Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 9, S. 456-461
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1960

Karl Marx

[Die persische Kampagne in Afghanistan und die russische Kampagne in Mittelasien -
Dänemark -
Kriegshandlungen an der Donau und in Asien -
Die Kohlengrubenarbeiter von Wigan]

Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 3928 vom 18. November 1853]

<456> London, Freitag, 4. November 1853

Schafi Khan, der persische Botschafter am Hof von St. James <königlicher Palast in London>, ist plötzlich vom Schah aus England abberufen worden. Diese Abberufung fällt seltsamerweise mit den Operationen Persiens in Afghanistan zusammen, wo es Herat eingenommen haben soll, und mit der russischen Kampagne gegen Chiwa, der Hauptstadt des Khanats von Chiwa. Die persische und die russische Kampagne können als zwei Unternehmen angesehen werden, die - das eine vom Westen, das andere vom Norden her - auf das Pandschab, den nördlichen Vorposten der britischen Besitzungen im Osten, gerichtet sind. Die russische Kampagne wird von General Perowski befehligt, dem gleichen also, dessen Chiwa-Kampagne 1839/1840 gescheitert war. Die Russen, die in den letzten Jahren eine Flottille im Aralsee aufgebaut haben, sind jetzt in der Lage, den Fluß Amu-Darja hinaufzufahren.

Eine große russische Flotte kreuzt in der Ostsee, wo sie vor kurzem Gelegenheit hatte, die Befestigungen von Slite und den Hafen der schwedischen Insel Gotland in Augenschein zu nehmen, auf die Rußland genauso begierig ist wie seinerzeit auf die Alandsinseln, dicht an der Küste Schwedens, die es in seinen Besitz gebracht hat und 1836 stark befestigte. Von Gotland begab sich die russische Flotte zum Kattegat und zum Sund, um den vom König von Dänemark beabsichtigten Staatsstreich in dem sehr wahrscheinlichen Falle zu unterstützen, daß der Reichstag in Kopenhagen die sogenannte Gesamtstaatsverfassung nicht widerspruchslos annimmt, die der großmütige Zar ihm aufzwingt. Die Lage der Dinge in Kopenhagen ist folgende: Der dänischen Regierung ist es dank der Hilfe, die ihr die "Gesellschaft der <457> Bauernfreunde" gewährte, gelungen, die Aufhebung der Lex Regia durchzusetzen und das neue Gesetz der königlichen Erbfolge einzuführen. Diese Partei strebt unter der Führung von Oberst Tscherning hauptsächlich nach der Umwandlung des Festen Guts, einer Art feudalem bäuerlichen Lehen, in freies Eigentum und nach der Einführung eines Gemeinderechts, das für die Interessen und die Entwicklung der Bauernschaft vorteilhaft ist. Die mit Fug und Recht national und liberal genannte Partei - die Partei der Eiderdänen -, die 1848 das Kasino-Ministerium bildete, dem König die Verfassung von 1849 aufzwang und den Krieg gegen Schleswig-Holstein führte - und die hauptsächlich aus Vertretern der geistigen Berufe bestand, hatte es, wie die übrigen liberalen Parteien des ganzen Kontinents, unterlassen, die Interessen der Masse der Bevölkerung, die in Dänemark die Bauernschaft darstellte, zu berücksichtigen. Auf diese Weise ging ihr Einfluß auf das Volk verloren, und der Regierung ist es fast völlig gelungen, sie aus dem gegenwärtigen Folketing auszuschließen, in dem sie heute über kaum mehr als zehn Vertreter verfügen. Nachdem die Regierung sich der verhaßten Opposition der Eiderdänen mit Hilfe der "Gesellschaft der Bauernfreunde" entledigt hatte, warf sie jedoch die Maske ab und berief den beiden Parteien verhaßten Herrn Ørstedt ins Kabinett; und hörte so nicht nur auf, der Bauernpartei länger zu schmeicheln, sondern verbot durch ein königliches Veto die Veröffentlichung des neuen Gemeinderechts, das seinerzeit von derselben Regierung eingebracht worden war, um die Bauern zu fangen. Die "Gesellschaft der Bauernfreunde", von der Regierung getäuscht und mißbraucht, ist ein Bündnis mit den Eiderdänen eingegangen, und hat Monrad, einen Geistlichen und einen der Führer der Eiderdänen, zum Vizepräsidenten des Ausschusses ernannt, der über die Verfassungsfrage berät. Diese Koalition hat jede Hoffnung vereitelt, die Verfassung auf gesetzlichem Wege zu beseitigen, und da der ganze Plan von den Moskowitern und für die Moskowiter gemacht worden war, taucht folgerichtig ausgerechnet im Augenblick der Krise eine russische Flotte in den dänischen Gewässern auf.

