an die Regierungen Rußlands, Frankreichs und der Türkei, in denen dieser, statt mit Frankreich gemeinsam zu handeln, eine solche Zusammenarbeit hartnäckig ablehnte und die russische Regierung wissen ließ, daß England nicht mit Frankreich gehen werde, hätten den Kaiser von Rußland bewogen, Fürst Menschikow Anweisungen zu gehen, die zu der ganzen Katastrophe geführt hätten. Kein Wunder, daß die französische Regierung, als England schließlich seine Absicht kundgab, in Konstantinopel tatsächlich etwas zu unternehmen, einige Zweifel an der Aufrichtigkeit der Regierung Ihrer Majestät habe hegen müssen. Nicht England habe der Pforte geraten, das Ultimatum des Fürsten Menschikow abzulehnen, im Gegenteil, die Minister des Sultans handelten auf eigene Gefahr und ohne jede Hoffnung auf die Hilfe Englands. Die anhaltenden diplomatischen Verhandlungen der britischen Regierung nach der Besetzung der Fürstentümer durch die Russen seien den Interessen der Türkei sehr nachteilig und denen der Russen sehr dienlich gewesen. Rußland habe von den Fürstentümern ohne Kriegserklärung Besitz ergriffen, um die Aufhebung jener Verträge zu <85> vermeiden, die ihm als tatsächliches Instrument zur Unterdrückung der Türkei dienten. Folglich sei es, nachdem die Türkei den Krieg erklärt hatte, unklug gewesen, auf der Erneuerung jener Verträge als Verhandlungsbasis bestehen. Die wichtigste und wirklich brennendste Frage sei jetzt, welche Ziele die Regierung mit ihrer Beteiligung an diesem schrecklichen Kampf verfolge. Es werde allgemein verkündet, die Ehre und Unabhängigkeit der Türkei müßten erhalten werden; es sei jedoch erforderlich, in bestimmterer Form zu erklären, was darunter zu verstehen sei.

Herr Horsfall bemühte sich, die Trugschlüsse des Herrn Cobden zu widerlegen. Die eigentliche Frage sei nicht, was die Türkei ist, sondern was Rußland werde, wenn es sich die Türkei einverleibe - die Frage also, ob der Kaiser von Rußland auch Kaiser der Türkei sein solle. Rußland strebe nur ein Ziel an, und das sei die Vergrößerung seiner politischen Macht durch Krieg. Sein Ziel sei territoriale Erweiterung. Von der ungeheuerlichen Verlogenheit, mit der der russische Autokrat den ersten Schritt in dieser Sache tat, bis zu dem entsetzlichen Massaker von Sinope sei sein Vorgehen von Grausamkeit und Betrug gezeichnet gewesen, von Verbrechen, die selbst in den Annalen Rußlands, eines Landes, dessen Geschichte nur aus Verbrechen bestehe, bemerkenswert und um so furchtbarer seien, als der Zar es wage, sich lästerlich auf den christlichen Glauben zu berufen, gegen dessen Gebote er so schamlos verstoße. Die Haltung des ausersehenen Opfers dagegen sei bewundernswert gewesen. Danach gab sich Herr Horsfall viel Mühe, den schwankenden Kurs der Regierung mit der schwierigen Lage zu entschuldigen, in der sie sich befinde. Daher ihre zögernde Diplomatie. Selbst das Auftreten aller Kabinette Europas und der erfahrensten Diplomaten gegen den Autokraten hätte diesen in keine schwierigere und verzwicktere, verzweifeltere und gefährlichere Lage bringen können, als dies entweder die Fehler unserer Minister oder des Autokraten eigene Schläue getan haben. Vor sechs Monaten sei Kaiser Nikolaus die Hauptstütze der Ordnung und Legitimität in Europa gewesen; nun habe er die Maske abgelegt und trete als der größte Revolutionär hervor. Es sei wirklich eine Freude, zu sehen, wie schnell doch der Zar seine Positionen verliere, nachdem seine politischen Intrigen gescheitert sind, er ohne militärischen Erfolg in Asien geblieben und von den Türken an der Donau gründlich durchgeprügelt worden ist. Jetzt sei es die Pflicht der Regierung, falls die Feindseligkeiten beginnen sollten, dafür zu sorgen, daß ein Friede nur zu solchen Bedingungen abgeschlossen werde, die ausreichende und sichere Garantien gegen jede Wiederholung eines ähnlichen Überfalls in der Zukunft böten. Er glaube, eine der Bedingungen für die Wiederherstellung des Friedens müsse sein, <86> daß Rußland die Türkei für die ihr verursachten Ausgaben entschädige und die Türkei als materielle Garantie die ihr geraubten Gebiete wiedererhalte.

