Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, "Lord Palmerston", Band 9, S. 353-418
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1960
Geschrieben zwischen Oktober und Anfang Dezember 1853 in englischer Sprache als Artikelserie.
Die Artikel erschienen in "The People's Paper":
I in Nr. 77 am 22. Oktober 1853
II in Nr. 78 am 29. Oktober 1853
III in Nr. 79 am 5. November 1853
IV in Nr. 80 am 12. November 1853
V in Nr. 81 am 19. November 1853
VI in Nr. 84 am 10. Dezember 1853
VII in Nr. 85 am 17. Dezember 1853
VIII in Nr. 86 am 24. Dezember 1853
Aus dieser Serie wurden in der New-York Daily Tribune als Leitartikel und gekürzt veröffentlicht:
I und II in Nr. 3902 am 19. Oktober 1853
III in Nr. 3916 am 4. November 1853
IV und V in Nr. 3930 am 21. November 1853
VII in Nr. 3973 am 11. Januar 1854.
Als Broschüren 1853 und 1854 in London herausgegeben.
Artikel I
Artikel II
Artikel III
Artikel IV
Artikel V
Artikel VI
Artikel VII
Artikel VIII
["The People's Paper" Nr. 77 vom 22. Oktober 1853]
<355> Ruggiero wird immer und immer wieder durch die falschen Reize Alcinens gefesselt, hinter denen sich doch, wie er weiß, eine alte Hexe verbirgt -
"Ohn' Aug', ohnt Zahn, ohne Geschmack, ohn' alles."
Und der fahrende Ritter verliebt sich immer wieder aufs neue in sie, obwohl er weiß, daß sie alle ihre früheren Anbeter in Esel und andere Tiere verwandelt hat. Das englische Publikum ist ein neuer Ruggiero und Palmerston eine neue Alcine. Er bringt es fertig, obgleich er ein Siebziger ist und seit 1807 fast ununterbrochen auf der politischen Bühne agiert, immer als Neuheit zu wirken und immer wieder Hoffnungen zu erwecken, die man sonst nur an einen unerprobten, vielversprechenden Jüngling knüpft. Steht er auch schon mit einem Fuß im Grabe, so erwartet man noch immer, er werde seine eigentliche Karriere erst beginnen. Stürbe er morgen, so würde ganz England darüber staunen, daß er schon ein halbes Jahrhundert lang Minister war.
Ist er auch als Staatsmann nicht jeder Aufgabe gewachsen, so doch als Schauspieler jeder Rolle. Das komische wie das heroische Fach, das Pathos <356> und der familiäre Ton, die Tragödie wie die Farce liegen ihm gleich gut; die letztere mag seinem Gefühl allerdings besser entsprechen. Er ist kein erstklassiger Redner, aber ein vollendeter Debattierer. Er besitzt ein wundervolles Gedächtnis, große Erfahrung, feinsten Takt, nie versagende présence d'esprit <Geistesgegenwart>, vornehme Schmiegsamkeit und ist der genaueste Kenner aller parlamentarischen Tricks, Intrigen, Parteien und Männer, so daß er die schwierigsten Fälle auf höchst elegante Art mit angenehmer Nonchalance zu behandeln versteht, indem er dabei auf die Vorurteile und die Empfänglichkeit seines Publikums spekuliert. Seine zynische Frechheit schützt ihn vor jeder Überrumplung, seine selbstsüchtige Geschicklichkeit vor jedem Selbstverrat, seine große Frivolität, seine vollkommene Gleichgültigkeit, seine aristokratische Geringschätzung vor der Gefahr, jemals heftig zu werden. Durch seinen feinen Witz weiß er sich bei jedermann beliebt zu machen. Und da er unter allen Umständen seine Ruhe bewahrt, so ziehen seine leidenschaftlicheren Gegner den kürzeren. Wenn er einen Gegenstand nicht beherrscht, so versteht er doch, mit ihm zu spielen. Und wenn ihm allgemeine Gesichtspunkte fehlen, so besitzt er dafür die nie versagende Fertigkeit, ein ganzes Gewebe aus eleganten Gemeinplätzen herzustellen.
Sein rastloser, unermüdlicher Geist verabscheut die Untätigkeit und sehnt sich, wenn schon nicht nach Tätigkeit, so doch nach Aufregung. Ein Land wie England bietet ihm natürlich Gelegenheit, sich in jedem Winkel der Welt zu betätigen. Er strebt weniger den Erfolg selbst als den Schein des Erfolgs an.
Kann er nichts tun, so will er wenigstens etwas ersinnen. Wo er nicht einzugreifen wagt, da spielt er wenigstens den Vermittler. Ist er unfähig, sich mit einem starken Feind zu messen, so schafft er sich einen schwachen.
Er ist nicht der Mann für großangelegte Pläne, weitschauende Entwürfe, er verfolgt keine großen Ziele, sondern verwickelt sich nur in Schwierigkeiten, um sich effektvoll wieder aus ihnen herauswinden zu können. Er braucht Komplikationen, um nicht untätig zu sein, und findet er sie nicht vor, so schafft er sie sich künstlich. Er schwelgt in Scheinkonflikten, in Scheinkämpfen mit Scheingegnern, in diplomatischen Notenwechseln, in Befehlen zur Ausfahrt von Schiffen, bis sich endlich das ganze Getriebe in heftige Parlamentsdebatten auflöst, die ihm einen Eintagsruhm einbringen, der für ihn das ständige und einzige Ziel seiner Bestrebungen bildet. Internationale Konflikte dirigiert er wie ein Künstler, er treibt die Dinge bis zu einem gewissen Höhepunkt, und drohen sie dann allzu ernsthaft zu werden, so zieht er sich zurück, da er doch auf alle Fälle die dramatische Erregung ausgekostet hat, <357> die ihm unentbehrlich ist. In seinen Augen ist die historische Entwicklung selbst nichts anderes als ein Zeitvertreib, der ausschließlich zum Privatvergnügen des edlen Viscount Palmerston von Palmerston erfunden wurde.<2>
Er, der in der Tat sich fremdem Einfluß beugt, widersetzt sich ihm in Worten. Als Erbschaft von Canning übernahm er die Doktrin von Englands Mission, den Konstitutionalismus auf dem Kontinent zu propagieren; daher fehlt es ihm nie an einem Anlaß, die nationalen Vorurteile anzustacheln, der Revolution in andern Ländern entgegenzuwirken und gleichzeitig die argwöhnische Eifersucht der fremden Mächte wachzuhalten. Nachdem es ihm auf diese bequeme Weise gelungen, zum bête noire <schwarzen Mann> aller Höfe des Kontinents zu werden, wurde es ihm ein leichtes, gleichzeitig zu Hause als das Muster des echten englischen Ministers zu gelten. Obgleich ursprünglich ein Tory, hat er es doch fertiggebracht, in die Verwaltung der auswärtigen Angelegenheiten all den widerspruchsvollen Lug und Trug einzuführen, der die Quintessenz des Whiggismus bildet. Er weiß eine demokratische Phraseologie mit oligarchischen Ansichten wohl zu vereinen, weiß die Politik des Friedensschachers der Bourgeoisie gut hinter der stolzen Sprache des aristokratischen Engländers aus alter Zeit zu verbergen; er versteht es, als Angreifer zu erscheinen, wo er kneift, und als Verteidiger, wo er verrät; er weiß einen scheinbaren Feind schlau zu schonen und einen angeblichen Bundesgenossen zur Verzweiflung zu bringen; er versteht es, im entscheidenden Moment des Streites auf der Seite des Stärkeren gegen den Schwachen zu sein und im Davonlaufen noch mit großen, tapferen Redensarten um sich zu werfen.
Eine Partei klagt ihn an, im Solde Rußlands zu stehen; die andere verdächtigt ihn des Karbonarismus. Hatte er sich 1848 gegen die drohende gerichtliche Anklage zu verteidigen, als ein Minister des Zaren Nikolaus gehandelt zu haben, so hatte er dafür 1850 die Genugtuung, sich von einer ganzen Verschwörung ausländischer Botschafter verfolgt zu sehen, die im Oberhaus den Sieg gegen ihn davontrugen, jedoch im Unterhaus zurückgewiesen wurden. Wenn er fremde Völker verriet, tat er es mit der größten Höflichkeit, wie denn Höflichkeit überhaupt die kleine Münze des Teufels ist, mit der er die Dummen bezahlt, die ihm ihr Herzblut dahingeben. Stets konnten die Unterdrücker auf seine Hilfe zählen; an die Unterdrückten jedoch verschwendete er seinen großen Aufwand an rednerischer Großmut. Ob es nun Polen, Italiener, Ungarn, Deutsche zu überwältigen galt, er war stets <358> dienstbereit zur Stelle; und dennoch verdächtigten ihn deren Unterdrücker der geheimen Konspiration mit den Opfern, die sie mit seiner Erlaubnis gemeuchelt hatten. Bisher erwies es sich in allen Fällen als ein Vorzeichen des Erfolges, ihn zum Gegner und als ein Vorzeichen des Verderbens, ihn zum Freunde zu haben. Tritt aber auch seine diplomatische Kunst in den wirklichen Erfolgen seiner Außenpolitik nicht eben glänzend zutage, so erglänzt sie um so leuchtender in der Auslegung, die er dem englischen Volk von ihr beibringt, so daß es Phrasen für Tatsachen, Phantastereien für Realitäten hält und hochtrabende Vorwände niedriger Motive akzeptiert.
Henry John Temple, Viscount von Palmerston, dessen Titel aus einer irischen Peerage stammt, wurde 1807 bei der Bildung des Ministeriums des Herzogs von Portland zum Lord der Admiralität ernannt. 1809 wurde er Kriegsminister und blieb auf diesem Posten bis Mai 1828.1830 ging er in äußerst geschickter Weise zu den Whigs über, die ihn zu ihrem permanenten Minister für Auswärtige Angelegenheiten machten. Ohne die Unterbrechungen zu rechnen, in denen die Tories regierten, d.h. von November 1834 bis April 1835 und von 1841 bis 1846, ist er verantwortlich für die ganze auswärtige Politik Englands seit der Revolution von 1830 bis zum Dezember 1851.
Muß es uns nicht auf den ersten Blick sehr merkwürdig berühren, diesen Don Quijote der "freiheitlichen Einrichtungen", diesen Pindar "der Herrlichkeiten des konstitutionellen Systems" in den Zeiten eines Perceval, eines Earl of Liverpool, eines Canning, eines Lord Goderich, eines Herzogs von Wellington als ständiges und vornehmes Mitglied dieser Tory-Kabinette zu sehen? In den Zeiten, in denen der Antijakobinerkrieg geführt, die Riesenschuld kontrahiert, die Korngesetze erlassen wurden, in denen sich fremde Söldlinge auf englischem Boden einnisteten, wo das Volk, um einen Ausdruck von Palmerstons Kollegen Lord Sidmouth zu gebrauchen, von Zeit zu Zeit zur Ader gelassen, wo die Presse geknebelt, Versammlungen verboten, die Masse des Volkes entrechtet, die persönliche Freiheit zugleich mit der ordentlichen Rechtsprechung aufgehoben, das ganze Land in eine Art Belagerungszustand versetzt wurde, mit einem Wort, während der infamsten und reaktionärsten Epoche der englischen Geschichte!
Sein Debüt im parlamentarischen Laben war ganz charakteristisch. Am 3. Februar 1808 nahm er das Wort, um - was? - zu verteidigen: Die Geheimhaltung diplomatischer Verhandlungen und die schmachvollste Handlung, die je eine Nation gegen eine andere beging, nämlich das Bombardement Kopenhagens und die Wegnahme der dänischen Flotte zu einer Zeit, wo England beteuerte, sich im tiefsten Frieden mit Dänemark zu befinden. Zu dem ersten Punkt äußerte er sich:
" In diesem besonderen Falle sind die königlichen Minister" (durch wen?) "zur Geheimhaltung verpflichtet."Er ging jedoch weiter und erklärte:
"Ich bin auch im allgemeinen dagegen, daß das Wirken der Diplomatie an die Öffentlichkeit gebracht wird, denn solche Enthüllungen bringen die Gefahr mit sich, die Quellen späterer Informationen zu verstopfen."
Vidocq hätte dieselbe Sache mit denselben Worten verteidigt. Und was den Piratenstreich anlangt, so gab er wohl zu, daß Dänemark keinerlei Feindseligkeit gegen Großbritannien gezeigt habe, behauptete aber dennoch, England sei im Recht gewesen, die Hauptstadt Dänemarks zu bombardieren und dessen Flotte zu stehlen, denn man mußte verhindern, daß sich die dänische Neutralität vielleicht unter französischem Zwang in offene Feindseligkeit verwandle. Dies war das neue Völkerrecht, verkündet durch Mylord Palmerston.
Die nächste rednerische Leistung dieses englischen Ministers par excellence gilt des langen und breiten der Verteidigung der ausländischen Truppen, die vom Kontinent nach England ausdrücklich zu dem Zweck herbeigerufen waren, mit Gewalt das oligarchische Regime aufrechtzuerhalten, zu dessen Errichtung Wilhelm 1688 mit seinen Truppen aus Holland herübergekommen war. Als wohlbegründete "Befürchtungen für die Freiheiten des Landes" geäußert wurden, die aus der Anwesenheit der deutschen Legion des Königs entsprängen, reagierte Palmerston in höchst leichtfertiger Weise darauf. Warum sollten wir nicht 16.000 Fremde im Lande haben, wo es doch bekannt ist, daß "wir eine weit größere Anzahl solcher Fremder im Ausland" verwenden? (Unterhaus, 10. März 1812.)
Als ähnliche Befürchtungen für die Konstitution wegen des seit 1815 aufrechterhaltenen großen stehenden Heeres laut wurden, sah Palmerston "einen genügenden Schutz für die Konstitution gerade in der Zusammensetzung unserer Armee", deren Offiziere größtenteils "Leute von Stand und Vermögen" seien. (Unterhaus, 8. März 1816.)
Als ein großes stehendes Heer vom finanziellen Standpunkt aus bekämpft wurde, machte er plötzlich die merkwürdige Entdeckung, daß "viele unserer finanziellen Verlegenheiten durch unseren früheren niedrigen Friedensbestand verursacht worden sind". (Unterhaus, 25. April 1816.)
Wenn ihm "die Steuerlast des Landes" und "das Elend des Volkes" und im Gegensatz dazu die verschwenderischen Militärausgaben entgegengehalten wurden, so erinnerte er das Parlament daran, daß diese Steuerlast und dieses Elend "der Preis seien, den wir" (das heißt die englische Oligarchie) "bereit waren, für unsere Freiheit und Unabhängigkeit zu zahlen". (Unterhaus, 16. Mai 1820.)
<360> In seinen Augen war militärischer Despotismus nur zu befürchten als Folge des Eifers
"jener irregeführten Leute, die sich selbst Reformer nennen und eine Art Reform für das Land fordern, deren Durchführung, wenn man ihr beipflichten würde, nach den elementarsten Regeln des Staatslebens in einem militärischen Despotismus enden müßte". (Unterhaus, 14. Juni 1820.)
Sah er also in großen stehenden Heeren das Allheilmittel zur Aufrechterhaltung der Ordnung im Lande, so sah er in der Prügelstrafe das Allheilmittel zur Aufrechterhaltung der Ordnung im Heere. Er verteidigte die Prügelstrafe in den Debatten über die Meutereiakte am 5. März 1824; er erklärte sie für "absolut unentbehrlich" am 11. März 1825; er empfahl sie aufs neue am 10. März 1828; er setzte sich in den Debatten im April 1833 für sie ein und hat sich auch bei jeder späteren Gelegenheit als eifriger Anhänger der Prügelstrafe erwiesen.
Es gab keine Mißstände in der Armee, die er nicht mit guten Gründen zu beschönigen wußte, solange nur durch sie die Interessen aristokratischer Parasiten gefördert wurden. Siehe die Debatten über den Verkauf der Offizierstellen. (Unterhaus, 12. März 1828.)
Lord Palmerston liebt es, mit seinen steten Bemühungen um die Einführung der Religionsfreiheit zu paradieren. Aber er stimmte gegen Lord Russells Resolution für die Aufhebung der Test and Corporation Acts. Und warum? Weil er "als eifriger und warmer Freund der Religionsfreiheit" nicht zugeben konnte, daß die Dissenters von "eingebildeten Leiden befreit würden, während die Katholiken unter wirklichen Heimsuchungen zu leiden hätten". (Unterhaus, 26. Februar 1828.)