Alle Zeitungen aus Wien und Berlin bestätigen die Nachricht, daß starke Divisionen der türkischen Armee die Donau überquert haben. Der "Oesterreichischen Correspondenz" zufolge sind die Türken von den Russen in der Kleinen Walachei zurückgeschlagen worden. Eine telegraphische Depesche bestätigt, daß es zwischen den beiden Armeen in Asien am 21. Oktober zu einem ernsthaften Gefecht gekommen ist. Wir müssen auf ausführlichere und authentischere Nachricht warten, um die Umstände erklären zu können, die den türkischen Oberbefehlshaber veranlaßt haben mögen, bei Widdin die Donau zu überschreiten, ein Manöver, das auf den ersten Blick hin als ein <458> grober Fehler betrachtet werden muß. Die "Kölnische Zeitung" gibt bekannt, daß Fürst Gortschakow von allen Schatztruhen der Walachei (es wird nicht gesagt, ob die der Regierung oder andere) Besitz ergriffen hat; und einer anderen deutschen Zeitung zufolge hat derselbe General alles Getreide, das an der Donau eingelagert war und in andere Länder exportiert werden sollte, ins Landesinnere bringen lassen.

Die Nachrichten von dem militärischen Übergewicht, das Schamyl über Fürst Woronzow errungen hat, werden in den französischen Zeitungen von heute bestätigt. Wir lesen in der "Agramer Zeitung", daß Fürst Danilo ein wichtiges Schreiben aus Rußland erhalten habe und daß der Fürst nach dessen Erhalt den Befehl erteilt habe, sämtliche, Getreide, das aus dem Gebiet von Montenegro eingebracht worden war, nach Zabljak zu verlagern. Patronen werden angefertigt und Kugeln gegossen. Es heißt, Rußland habe den Wladika <Herrscher von Montenegro> darüber informiert, daß ein Zusammenstoß zwischen den Türken und den Russen bevorstehe, daß der Krieg einen patriotischen und heiligen Charakter habe und daß die Montenegriner ihre Grenzen sorgsam bewachen sollten, damit der Pforte von den benachbarten Provinzen keinerlei Hilfe geleistet werden könne.

"Der Wanderer" aus Wien vom 28. Oktober behauptet, daß gemäß einem Brief aus St. Petersburg Kaiser Nikolaus die Bildung einer Reservearmee angeordnet habe; ihr Hauptquartier werde in Wolhynien sein.

Am vergangenen Dienstag ereigneten sich in Blackburn anläßlich der Wahl der Ratsmitglieder für den St.-Peter-Bezirk Unruhen, wobei Militär eingreifen mußte.

Hinsichtlich der Unruhen in Wigan erklärte Herr Cowell, der Führer der Arbeiter in Preston, in einer öffentlichen Versammlung, daß

"er das, was in Wigan vorgefallen sei, sehr bedauere. Es täte ihm leid, daß die Leute von Wigan nicht mehr Verstand hätten, als zu einem System der Gleichmacherei ihre Zuflucht zu nehmen. Es wäre sinnlos, wenn sich Arbeiter zusammentäten und das Eigentum zerstörten, das sie selbst geschaffen haben. Das Eigentum selbst füge ihnen nie Unrecht zu - die Menschen, die das Eigentum besitzen, seien die Tyrannen. Die Arbeiter sollten Eigentum und Leben respektieren, und bei friedlichem, ordentlichem und ruhigem Vorgehen könnten sie sich darauf verlassen, daß der Kampf zu ihren Gunsten ausgehen werde."