Herr Drummond nahm an, wir gerieten in einen Religionskrieg und seien drauf und dran, einen neuen Kreuzzug um das Grab Gottfried von Bouillons zu führen, das bereits so sehr verfallen sei, daß man nicht mehr darauf sitzen könne. Wie es scheine, sei der Schuldige an dem Unheil von Anfang an der Papst gewesen. England habe nicht das geringste Interesse an der türkischen Frage, und ein Krieg zwischen ihm und Rußland könne zu keinem erfolgreichen Ende gebracht werden, da sie einander ewig bekriegen und doch nie wehe tun würden.

"Der jetzige Krieg wird Ihnen nichts als harte Schläge einbringen."

Herr Cobden habe sich vor einiger Zeit erboten, Rußland zu bändigen, und wenn er dies jetzt täte, erspare er England eine Unmenge Kummer. Eigentlich ginge es bei dem gegenwärtigen Streit darum, ob die Putzhändler aus Paris oder aus St. Petersburg die Idole des Heiligen Grabes anputzen sollen. England sei jetzt dahintergekommen, daß die Türkei sein alter Alliierter sei, den es für das europäische Gleichgewicht dringend benötige. Wie in aller Welt habe es aber geschehen können, daß es nicht dahintergekommen ist, bevor es der Türkei das gesamte Königreich Griechenland wegnahm und ehe es die Schlacht bei Navarino schlug, die Lord St. Helens, wie er sich erinnere, als bedeutend bezeichnet habe, nur, daß Englands Schläge dabei den Falschen getroffen hätten. Warum habe es nicht daran gedacht, als die Russen durch den Balkan zogen und es den Türken mit seiner Flotte hätte wirksame Hilfe leisten können? Jetzt aber, nachdem es England dahin gebracht habe, daß das Ottomanische Reich äußerst gebrechlich ist, glaube es, diesen wankenden Staat unter dem Vorwand des Gleichgewichts der Kräfte stützen zu können. Nach einigen sarkastischen Bemerkungen über die plötzliche Begeisterung für Bonaparte fragte Herr Drummond, wer Kriegsminister werden solle? Sie alle hätten genug gesehen, um zu wissen, daß eine schwache Hand am Ruder sei. Er glaube nicht, daß in den Händen der gegenwärtigen Administration die Ehre eines Generals oder Admirals unbefleckt bleibt. Sie sei imstande, jeden Beliebigen zu opfern, um irgendeiner Partei des Hauses zu gefallen. Wenn England zum Kriege entschlossen sei, dann müsse es seine Schläge gegen das Herz Rußlands führen und nicht seine Kugeln im Schwarzen Meer vergeuden. Es müsse zu allem Anfang die Wiederherstellung des Königreiches Polen proklamieren. Vor allem möchte er erfahren, was die Regierung vorhabe.

<87> "Das Haupt der Regierung", sagte Herr Drummond, "brüste sich mit seiner Fähigkeit, etwas geheimzuhalten, und habe einmal erklärt, daß er denjenigen sehen möchte, der aus ihm Informationen herausholen könne, die er nicht zu geben beabsichtigt habe. Dieser Ausspruch erinnere ihn an eine Anekdote, die er einmal in Schottland gehört habe: Ein Bergschotte, der nach Indien gereist war, brachte bei seiner Rückkehr nach England als Geschenk für sein Weib einen Papagei mit, der ungewöhnlich gut sprechen konnte. Ein Nachbar, der sich nicht ausstechen lassen wollte, reiste nach Edinburgh und brachte seinem Weibe eine große Eule mit. Als ihm bedeutet wurde, daß die Eule nie sprechen lernen werde, antwortete er, 'das ist freilich wahr, aber man bedenke, welche Kraft des Gedankens ihr innewohnt'."