Als Beweis seines Eifers für die Religionsfreiheit teilt er uns mit, daß "er betrübt über die Zunahme der Dissenters sei". "Es ist mein Wunsch, daß die Staatskirche die herrschende Kirche in diesem Lande sei", und aus purer Liebe und Sorge um die Religionsfreiheit möchte er "die Staatskirche auf Kosten der Andersgläubigen wachsen sehen". Der spaßhafte Lord klagt die reichen Nonkonformisten an, daß sie die kirchlichen Bedürfnisse der Ärmeren befriedigen, während
"in der anglikanischen Kirche nur die Armen allein den Mangel an Raum in den Kirchen zu fühlen bekommen ... Es wäre widersinnig, zu verlangen, daß die Armen aus ihren dürftigen Einkommen die Mittel für die Kirchen aufbringen sollten." (Unterhaus, 9. April 1824.)
Natürlich wäre es noch widersinniger, zu verlangen, daß die reichen Mitglieder der anglikanischen Staatskirche aus ihren großen Einkommen für die Kirche sorgen sollten.
<361> Sehen wir uns jetzt an, worin seine Leistungen für die Emanzipation der Katholiken bestehen. Es ist dies einer der Punkte, in denen er besonderen "Anspruch" auf die Dankbarkeit des irischen Volkes erhebt. Ich will nicht bei dem Umstand verweilen, daß er, der sich als Mitglied des Ministeriums Canning für die Emanzipation der Katholiken erklärt hatte, dennoch in das Ministerium Wellington eintrat, das dieser Emanzipation offen feindlich gegenüberstand. Betrachtete Lord Palmerston etwa die Religionsfreiheit als eines jener Menschenrechte, in die die Gesetzgebung sich nicht einzumischen habe? Lassen wir ihn selbst sprechen:
"Obgleich ich wünsche, daß die Ansprüche der Katholiken berücksichtigt werden, so werde ich doch niemals zugeben, daß diese Ansprüche eine rechtliche Grundlage haben ... Nähme ich an, daß die Katholiken ihr Recht forderten, so würde ich mich ein für allemal weigern, in den Ausschuß einzutreten." (Unterhaus, 1. März 1813.)
Und warum widersetzt er sich ihnen, wenn sie ihr Recht fordern?
"Weil die Gesetzgebung eines Landes das Recht hat, einen Teil der Gemeinschaft zu derartiger politischer Rechtlosigkeit zu verurteilen, wenn sie es zur Sicherheit und Wohlfahrt des Ganzen für notwendig hält ... Das gehört zu den fundamentalen Grundsätzen, auf denen eine zivilisierte Regierung beruht." (Unterhaus, 1. März 1813.)
Hier gesteht er also in höchst zynischer Weise ein, daß die Masse des Volkes eigentlich überhaupt keine Rechte hat, sondern nur jenes Maß von Freiheiten genießen soll, das ihr die Gesetzgebung - oder mit anderen Worten: die herrschende Klasse - zuzugestehen für gut befindet. Demgemäß erklärt auch Lord Palmerston unumwunden, "die Emanzipation der Katholiken sei nur eine Sache der Gnade und des Wohlwollens". (Unterhaus, 10. Februar 1829.)
Nur aus Zweckmäßigkeitsgründen ließ er sich also herab, der Rechtlosigkeit der Katholiken Einhalt zu tun. Was aber verbarg sich hinter dieser Zweckmäßigkeit?
Da er selbst einer der großen Grundbesitzer Irlands ist, so wollte er die Täuschung aufrechterhalten, daß andere Heilmittel für die irischen Leiden als die der Katholiken-Emanzipation unmöglich seien, daß sie Absentismus heilen und sich als Ersatz für Armengesetze erweisen werde. (Unterhaus, 18. März 1829.)
Der große Philanthrop, der später die einheimischen Iren von seinen irischen Gütern vertrieb, konnte es nicht ertragen, daß das Elend der Iren auch nur für einen Augenblick den klaren Himmel der Gutsbesitzer und Geldherren mit seinen unglückverheißenden Wolken verdüsterte.<3>
"Es ist wahr", sagte er, "die Bauernschaft Irlands erfreut sich nicht aller Genüsse, deren die ganze Bauernschaft Englands teilhaftig ist" (man bedenke, die Genüsse, die einer Familie mit 7 Schilling die Woche zuteil werden!). "Dennoch erfreut sich auch der irische Bauer mancher Segnungen ... Er ist mit Brennholz gut versorgt und ist nur selten" (nur an vier Tagen von sechs!) "ohne Nahrung."Welcher Segen! Das sind jedoch noch nicht alle seine Annehmlichkeiten. "Er besitzt eine weit fröhlichere Gemütsart als sein englischer Leidensbruder." (Unterhaus, 7. Mai 1829.)
Die Erpressungen der irischen Grundherren behandelt er ebenso scherzhaft wie die Freuden der irischen Bauernschaft:
"Man sagt den irischen Grundbesitzern nach, daß sie so hohe Pachtsummen als nur immer möglich herauspressen. Aber, meine Herren, ich glaube, das ist nichts Besonderes; ganz bestimmt verfahren in England die Grundbesitzer ebenso." (Unterhaus, 7. März 1829.)
Sollen wir also nach alledem noch überrascht sein, daß dieser Mann, der so tief in die Mysterien "der glorreichen englischen Konstitution" und "der Segnungen ihrer freiheitlichen Einrichtungen" eingedrungen ist, das Bestreben hat, diese über den ganzen Kontinent zu verbreiten?
["The People's Paper" Nr. 78 vom 29. Oktober 1853]
Als die Reformbewegung unwiderstehlich geworden war, verließ Lord Palmerston die Tories und schlich sich in das Lager der Whigs ein. Obzwar er das Entstehen einer Gefahr des militärischen Despotismus weder von der Anwesenheit der deutschen Legion des Königs auf englischem Boden noch von der Erhaltung großer stehender Heere befürchtete, sondern bloß von den "wohlmeinenden Reformern", so begünstigte er dennoch bereits 1828 die Ausdehnung des Wahlrechts auf so große Industrieorte wie Birmingham, Leeds und Manchester. Und warum?
"Nicht weil ich prinzipiell ein Freund von Reformen, sondern weil ich ihr entschiedener Feind bin."
Er hatte sich davon überzeugt, daß einige zeitgemäße Konzessionen, die man dem üppig emporgeschossenen Industriekapital mache, das beste Mittel <363> seien, "der Einführung einer allgemeinen Wahlreform" zu entgehen. (Unterhaus, 27. Juni 1828.) Einmal Bundesgenosse der Whigs, gab er sich erst gar nicht mehr den Anschein, so zu tun, als ob die Reformbill beabsichtige, die engen Maschen der venezianischen Konstitution zu durchbrechen, sondern daß sie im Gegenteil nur an deren Befestigung und Stärkung arbeite, indem sie die Bourgeoisie von der Opposition des Volkes trennte.
"Die Stimmung der Bourgeoisie wird sich ändern, und ihre Unzufriedenheit mit der Konstitution wird sich in Anhänglichkeit an sie verwandeln, wodurch diese eine mächtige Stärkung und Kräftigung erfahren wird."
Die Peers tröstete er, indem er ihnen versicherte, daß die Reformbill weder den "Einfluß des Oberhauses" schwächen noch "dessen Einmischung in die Wahlen" aufheben würde. Der Aristokratie sagte er, die Konstitution werde ihren feudalen Charakter nicht einbüßen, denn der "Grundbesitz ist das große Fundament, auf dem das Gebäude der Gesellschaft und die Einrichtungen des Landes beruhen". Ihre Befürchtungen zerstreute er, indem er ironische Anspielungen darauf machte, "daß man uns angeklagt habe, es sei uns mit dem Wunsch, dem Volk eine wirkliche Vertretung zu geben, nicht ernst gewesen", oder "daß man behauptet habe, wir wollten bloß der Aristokratie und dem Grundbesitz auf andere Art Einfluß verschaffen". Er ging sogar so weit, einzugestehen, daß neben den unvermeidlichen Konzessionen an die Bourgeoisie "die Beschränkung der Wahlprivilegien" (d.h. die Beschränkung der Wahlprivilegien der alten faulen Tory zugunsten der neuen Whig-Kreise) "der leitende und Hauptgrundsatz der Reformbill" sei. (Unterhaus, 24. März 1831 und 14. März 1832.)
Nun aber müssen wir zu den Leistungen des edlen Lords in der auswärtigen Politik zurückkehren.
Als 1823 auf Grund der Beschlüsse des Kongresses von Verona eine französische Armee in Spanien einmarschiert war, um die Verfassung dieses Landes zu beseitigen und es der erbarmungslosen Rache des bourbonischen Idioten <Ferdinand VII.> und seines Gefolges von bigotten Mönchen auszuliefern, da sagte sich Lord Palmerston von "allen Donquichotterien zur Erkämpfung abstrakter Prinzipien" los, da verweigerte er jedes "Eintreten für das Volk", dessen heldenmütiger Widerstand England vor der Übermacht Napoleons gerettet hatte. Die Worte, die er bei diesem Anlaß an seine damaligen Gegner von der Whig-Seite richtete, geben ein treues und lebendiges Bild seiner eigenen Außenpolitik, wie er sie verfolgte, seit er zum permanenten Minister des Auswärtigen geworden.
<364> Er sagte:
"Manche hätten gerne gesehen, wenn wir schon bei den Verhandlungen mit Krieg gedroht hätten, ohne auf den Krieg vorbereitet gewesen zu sein, wenn die Verhandlungen gescheitert wären. Hätten wir Krieg gesagt und Neutralität gemeint, hätten wir mit einer Armee gedroht und uns dann hinter irgendwelche offiziellen Dokumente zurückgezogen, hätten wir in der Stunde ruhiger Überlegung herausfordernd das Schwert geschwungen, um uns dann am Schlachttag mit einer Handvoll schriftlicher Proteste zu begnügen, so hätten wir uns wie feige Großsprecher benommen und hätten uns zum Gespött und zum Gelächter von ganz Europa gemacht." (Unterhaus, 30. April 1823.)
Endlich sind noch die Debatten zur griechisch-türkischen Frage zu erwähnen, die Lord Palmerston die erste Gelegenheit verschafften, vor der Öffentlichkeit seine unvergleichlichen Talente als unermüdlicher, unerschütterlicher Anwalt russischer Interessen sowohl im Kabinett als auch im Unterhaus zu entfalten. Sämtliche Stichworte über türkische Grausamkeiten, griechische Zivilisation, Religionsfreiheit, Christentum usw., die Rußland verbreitete, betete er eines nach dem anderen getreulich nach. Als Minister weist er entschieden jeden Versuch eines Tadels zurück, der das "verdienstvolle Verhalten des Admirals Codringron" treffen könnte, durch dessen Schuld die türkische Flotte bei Navarino zerstört wurde, obgleich er zugeben muß, daß "diese Schlacht sich gegen eine Macht richtete, mit der wir uns nicht im Kriegszustand befinden", und daß "es ein unliebsames Ereignis war". (Unterhaus, 31. Januar 1828.)
Nachdem er dann aus dem Amt geschieden war, eröffnete er jenen langen Angriffsfeldzug gegen Lord Aberdeen und warf ihm vor, die Befehle Rußlands nicht schnell genug ausgeführt zu haben.
"Und wo blieb unsere Schnelligkeit und Energie, als es galt, unsere Verpflichtungen gegen Griechenland zu erfüllen? Juli 1829 rückt schon heran, und noch ist der Vertrag vom Juli 1827 nicht erfüllt ... Aus Morea allerdings sind die Türken verdrängt ... Warum aber wurden die französischen Waffentaten im Isthmus von Korinth gehemmt? ... Englands engherzige Politik trat dazwischen und hielt sie in ihrem erfolgreichen Vorwärtsschreiten auf ... Und warum gehen die Verbündeten mit dem Land nördlich vom Isthmus nicht ebenso um, wie sie es mit dem südlichen Teil taten, und warum besetzen sie nicht gleich alles, was für Griechenland bestimmt sein soll? Ich hätte gedacht, die Verbündeten hätten genug der Verhandlungen mit der Türkei wegen Griechenland gepflogen." (Unterhaus, 1. Juni 1829.)
Wie allgemein bekannt, widersetzte sich Fürst Metternich zu dieser Zeit den Übergriffen Rußlands, und infolgedessen hatten Rußlands diplomatische Agenten den Auftrag - wie aus den Depeschen Pozzo di Borgos und des Fürsten Lieven erinnerlich sein dürfte -, Österreich als den großen Feind <365> der Emanzipation der Griechen und der europäischen Zivilisation hinzustellen, deren Förderung der ausschließliche Zweck der russischen Diplomatie sei. Der edle Lord folgt natürlich auf dem ihm hier gewiesenen Weg.
"Durch seine engherzigen Ansichten und die unglückseligen Vorurteile seiner Politik hat sich Österreich fast auf das Niveau einer Macht zweiten Ranges begeben."
Und infolge der schwankenden Politik Aberdeens ist England
"zum Schlußstein jenes Bogens geworden, dessen Bestandteile Miguel und Spanien, Österreich und Machmud bilden ... In der Verzögerung der Ausführung des Juli-Vertrags sieht die Welt weniger die Furcht vor dem türkischen Widerstand als den unüberwindlichen Widerwillen gegen die Freiheit Griechenlands." (Unterhaus, 1. Juni 1829.)
Immer wieder greift er Aberdeen wegen seiner antirussischen Diplomatie an:<4>
"Ich für meine Person bin nicht mit einer Anzahl Depeschen der englischen Regierung einverstanden, die zwar ohne Zweifel angenehm und verbindlich lauten und sich bemühen, in allgemeinen Ausdrücken Rußland zu versöhnen, die aber nebenbei starke Ausdrücke der Sympathie Englands für die Türkei enthalten, die, wenn eine daran interessierte Seite sie liest, leicht den Anschein erwecken könnten, als sei viel mehr damit gemeint, als tatsächlich beabsichtigt war ... Ich sähe es am liebsten, wenn England den festen Entschluß faßte - was auch eigentlich fast der einzig einzuschlagende Weg wäre -, unter keinen Umständen und auf keinen Fall in diesem Krieg die Partei der Türkei zu ergreifen, und diesen Entschluß der Türkei frank und frei mitteilte ... Drei Dinge gibt es, die kein Mitleid kennen: die Zeit, das Feuer und der Sultan." (Unterhaus, 16. Februar 1830.)
An dieser Stelle muß ich den Lesern einige historische Tatsachen ins Gedächtnis zurückrufen, um keinen Zweifel darüber walten zu lassen, welcher Art die philhellenischen Gefühle des edlen Lords sind.
Rußland hatte sich Göktschas bemächtigt, eines Streifen Landes am Ufer des Sewansees (unbestrittener persischer Besitz), und als Preis für dessen Räumung die Abtretung der persischen Ansprüche auf ein anderes Stück persischen Gebiets, der Landschaft Kapan, verlangt. Als Persien sich nicht <366> fügte, wurde es mit Krieg überzogen, besiegt und gezwungen, im Februar 1828 den Vertrag von Turkmanschai zu unterzeichnen. Dieser setzte fest, daß Persien eine Entschädigung von 2 Millionen Pfd.St. an Rußland zu zahlen und die Provinzen Eriwan und Nachitschewan, einschließlich der Festungen Eriwan und Abassabad abzutreten habe. Diese Vereinbarung sollte, wie Nikolaus ausdrücklich konstatierte, nur dazu dienen, die gemeinsame Grenze durch den Araxes zu bestimmen, was, wie er vorgab, angeblich das einzige Mittel sei, allen künftigen Streitigkeiten zwischen den beiden Reichen vorzubeugen. Gleichzeitig aber weigerte er sich, Talisch und Mogan zurückzugeben, die auf dem persischen Ufer des Araxes liegen. Persien mußte sich auch schließlich dazu verpflichten, auf dem Kaspischen Meer keine Flotte zu unterhalten. Das war also die Ursache und das Resultat des Russisch-Persischen Kriegs.