Ich bin zwar weit davon entfernt, die ziellosen Gewaltakte zu verteidigen, welche von den Kohlengrubenarbeitern von Wigan begangen wurden und die dafür mit dem Blut von sieben Menschen gezahlt haben. Aber andrerseits <459> verstehe ich, daß es besonders für die untersten Schichten der Arbeiterklasse, zu denen die Grubenarbeiter zweifellos gehören, sehr schwierig ist, "friedlich, ordentlich und ruhig" vorzugehen, wenn sie durch äußerste Not und kaltschnäuzige Unverschämtheit ihrer Fabrikherren zu blindwütigen Handlungen getrieben werden. Die Unruhen sind von letzteren provoziert worden, um Militär zu Hilfe rufen zu können und um - wie sie es in Wigan getan haben - alle Versammlungen der Arbeiter auf den Befehl der Polizeibehörden hin zu verbieten. Der Aufruhr, der sich am Freitag vormittag in Wigan ereignete, war durch die Grubenbesitzer des Distrikts verursacht worden, die sich in großer Zahl in Whitesides Royal Hotel versammelt hatten, um über die Forderungen der Grubenarbeiter zu beraten und durch ihren Beschluß alle Kompromisse mit den Arbeitern zurückzuweisen. Der Sturm auf das Sägewerk in Haigh, in der Nähe von Wigan, der am Montag geschah, war gegen die fremden Grubenarbeiter gerichtet, die von Herrn Peace, dem Agenten des Earl of Balcarres, aus Wales herbeigeholt worden waren, um die Streikenden aus den Kohlengruben zu ersetzen.

Gewiß taten die Grubenarbeiter nicht recht daran, ihre Arbeitsgefährten mit Gewalt daran zu hindern, die Arbeit zu verrichten, die sie selbst aufgegeben hatten. Aber wenn man sieht, wie die Fabrikanten sich gegenseitig bei hohen Geldstrafen verpflichten, ihre Aussperrung durchzusetzen, kann einen dann die heftigere, aber weniger heuchlerische Art verwundern, in der die Arbeiter versuchen, ihren Ausstand zu erzwingen? Herr Joseph Hume selbst sagt in einem an die Arbeiter von Preston gerichteten Brief:

"Ich sehe auf der Liste derjenigen, die für die Schlichtung der Streitigkeiten unter den Nationen durch Verhandlungen an Stelle kriegerischer Auseinandersetzungen eintreten, viele Fabrikanten, die augenblicklich gegen ihre Arbeiter Krieg führen.'