Herr Butt erklärte, dies sei das erste Mal seit der Revolution, daß ein Ministerium vor das Haus trete und Mittel für die Kriegführung beantrage, ohne einen derartigen Antrag klar und ausführlich zu begründen. Im rechtlichen Sinne des Wortes stünden sie noch nicht im Kriege, und wenn das Haus für diese Kredite stimmen solle, habe es ein Recht, zu erfahren, was die Kriegserklärung an Rußland verzögert habe. Wie zweideutig sei doch die Lage der britischen Flotte im Schwarzen Meer! Admiral Dundas habe Befehl, russische Schiffe in einen russischen Hafen zurückzuweisen; und wenn er nun bei der Ausführung dieses Befehls ein russisches Schiff während des Friedenszustandes mit Rußland zerstöre - wären die Minister darauf vorbereitet, einen solchen Vorfall zu rechtfertigen? Er hoffe auf eine Erklärung, ob die Türkei zu jenen erniedrigenden Bedingungen unterstützt werden solle, nach denen sie sich zum Abschluß eines Friedens mit Rußland in die Hände Englands und Frankreichs begeben müsse? Wenn Englands Politik so aussehe, dann fordere man jetzt vom Parlament die Bewilligung zusätzlicher Streitkräfte nicht für die Unabhängigkeit der Türkei, sondern zu ihrer Unterjochung. Herr Butt hegte eine gewisse Besorgnis, daß die Minister mit diesen Kriegsvorbereitungen lediglich paradieren, um zu einem schimpflichen Frieden zu gelangen.

Herr S. Herbert, der Kriegsminister, hielt eine derart fade und dumme Rede, wie man sie selbst von einem Koalitionsminister in einer so ernsten Krise kaum erwarten konnte. Die Regierung stehe zwischen zwei Feuern und wisse nicht, wie sie die wirkliche Meinung des Hauses zu der vorliegenden Frage erfahren könne. Die ehrenwerten Herren auf der Gegenseite hätten den Vorteil, mit Tatsachen operieren zu können; sie kritisierten die Vergangenheit; die Regierung aber habe es nicht mit Tatsachen zu tun - sie könne über die Zukunft nur spekulieren. Sie sei nicht so sehr geneigt, in diesen Krieg einzutreten, um die Türkei zu schützen, sondern vielmehr, um Rußland entgegenzutreten. Das war alles, was das Haus von dem armen <88> Herrn Herbert "über die Zukunft" erfahren konnte. Doch nein, er erzählte ihnen noch etwas ganz Neues. Herrn Herbert zufolge "repräsentiert Herr Cobden die Stimmung der zahlreichsten Klasse dieses Volkes". Als dieser Behauptung von allen Seiten des Hauses widersprochen wurde, fügte Herr Herbert hinzu:

"Wenn nicht die zahlreichste Klasse, so repräsentiere das ehrenwerte Mitglied doch auf jeden Fall einen großen Teil der arbeitenden Klassen dieses Landes."

Armer Herr Herbert! Es war wirklich erfrischend, als nach ihm Herr Disraeli das Wort ergriff und so ein echter Redner an die Stelle des Schwätzers trat.

Herr Disraeli begann mit folgender Erklärung, wobei er auf die theatralischen Deklamationen anspielte, mit denen Lord John Russell am Freitag abend seine Rede beendet hatte:

"Ich war immer der Meinung, jede Nation und besonders diese werde weitaus bereiter und gewillter sein, die Bürde zu tragen, die ein Krieg ihr unvermeidlich auferlegt, wenn sie wirklich wisse, wofür sie Krieg führt, als wenn sie durch flammende Appelle an ihre Leidenschaften in den Kampf getrieben und von einer Erregung fortgerissen werde, die im ersten Moment wohl einem Minister genehm sein könnte, der aber nach einigen Monaten die unvermeidlichen Auswirkungen des Unwissens, oder vielleicht des Unwissens gepaart mit der Katastrophe, folgten."