Um Religion und Freiheit der Griechen scherte sich Rußland zu jener Zeit ebensowenig, wie sich heute der Gott der Russen um die Schlüssel der Kirche zum "Heiligen Grabe" oder zu der berühmten heiligen "Kuppel" bekümmert. Von jeher war es die traditionelle Politik der Russen, die Griechen zum Aufstand zu reizen und sie dann der Rache des Sultans zu überlassen. Rußlands Sympathie für die Wiedergeburt von Hellas war eine so tiefe, daß es die Griechen auf dem Kongreß zu Verona als Rebellen behandelte und dem Sultan das Recht zugestand, jede fremde Intervention zwischen ihm und seinen christlichen Untertanen auszuschließen. Noch mehr, der Zar bot der Pforte an, "er wolle ihr bei der Unterdrückung der Rebellion Hilfe leisten", ein Anerbieten, das selbstverständlich zurückgewiesen wurde. Nach diesem mißlungenen Versuch trat er an die Großmächte mit dem entgegengesetzten Vorschlag heran: "Man möge eine Armee in die Türkei senden, damit sie unter den Wällen des Serails Frieden gebiete." Um dem Zaren durch eine gemeinsame Aktion gewissermaßen die Hände zu binden, schlossen die anderen Großmächte am 6. Juli 1827 in London einen Vertrag mit ihm, durch den sie sich gegenseitig verpflichteten, die Streitigkeiten zwischen dem Sultan und Griechenland, wenn nötig, mit Waffengewalt beizulegen. Wenige Monate vor der Unterzeichnung dieses Vertrags hatte Rußland mit der Türkei einen Vertrag abgeschlossen, den Vertrag von Akkerman, durch den es sich verpflichtete, jede Einmischung in griechische Angelegenheiten aufzugeben. Dieser Vertrag kam zustande, nachdem Rußland den Kronprinzen von Persien zum Einfall in das Ottomanische Reich bewogen hatte und nachdem es die Pforte mit Beleidigungen überhäuft hatte, um sie zu einem Bruch zu treiben. Nach allen diesen Vorkommnissen präsentierte der englische Gesandte der Pforte die Bedingungen des Londoner Vertrags vom 6. Juli 1827 im Namen Rußlands und der anderen Mächte. Und mit Hilfe der <367> Komplikationen, die aus allen diesen Betrügereien und Lügen entstanden, fand Rußland endlich den Vorwand zu dem Krieg von 1828/29. Dieser Krieg endete mit dem Vertrag von Adrianopel, dessen Inhalt kurz in folgenden Zitaten aus McNeills berühmter Schrift über das "Vordringen Rußlands im Osten" wiedergegeben sei:
"Durch den Vertrag von Adrianopel gelangte der Zar in den Besitz von Anapa und Poti und eines bedeutenden Teils der Küste des Schwarzen Meeres, dann eines Teils des Paschaliks von Achalzych mit den Festungen Achalkalaki und Achalzych, ferner der durch die Mündung der Donau gebildeten Inseln. Die Zerstörung der türkischen Festung Giurgewo und seitens der Türkei das Aufgeben des rechten Donauufers auf einige Meilen Entfernung vom Fluß wurde festgesetzt ... Viele tausend armenische Familien wurden teils mit Gewalt, teils durch priesterlichen Einfluß aus den türkischen Provinzen in Asien auf das Gebiet des Zaren getrieben ... Seine eigenen Untertanen in der Türkei befreite der Zar von jeder Verantwortlichkeit gegen die Landesbehörden und legte der Pforte unter dem Titel einer Entschädigung für Kriegsausgaben und Handelsverluste eine ungeheure Schuldenlast auf; endlich behielt er die Moldau, Walachei und Silistria als Pfand für die Bezahlung zurück ... Nachdem Rußland durch diesen Vertrag die Türkei zur Annahme des Protokolls vom 22. März gezwungen hatte, wonach der Sultan die Suzeränität über Griechenland und einen jährlichen Tribut von diesem Lande erhalten sollte, gebrauchte Rußland seinen ganzen Einfluß, um Griechenland die Unabhängigkeit zu verschaffen. Wirklich wurde Griechenland als unabhängiger Staat erklärt und der Graf Kapodistrias, ein ehemaliger russischer Minister, zum Präsidenten ernannt."
Dies sind die Tatsachen. Sehen wir uns an, was Lord Palmerstons Meisterhand für ein Gemälde daraus fabriziert:
"Es ist vollkommen richtig, daß der Russisch-Türkische Krieg aus Vertragsbrüchen und Übergriffen entstand, die sich die Türkei gegen Rußlands Handel und Rußlands Rechte zuschulden kommen ließ." (Unterhaus, 16. Februar 1830.)
Als Palmerston zur Inkarnation eines Whig-Ministers der Auswärtigen Angelegenheiten wurde, kam es noch besser:
"Das ehrenwerte und tapfere Mitglied des Hauses" (Oberst Evans) "hat Rußlands Vorgehen so hingestellt, als ob es seit 1815 bis zum heutigen Tage in unveränderlicher Angriffsstellung gegen die übrigen Staaten beharre. Er wies besonders auf die Kriege Rußlands mit Persien und der Türkei hin. Rußland war in keinem der beiden Fälle der Angreifer, und wenn auch eine Vergrößerung seiner Macht die Folge des persischen Krieges war, so war das doch nicht von Rußland beabsichtigt gewesen ... Auch im türkischen Feldzug war Rußland nicht der Angreifer. Ich will das Haus nicht durch die Aufzählung aller Provokationen ermüden, die sich die Türkei gegen Rußland zuschulden kommen ließ; aber es läßt sich nicht leugnen, daß sie russische Untertanen <368> von ihrem Gebiet verbannte, russische Schiffe festhielt, alle Artikel des Vertrags von Akkerman nicht einhielt und, nach gemachten Vorhaltungen, die Sühne dafür verweigerte. Wenn es also je gerechte Gründe für einen Krieg gab, so hatte sie Rußland für den Krieg mit der Türkei. Trotzdem eignete es sich, wenigstens in Europa, keine neuen Gebiete an. Ich weiß wohl, daß gewisse Punkte andauernd besetzt waren" - (die Moldau und Walachei sind nur Punkte, und die Mündungen der Donau sind nur Lappalien!) - "und daß einige Nebenerwerbungen am Schwarzen Meer in Asien gemacht wurden. Aber Rußland war mit den anderen europäischen Mächten dahin übereingekommen. daß ein Erfolg in diesem Krieg zu keinerlei Gebietsvergrößerung Rußlands in Europa führen sollte." (Unterhaus, 7. August 1832.)
Ihre Leser werden es jetzt begreifen, wenn Sir Robert Peel dem edlen Lord in öffentlicher Sitzung des Hauses erklärte, "er wisse nicht, wessen Vertreter er eigentlich sei".
<5>["The People's Paper" Nr. 79 vom 5. November 1853]
Der edle Viscount ist allgemein als der ritterliche Beschützer Polens bekannt und wird nie verfehlen, seinen schmerzlichen Gefühlen für Polen vor der Deputation Ausdruck zu geben, die ihm alljährlich einmal der "dear, dully, deadly" Dudley Stuart <"der gute, zum Sterben langweilige" Dudley Stuart> vorführt,
"jener treffliche Mann, der Reden hält, Resolutionen fabriziert, über Adressen abstimmt, Deputationen anführt, zu jeder Zeit das notwendige Maß von Vertrauen in das notwendige Individuum hat und der, wenn erforderlich, auch seine drei Hurras auf die Königin ausbringt".Als Lord Palmerston im November 1830 sein Amt antrat, waren die Polen bereits seit etwa einem Monat unter Waffen. Am 8. August 1831 legte Herr Hunt dem Hause eine Petition der Westminster Union zugunsten der Polen vor, die zugleich "die Entlassung Lord Palmerstons aus dem Kabinett Seiner Majestät" forderte. Herr Hume stellte an demselben Tage fest, er entnehme aus dem Schweigen des edlen Lords, daß die Regierung "für die Polen nichts zu tun gedenke und sie auf Gnade und Ungnade den Russen überlassen wolle". Darauf erwiderte Lord Palmerston,
"alle wie immer gearteten Verpflichtungen, die durch bestehende Vertrage auferlegt wären, würden jederzeit der Aufmerksamkeit der Regierung sicher sein"
Worin bestanden seiner Meinung nach die Verpflichtungen, die England durch bestehende Verträge auferlegt wurden? Er sagt es uns selbst:
"Die Ansprüche Rußlands auf den Besitz von Polen tragen das Datum des Wiener Vertrags." (Unterhaus, 9. Juli 1833.)
Aber dieser Vertrag macht den Besitz von Polen abhängig von der Einhaltung der polnischen Konstitution durch den Zaren. Jedoch,
"die bloße Tatsache, daß England Partner des Wiener Vertrags sei, ist noch nicht gleichbedeutend mit Englands Bürgschaft dafür, daß Rußland diesen Vertrag nicht brechen werde". (Unterhaus, 25. März 1834.)
D.h., man kann für einen Vertrag bürgen, ohne für dessen Einhaltung zu bürgen. Das ist derselbe Grundsatz, den die Mailänder dem Kaiser Barbarossa gegenüber vertraten: "Wir schworen zwar den Eid, doch schworen wir nicht, ihn zu halten."
In einer Hinsicht war der Wiener Vertrag immerhin zu etwas gut. Er gab der britischen Regierung als einer der vertragschließenden Mächte
"das Recht, eine Ansicht über jede Handlung, die einen Bruch jenes Vertrags in sich schloß, zu haben und zu äußern ... Die vertragschließenden Mächte des Wiener Vertrags hatten ein Recht, von Rußland zu fordern, daß die Konstitution Polens nicht angetastet werde, und dies war eine Ansicht, die ich der russischen Regierung gegenüber durchaus nicht verhehlt habe. Ich teilte sie dieser Regierung schon anticipando noch vor der Einnahme Warschaus mit und noch ehe das Resultat der Feindseligkeiten bekannt wurde. Ich teilte sie ihr nochmals mit, als Warschau fiel. Die russische Regierung war darüber allerdings anderer Meinung." (Unterhaus, 9. Juli 1833.)
<370> Er hatte also mit Ruhe den Fall Polens vorweggenommen und diese günstige Gelegenheit dazu ausgenützt, eine Ansicht über gewisse Artikel des Wiener Vertrags zu haben und zu äußern, überzeugt davon daß der großmütige Zar bloß warte, bis das polnische Volk durch seine bewaffnete Macht gänzlich zerschmettert sei, um dann einer Konstitution zu huldigen, die er mit Füßen getreten hatte, als das Volk noch volle Widerstandskraft besaß. Gleichzeitig klagte der edle Lord die Polen an,
"den unerwünschten und seiner Meinung nach nicht zu rechtfertigenden Schritt der Entthronung des Kaisers getan zu haben". (Unterhaus, 9. Juli 1833.)
"Er könne auch versichern, daß die Polen die Angreifer gewesen seien, denn sie hätten den Streit begonnen." (Unterhaus, 7. August 1832.)
Als die Befürchtungen, Polen könne vernichtet werden, immer allgemeiner und beunruhigender wurden, erklärte er,
"die Vernichtung Polens sei sowohl moralisch als politisch so vollkommen undurchführbar, daß er glaube, jede Befürchtung eines derartigen Versuchs sei überflüssig". (Unterhaus, 28. Juni 1832.)
Als man ihn später daran erinnerte, daß solche unbestimmten Erwartungen geäußert worden seien, versicherte er, man habe ihn mißverstanden. Er hätte sich nicht im politischen, sondern im allgemeinen Sinne des Wortes so ausgedrückt und gemeint, daß der russische Kaiser nicht imstande sei,
"nominell oder tatsächlich so viele Millionen Menschen auszutilgen, als das polnische Königreich in seinem geteilten Zustande enthalte". (Unterhaus, 20. April 1836.)
Als das Unterhaus versuchte, sich in den Kampf der Polen einzumischen, berief er sich auf seine Verantwortlichkeit als Minister. Und als man vor vollzogenen Tatsachen stand, erklärte er kühl,
"kein Votum dieses Hauses könnte auch nur im entferntesten die Wirkung haben, Rußlands Entschluß umzustoßen". (Unterhaus, 9. Juli 1833.)
Als die Greueltaten der Russen nach dem Fall von Warschau öffentlich gerügt wurden, erbat er von dem Hause eine zartere Behandlung des russischen Kaisers und erklärte,
"niemand könne mehr als er die in der Debatte gefallenen Ausdrücke bedauern" (Unterhaus, 28. Juni 1832) und "der jetzige Kaiser von Rußland sei ein Mann von erhabener, großmütiger Denkungsart" - und "wenn Fälle vorgekommen sind, in denen sich die russische Regierung unziemliche Grausamkeit gegen die Polen habe zuschulden kommen lassen, müsse man das als Beweis dafür ansehen, daß die Macht des russischen Kaisers eine begrenzte sei und daß der Kaiser in diesen Fällen dem Einfluß anderer gehorchte und nicht den Regungen seiner eigenen natürlichen Gefühle". (Unterhaus, 9. Juli 1833.)
<371> Als einerseits Polens Geschick besiegelt war, andrerseits die Auflösung des Türkischen Reichs infolge der Rebellion Mechmed Alis unmittelbar drohte, gab er dem Hause die Versicherung, "daß die Dinge im allgemeinen sich recht befriedigend entwickelten". (Unterhaus, 26. Januar 1832.)
Als ein Antrag auf finanzielle Unterstützung der polnischen Flüchtlinge einging,
"war es ihm äußerst peinlich, sich dem Vorschlag der Gewährung von Geldmitteln an diese Individuen zu widersetzen, denn das natürliche, spontane Empfinden müsse doch jeden großmütigen Menschen zu deren Bewilligung drängen; aber es sei mit seiner Pflicht unvereinbar, eine Unterstützung dieser unglücklichen Leute durch Geldmittel zu beantragen". (Unterhaus, 25. März 1834.)
Dieser selbe weichherzige Mann hatte, wie wir bald noch sehen werden, insgeheim die Kosten für Polens Fall zu einem großen Teil aus der Tasche des britischen Volkes bestritten.
Der edle Lord gab sich alle erdenkliche Mühe, keine offizielle aktenmäßige Mitteilung über die polnische Katastrophe vor das Parlament kommen zu lassen. Dennoch gelangten Darstellungen des Sachverhalts ins Unterhaus, die er nicht einmal zu widerlegen für notwendig fand und die über seine Rolle in jener verhängnisvollen Zeit keinen Zweifel lassen.
Nachdem die polnische Revolution ausgebrochen war, verließ der österreichische Konsul Warschau nicht, und die österreichische Regierung ging so weit, einen polnischen Agenten, Herrn Walewski, nach Paris zu schicken, der die Mission hatte, mit den Regierungen von England und Frankreich über die Wiederherstellung eines polnischen Königtums zu verhandeln. Der Hof der Tuilerien erklärte, "er sei bereit, sich England anzuschließen, wenn es dem Plan zustimmte". Lord Palmerston wies das Anerbieten zurück, 1831 schlug Herr von Talleyrand, der französische Gesandte am Hofe von Saint James, einen Plan des gemeinsamen Vorgehens für Frankreich und England vor, erhielt aber von dem edlen Lord eine deutliche Absage und eine schriftliche Note des Inhalts,
"daß eine gütliche Vermittlung in der polnischen Frage von Rußland abgelehnt werden würde; daß die Mächte soeben ein ähnliches Angebot Frankreichs abgelehnt hätten; daß die beiden Höfe von Frankreich und England im Falle einer Weigerung Rußlands nur mit Gewalt intervenieren könnten und daß die herzlichen und zufriedenstellenden Beziehungen zwischen den Kabinetten von Saint James und St. Petersburg Seiner Majestät dem König eine derartige Einmischung nicht gestatteten. Die Zeit sei noch nicht gekommen, wo ein derartiger Schritt mit Erfolg gegen den Willen eines Herrschers unternommen werden dürfe, dessen Rechte unanfechtbare seien."
<372> Damit nicht genug. Am 23. Februar 1848 gab Herr Anstey im Unterhaus folgende Erklärung ab:
"Schweden rüstet seine Flotte, um zugunsten Polens einen Scheinangriff zu unternehmen und um seine Provinzen in der Ostsee wiederzugewinnen, die ihm im letzten Krieg so ungerechterweise entrissen worden sind. Unser Botschafter am schwedischen Hofe erhielt von dem edlen Lord Instruktionen im entgegengesetzten Sinn, und Schweden unterbrach seine Rüstungen. Der persische Hof hatte in der gleichen Absicht eine Armee unter dem Befehl des persischen Kronprinzen abgeschickt, die sich seit drei Tagen auf dem Marsch an die russische Grenze befindet. Der Legationssekretär am Hof von Teheran, Sir John McNeill, folgte dem Prinzen und holte ihn trotz einer Distanz von drei Tagereisen vom Hauptquartier aus ein, um gemäß den Instruktionen des edlen Lords und im Namen Englands Persien mit Krieg zu drohen, wenn der Prinz noch einen Schritt weiter gegen die russische Grenze vorrücke. Die gleichen Mittel wendete der edle Lord an, um die Türkei daran zu hindern, ihrerseits den Krieg wieder zu beginnen."