Die Assoziation der Fabrikanten von Preston hat ein Manifest veröffentlicht, um die allgemeine Aussperrung zu rechtfertigen. Ihre Aufrichtigkeit kann aus der Tatsache ersehen werden, daß der Geheimbund der Fabrikanten, von dessen Programm ich den Lesern vor ungefähr zwei Monaten berichtete, mit keinem Wort erwähnt ist; auf diese Weise bekommt das wohlbedachte Ergebnis der Verschwörung den Anstrich, als sei es eine Notwendigkeit, die die Arbeitgeber nicht umgeben konnten. Sie werfen den Arbeitern vor, 10% Lohnerhöhung gefordert zu haben, nicht mehr und nicht weniger. Sie sagen der Öffentlichkeit jedoch nichts davon, daß die Fabrikanten, als sie 1847 die Löhne um 10% kürzten, versprochen haben, diese wieder heraufzusetzen, sobald sich der Handel wieder belebe; sie verschweigen ebenso, daß <460> die Arbeiter immer wieder von dem Wiederaufblühen des Handels durch die begeisterten Schilderungen der Herren Bright, Cobden & Co., durch die Deklamationen der gesamten Bourgeoispresse und durch die Thronrede bei der Eröffnung des Parlaments unterrichtet wurden. Sie sagen uns nichts darüber, daß das Brot um mehr als 40% teurer geworden ist, Kohlen um 15 bis 20%, daß Fleisch, Kerzen, Kartoffeln und alle anderen Artikel, die in großem Maße den Bedarf der Arbeiterklasse betreffen, um ungefähr 20% teurer als früher sind und daß die Fabrikanten ihre Gegner mit Hilfe der Losung: Billiges Brot und hoher Lohn! besiegten. Sie werfen den Arbeitern vor, weiterhin Gleichheit der Löhne in der gleichen Stadt für Fabriken gleicher Art erzwingen zu wollen. Aber geht nicht die ganze Doktrin ihrer Lehrmeister Ricardo und Malthus von der Annahme aus, daß eine solche Gleichheit im ganzen Land besteht? Sie sagen, die Arbeiter handelten nach den Anweisungen eines Komitees. Sie wären durch "Fremde", "Eindringlinge", "Aufwiegler" angestiftet worden. Genau dasselbe behaupteten die Protektionisten, die denselben Fabrikanten zur Zeit der Anti-Korngesetz-Liga vorwarfen, von den Herren Bright und Cobden, "zwei professionellen Aufwieglern", gelenkt zu werden und blindlings nach den Anordnungen des Revolutionskomitees von Manchester zu handeln, Steuern zu erheben, eine Armee von Rednern und Missionaren zu befehligen, das Land mit kleinen und großen Druckschriften zu überfluten und einen Staat im Staate zu bilden. Das Merkwürdigste ist, daß die Fabrikanten, die die Arbeiter beschuldigen, "nach den Anweisungen eines Komitees zu handeln", sich selbst "vereinigte Fabrikantenassoziation" nennen, ihr eigenes Manifest durch ein Komitee veröffentlichen und sich mit den "Fremden" aus Manchester, Bolton, Bury etc. verschwören. Die "Fremden", von denen das Manifest der Fabrikanten spricht, sind lediglich die Arbeiter der benachbarten Industrieorte.

Ich bin jedoch weit davon entfernt, anzunehmen, daß die Arbeiter das unmittelbare Ziel ihres Streiks erreichen werden. Im Gegenteil, in einem früheren Artikel habe ich ausgeführt, daß sie in nicht ferner Zeit gegen eine Kürzung statt für eine Erhöhung der Lehne streiken werden. Lohnkürzungen werden bereits zahlreicher und bewirken dementsprechend mehr Streiks. Das wirkliche Ergebnis dieser ganzen Bewegung wird, wie ich schon bei früherer Gelegenheit sagte, darin bestehen, daß "die Aktivität der Arbeiterklasse bald auf die politische Ebene übergreifen wird, wobei die im Streik geschaffenen neuen Gewerkschaftsorganisationen für sie von unschätzbarem Wert sein werden". Ernest Jones und die anderen Chartistenführer haben <461> erneut das Kampffeld betreten, und auf dem großen Meeting in Manchester am vergangenen Sonntag wurde folgende Resolution angenommen:

"Nachdem wir Zeuge der gemeinsamen Anstrengungen der Fabrikantenklasse gegen die Schaffenden dieses Landes gewesen sind, welche darin bestehen, sich der Forderung nach einem ehrlichen Tagelohn für ehrliche Tagesarbeit zu widersetzen, ist diese Versammlung der Ansicht, daß der gegenwärtige Kampf der Arbeiter zu keinem erfolgreichen Ergebnis führen kann, wenn nicht das Monopol der Fabrikantenklasse dadurch gebrochen wird, daß die Volks-Charte zum Gesetz erhoben wird und folglich Vertreter der Arbeiterklasse in das Unterhaus des Parlaments einziehen. Nur dann wird die Arbeiterklasse imstande sein, Gesetze in ihrem eigenen Interesse zu erlassen und Gesetze, die sich gegen sie richten, aufzuheben sowie die Verfügungsgewalt über Arbeitsmittel, hohe Löhne, billige Nahrungsmittel, ständige Beschäftigung und Freizügigkeit bei der Wahl des Arbeitsplatzes zu erreichen."

Karl Marx