So sei es mit dem Krieg 1828/29 gewesen, an dem England auf der Seite Rußlands und nicht auf der der Türkei teilnahm. Die gegenwärtig verwickelte Lage und den erschöpften Zustand der Türkei in der letzten Zeit müsse man gänzlich den Geschehnissen jenes Krieges zuschreiben, in dem sich England und Frankreich gegen die Türkei vereint hatten. Zu jener Zeit habe es nicht ein Mitglied des Hauses gegeben, das wirklich eine Ahnung davon gehabt hätte, weshalb England in den Krieg eingetreten war oder welches Ziel es mit einem Schlag gegen den türkischen Staat verfolgte. Deshalb müßte man Ursache und Ziel des jetzigen Krieges klar verstehen können. Dies könne man nur aus den Blaubüchern erfahren. Was zu dem augenblicklichen Stand der Dinge geführt habe, könne man genau den auf diesem Tisch liegenden Depeschen entnehmen. Die darin entwickelte Politik habe jene Zukunft vorbereitet, die nach Ansicht der Minister ihre Aufmerksamkeit vollkommen in Anspruch nehmen sollte. Er protestiere deshalb gegen die Doktrin Sir James Grahams. Herr Herbert habe gerade gegen das Verlesen einzelner Seiten aus diesen Berichten protestiert. Er könne jedoch nicht versprechen, dem Hause diese Blaubücher ganz vorzulesen; wenn aber dem Einwand des sehr ehrenwerten Herrn stattgegeben werde, bleibe ihm wohl <89> kein anderer Weg. Nach der verbreiteten Meinung all derer, die mit der orientalischen Frage gut vertraut seien, und auch nach seiner eigenen, beabsichtige Rußland nicht im geringsten, das Ottomanische Reich mit Gewalt zu erobern, sondern durch eine geschickte Politik und mit vervollkommneten Methoden einen Einfluß auf die christliche Bevölkerung des Türkischen Reiches zu gewinnen und auszuüben, der ihm womöglich dieselbe Macht verschaffte, wie wenn es den Thron des Sultanreiches besäße. Zu Beginn dieser Verhandlungen habe Graf Nesselrode selbst die Politik Rußlands klar und deutlich in seinen Depeschen vom Januar und Juni 1853 dargelegt. Das Übergewicht im Türkischen Reich solle durch die Ausübung eines besonderen Einflusses auf 12 Millionen Menschen, der großen Mehrheit der Untertanen des Sultans, erzielt werden. In den russischen Depeschen an die britische Regierung werde diese Politik nicht nur erläutert, sondern der britischen Regierung nicht weniger offen auch mitgeteilt, wie sie durchgeführt werden solle - nicht durch Eroberung, sondern indem die bestehenden Verträge aufrechterhalten würden und ihre Auslegung erweitert werde. So habe man von Anbeginn dieses bedeutenden Streits die Grundlage der diplomatischen Kampagne in einem Vertrag erblickt - dem Vertrag von Kainardschi. Dieser Vertrag unterstelle die christlichen Untertanen der Pforte dem besonderen Schutz des Sultans; nach der Auslegung aber, die Rußland diesem Vertrage gebe, seien die christlichen Untertanen des Sultans speziell dem Schutz des Zaren unterstellt. Auf Grund des gleichen Vertrages könne Rußland zum Schutze seiner neuen Kirche - einem Gebäude in der Straße Bey Oglu - vorstellig werden; nach der russischen Auslegung des entsprechenden Artikels im Vertrag sei Rußland berechtigt, zum Schutze jeder Kirche griechisch-orthodoxen Bekenntnisses und natürlich aller Gemeinden dieses Glaubens auf dem Herrschaftsgebiet des Sultans, die auch gleichzeitig die große Mehrheit seiner Untertanen umfassen, einzugreifen. Das sei die offen eingestandene Auslegung des Vertrages von Kainardschi durch Rußland. Andrerseits könne man einer Depesche Sir Hamilton Seymours vom 8. Januar 1853 entnehmen, daß Graf Nesselrode Sir Hamilton und dieser wiederum Lord Clarendon mitgeteilt habe, "es sei notwendig, die Diplomatie Rußlands durch eine Demonstration der bewaffneten Macht zu unterstützen". Der gleichen Depesche zufolge beruhe die Überzeugung Graf Nesselrodes, daß diese Frage zu einem zufriedenstellenden Abschluß gebracht werde, auf den "Bemühungen, die die Gesandten Ihrer Majestät in Paris und Konstantinopel unternehmen würden". Rußland habe daraufhin sofort erklärt, eine Demonstration der bewaffneten Macht bleibe nur eine Demonstration, doch das Ziel müsse auf friedlichem Wege durch die <90> Bemühungen der englischen Gesandten in Paris und Konstantinopel erreicht werden.