Als Oberst Evans die Vorweisung von Akten verlangte, aus denen hervorginge, daß Preußen seine vorgebliche Neutralität im Russisch-Polnischen Krieg gebrochen habe, erwiderte Lord Palmerston,
"die Minister unseres Landes haben diesen Kampf nicht ohne das tiefste Bedauern mitangesehen, und sie sind voller Befriedigung, ihn beendet zu sehen". (Unterhaus, 16. August 1831.)
Natürlich wünschte er ihn so schnell als möglich beendet zu sehen, und Preußen teilte seine Gefühle.
Bei einer späteren Gelegenheit resümierte Herr H. Gally Knight das ganze Vorgehen des edlen Lords, soweit es sich um den polnischen Aufstand handelt, in folgenden Sätzen:
"Sobald Rußland in Frage kommt, tritt in dem Vorgehen des edlen Lords eine eigentümliche Inkonsequenz zutage ... In der polnischen Frage hat uns der edle Lord immer und immer wieder enttäuscht; erinnern wir uns, wie der edle Lord, als man in ihn drang, sich für die Sache der Polen einzusetzen, wohl die Gerechtigkeit der Sache, die Berechtigung unserer Klagen zugab. Aber, sagte er: Haltet euch nur jetzt zurück, soeben ist ein Gesandter von bekannter liberaler Gesinnung auf dem Weg zu unterhandeln; ihr könnt euch darauf verlassen, daß wir schon das Richtige tun werden. Ihr würdet seine Verhandlungen nur stören, wenn ihr die Macht erzürntet, mit der er zu tun haben wird. Seid daher vernünftig, folgt meinem Rat und seid versichert, damit wird viel erreicht werden Wir ließen uns mit diesen Zusicherungen abspeisen, der liberale Gesandte reiste ab; ob er aber je in der Sache etwas getan, haben wir nie erfahren. Alles, was wir erreichten, sind die schönen Worte des edlen Lords und keine Resultate." (Unterhaus, 13. Juli 1840.)
<373> Als das sogenannte Königreich Polen von der europäischen Landkarte verschwunden war, blieb noch in der freien Stadt Krakau ein wunderliches Überbleibsel polnischer nationaler Unabhängigkeit zurück. Zar Alexander hatte während der allgemeinen Anarchie, die dem Sturze des französischen Kaiserreichs gefolgt war, das Herzogtum Warschau nicht erobert, sondern sich seiner einfach bemächtigt und wünschte es natürlich zu behalten, zusammen mit Krakau, das durch Bonaparte dem Herzogtum einverleibt worden war. Österreich, zu dessen Besitz einst Krakau gehörte, wollte es zurück haben. Als der Zar sah, er könne es nicht behalten, schlug er vor, es zur freien Stadt zu machen, da er natürlich nicht wollte, daß es an Österreich käme. Im Artikel VI des Wiener Vertrags wurde daher festgesetzt, daß
"die Stadt Krakau mit ihrem Gebiet für immer eine freie, unabhängige und streng neutrale Stadt unter dem Protektorat Rußlands, Österreichs und Preußens sein solle",
und im Artikel IX
"verpflichten sich die Regierungen Rußlands, Österreichs und Preußens, die Neutralitat Krakaus und seines Gebiets als freie Stadt zu respektieren und immer respektieren zu lassen. Keine bewaffnete Macht darf dort unter was immer für einem Vorwand einrücken."
Unmittelbar nach der Beendigung des polnischen Aufstands von 1830/31 zogen plötzlich russische Truppen in Krakau ein, und diese Okkupation dauerte zwei Monate. Doch wurde dies als eine vorübergehende, durch den Krieg notwendig gemachte Maßnahme betrachtet und war im Sturm und Drang jener Zeiten bald vergessen.
1836 wurde Krakau wieder von österreichischen, russischen und preußischen Truppen okkupiert, um, wie es hieß, die Behörden Krakaus zu zwingen, diejenigen Personen auszuliefern, die an der polnischen Revolution vor fünf Jahren teilgenommen hatten. Die Konstitution Krakaus wurde abgeschafft, und die drei dort residierenden Konsuln maßten sich die höchste Autorität an; die Polizei wurde österreichischen Spionen anvertraut, der Senat gestürzt, die Gerichte suspendiert, die Universität durch das Verbot der Immatrikulation von Studenten aus den benachbarten Provinzen lahmgelegt und der Handel der freien Stadt mit den umgebenden Ländern zerstört.<6>
<374> Als der edle Viscount am 18. März 1836 wegen der Okkupation Krakaus interpelliert wurde, erklärte er sie für eine nur vorübergehende Erscheinung. Die Art, wie er das Vorgehen seiner drei nördlichen Alliierten darlegte, erschien ihm selbst so beschönigend und lobrednerisch, daß er plötzlich den glatten Fluß seiner Rede unterbrach, um feierlich zu erklären:
"Ich stehe nicht hier, um Maßnahmen zu verteidigen, die ich im Gegenteil verurteilen und verdammen muß. Ich habe diese Tatsachen nur erwähnt, weil sie, wenn sie auch die gewaltsame Okkupation von Krakau nicht entschuldigen, doch vielleicht eine Rechtfertigung dafür geben usw. ..."
Er gab zu, daß der Wiener Vertrag die drei Mächte verpflichtete, ohne vorherige Einwilligung Englands keinen wie immer gearteten Schritt zu unternehmen.
"Jedoch könne man mit Recht von ihnen sagen, daß sie der Gerechtigkeitsliebe und dem geraden Sinn dieses Landes unwillkürlich ihren Tribut zollten, als sie voraussetzten, daß wir einem solchen Vorgehen niemals zustimmen würden."
Herr Patrick Stewart jedoch war darauf gekommen, daß es bessere Mittel zur Erhaltung Krakaus gäbe als die bloße "Enthaltung von Protesten", und brachte am 20. April 1836 einen Antrag ein, wonach die Regierung angewiesen werden sollte, einen Konsul als Vertreter in die freie Stadt Krakau zu senden, da von den drei nördlichen Mächten sich ebenfalls drei Konsuln dort befänden. Die gleichzeitige Ankunft eines französischen und eines englischen Konsuls in Krakau hätte die Bedeutung eines politischen Ereignisses <7> gehabt. Als der edle Viscount sah, daß die Majorität des Hauses dem Antrag günstig gestimmt war, veranlaßte er Herrn Stewart, ihn zurückzuziehen, indem er die feierliche Zusage gab, daß "die Regierung beabsichtige, einen Konsularagenten nach Krakau zu schicken". Als Lord Dudley Stuart ihn am 22. März 1837 wegen dieses Versprechens interpellierte, antwortete der edle Lord, "er habe seine Absicht geändert; er habe keinen Konsularagenten nach Krakau geschickt und beabsichtige auch im gegenwärtigen Augenblick nicht, es zu tun." Als Lord Dudley Stuart ankündigte, er werde interpellieren, um aktenmäßige Aufklärung über diese sonderbare Transaktion zu bekommen, ver- <375> eitelte der edle Viscount diese Interpellation einfach dadurch, daß er kurzerhand wegblieb und eine Auszählung des Hauses notwendig wurde.<8>
Die "zeitweilige" Okkupation Krakaus dauerte auch noch 1840 fort, und die Bevölkerung richtete daher an die Regierungen Frankreichs und Englands ein Memorandum, das unter anderem folgenden Passus enthält:
"Das Unglück, das die freie Stadt Krakau und ihre Bewohner heimgesucht hat, hat einen derartigen Umfang angenommen, daß die Unterzeichneten für sich und ihre Mitbürger keine andere Zuflucht mehr sehen als bei den erlauchten Regierungen von Frankreich und England. Die Situation, in der sie sich gegenwärtig befinden, berechtigt sie, sich an alle jene Mächte zu wenden, die den Wiener Vertrag mitunterschrieben haben."
Als der edle Viscount am 13. Juli 1840 wegen dieser Krakauer Petition befragt wurde, erklärte er:
"Zwischen Österreich und der britischen Regierung ist die Räumung Krakaus nur mehr eine Frage der Zeit."
Was den Bruch des Wiener Vertrags anbelangt,
"so gäbe es keine Möglichkeit, Englands Ansichten gewaltsam durchzusetzen, selbst wenn dieses Land bereit wäre, zu den Waffen zu greifen, denn Krakau sei augenscheinlich ein Ort, wo eine englische Aktion unmöglich stattfinden könne".
Man beachte, daß zwei Tage nach dieser Erklärung der edle Lord mit Rußland, Österreich und Preußen einen Vertrag schloß, der der englischen Flotte das Schwarze Meer versperrte, vielleicht damit auch dort keine englische Aktion sich entfalten könne. Genau zu derselben Zeit erneuerte der edle Lord die Heilige Allianz Englands mit diesen Mächten gegen Frankreich. Über die Handelsverluste, die England infolge der Okkupation von Krakau erlitt, ließ sich der edle Lord folgendermaßen aus: "der allgemeine Export nach Deutschland ist nicht gesunken", worauf Sir Robert Peel richtig bemerkte, das habe mit Krakau gar nichts zu tun. Zu seinen wirklichen Absichten in dieser Angelegenheit und auch betreffs der Entsendung eines Konsularagenten nach Krakau erwiderte Palmerston:
"Die Art, wie seine unglückselige Erklärung, einen britischen Konsul nach Krakau zu berufen, von den Mitgliedern der Opposition benutzt worden sei" (eine Erklärung, <376> zu der sich der edle Lord 1836 gedrängt gesehen hatte, um einem Tadel durch ein ihm feindliches Parlament zu entgehen), "berechtige ihn dazu, auf eine derartige Frage jede Antwort zu verweigern, die ihn wieder ähnlichen ungerechtfertigten Angriffen aussetzen könnte."
Am 17. August 1846 erklärte er,
"es hänge nicht von der Anwesenheit eines Konsularagenten in Krakau ab, ob der Wiener Vertrag durch die Großmächte Europas eingehalten und durchgeführt werde oder nicht".
Am 28. Januar 1847, als man von Palmerston neuerdings aktenmäßige Belege dafür verlangte, warum die Berufung eines britischen Konsuls nach Krakau nicht erfolgt sei, erklärte er,
"die Angelegenheit habe keinen unbedingten Zusammenhang mit der Diskussion über die Einverleibung Krakaus, und er sähe keinen Nutzen in der Wiederaufnahme einer erregten Debatte über einen Gegenstand, der nur vorübergehendes Interesse besäße".
Er blieb also der Ansicht treu, die er schon am 17. März 1837 über die Vorlegung von Staatsdokumenten geäußert hatte:
"Wenn die Dokumente mit Fragen zusammenhingen, die noch zur Diskussion stehen, so ist ihre Vorlegung gefährlich; beziehen sie sich auf Fragen, die schon erledigt sind, so sind sie entschieden nicht mehr von Nutzen."
Und doch war die britische Regierung durch ihren Konsul in Warschau, Oberst Duplat, sehr genau über die Bedeutung informiert, die Krakau nicht nur in politischer, sondern auch in kommerzieller Hinsicht hat. Dieser berichtete:
"Krakau ist seit seiner Erhebung zu einem unabhängigen Staat immer das Depot sehr bedeutender Quantitäten von englischen Waren gewesen, die vom Schwarzen Meer, von der Moldau und Galizien und sogar über Triest hingesandt wurden und die später ihren Weg in die umliegenden Länder fanden. Im Laufe der Zeit fand es Anschluß an die großen Eisenbahnlinien Böhmens, Preußens, Österreichs ... Auch ist es das Zentrum der wichtigen Eisenbahnverbindung zwischen der Adria und der Ostsee. Es wird gleicherweise in direkte Verbindung mit Warschau kommen... Da man beinahe mit Bestimmtheit voraussehen kann, daß jeder wichtige Punkt der Levante und sogar Indiens und Chinas mit der Adria in Verbindung gesetzt werden wird, so kann man nicht leugnen, daß es auch für England von höchster kommerzieller Bedeutung wäre, im Mittelpunkt des großen Eisenbahnnetzes, das den westlichen Kontinent mit dem östlichen verbindet, eine solche Station wie Krakau zu besitzen."
Selbst Lord Palmerston mußte zugeben, daß der Krakauer Aufstand im Jahre 1846 bewußt von den drei Mächten provoziert war.
"Ich glaube, daß der ursprüngliche Einmarsch der österreichischen Truppen in Krakauer Gebiet auf ein Gesuch der Krakauer Regierung hin erfolgte. Dann aber zogen sich diese österreichischen Truppen zurück. Warum sie sich zurückzogen, ist bis heute nicht geklärt. Mit ihnen zogen sich die Regierung und die Behörden Krakaus zurück, und die unmittelbare oder vielmehr die erste Konsequenz dieses Rückzugs war die Einsetzung einer provisorischen Regierung in Krakau." (Unterhaus, 17. August 1846.)Am 22. Februar 1846 besetzten die österreichischen Truppen, und nach ihnen die russischen und preußischen, Krakau. Am 26. desselben Monats erließ der Kreishauptmann von Tarnow eine Proklamation, in der er die Bauern aufforderte, ihre Gutsherren umzubringen und ihnen dafür "eine angemessene Belohnung in Geld" versprach. Dieser Proklamation folgten die galizischen Exzesse und das Massaker von etwa zweitausend Gutsbesitzern. Am 12. März erschien die österreichische Proklamation an die "getreuen Galizier, die sich zur Aufrechterhaltung von Gesetz und Ordnung erhoben und die Feinde der Ordnung vernichtet hatten". In der offiziellen Gazette vom 28. April erklärte Fürst Friedrich von Schwarzenberg, daß "die Handlungen, die geschehen waren, von der österreichischen Regierung autorisiert worden seien", die natürlich nach einem gemeinsamen Plan mit Rußland und mit Preußen, dem Lakaien des Zaren, vorging. Nach allen diesen Schändlichkeiten hielt es Lord Palmerston für geraten, im Unterhaus folgende Erklärung abzugeben:
"Ich habe eine viel zu hohe Meinung von dem Gerechtigkeitssinn der Regierungen Österreichs, Rußlands und Preußens, um nicht anzunehmen, daß sie Krakau so behandeln werden, wie es behandelt zu werden vertragspflichtig berechtigt ist." (Unterhaus, 17. August 1846.)
Dem edlen Lord war es damals lediglich darum zu tun, das Parlament, dessen Session eben zu Ende ging, loszuwerden. Er versicherte dem Unterhaus, "daß von seiten der britischen Regierung alles geschehen werde, um den Forderungen des Wiener Vertrags den gebührenden Respekt zu verschaffen". Als aber Herr Hume seine Zweifel darüber äußerte, "daß es Lord Palmerstons Absicht sei, die Zurückziehung der russischen und österreichischen Truppen aus Krakau zu veranlassen", ersuchte der edle Lord das Haus, diesen Behauptungen Herrn Humes keine Bedeutung beizumessen. Er sei viel besser informiert und überzeugt, daß die Okkupation von Krakau bloß eine "zeitweilige" sei. Als das Parlament von 1846 in derselben Manier abgefertigt war, wie er es später mit dem Parlament von 1853 machte, erfolgte prompt am 11. November 1846 die österreichische Proklamation, durch die Krakau dem österreichischen Staatsgebiet einverleibt wurde. Als sich am 19. Januar 1847 <378> das Parlament wieder versammelte, erfuhr es durch die Thronrede, daß Krakau dahin sei, daß jedoch dafür ein Protest des tapferen Palmerston zurückgeblieben sei. Um aber diesem Protest von vornherein jeden Schein einer Bedeutung zu nehmen, trachtete der edle Lord zu eben derselben Zeit wegen der spanischen Heiraten England in einen Streit mit Frankreich zu verwickeln, der beinahe zwischen den beiden Ländern zu einem Zusammenstoß geführt hätte, ein Vorgehen, das von Herrn Smith O'Brien einer außerordentlich scharfen Kritik unterzogen wurde. Die französische Regierung hatte sich an Palmerston gewandt, um sich seiner Mitwirkung bei einem gemeinsamen Protest gegen die Einverleibung Krakaus zu versichern. Darauf erwiderte Lord Normanby gemäß den Instruktionen des edlen Viscount, die Gewalttat, die sich Österreich durch die Annektierung Krakaus habe zuschulden kommen lassen, sei nicht größer als die Frankreichs, das eine Heirat des Herzogs von Montpensier mit der spanischen Infantin arrangiert habe - das eine sei ein Bruch des Wiener Vertrags, das andere ein Bruch des Utrechter Vertrags. Nun war der Vertrag von Utrecht, obwohl 1782 erneuert, durch den Antijakobinerkrieg endgültig abgeschafft und daher seit 1792 ganz außer Wirksamkeit getreten. Niemand im Hause wußte das besser als der edle Lord, der anläßlich der Debatten über die Blockaden von Mexiko und Buenos Aires dem Hause selbst mitgeteilt hatte, daß
"die Bestimmungen des Utrechter Vertrags längst durch die Wechselfälle des Krieges erloschen seien, mit Ausnahme einer einzigen Klausel bezüglich der Grenzen Brasiliens und Französisch-Guayanas, einer Klausel, die ausdrücklich dem Wiener Vertrag einverleibt worden sei".
