Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 9, S. 433-435
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1960

Karl Marx

[Verhaftung Delescluzes -
Dänemark -
Österreich -
Die "Times" über die Perspektiven des Krieges gegen Rußland]

Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 3917 vom 5. November 1853]

<433> London, Freitag, 21. Oktober 1853

Unter den Verhaftungen, die kürzlich in Paris vorgenommen wurden, ist die von Herrn Delescluze, Privatsekretär des Herrn Ledru-Rollin, die bedeutendste. Er war in einer geheimen Mission nach Paris gesandt worden, und man hatte - wie es heißt - kompromittierende Papiere bei ihm gefunden. Herrn Ledru-Rollins Vertrauen zu einem Manne, der sich nie von dem Verdacht reinigen konnte, 1848 die belgische Legion in der bekannten Affäre von Risquons-Tout verraten zu haben, ist nicht zu verstehen.

In Kopenhagen scheint das Ende des Staatsstreiches bevorzustehen, da das Ministerium nicht nachgeben will, und sich das Folketing <die zweite Kammer des dänischen Reichstags> gegen die Abschaffung der bestehenden Verfassung ausgesprochen hat, falls die Regierung ihm nicht ihren eigenen Entwurf einer Verfassung für das ganze dänische Königreich vorlegt. Die beiden Separatentwürfe für die Herzogtümer Schleswig und Holstein sind erschienen. Sie sind armselige Nachahmungen der Verfassungen der alten preußischen Provinziallandtage, die die Vertretung unter die verschiedenen "Stände" aufteilen, das Wahlrecht vom Grundbesitz abhängig machen und seine Ausübung durch die "Wohnsitzklausel" auf die entsprechenden Wahldistrikte beschränken. Zwei Artikel in diesen Verfassungen sind besonders bemerkenswert: der eine beraubt die Gerichtshöfe ihres uralten Rechts, obrigkeitliche Verfügungen für ungültig zu erklären, und der andere schließt alle Personen vom Stimmrecht aus, die sich durch Teilnahme an dem revolutionären Kampf 1848-1850 kompromittiert hatten, unabhängig davon, ob sie seitdem amnestiert worden sind oder nicht.

<434> Ich legte bereits in meinem letzten Artikel dar, daß das österreichische Dekret über die Einschränkung der Armee lediglich den Zweck verfolgte, die Geldverleiher in eine Falle zu locken; jetzt, da alle Chancen, eine Anleihe zu erhalten, geschwunden sind - jetzt, da die Regierung erklärt, sie habe niemals beabsichtigt, eine Anleihe aufzunehmen - jetzt, da sie mit einer neuen Emission von Papiergeld begonnen hat, teilt man uns mit, daß

"keinerlei Anstalten getroffen werden, das kaiserliche Dekret bezüglich der Einschränkung der Armee durchzuführen, und daß im Gegenteil die Generale, die in der Lombardei, in Ungarn und in Kroatien die Befehlsgewalt innehaben, auf Grund der allgemeinen Stimmung in diesen Ländern allesamt Verstärkung angefordert haben".

Ein Pariser Korrespondent berichtet der "Morning Post" wie folgt über das Verhalten des Kaisers von Rußland bei seinen unlängst Berlin und Olmütz abgestatteten Besuchen:

"Das Hauptziel des Zaren bestand darin, ein neues Bündnis zwischen den Nordmächten zu schließen ... Um den Widerstand Preußens zu überwinden, bediente er sich aller Argumente - ich möchte sagen, jeder Bestechung -, denn er bot an, falls man ihm gestatten würde, in türkisches Gebiet einzurücken und es zu besetzen, die Okkupation Warschaus und die militärische Herrschaft über Polen an Preußen abzutreten."

Was die Berichte von den Siegen der Russen über Schamyl betrifft, so sind in Paris Briefe eingetroffen, die diese als bloße Erfindungen hinstellen, denn es habe seit Mai, als Schamyl bei Mendoh den Sieg errang und die Angriffe der Russen auf den Fluß Malka zurückgeschlagen wurden, im Kaukasus keine militärische Aktion von Bedeutung gegeben.

"Wir verstehen völlig, wie populär ein Krieg gegen Rußland zugunsten der Polen oder der Ungarn wäre selbst, wenn es für unser Eingreifen keinen andern Grund gäbe als politische Sympathien ... Wir haben jedoch kein Verständnis für einen Krieg zugunsten der Türkei."

So schrieb die "Times" am 12. Oktober. Eine Woche später lasen wir in derselben Zeitung:

"Der erste Zusammenstoß zwischen britischen und russischen Armeen würde das Signal für eine Revolution auf dem ganzen Kontinent sein, und wir halten es durchaus nicht für unwahrscheinlich und auch keineswegs für gänzlich verwerflich, daß eine solche Überlegung unseren aristokratischen, plutokratischen, despotischen und alles andere als demokratischen Herrschern gelegentlich durch den Kopf gegangen sein mag ... Wir sollten genau überlegen, bevor wir zur Verteidigung der türkischen nominellen Souveränität über gewisse faktisch unabhängige Provinzen gegen Rußland in den Krieg ziehen, denn - wenn wir das tun, werden wir im kaiserlichen Österreich eine Rebellion auslösen."

<435> Also an einem Tag soll England nicht gegen Rußland in den Krieg ziehen, weil es dadurch die Türken anstatt der Polen und Ungarn verteidigen würde, und am nächsten Tag deshalb nicht, weil jeder Krieg zugunsten der Türken gleichzeitig ein Krieg zugunsten der Polen und Ungarn sein würde!

Die Wiener "Presse" meldet, daß Abd el Kader vom Sultan ersucht worden ist, im Falle eines Krieges mit Rußland ein militärisches Kommando zu übernehmen. Die Verhandlungen wurden vom Scheich ul Islam geführt, und der Emir erklärte seine Bereitschaft, in türkische Dienste zu treten, unter der Bedingung, daß man vorher die Sanktion Bonapartes einhole. Es ist ihm das Kommando über die türkische Armee in Asien zugedacht.

Karl Marx