"Nun, Sir", fuhr Herr Disraeli fort, "möchte ich gern wissen, wie diese Gesandten sich - nach dieser Darlegung des Ziels, dieser Aufzahlung der Mittel und bei dieser Diplomatie - zu einer solchen Kombination verhielten."

Es sei nicht nötig, das Problem der Heiligen Stätten zu berühren. Dies wurde wirklich bald in Konstantinopel geregelt. Selbst Graf Nesselrode habe noch ganz zu Anfang dieser Verhandlungen angesichts der versöhnlichen Haltung Frankreichs seine Überraschung und Befriedigung ausgedruckt und sich anerkennend darüber geäußert. Während dieser ganzen Zeit jedoch habe Rußland seine Streitkräfte an den türkischen Grenzen zusammengezogen und Graf Nesselrode habe Lord Clarendon erzählt, daß seine Regierung eine gleichwertige Entschädigung für die Privilegien verlangen werde, die die griechisch-orthodoxe Kirche in Jerusalem verloren und zu deren Regelung man seine Regierung nicht hinzugezogen hätte. Selbst die Mission des Fürsten Menschikow sei zu jener Zeit erwähnt worden, wie verschiedene Depeschen Sir Hamilton Seymours zeigen. Lord John Russell habe ihnen letztes Mal gesagt, das Benehmen des Grafen Nesselrode sei das eines Betrügers. Andrerseits bekenne Lord John Russell, daß Graf Nesselrode unaufhörlich erkläre, sein kaiserlicher Herr werde eine gleichwertige Entschädigung für die griechisch-orthodoxe Kirche fordern; gleichzeitig aber beklage er sich, daß ihnen Graf Nesselrode niemals gesagt habe, was er wolle.

"Boshafter Graf Nesselrode!" (Gelächter.) "Schurkische Falschheit russischer Staatsmänner!" (Gelächter.) "Warum konnte der edle Lord nicht erfahren, was er zu erfahren wünschte? Wozu sitzt Sir Hamilton Seymour in St. Petersburg, wenn er nicht die nötigen Informationen fordern darf?"