Wir müssen uns noch mit den Bemühungen beschäftigen, die der edle Lord zur Abwehr der Übergriffe Rußlands auf Polen unternommen hatte.
Zwischen England, Holland und Rußland existierte einst ein sonderbares Übereinkommen, die sogenannte russisch-holländische Anleihe. Während des Antijakobinerkrieges kontrahierte der Zar Alexander bei den Herren Hope & Co. in Amsterdam eine Anleihe. Nach dem Fall Napoleons erbot sich der König der Niederlande <Wilhelm I.>, "der sich den verbündeten Mächten für die Befreiung seines Landes erkenntlich zeigen wollte" wie auch für die Annexion Belgiens, auf das er nicht den geringsten Anspruch hatte, einen Vertrag mit Rußland zu schließen, durch den er sich verpflichtete, die 25 Millionen Gulden, die Rußland den Herren Hope & Co. schuldete, ratenweise zu bezahlen; die anderen Mächte hatten zugunsten Rußlands, das eben in größter <379> Geldklemme stak, auf ihre Ansprüche verzichtet. Wohl um seinen Raub der holländischen Kolonien am Kap der Guten Hoffnung sowie Demararas, Essequibos und Berbices zu bemänteln, schloß sich England diesem Vertrag an und verpflichtete sich, einen bestimmten Teil der Rußland zugestandenen Subsidien zu bezahlen. Diese Bestimmung wurde in den Wiener Vertrag aufgenommen, aber unter der ausdrücklichen Bedingung, "daß die Zahlung aufhöre, wenn die Union zwischen Holland und Belgien früher auseinanderginge, als die ganze Schuld liquidiert sei". Als sich nun Belgien durch eine Revolution von Holland löste, weigerte sich Holland selbstverständlich, seinen Teil an Rußland weiter zu zahlen <9>. Und andrerseits hatte Rußland, wie Herr Herries im Parlament konstatierte, "auch nicht das kleinste Jota eines Anspruchs auf eine weitere Zahlung der Schuld seitens Englands". (Unterhaus, 26. Januar 1832.)
Lord Palmerston jedoch fand es ganz natürlich, daß
"Rußland einmal dafür bezahlt wird, weil es die Union zwischen Belgien und Holland unterstützt, und daß es das andere Mal bezahlt wird, weil es für die Trennung dieser beiden Länder eintritt". (Unterhaus, 16. Juli 1832.)
In tragischen Tönen flehte er um getreue Einhaltung der Verträge - vor allem des Wiener Vertrags; und er bemühte sich, einen neuen Vertrag mit Rußland durchzusetzen, datiert vom 16. November 1831, in dessen Einleitung ausdrücklich bemerkt war, daß er geschlossen sei "in Anbetracht der allgemeinen Bestimmungen des Wiener Vertrags, die ihre volle Wirkung behalten sollen".
Als die Bestimmung über die russisch-holländische Anleihe in den Wiener Vertrag aufgenommen worden war, rief der Herzog von Wellington aus:
"Das ist ein diplomatisches Meisterstück von Lord Castlereagh; denn nun ist Rußland zur Einhaltung des Wiener Vertrags durch eine pekuniäre Verbindlichkeit verpflichtet."
Als daher Rußland durch die Okkupation Krakaus den Wiener Vertrag brach, beantragte Herr Hume, jegliche weitere Zahlung des britischen Schatzamts an Rußland einzustellen. Der edle Viscount jedoch dachte, daß, wenn Rußland auch das Recht habe, den Wiener Vertrag in bezug auf Polen zu <380> brechen, England doch durch denselben Vertrag Rußland gegenüber gebunden bleiben müsse.
Doch ist damit noch nicht das außerordentliche Vorgehen des edlen Lords erschöpft. Nachdem die belgische Revolution ausgebrochen war und ehe noch das Parlament die neue russische Anleihe genehmigt hatte, nahm Palmerston schon die Kosten des russischen Krieges gegen Polen auf sich unter dem falschen Vorwand, die alte Schuld abzuzahlen, die England 1815 kontrahiert hatte; und das, obgleich wir, gestützt auf die Autorität des größten englischen Juristen Sir E. Sugden, jetzt Lord St. Leonards, feststellen können, daß "es in dieser Frage keinen einzigen strittigen Punkt gab und daß die Regierung in keiner Weise Vollmacht hatte, nur einen Schilling zu bezahlen". (Unterhaus, 26. Januar 1832.) Ebenso können wir, gestützt auf die Autorität Sir Robert Peels, feststellen, "daß der edle Lord gesetzlich nicht das Recht besaß, das Geld vorzustrecken". (Unterhaus, 12. Juli 1832.)
Jetzt begreifen wir also, warum der edle Lord bei jeder Gelegenheit wiederholt, daß "für einen feinfühligen Menschen nichts peinlicher sein könne als diese Erörterungen über Polen".<10>
<11>["The People's Paper" Nr. 80 vom 12. November 1853]
Ein ewiges und unerschöpfliches Thema zur Selbstverherrlichung sind für den edlen Viscount die Dienste, die er der Sache der konstitutionellen Freiheit auf dem ganzen Kontinent geleistet hat. In der Tat verdankt ihm <381> die Welt die Erfindung der konstitutionellen Königreiche Portugal, Spanien und Griechenland - dreier politischer Phantome, die sich nur mit Wagners Homunkulus im "Faust" vergleichen lassen. Portugal, seufzend unter dem Joche eines ungeheuren Fleischklumpens, genannt Donna Maria da Gloria, hinter der ein Coburger <Ferdinand August von Sachsen-Coburg> steht,
"muß als eine der achtunggebietenden Mächte Europas betrachtet werden". (Unterhaus, 10. März 1837.)
Und während der edle Viscount also sprach, gingen in Lissabon sechs englische Linienschiffe vor Anker, die die "achtunggebietende" Tochter Don Pedros vor ihrem portugiesischen Volke schützen und ihr helfen sollten, dieselbe Konstitution zu vernichten, die zu beschirmen sie geschworen hatte. Spanien, das einer anderen Maria <Maria-Christina> preisgegeben ist, die, obwohl als notorische Sünderin bekannt, doch nie zu einer Magdalena werden wird,
"erscheint uns als eine reiche, blühende, ja sogar furchterregende Macht unter den europäischen Königreichen". (Lord Palmerston im Unterhaus, 10. März 1837.)
Allerdings, furchterregend für alle Besitzer von spanischen Wertpapieren. Aber sogar für die Auslieferung des Geburtslandes eines Perikles und Sophokles an die nominelle Herrschaft eines bayrischen Idiotenknaben <Otto I.> hat der edle Lord gute Gründe zur Hand.
"König Otto gehört einem Lande an, in dem eine freie Verfassung besteht." (Unterhaus, 8. August 1832.)
Eine freie Verfassung in Bayern, dem deutschen Böotien! Das übersteigt die licentia poetica <dichterische Freiheit> einer rhetorischen Floskel, die "begründeten Hoffnungen" Spaniens und die "achtunggebietende" Macht Portugals. Was nun Belgien betrifft, so tat Lord Palmerston nichts anderes, als daß er es mit einem Teil der holländischen Schuld belastete, ihm die Provinz Luxemburg abknöpfte und die Dynastie Coburg aufhalste. Was die Entente cordiale mit Frankreich anbelangt, so begann sie von dem Augenblick an zu kränkeln, da <382> Palmerston 1834 vorgab, sie durch die Quadrupelallianz auszubauen; an dem Beispiel mit Polen sahen wir überdies, wie er damit verfuhr, und weiterhin werden wir noch erfahren, was in seinen Händen aus ihr wurde.
Eine jener Tatsachen, die von den Zeitgenossen kaum beachtet, dennoch einen weithin sichtbaren Markstein in der Geschichte bedeuten, ist die militärische Besetzung Konstantinopels durch die Russen 1833.
Endlich war der ewige Traum Rußlands in Erfüllung gegangen. Endlich hielt der Barbar von den eisigen Ufern der Newa das üppige Byzanz und die sonnigen Küsten des Bosporus in seinem eisernen Griff. Der sich aus eigener Machtvollkommenheit zum Erben der griechischen Kaiser aufgeschwungen, besetzte nun, und wenn auch nur vorübergehend, das Rom des Orients.
"Die Okkupation Konstantinopels durch russische Truppen besiegelte das Schicksal der Türkei als einer unabhängigen Macht. Die Tatsache, daß Rußland Konstantinopel besetzt hielt, wenn auch nur zum Zwecke, es zu schützen, war ein ebenso entscheidender Schlag gegen die türkische Unabhängigkeit, als wenn die russische Flagge schon vom Serail herabwehte." (Sir Robert Peel im Unterhaus, 17. März 1834.)
Infolge des unglücklichen Kriegs von 1828/29 hatte die Pforte ihr Prestige in den Augen der eigenen Untertanen verloren. Und so brachen - wie es in orientalischen Staaten stets zu sein pflegt, wenn die oberste Macht geschwächt ist - auch hier erfolgreiche Revolten der Paschas aus. Schon im Oktober 1831 begann der Konflikt zwischen dem Sultan <Machmud II.> und Mechmed Ali, dem Pascha von Ägypten, der die Pforte während des griechischen Aufstands unterstützt hatte. Im Frühling 1832 marschierte dessen Sohn Ibrahim Pascha mit seiner Armee in Syrien ein, eroberte diese Provinz durch die Schlacht von Homs, überstieg den Taurus, vernichtete die türkische Armee in der Schlacht von Konia und marschierte auf Stambul.
Der Sultan mußte sich am 2. Februar 1833 nach St. Petersburg um Hilfe wenden. Am 17. Februar kam der französische Admiral Roussin in Konstantinopel an, wurde zwei Tage später bei der Pforte vorstellig und bemühte sich um den Rückzug des Paschas unter gewissen Bedingungen, einschließlich der Abweisung der Hilfe Rußlands. Da Roussin aber ganz allein stand, so konnte er mit Rußland selbstverständlich nicht fertig werden. "Du hast gebeten und ich bin erschienen." Am 20. Februar brach ein großes russisches Geschwader von Sewastopol auf, schiffte eine große Zahl russischer Truppen an der Küste des Bosporus aus und belagerte die Hauptstadt. So erpicht war Rußland auf die Beschützung der Türkei, daß es gleichzeitig an den <383> Pascha von Trapezunt wie an den von Erzerum russische Offiziere sandte, die ihnen melden sollten, daß diese beiden Orte ab sofort unter dem Schutz einer russischen Armee stehen würden, falls Ibrahims Truppen gegen Erzerum vorrücken sollten. Ende Mai 1833 kam Graf Orlow aus Petersburg und gab dem Sultan zu verstehen, daß er ein kleines Blatt Papier mitgebracht habe, welches der Sultan, ohne sich mit seinen Ministern zu beraten und ohne Wissen irgendeines bei der Pforte akkreditierten diplomatischen Vertreters, unterschreiben solle. So kam der famose Vertrag von Hunkiar-Iskelessi zustande, der auf acht Jahre abgeschlossen ward. Darin ging die Pforte ein Defensiv- und Offensivbündnis mit Rußland ein, verzichtete auf das Recht, mit anderen Mächten irgendwelche neuen Verträge zu schließen, außer wenn Rußland daran beteiligt sei, und bestätigte die früheren russisch-türkischen Verträge, besonders den von Adrianopel. Durch eine dem Vertrag beigefügte Geheimklausel verpflichtete sich die Pforte,
"zugunsten des kaiserlichen Hofes von Rußland die Meerenge der Dardanellen zu schließen, d.h., nicht zu gestatten, daß ein fremdes Kriegsschiff unter einem wie immer gearteten Vorwand dort einfahre".
Wem verdankte es der Zar, daß er Konstantinopel mit seinen Truppen besetzen und kraft des Vertrags von Hunkiar-Iskelessi den obersten Sitz des Ottomanischen Reichs von Konstantinopel nach St. Petersburg verlegen durfte? Wem anders als dem sehr ehrenwerten Henry John Viscount Palmerston, Baron Temple, Peer von Irland, Mitglied des höchst ehrenwerten Staatsrats Seiner Majestät, Ritter des Großkreuzes des höchst ehrenwerten Bathordens, Mitglied des Parlaments und Seiner Majestät oberster Minister für Auswärtige Angelegenheiten.
Der Vertrag von Hunkiar-Iskelessi wurde am 8. Juli 1833 abgeschlossen. Am 1. Juli 1833 beantragte Herr H. L. Bulwer die Vorlegung von Akten über die türkisch-syrischen Angelegenheiten. Der edle Lord widersetzte sich dem Antrag, denn die
"Transaktionen, auf die sich die geforderten Akten bezögen, seien noch nicht abgeschlossen, und gerade von dem Abschluß hinge der Charakter der ganzen Transaktion ab. Da die Resultate noch nicht bekannt seien, so sei der Antrag verfrüht". (Unterhaus, 11. Juli 1833.)
Von Herrn Bulwer beschuldigt, nicht zur Verteidigung des Sultans gegen Mechmed Ali eingeschritten zu sein und dadurch den Vormarsch der russischen Armee nicht verhindert zu haben, wandte er jenes eigenartige System an, das zugleich Abwehr und Eingeständnis war, das er bei späteren <384> Anlässen noch weiter entwickelte, und dessen membra disjecta <zerstreuten Gliedmaßen, hier: Einzelteile> ich nun zusammensuchen will.
"Er möchte es nicht auf sich nehmen, zu leugnen, daß sich der Sultan in der zweiten Hälfte des vorigen Jahres an England um Hilfe gewandt habe." (Unterhaus, 11. Juli 1833.) "Die Pforte suchte im Laufe des Monats August offiziell um Hilfe an." (Unterhaus, 24. August 1833.)
Aber nein, nicht im August.
"Das Ansuchen der Pforte um Hilfe durch die Flotte war im Oktober 1832 erfolgt." (Unterhaus, 28. August 1833.)
Aber nein, nicht im Oktober.
"Es war im November 1832, als die Pforte um Hilfe bat." (Unterhaus, 17. März 1834.)
Der edle Lord ist über das Datum, an dem die Pforte seine Hilfe anflehte, genauso unsicher, wie Falstaff unsicher war über die Zahl der Schelme in Steifleinen, in hellgrünen Röcken, die ihn überfallen hatten. Doch ist er nicht geneigt, zu leugnen, daß die von Rußland angebotene bewaffnete Hilfe von der Pforte abgelehnt wurde und daß diese sich an ihn, Lord Palmerston, wandte. Er schlug die Bitten der Pforte ab. Die Pforte wandte sich von neuem an den edlen Lord, sandte zuerst Herrn Maurogeni, dann Namyk Pascha nach London, die inständig um Unterstützung durch ein Geschwader baten, unter der Bedingung, daß der Sultan die ganzen Kosten für dieses Geschwader tragen werde, und sich überdies den britischen Untertanen in der Türkei für diesen Sukkurs durch Gewährung neuer Handelsprivilegien und Vorteile erkenntlich zu zeigen versprachen. So sicher war Rußland, daß der edle Lord sich weigern würde, daß es sich sogar dem türkischen Abgesandten in seiner Bitte an Seine Lordschaft um Sukkurs anschloß. Er sagt uns selbst:
"Die Gerechtigkeit gebiete ihm, festzustellen, daß Rußland, weit entfernt, in der Gewährung dieser Hilfe durch England einen Grund zur Eifersucht zu sehen, ihm, als die Sache noch schwebte, durch seinen Botschafter offiziell mitteilen ließ, daß es von diesem Ansuchen der Türkei erfahren habe und daß bei dem Interesse, das Rußland an dem Bestehen und der Erhaltung des Türkischen Reichs nähme, es sehr befriedigt davon wäre, wenn sich die Minister dazu verstehen könnten, diesem Ansuchen zu entsprechen." (Unterhaus, 28. August 1833.)
Der edle Lord blieb jedoch unerbittlich und taub allen Vorstellungen der Pforte gegenüber, obgleich diese doch an dem uneigennützigen Rußland <385> selbst einen Fürsprecher fand. Da begann die Pforte zu begreifen, was man von ihr erwartete. Sie verstand, daß sie dazu verurteilt war, den Bock zum Gärtner zu machen. Noch immer schwankte sie, und erst drei Monate später entschloß sie sich, Rußlands Hilfe anzunehmen.
"Großbritannien", sagte der edle Lord, "hat sich nie darüber beschwert, daß Rußland diese Hilfe gewährte, sondern wir waren im Gegenteil froh, daß die Türkei von irgendwoher wirksame Unterstützung bekam." (Unterhaus, 17. März 1834.)
Zu welchem Zeitpunkt immer die Pforte Lord Palmerstons Hilfe erfleht haben mag, er muß zugeben,
"es besteht kein Zweifel, wenn England es für zweckmäßig gehalten hätte, einzugreifen, sicher der Vormarsch der eindringenden Armee dadurch aufgehalten und die russischen Truppen nicht ins Land gerufen worden wären". (Unterhaus, 11. Juli 1833.)
Warum also hatte er es denn nicht für "zweckmäßig" gehalten, einzuschreiten und die Russen fernzuhalten?
Erstens beruft er sich auf Mangel an Zeit. Nach seinen eigenen Angaben jedoch entstand der Konflikt zwischen der Pforte und Mechmed Ali schon im Oktober 1831, während die entscheidende Schlacht bei Konia erst am 21. Dezember 1832 stattfand. Konnte er während dieser ganzen langen Periode nicht die nötige Zeit finden? Eine große Schlacht wurde im Juli 1832 von Ibrahim Pascha gewonnen, und von Juli bis Dezember konnte er wieder nicht Zeit finden. Mußte er doch die ganze lange Zeit auf ein formelles Gesuch der Pforte warten, das, wie er uns jüngst erzählte, erst am 3. November erfolgte.
"Wußte er denn", fragt Sir Robert Peel, "so gar nichts von den Vorgängen in der Levante, daß er erst ein formelles Gesuch abwarten mußte?" (Unterhaus, 17. März 1834.)
Und von November, wo das formelle Gesuch erfolgte, vergingen bis Ende Februar wieder vier lange Monate, denn Rußland erschien erst am 20. Februar 1833. Warum also tat er nichts in dieser Zeit?
Aber er hat noch bessere Gründe in Bereitschaft.
Der Pascha von Ägypten war ja nichts als ein rebellierender Untertan, und der Sultan war der Suzerän.
"Da es der Krieg eines Untertanen gegen den Souverän war, und da dieser Souverän ein Bundesgenosse des Königs von England ist, so hätte es sich nicht mit Treu und Glauben vertragen, mit dem Pascha irgendwelche Verbindungen zu haben." (Unterhaus, 28. August 1833.)
Die Etikette also verbot dem edlen Lord, Ibrahims Armeen aufzuhalten. Die Etikette verbot ihm, seinem Konsul in Alexandria Instruktionen zu er- <386> teilen, damit er seinen Einfluß bei Mechmed Ali geltend mache. Dem spanischen Granden gleich würde auch der edle Lord eher die Königin zu Asche verbrennen lassen, ehe er die Etikette verletzte und ihre Unterröcke berührte. Der Zufall aber will es, daß der edle Lord schon 1832 ohne Einwilligung des Sultans bei diesem "Untertanen" des Sultans Konsuln und diplomatische Agenten akkreditiert hatte, mit Mechmed Verträge eingegangen war und bereits bestehende Handelsbestimmungen und Zollverordnungen geändert und andere an deren Stelle gesetzt hatte. Und alles das, ohne sich um die vorherige Einwilligung der Pforte oder deren nachträgliche Zustimmung zu bekümmern. (Unterhaus, 23. Februar 1848.)
Dementsprechend teilte uns Lord Grey, der damalige Chef des edlen Viscount mit, daß England
"im Augenblick ausgedehnte Handelsverbindungen mit Mechmed Ali hätte, die zu stören nicht in seinem Interesse gelegen hätte". (Oberhaus, 4. Februar 1834.)
So so, Handelsverbindungen mit dem "rebellierenden Untertan"!
Aber die Schiffe des edlen Lords waren eben am Duero und am Tajo beschäftigt, mußten die Schelde blockieren und bei den Geburtswehen der konstitutionellen Königreiche Portugal, Spanien und Belgien Hebammendienste leisten; da konnte er freilich kein einziges Schiff entbehren. (Unterhaus, 11. Juli 1833 und 17. März 1834.)
Und gerade das, worauf der Sultan immer wieder bestand, war die Hilfe zur See. Doch nehmen wir an, daß der Lord wirklich außerstande war, auch nur über ein einziges Schiff zu verfügen. Es gibt aber große Autoritäten, die uns versichern, es hätte weniger eines einzigen Schiffes, als eines einzigen Wortes von seiten des edlen Lords bedurfte.<12> Und zu ihnen gehört Admiral Codrington, der Zerstörer der türkischen Flotte bei Navarino.
Dieser äußerte im Unterhaus am 20. April 1836:
"Mechmed Ali hatte seinerzeit gefühlt, welches Gewicht unsere Vorstellungen hatten, als es sich um die Räumung Moreas handelte. Er hatte damals von der Pforte die Weisung bekommen, bei Gefahr seines Kopfes allen Aufforderungen zur Räumung Moreas zu widerstehen; und er leistete dementsprechend Widerstand, gab aber zuletzt vernünftigerweise nach und räumte Morea."
Ferner äußerte der Herzog von Wellington:
"Hätte man während der Sessionen von 1832 oder 1833 Mechmed Ali klar und deutlich gesagt, er solle seine Kämpfe in Kleinasien und Syrien einstellen, so wäre dadurch dem Krieg ein Ende gesetzt worden, ohne daß man riskiert hätte, daß der Kaiser von Rußland eine Flotte und eine Armee nach Konstantinopel schicken durfte." (Oberhaus, 4. Februar 1834.)Es gibt aber noch gewichtigere Autoritäten dafür, vor allem der edle Lord selbst, der uns im Unterhaus am 17. März 1834 mitteilt:
"Obgleich die Regierung Seiner Majestät der Bitte des Sultans um Hilfe zur See nicht nachkam, so wurde ihm doch die moralische Hilfe Englands gewährt. Und die Mitteilungen, die die britische Regierung dem Pascha von Ägypten und dem in Kleinasien kommandierenden Ibrahim Pascha machte, trugen wesentlich dazu bei, das Übereinkommen" (von Kutahia) "zwischen dem Sultan und dem Pascha zustande zu bringen, durch das der Krieg beendet wurde.
Da ist ferner Lord Derby, damals noch Lord Stanley und Mitglied des Kabinetts Palmerston, der
"kühnlich behauptet, daß Mechmed Alis Vormarsch nur durch die entschiedene Erklärung Englands und Frankreichs gehindert worden sei, sie wurden die Okkupation Konstantinopels durch seine Truppen nicht zulassen". (Unterhaus, 17. März 1834.)
Es waren also nach Lord Derbys und Lord Palmerstons eigenem Ausspruch nicht Rußlands Flotte und Armee in Konstantinopel, sondern die entschiedene Erklärung des britischen Konsularagenten in Alexandria, die Ibrahims Siegesmarsch nach Konstantinopel zum Stillstand und das Abkommen von Kutahia zuwege brachte, durch das Mechmed Ali neben Ägypten noch das Paschalik von Syrien und das von Adana sowie andere Orte als Zugabe erhielt. Der edle Lord hielt es jedoch für angezeigt, daß sein Konsul in Alexandria diese ausdrückliche Erklärung nicht früher abgeben durfte, als bis die türkische Armee zerstört, Konstantinopel von den Kosaken gestürmt, der Vertrag von Hunkiar-Iskelessi vom Sultan unterzeichnet und vom Zaren in die Schublade gelegt wurde.
Wenn der Mangel an Zeit und der Mangel an Schiffen den edlen Lord schon verhindert hatten, dem Sultan zu helfen, und ein Übermaß von Etikette ihn hinderte, den Pascha zurückzuhalten, hielt er doch dann wenigstens seinen Botschafter in Konstantinopel dazu an, sich gegen eine allzu starke Einflußnahme Rußlands zu verwahren und seinen Einfluß in bestimmte Grenzen zu bannen? O nein, im Gegenteil. Um nicht etwa Rußland in seiner Bewegungsfreiheit zu hindern, achtete der edle Lord sehr genau darauf, während der allerkritischsten Periode der Krise überhaupt keinen Botschafter in Konstantinopel zu haben.
"Wenn je in einem Lande die Stellung und das Ansehen eines Botschafters von großem Nutzen gewesen wären und es je eine Zeit gegeben hat, in der diese Stellung und dieses Ansehen aufs vorteilhafteste hätten gebraucht werden können, dann war es die Türkei in den sechs Monaten vor dem 8. Juli." (Lord Mahon im Unterhaus, 20. April 1836.)Lord Palmerston teilt uns mit, daß der britische Botschafter, Sir Stratford Canning, Konstantinopel im September 1832 verließ; daß Lord Ponsonby, damals in Neapel, an seiner Statt im November ernannt wurde, daß "sich seiner Hinreise Schwierigkeiten in den Weg stellten", obgleich ein Kriegsschiff auf ihn wartete, und "daß sich seine Ankunft in Konstantinopel der ungünstigen Witterung halber bis Ende Mai 1833 verzögerte". (Unterhaus, 17. März 1834.)
Rußland war noch nicht einmarschiert, folglich erhielt Lord Ponsonby Befehl, zur Überfahrt von Neapel nach Konstantinopel sieben Monate zu brauchen.<13>
Warum auch sollte der edle Lord die Russen an der Okkupation Konstantinopels hindern?
"Er seinerseits hegte große Zweifel, ob es je die politische Absicht der russischen Regierung gewesen, das Ottomanische Reich zu teilen." (Unterhaus, 11 Juli 1833.)
O sicherlich nicht! Rußland wollte durchaus keine Teilung, es wollte lieber das ganze Reich für sich behalten. Außer der Sicherheit, die dieser Zweifel Lord Palmerston verlieh, gab ihm noch eine zweite Sicherheit der "Zweifel, ob im gegebenen Augenblick Rußlands Politik darauf abziele, diesen Plan jetzt zu verwirklichen", und eine dritte "Sicherheit", der dritte "Zweifel", ob
"die russische Nation" (man denke: eine russische Nation!) "zu einer solchen Verlegung der Staatsgewalt, der Residenz und der Regierung nach den südlichen Provinzen gerüstet wäre, wie sie die notwendige Konsequenz einer Eroberung Konstantinopels durch Rußland sein müßte". (Unterhaus, 11. Juli 1833.)
Außer diesen negativen Argumenten besaß der edle Lord noch ein positives:
"Wenn England der zeitweiligen Okkupation der türkischen Hauptstadt durch die russischen Streitmächte ruhig zusah, so geschah das deshalb, weil es vollstes Vertrauen <389> in die Ehrenhaftigkeit und Redlichkeit Rußlands setzte ... Die russische Regierung hatte, als sie dem Sultan ihre Hilfe zusagte, zugleich ihre Ehre verpfändet, und auf dieses Unterpfand setzte er sein vollstes Vertrauen."
<14> (Unterhaus, 1. Juli 1833.)So unerreicht, so unzerstörbar, so vollständig, so unvergänglich, so unbezwinglich, so unberechenbar, so unwiderruflich, so unheilbar, unermeßlich, unerschrocken und unvergleichlich war das Vertrauen des edlen Lords, daß er noch am 17. März 1834, als der Vertrag von Hunkiar-Iskelessi schon zur vollendeten Tatsache geworden war, noch immer versicherte, "die Minister seien in ihrem Vertrauen nicht getäuscht worden". Sein Fehler ist es nicht, wenn die Natur sein Organ der Vertrauensseligkeit zu fast übernatürlichen Dimensionen ausgebildet hat.
["The People's Paper" Nr. 81 vom 19. November 1853]
Der Inhalt des Vertrags von Hunkiar-Iskelessi wurde im "Morning Herald" vom 21. August 1833 veröffentlicht. Am 24. August interpellierte Sir Robert Inglis im Unterhaus Lord Palmerston,
"ob wirklich zwischen Rußland und der Türkei ein Defensiv- und Offensivvertrag abgeschlossen worden sei? Er hoffe, daß der edle Lord imstande sein werde, ehe das Parlament sich vertage, dem Hause nicht nur die abgeschlossenen Verträge, sondern alle Mitteilungen vorzulegen, die sich auf das Zustandekommen dieser Verträge zwischen Türkei und Rußland bezögen."
Lord Palmerston erwiderte,
"daß erst, wenn man die Gewißheit hätte, daß ein solcher Vertrag wirklich existierte, und wenn man in seinen Besitz gelangt sei, die Zeit gekommen wäre, sich zu entscheiden, welche politischen Schritte man unternehmen werde ... Sein Fehler sei es nicht, wenn hie und da die Presse der Regierung voraus sei." (Unterhaus, 24. August 1833.)
<390> Sieben Monate später versicherte er dem Haus,
"es sei absolut unmöglich gewesen, daß ihm der Vertrag von Hunkiar-Iskelessi, der in Konstantinopel erst im September ratifiziert worden sei, schon im August offiziell bekannt gewesen". (Unterhaus, 17. März 1834.)
Wohl kannte er den Vertrag schon im August, aber nicht offiziell.
"Die britische Regierung war erstaunt, als sie erfuhr, daß die russischen Truppen beim Verlassen des Bosporus diesen Vertrag mit sich fortnahmen." (Lord Palmerston im Unterhaus, 1. März 1848.)
Ja, der edle Lord war im Besitz des Vertrags, ehe er noch abgeschlossen war.
"Kaum hatte die Pforte den Entwurf des Vertrags von Hunkiar-Iskelessi erhalten, als sie ihn auch schon der englischen Botschaft in Konstantinopel übermittelte und zugleich um Schutz gegen Ibrahim Pascha und Nikolaus bat. Die Bitte wurde abgeschlagen, aber nicht genug damit. Mit geradezu teuflischer Perfidie teilte man dem russischen Minister die Tatsache mit. Und am nächsten Tage überreichte der russische Botschafter der Pforte dasselbe Exemplar des Vertrags, das sie der englischen Botschaft übergeben hatte, wobei er der Pforte ironisch den Rat gab, sie 'möge ein andermal ihre Vertrauten besser wählen'." (Unterhaus, 8. Februar 1848.)
Der edle Lord aber hatte alles erreicht, woran ihm gelegen war. Am 24. August 1833 war er wegen des Vertrags von Hunkiar-Iskelessi, von dessen Existenz er noch nicht überzeugt war, interpelliert worden. Am 29. August vertagte sich das Parlament, dem in einer Thronrede die trostreiche Versicherung gegeben worden war,
"daß die Feindseligkeiten, die den Frieden der Türkei gestört hatten, beendigt seien und das Haus versichert sein könne, daß der König nach wie vor mit größter Aufmerksamkeit die Ereignisse im Auge behalten würde, die den jetzigen Stand der Dinge in der Türkei oder die künftige Unabhängigkeit dieses Staates beeinträchtigen könnten".
Hier also haben wir den Schlüssel zu den famosen Juli-Verträgen Rußlands. Im Juli werden sie abgeschlossen, im August dringt durch die Presse etwas davon in die Öffentlichkeit. Lord Palmerston wird im Unterhaus darüber interpelliert. Er weiß natürlich von nichts. Das Parlament wird vertagt, und wenn es wieder zusammentritt, ist der Vertrag schon eine alte Sache oder ist, wie Anno 1841, bereits durchgeführt, der öffentlichen Meinung zum Trotz.