Wenn ihm Graf Nesselrode niemals sage, was er wolle, so deshalb, weil der edle Lord sich immer nicht getraue, ihn zu fragen. Bei diesem Stand der Dinge seien die Minister verpflichtet, kategorische Fragen an das St. Petersburger Kabinett zu stellen. Wenn dieses nicht darlegen könne, was es eigentlich wolle, so sei es für die britische Regierung an der Zeit, zu erklären, daß es mit den freundschaftlichen Diensten in Paris und Konstantinopel vorbei sei. Als Lord John Russell von seinem Amt zurückgetreten war und ihn Lord Clarendon ablöste, habe sich der Charakter der diplomatischen Vorgänge zugunsten Rußlands geändert. Als Lord Clarendon Minister des Auswärtigen wurde, habe er Instruktionen für Lord Stratford de Redcliffe, den Gesandten der Königin, abfassen müssen, mit denen dieser sich zum Schauplatz der Handlung begab. Wie aber sahen diese Instruktionen aus? Zu einer Zeit, da <91> sich die Türkei in höchster Not und Bedrängnis befindet, predige man ihr innere und Handelsreformen. Man gibt ihr zu verstehen, daß sich ihr Tun durch höchste Mäßigung und Klugheit auszeichnen müsse, was bedeutet, daß sie sich mit den Forderungen Rußlands einverstanden erklären müsse. Inzwischen versäume es die Regierung nach wie vor, eine unmißverständliche Erklärung darüber zu verlangen, was man auf russischer Seite eigentlich beabsichtige. Fürst Menschikow traf in Konstantinopel ein. Nachdem Lord Clarendon von Oberst Rose äußerst beunruhigende Sendschreiben und von Sir Hamilton Seymour warnende Mitteilungen empfangen hatte, habe er in einem Brief an Lord Cowley, den britischen Gesandten in Paris, den Befehl des Oberst Rose zur Ausfahrt der britischen Flotte getadelt und den Befehl an den französischen Admiral bedauert, nach den griechischen Gewässern zu segeln, wobei er Frankreich mit der verächtlichen Belehrung beehrte, "daß eine Politik des Mißtrauens weder weise noch sicher sei", und erklärte, daß er den feierlichen Versicherungen des Kaisers von Rußland, das Türkische Reich aufrechtzuerhalten, vollauf vertraue. Dann schreibt Lord Clarendon seinem Gesandten in Konstantinopel, er sei ganz sicher, daß die Ziele der Mission Fürst Menschikows, "welche sie auch immer seien, weder die Macht des Sultans noch die Integrität seines Herrschaftsgebietes gefährdeten". Ja, Lord Clarendon ging so weit, den einzigen Alliierten Englands in Europa zu beschuldigen, der Grund, weshalb England jetzt Verwicklungen im Orient befürchte, sei allein die Haltung, die Frankreich eine Zeitlang den Heiligen Stätten gegenüber eingenommen habe. Dementsprechend habe Graf Nesselrode Lord Aberdeen zu der "beau rôle" <edlen Rolle> (im Blaubuch übersetzt mit "important role" <bedeutende Rolle>) beglückwünscht, die er dabei gespielt habe, daß Frankreich "isolée" <"isoliert"> geblieben sei. Am 1. April habe England durch Oberst Rose von dem geheimen Abkommen erfahren, das Rußland von der Türkei forderte. Nur zehn Tage später sei Lord Stratford in Konstantinopel eingetroffen und habe die Erklärungen von Oberst Rose bestätigt. Nach alledem schreibt Lord Clarendon am 16. Mai an Sir H. Seymour,

"die Erklärungen des Kaisers von Rußland", Erklärungen, die nicht in den Blaubüchern enthalten seien, "entzogen allen Befürchtungen die Grundlage, die ganz Europa wegen des Vorgehens Fürst Menschikows in Verbindung mit den militärischen Vorbereitungen im Süden Rußlands verständlicherweise gehegt habe".

Daraufhin glaubte Graf Nesselrode, Lord Clarendon am 20. Juni dreist mitteilen zu können, daß Rußland die Fürstentümer besetzt habe. In diesem Dokument erklärt Graf Nesselrode,

<92> "daß der Kaiser die Provinzen als Unterpfand besetzen wolle, bis ihm Genugtuung werde; daß er mit diesem Vorgehen seinen Erklärungen gegenüber der englischen Regierung treu geblieben sei; daß er dem Londoner Kabinett, indem er mit ihm Meinungen über die militärischen Vorbereitungen austausche, die mit der Eröffnung der Verhandlungen zusammenfielen, nicht verhehle, daß die Zeit noch kommen könnte, da er sich gezwungen sehen werde, die Hilfe Englands in Anspruch zu nehmen, wobei er die englische Regierung zu den von ihr bewiesenen freundschaftlichen Absichten beglückwünsche, ihre Haltung der Frankreichs entgegenstelle und alle Schuld für kommende Mißerfolge Fürst Menschikows Lord Stratford gebe".

Lord Clarendon verfaßt nach alledem am 4. Juli ein Zirkular, worin er noch immer auf die Gerechtigkeit und Mäßigung des Kaisers hofft und sich dabei auf die wiederholte Erklärung des Kaisers beruft, daß er die Integrität des Türkischen Reiches respektieren werde. Am 18. Juli schreibt er an Lord Stratford, daß

"Frankreich und England Rußland gewiß bezwingen könnten, wenn sie nur ernsthaft wollten, doch könnte die Türkei inzwischen völlig verwüstet werden, und deshalb seien friedliche Verhandlungen der einzig richtige Weg".

Was aber damals ein gutes Argument gewesen sei, sei es auch jetzt. Entweder lasse sich die Regierung von derartigem Vertrauen leiten, das schon krankhafter Leichtgläubigkeit gleiche, oder sie sei der Begünstigung schuldig. Die Ursache des Krieges müsse darin gesehen werden, wie die Regierung Ihrer Majestät die Verhandlungen während der letzten sieben Monate geführt habe. Sei es Leichtgläubigkeit, so könne Rußland durch seine treulose Haltung den Ausbruch eines Kampfes beschleunigt haben, der vielleicht unvermeidbar gewesen wäre, einen Kampf, durch den die Unabhängigkeit Europas, die Sicherheit Englands und der Zivilisation errungen werden könnte. Sei es Begünstigung, so werde es ein ängstlicher, ein unentschlossener Krieg, ein Krieg ohne Ergebnis oder, besser, mit genau den Ergebnissen, die ursprünglich beabsichtigt waren. Am 25. April habe Lord Clarendon vor dem Oberhaus die unwahre Erklärung abgegeben, daß die Mission Menschikows darin bestände, den Streit bezüglich der Heiligen Stätten zu schlichten, obgleich er wußte, daß dies nicht der Wahrheit entsprach. Als Nächstes legte Herr Disraeli kurz die Geschichte der Wiener Note dar, um entweder die völlige Dummheit des Ministeriums oder die Begünstigung des St. Petersburger Hofes durch das Ministerium zu beweisen. Hierauf kam er auf die dritte Periode zu sprechen, auf die Pause, die zwischen dem Mißerfolg der Wiener Note und der Schlacht von Sinope lag. Damals habe der Schatzkanzler, Herr Gladstone, auf einer öffentlichen Versammlung in höchst ver- <93> ächtlichem Tone von der Türkei gesprochen. Das gleiche taten auch die halbamtlichen Zeitungen. Die Energie der Türken selbst sei es gewesen, die die Lage und das Schicksal der Türkei verändert und das Kabinett zu einem anderen Tone veranlaßt habe. Kaum aber sei die Schlacht von Oltenitza ausgetragen worden, als die Politik der Leichtgläubigkeit oder die Politik der Begünstigung wieder ihr schmutziges Werk begonnen habe. Das Gemetzel von Sinope jedoch habe wieder zugunsten der Türken gewirkt. Die Flotten erhielten den Befehl, ins Schwarze Meer einzulaufen. Doch was taten sie? Sie kehrten zum Bosporus zurück! In bezug auf die Zukunft habe Lord John Russell die Bedingungen der englischen Allianz mit Frankreich nur sehr unklar erläutert. Herr Disraeli ermahnte, man solle die Erhaltung des Gleichgewichts der Kräfte nicht mit der Erhaltung der gegenwärtigen territorialen Gliederung Europas verwechseln. Die Zukunft Italiens hänge hauptsächlich von der Anerkennung dieser Wahrheit ab.

Nach der glänzenden Rede des Herrn Disraeli, die ich natürlich nur in den Hauptzügen wiedergegeben habe, nahm Lord Palmerston das Wort und erlitt ein völliges Fiasko. Er wiederholte teilweise die Rede, die er beim Abschluß der letzten Session gehalten hatte, verteidigte in einer wenig überzeugenden Art die Politik des Ministeriums und war äußerst besorgt, kein Wort fallen zu lassen, das neue Informationen enthalten könnte.

Auf den Antrag Sir J. Grahams wurden dann einige Posten der Flottenveranschlagungen ohne Diskussion bewilligt.

Das Merkwürdigste an diesen erregten Debatten ist schließlich, daß es dem Hause völlig mißlang, den Ministern eine förmliche Kriegserklärung an Rußland oder auch eine Darlegung der Ziele zu entlocken, um deretwillen sie sich in den Krieg stürzen wollen. Das Haus und die Öffentlichkeit wissen jetzt nicht mehr als zuvor. Sie haben überhaupt keine neuen Informationen erhalten.

Karl Marx