Am 29. August 1833 vertagte sich das Parlament, und am 5. Februar 1834 trat es wieder zusammen. In den Zeitraum zwischen Vertagung und Wiederzusammentritt fallen zwei Ereignisse, die aufs engste miteinander verknüpft <391> sind. Zum ersten rückten die vereinigten französischen und englischen Flotten gegen die Dardanellen vor, entfalteten dort die Trikolore und den Union Jack, segelten weiter nach Smyrna und kehrten von dort nach Malta zurück. Zum zweiten wurde am 29. Januar 1834 zwischen Rußland und der Türkei ein neuer Vertrag geschlossen - der Vertrag von St. Petersburg. Dieser Vertrag war kaum unterzeichnet, als die vereinigten Flotten zurückgezogen wurden.
Diese kombinierten Manöver bezweckten nichts anderes, als das englische Volk und Europa glauben zu machen, die feindliche Demonstration in den türkischen Gewässern sei gegen die Pforte gerichtet gewesen als Protest gegen den Abschluß des Vertrags von Hunkiar-Iskelessi und habe Rußland den neuen Vertrag von St. Petersburg aufgezwungen. Dieser Vertrag, der die Räumung der Fürstentümer versprach und die türkischen Zahlungen auf ein Drittel der ursprünglich angesetzten Summe reduzierte, brachte der Pforte scheinbar einige Erleichterungen der Verbindlichkeiten, die ihr der Vertrag von Adrianopel auferlegt hatte. In allen anderen Punkten war er nur eine Ratifikation des Vertrags von Adrianopel; auf den Vertrag von Hunkiar-Iskelessi wurde überhaupt nicht zurückgegriffen, noch wurde ein einziges Wort wegen der Durchfahrt durch die Dardanellen erwähnt. Im Gegenteil, die kleinen Erleichterungen, die er der Türkei gewährte, waren der Kaufpreis dafür, daß durch den Vertrag von Hunkiar-Iskelessi die Dardanellen für Europa geschlossen wurden.
"Zu derselben Zeit, als die Demonstration" (der britischen Flotte) "stattfand, gab der edle Lord beim englischen Hof dem russischen Botschafter die Versicherung, daß dieses gemeinsame Vorgehen der Flotten weder als feindselige Absicht noch als feindselige Demonstration gegen Rußland aufgefaßt werden dürfe, sondern daß sie tatsächlich gar nichts zu bedeuten habe. Ich stütze mich bei dieser Mitteilung auf die Autorität des Lords Ponsonby, des Kollegen des edlen Lords und Botschafters in Konstantinopel." (Herr Anstey im Unterhaus, 23. Februar 1848.)
Nachdem der Vertrag von St. Petersburg ratifiziert war, sprach der edle Lord seine Befriedigung über die Mäßigung aus, die sich Rußland in seinen Forderungen auferlegt habe.
Nach dem Wiederzusammentritt des Parlaments erschien im "Globe", dem Organ des Ministeriums des Auswärtigen, eine Notiz, die besagte,
"der Vertrag von St. Petersburg sei entweder ein Beweis für die Mäßigung und die vernünftige Denkungsart Rußlands oder für den Einfluß, den das Bündnis Englands und Frankreichs und das feste, einmütige Auftreten dieser beiden Machte im hohen Rat von St. Petersburg ausübten". ("Globe", 24. Februar 1834.)
<392> So sollten die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit von dem Vertrag von Hunkiar-Iskelessi abgelenkt und die Feindseligkeit, die er in Europa gegen Rußland ausgelöst hatte, besänftigt werden.<15>
Doch so genial das Manöver auch war, es sollte doch mißlingen. Am 17. März 1834 brachte Herr Sheil einen Antrag ein, der verlangte,
"die Kopien aller Verträge zwischen Rußland und der Türkei und der ganzen Korrespondenz zwischen der englischen, türkischen und russischen Regierung, die sich auf diese Verträge bezögen, sollen dem Hause vorgelegt werden".
Der edle Lord widersetzte sich diesem Antrag aufs äußerste, und es gelang ihm, ihn dadurch zu vereiteln, daß er dem Haus versicherte, "der Friede könne nur gewahrt werden, wenn das Haus volles Zutrauen in die Regierung setze" und diesen Antrag zurückweise. Die Gründe, auf die er sich bei seiner Weigerung, die Akten vorzulegen, stützte, waren so ungeschickt, daß Sir Robert Peel ihn in seiner parlamentarischen Ausdrucksweise "einen durchaus nicht überzeugenden Debattierer" nannte, und sein eigener Anhänger, Oberst Evans, zugeben mußte:
"Die Rede des edlen Lords erscheine ihm als die unbefriedigendste, die er je von ihm gehört habe."
Lord Palmerston bemühte sich, das Haus davon zu überzeugen, daß nach den Versicherungen Rußlands der Vertrag von Hunkiar-Iskelessi als ein "auf Gegenseitigkeit beruhender" anzusehen sei. Diese Gegenseitigkeit bestehe darin, daß die Dardanellen im Kriegsfalle nicht nur für England, sondern auch für Rußland gesperrt sein sollten. Die Behauptung ist an sich schon falsch, aber gesetzt, sie wäre richtig, so wäre das nichts anderes als englisch-irische Gegenseitigkeit, d.h. eine, die nur der einen Seite alle Vorteile einräumt. Denn wenn Rußland die Dardanellen passiert, so geschieht es nicht, um in das Schwarze Meer zu gelangen, sondern um es im Gegenteil zu verlassen.
Weit entfernt, Herrn Sheils Behauptung zu entkräften, daß "der Vertrag von Hunkiar-Iskelessi auf dasselbe hinausliefe, als wenn die Pforte den <393> Besitz der Dardanellen an Rußland abträte", gab Lord Palmerston zu, daß der Vertrag die Dardanellen britischen Kriegsschiffen verschließe und daß "nach den Artikeln dieses Vertrags tatsächlich sogar Handelsschiffe vom Schwarzen Meer erfolgreich ausgeschlossen werden könnten", sollte es zwischen England und Rußland zum Krieg kommen. Wenn aber die Regierung mit "Mäßigung" vorginge, "kein unnötiges Mißtrauen zeigte", d.h., wenn sie sich allen weiteren Übergriffen Rußlands schweigend fügte, so wäre er
"geneigt, anzunehmen, daß der Fall möglicherweise gar nicht einträte, daß dieser Vertrag in Kraft zu treten brauchte; und daß er daher tatsächlich toter Buchstabe bleiben würde". (Unterhaus 17. März 1834.)
Außerdem hätte die britische Regierung von den vertragschließenden Parteien solche "Zusicherungen und Erklärungen" bekommen, daß man alle Einwendungen gegen den Vertrag füglich fallenlassen könne. Also nicht die Artikel des Vertrags von Hunkiar-Iskelessi, sondern. die Versicherungen, die Rußland darüber abgab, nicht Rußlands Taten, sondern seine Worte müsse man nach Lord Palmerstons Ansicht in Betracht ziehen. Als aber an demselben Tage seine Aufmerksamkeit auf den Protest des französischen Geschäftsträgers, Herrn Lagrené, gegen den Vertrag von Hunkiar-Iskelessi gelenkt wurde und die beleidigende und unverschämte Sprache des Grafen Nesselrode bekannt wurde, mit der dieser in dem "Journal de Saint-Pétersbourg" erklärte, "der Kaiser von Rußland werde so handeln, als ob die in der Note Lagrenés enthaltene Erklärung überhaupt nicht vorhanden wäre", da leugnete der edle Lord seine eigenen Worte und verkündete eine entgegengesetzte Doktrin, nämlich
"daß es zu jeder Zeit die Pflicht der englischen Regierung sei, mehr auf die Taten einer fremden Macht zu sehen als auf die Sprache, die sie bei dem oder jenem Anlaß im Munde führe".
Einmal also berief er sich auf Rußlands Taten im Gegensatz zu dessen Worten und ein andermal wieder auf Rußlands Worte gegenüber dessen Taten.
Noch im Jahre 1837 versicherte er dem Haus, daß
"der Vertrag von Hunkiar-Iskelessi ein Vertrag zwischen zwei unabhängigen Mächten sei". (Unterhaus, 14. Dezember 1837.)
Zehn Jahre später, nachdem der Vertrag längst abgelaufen war, und der edle Lord sich eben anschickte, die Rolle des echt englischen Ministers zu spielen und des "civis Romanus sum", erklärte er dem Hause rundheraus,
"der Vertrag von Hunkiar-Iskelessi war der Türkei zweifellos bis zu einem gewissen Grad durch den russischen Gesandten, Grafen Orlow, unter Verhältnissen aufgezwungen worden" (durch den edlen Lord selbst geschaffen), "die es der Türkei schwer machten, seine Annahme zurückzuweisen ... Der Vertrag verlieh der russischen Regierung faktisch eine solche Möglichkeit, sich in die Angelegenheiten der Türkei einzumischen und ihr Bedingungen zu diktieren, wie sie sich mit der Unabhängigkeit dieses Staates eigentlich nicht vertrugen." (Unterhaus, 1. März 1848.)Während des ganzen Verlaufs der Debatten über den Vertrag von Hunkiar-Iskelessi hatte der edle Lord, wie der Narr in der Komödie, eine Antwort von ungeheuerlichem Kaliber bereit, die auf alles eine Auskunft weiß, auf alle Fragen paßt und alle Frager abspeist: das englisch-französische Bündnis. Als man ihm höhnisch seine Nachsicht gegenüber Rußland vorwarf, erwiderte er ganz ernsthaft:
"Wenn mit diesem Hohn die jetzigen Beziehungen zwischen England und Frankreich gemeint sein sollten, so wolle er bloß bemerken, daß der Anteil, den er an der Herstellung dieses guten Einvernehmens habe, ihn mit Gefühlen des Stolzes und der Befriedigung erfülle." (Unterhaus, 11. Juli 1833.)
Als aktenmäßige Belege für den Vertrag von Hunkiar-Iskelessi gefordert wurden, antwortete er:
"England und Frankreich hätten nun ein Freundschaftsbündnis geschlossen, das sich immer mehr und mehr festige." (Unterhaus, 17. März 1834.)
"Ich kann nur bemerken", rief Sir Robert Peel, "daß, sooft der edle Lord sich wegen unserer europäischen Politik in die Enge getrieben sieht, er das beste Mittel zu entwischen darin findet, das Haus zu dem engen Bündnis zwischen unserem Lande und Frankreich zu beglückwünschen."
Zugleich verstärkte der edle Lord jedoch den Argwohn seiner Gegner aus den Reihen der Tories, daß "England gezwungen war, einen Angriff auf die Türkei zu dulden, den Frankreich direkt ermutigt hatte".
Das damals zur Schau getragene Freundschaftsbündnis mit Frankreich sollte also jetzt die geheime Abhängigkeit von Rußland verdecken, so wie 1840 der von soviel Lärm begleitete Bruch mit Frankreich das offizielle Bündnis mit Rußland vertuschen sollte.
Während der edle Lord die Welt mit umfangreichen Belegen und gedruckten Folianten über die Angelegenheiten des konstitutionellen Königreichs Belgien und mit zahlreichen mündlichen und dokumentarischen Erklärungen über die "achtunggebietende Macht" Portugals ermüdete, ist es bis jetzt absolut unmöglich gewesen, ein wie immer geartetes Dokument aus ihm herauszupressen, das über den ersten Syrisch-Türkischen Krieg und über <395> den Vertrag von Hunkiar-Iskelessi Aufschluß gab. Als am 11 Juli 1833 zum erstenmal die Vorlegung der Akten gefordert wurde, "war der Antrag verfrüht ..., die Verhandlungen noch nicht abgeschlossen ..., die Resultate noch nicht bekannt". Am 24. August 1833 "war der Vertrag noch nicht offiziell unterzeichnet, und er war noch nicht in seinen Besitz gelangt". Am 17. März 1834 "wurden noch Verhandlungen gepflogen ..., die Diskussionen, wenn er so sagen dürfe, waren noch nicht abgeschlossen". Sogar 1848, als Herr Anstey ihm sagte, wenn er die Akten anfordere, so sei er überzeugt, daß sie den Beweis für das geheime Einverständnis zwischen dem edlen Lord und dem Zaren enthalten, zog der ritterliche Minister vor, lieber in einer fünfstündigen Rede die Zeit totzuschlagen, als durch Dokumente, die für sich selbst sprechen würden, den Verdacht totzuschlagen. Und trotz alledem besaß er noch die zynische Frechheit, Herrn T. Attwood am 14. Dezember 1837 die Versicherung zu geben <16>, daß "die mit dem Vertrag von Hunkiar-Iskelessi zusammenhängenden Dokumente dem Haus schon vor drei Jahren vorgelegt worden seien", d.h. also 1834, wo "der Friede nur dadurch erhalten werden konnte", daß man sie dem Haus vorenthielt. An demselben Tage versicherte er Herrn Attwood,
"dieser Vertrag sei heute eine erledigte Sache, er war nur auf eine beschränkte Zeit abgeschlossen, und da diese Zeit abgelaufen sei, so sei die Erwähnung durch das ehrenwerte Mitglied des Hauses völlig überflüssig und unerwünscht".
Seiner ursprünglichen Bestimmung nach sollte der Vertrag von Hunkiar-Iskelessi am 8. Juli 1841 erlöschen. Lord Palmerston erklärt Herrn Attwood am 14. Dezember 1837, daß er bereits erloschen sei.
"Welchen Kniff, welchen Vorwand, welchen Schlupfwinkel kannst du nun aussinnen, um dich vor dieser offenbaren Schande zu verbergen? Komm, laß uns hören, Hans, was hast du nun für einen Kniff?"
<17>["The People's Paper" Nr. 84 vom 10. Dezember 1853]
<396> In dem russischen Vokabularium existiert das Wort "Ehre" nicht. Der Begriff selbst wird als eine französische Illusion hingestellt. "Tschto takoje honneur? Eto franzusskaja chimère" <"Was ist das Ehre? Es ist französische Chimäre." [Im englischen Text: Schto takoi honneur? Ett Fransusski chimere]> lautet ein russisches Sprichwort. Die Entdeckung der russischen Ehre verdankt die Welt ausschließlich Mylord Palmerston, der sich ein volles Vierteljahrhundert lang in jedem kritischen Augenblick höchst emphatisch für die "Ehre" des Zaren zu verbürgen pflegte.
Er tat es 1853 am Schluß der Session, wie er es schon 1833 am Schluß der Session getan hatte.
Der Zufall aber will es, daß der edle Lord eben, während er "sein vollstes Vertrauen in die Ehrenhaftigkeit und in die Redlichkeit" des Zaren versicherte, in den Besitz von Dokumenten gelangt war, die vor der übrigen Welt geheimgehalten wurden und die keinen Zweifel darüber ließen, wenn ein solcher bestand, wie es um die Ehrenhaftigkeit und Redlichkeit Rußlands bestellt sei. Er brauchte den Moskowiter nicht einmal zu kratzen, um den Tataren zu finden. Er fand den Tataren <Wortspiel: "to catch a Tartar". Im übertragenen Sinne: an den unrechten kommen, übel ankommen> gleich in seiner ganzen nackten Scheußlichkeit. Er gelangte nämlich in den Besitz der Selbstbekenntnisse der führenden russischen Minister und Diplomaten, die ihre Hüllen abwarfen, ihre geheimsten Gedanken bloßlegten, ihre Eroberungs- und Unterjochungspläne hemmungslos entwickelten und die törichte Leichtgläubigkeit der europäischen Höfe und Minister verhöhnten, indem sie sich über die Villèles, Metternichs, Aberdeens, Cannings und Wellingtons weidlich lustig machten und mit dem rohen, durch die grausame Ironie des Höflings kaum verhüllten Zynismus des Barbaren gemeinsam darüber berieten, wie sie in Paris gegen England, in London gegen Österreich, in Wien gegen London Mißtrauen säen, alle untereinander verhetzen und aus allen bloße Werkzeuge Rußlands machen könnten.
Zur Zeit des Warschauer Aufstands fielen die Archive des Vizekönigs, die im Palast des Großfürsten Konstantin verwahrt wurden und die die geheime Korrespondenz der russischen Minister und Botschafter vom Beginn dieses <397> Jahrhunderts bis 1830 enthielten, in die Hände der siegreichen Polen. Polnische Flüchtlinge brachten dann diese Dokumente zuerst nach Frankreich, und später übergab sie Graf Zamojski, der Neffe des Fürsten Czartoryski, dem Lord Palmerston, der den Mantel christlicher Liebe über sie deckte. Mit diesen Dokumenten in der Tasche war der edle Viscount nun erst recht darauf erpicht, dem britischen Senat und der ganzen Welt zu verkünden, "wie festgegründet sein Vertrauen in die Ehrenhaftigkeit und Redlichkeit des Kaisers von Rußland sei".
Die Schuld des edlen Lords war es nicht, wenn diese aufsehenerregenden Dokumente Ende 1835 durch das wohlbekannte "Portfolio" veröffentlicht wurden. Was auch König Wilhelm IV. in anderer Hinsicht gewesen sein mag, er war ein entschiedener Feind Rußlands. Sein Privatsekretär, Sir Herbert Taylor, war mit David Urquhart intim befreundet und führte diesen Herrn beim König ein. Von diesem Augenblick an konspirierte das Königtum mit diesen beiden Freunden gegen die Politik des "echten englischen" Ministers.
"Wilhelm IV. befahl dem edlen Lord, die obenerwähnten Dokumente auszuliefern. Nach ihrer Ablieferung wurden sie in Windsor Castle geprüft, und es wurde für wünschenswert befunden, sie zu drucken und zu veröffentlichen. Trotz der starken Opposition Palmerstons zwang der König den edlen Lord, dieser Veröffentlichung die Autorität des Ministeriums des Auswärtigen zu leihen, so daß der Herausgeber, der sie für die Presse zu bearbeiten hatte, nicht eine Zeile publizierte, die nicht amtliche Stempel oder Initialen trug. Ich sah selbst die Initialen des edlen Lords unter einem dieser Dokumente, obzwar der edle Lord diese Tatsachen geleugnet hatte. Lord Palmerston sah sich genötigt, die Dokumente zur Veröffentlichung in die Hände des Herrn Urquhart zu legen. Dieser war der wirkliche Herausgeber des 'Portfolio'." (Herr Anstey im Unterhaus, 23. Februar 1848.)
Nach dem Tode des Königs weigerte sich Lord Palmerston, den Drucker des "Portfolio" zu bezahlen, leugnete öffentlich und feierlich jede Verbindung des Ministeriums des Auswärtigen damit und bewog, wodurch ist unbekannt, seinen Stellvertreter, Herrn Backhouse, seinen Namen unter das Dementi zu setzen. In der "Times" vom 26. Januar 1839 lesen wir:
"Wir wissen nicht, was Lord Palmerston empfinden mag, doch besteht für uns darüber kein Zweifel, was jeder andere Mensch in der Stellung eines Ministers und als Gentleman empfinden würde, nachdem durch die gestrige 'Times' die Korrespondenz zwischen Herrn Urquhart, den Lord Palmerston aus dem Amt entließ, und Herrn Backhouse, den der edle Viscount auf seinem Posten beließ, zu solcher Offenkundigkeit gelangte. Aus dieser Korrespondenz läßt sich vollkommen einwandfrei feststellen, daß die ganze Serie offizieller Dokumente, die in dem wohlbekannten 'Portfolio' ver- <398> öffentlicht waren, auf die Autorität des Lord Palmerston hin gedruckt und verbreitet wurden und daß Seine Lordschaft sowohl als Staatsmann der politischen Welt hier und im Ausland wie auch als Auftraggeber dem Drucker und Verleger für die entstandenen Kosten verantwortlich ist."
Die türkischen Finanzen waren durch den unglückseligen Krieg von 1828/29 und durch die im Vertrag von Adrianopel festgelegten Schuldenzahlungen an Rußland in derartige Verwirrung geraten und so erschöpft, daß die Türkei sich gezwungen sah, das widerwärtige Monopolsystem noch weiter auszudehnen, das den Verkauf fast aller Artikel nur denjenigen gestattete, die von der Regierung Lizenzen erworben hatten. Dadurch gelang es einigen wenigen Wucherern, den ganzen Handel des Landes an sich zu reißen. Herr Urquhart schlug König Wilhelm IV. vor, mit der Türkei einen Handelsvertrag abzuschließen, der gleichzeitig dem britischen Handel große Vorteile und die Produktivkräfte der Türkei zur Entfaltung bringen, ihre Staatskasse sanieren und sie so vom russischen Joch befreien sollte. Wir können die merkwürdige Geschichte dieses Vertrags nicht besser wiedergeben als mit Herrn Ansteys eigenen Worten:
"Der stete Kampf zwischen Lord Palmerston und Herrn Urquhart drehte sich um diesen Handelsvertrag. Am 3. Oktober 1835 erhielt Urquhart seine Ernennung zum Botschaftssekretär in Konstantinopel, die ihm zu dem einzigen Zwecke verliehen war, dort die Annahme des türkischen Handelsvertrags zu sichern. Er verzögerte aber seine Abreise bis Juni oder Juli 1836. Lord Palmerston drängte ihn, zu reisen. Den wiederholten Mahnungen zur Abreise setzte er jedoch unweigerlich die Antwort entgegen. 'Ich reise erst dann, wenn ich diesen Handelsvertrag mit der Handelskammer und dem Ministerium des Auswärtigen in Ordnung gebracht habe; dann will ich ihn selbst hinbringen und seine Annahme durch die Pforte erwirken ...' Schließlich gab Lord Palmerston dem Vertrag seine Zustimmung, und er wurde an Lord Ponsonby, den Botschafter in Konstantinopel, befördert."
(In der Zwischenzeit war dieser durch Lord Palmerston dahingehend informiert worden, die Unterhandlungen ganz aus den Händen Urquharts und in seine eigene Hand zu nehmen, entgegen der Abmachung, die mit Herrn Urquhart getroffen war.)
"Sobald Urquhart durch die Intrigen des edlen Lords aus Konstantinopel entfernt war, wurde der Vertrag augenblicklich über Bord geworfen. Zwei Jahre später kam der edle Lord wieder auf ihn zurück, als er Urquhart vor versammeltem Hause das Kompliment der Autorschaft machte und für seine Person jedes Verdienst daran in Abrede stellte. Der edle Lord aber hatte den Vertrag entstellt, in allen seinen Teilen verfälscht und ihn in ein Instrument zur Ruinierung des Handels verwandelt. Der ursprüngliche Vertrag Urquharts stellte die englischen Untertanen in der Türkei der <399> meistbegünstigten Nation gleich" (d. h. den Russen). "Die Fälschungen Lord Palmerstons stellten die Untertanen Großbritanniens den schwer besteuerten und überlasteten Untertanen der Pforte gleich. Urquharts Vertrag forderte die Aufhebung aller wie immer gearteten Transitzölle, Monopole, Steuern und Lasten, außer solchen, die durch den Vertrag selbst festgesetzt waren. Der von Lord Palmerston verfälschte Vertrag enthielt eine Klausel, die es als das Recht der Hohen Pforte bezeichnete, dem Handel jede beliebige Verordnung und Beschränkung aufzuerlegen. Im Urquhartschen Vertrag sollte der Einfuhrzoll wie bisher nur drei Prozent betragen; der edle Lord erhöhte diese Gebühr von drei auf fünf Prozent. Urquharts Vertrag setzte einen Zoll ad valorum in folgender Weise fest: für Handelsartikel, die ausschließlich in der Türkei erzeugt werden, so daß ihr Verkauf in fremden Häfen Monopolpreise erzielt, sollte eine Exportgebühr durch einen türkischen und einen englischen Kommissionär so hoch festgesetzt werden, daß eine rentable Einnahme zu erwarten war; wohingegen Waren, die auch in anderen als türkischen Ländern erzeugt wurden und in fremden Häfen nicht so viel Wert besaßen, um einen hohen Zoll zu rechtfertigen, niedriger angesetzt werden sollten. Lord Palmerstons Vertrag setzte einen fixen Zoll ad valorum von zwölf Prozent für jeden Artikel fest, einerlei, ob er den Zoll vertrug oder nicht. Der Originalvertrag dehnte das Vorrecht des Freihandels auf türkische Schiffe und Produkte aus; der Ersatzvertrag enthielt überhaupt keine Bestimmung darüber ... Ich klage den edlen Lord dieser Fälschungen an, ich klage ihn an, sie verheimlicht zu haben, und ich klage ihn endlich an, dem Hause fälschlich berichtet zu haben, daß dieses der Vertrag sei, den Herr Urquhart entworfen hat." (Herr Anstey im Unterhaus, 23. Februar 1848.)
Der durch den edlen Lord abgeänderte Vertrag erwies sich als so günstig für Rußland und so verderblich für England, daß einige englische Kaufleute in der Levante sich seitdem unter den Schutz russischer Firmen stellen wollten und andre sich, wie Herr Urquhart berichtet, nur durch eine Art nationalen Ehrgefühls davon abhalten ließen.
Über die geheimen Beziehungen zwischen dem edlen Lord und König Wilhelm IV. erzählt Herr Anstey dem Hause folgendes:
"Der König zwang den edlen Lord, seine Aufmerksamkeit der Frage der immer mehr zunehmenden russischen Übergriffe in der Türkei zuzuwenden ... Ich kann beweisen, daß der edle Lord sich in dieser Sache den Anweisungen fügen mußte, die ihm der Privatsekretär des verstorbenen Königs gab, und daß sein Verbleiben im Amte davon abhing, ob er sich den Wünschen des Monarchen fügen wolle oder nicht ... Der edle Lord leistete bei der einen oder anderen Gelegenheit, sofern er es wagte, Widerstand, aber jedem solchen Widersetzungsversuch folgten dann die verächtlichsten Ausbrüche von Zerknirschung und Unterwürfigkeit. Ich will nicht gerade behaupten, daß der edle Lord bei einem derartigen Anlaß buchstäblich seines Amtes für ein oder zwei Tage enthoben war, aber das kann ich versichern, daß der edle Lord eben bei dieser Gelegenheit in Gefahr war, höchst unzeremoniell aus dem Amte gejagt <400> zu werden. Ich beziehe mich hier auf das, was sich abspielte, als der verstorbene König die Entdeckung machte, daß der edle Lord die Gefühle der russischen Regierung bei der Wahl des englischen Botschafters für den Hof in St. Petersburg berücksichtigte und daß Sir Stratford Canning, der ursprünglich für diesen Posten bestimmt war, beiseite geschoben wurde, um dem verstorbenen Earl of Durham Platz zu machen, der ein dem Zaren angenehmer Botschafter war." (Unterhaus, 23. Februar 1848.)
Es ist eine der erstaunlichsten Tatsachen, daß, während der König vergeblich gegen die russische Politik des edlen Lords ankämpfte, dieser und seine whiggistischen Parteigänger es verstanden, den öffentlichen Argwohn erfolgreich wachzuhalten, als lähme der König, der als Tory bekannt war, die antirussischen Bestrebungen des "echten englischen" Ministers. Die angebliche toryistische Vorliebe des Monarchen für die despotischen Grundsätze des russischen Hofes sollte natürlich die sonst unerklärliche Politik Palmerstons erklärlich machen. Die Whig-Oligarchen lächelten geheimnisvoll, als Herr H. L. Bulwer dem Hause erzählte, daß
"noch diese Weihnachten Graf Apponyi, der österreichische Botschafter in Paris, als er von den orientalischen Angelegenheiten sprach, gesagt hätte, unser Hof fürchte mehr die französischen Grundsätze als die Ambitionen der Russen". (Unterhaus, 11. Juli 1833.)
Und wieder lächelten sie, als Herr T. Attwood den edlen Lord befragte,
"welchen Empfang Graf Orlow am Hof Seiner Majestät gefunden, als er nach dem Abschluß des Vertrags von Hunkiar-Iskelessi nach England geschickt worden sei". (Unterhaus, 28. August 1833.)
Die Dokumente, die der verstorbene König und sein Sekretär, der verstorbene Sir Herbert Taylor, Herrn Urquhart anvertraut hatten, "damit er bei passender Gelegenheit das Andenken Wilhelms IV. reinwasche", werden bei ihrer Veröffentlichung ein neues Licht auf die frühere Laufbahn des edlen Lords und der Whig-Oligarchie werfen, von der das Publikum im allgemeinen nicht viel mehr kennt als die Geschichte ihrer Ansprüche, ihrer Phrasen und ihrer sogenannten Grundsätze - mit einem Wort die theatralische und trügerische Seite - die Maske.
Es ist hier die beste Gelegenheit, Herrn David Urquhart Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, der zwanzig Jahre lang der schärfste Widersacher Lord Palmerstons war, dem er stets als offener Feind entgegentrat, den keine Furcht zum Schweigen brachte, keine Bestechung zur Nachgiebigkeit bewog und keine Schmeichelei zur Anhängerschaft verführte, während Alcine-Palmerston es sonst doch fertig brachte, alle anderen Feinde, sei es mit Schmeichelreden, sei es durch Verführungskünste, kirre zu machen. Wir haben soeben <401> aus Herrn Ansteys Munde die stürmische Anklage gegen Seine Lordschaft gehört, hören wir jetzt, was Herr Urquhart sagt.
"Ein höchst bedeutsamer Umstand ist es, daß der angeklagte Minister das Mitglied des Hauses" - d.h. Herrn Anstey - "aufsuchte und sich mit dem Anerbieten seiner Mitarbeit und privaten Freundschaft zufriedengab, ohne auf der Förmlichkeit eines Widerrufs oder einer Entschuldigung zu bestehen ... Herrn Ansteys kürzlich in aller Form erfolgte Anstellung bei der jetzigen Regierung spricht für sich selbst." (D. Urquharts "Rußlands Vordringen".)
Am 8. Februar 1848 hatte derselbe Herr Anstey den edlen Lord mit
"dem infamen Marquis von Carmarthen, dem Staatssekretär Wilhelms III., verglichen, den Zar Peter I. während seines Besuchs am englischen Hof mit dem Gold britischer Kaufleute für seine Interessen zu erkaufen vermocht hatte". (Unterhaus, 8. Februar 1848.)
Wer verteidigte Lord Palmerston bei dieser Gelegenheit gegen Herrn Ansteys Anklagen? Herr Sheil, derselbe Herr Sheil, der 1833 beim Abschluß des Vertrags von Hunkiar-Iskelessi dieselbe Rolle des Anklägers gegen Seine Lordschaft gespielt hatte wie Herr Anstey 1848. Herr Roebuck, einst sein schärfster Gegner, verschaffte ihm 1850 das Vertrauensvotum. Sir Stratford Canning, der durch ein volles Dezennium die Nachgiebigkeit des edlen Lords gegen den Zaren gegeißelt hatte, war es zufrieden, daß man sich ihn durch seine Berufung auf den Botschafterposten in Konstantinopel vom Halse geschafft hatte. Selbst der dem edlen Lord so teure Dudley Stuart wurde für einige Jahre aus dem Parlament hinausintrigiert, weil er gewagt hatte, gegen den edlen Lord zu opponieren. Als er wieder zurückkehrte, wurde er zur âme damnée <auf Gedeih und Verderb [mit Palmerston] verbundene Kreatur> des "echten englischen" Ministers. Kossuth, der aus den Blaubüchern hätte wissen können, daß Ungarn vom edlen Viscount verraten worden war, nannte ihn bei seiner Landung in Southampton "seinen teuren Busenfreund".
["The People's Paper" Nr. 85 vom 17. Dezember 1853]
Ein Blick auf die Karte zeigt uns an der Westseite des Schwarzen Meeres die Mündungen der Donau, des einzigen Flusses, der, mitten im Herzen Europas entspringend, eine natürliche Straße nach Asien bildet. Gerade <402> gegenüber, auf der Ostseite des Schwarzen Meeres, südlich vom Flusse Kuban, beginnt die Bergkette des Kaukasus, die sich in südöstlicher Richtung etwa 700 Meilen lang vom Schwarzen bis zum Kaspischen Meer erstreckt und Europa von Asien trennt.
Die Macht, die die Mündungen der Donau beherrscht, beherrscht natürlich auch die Donau selbst, die Straße nach Asien und mit ihr einen großen Teil des Handels der Schweiz, Deutschlands, Ungarns, der Türkei und vor allem der Moldau und der Walachei. Besitzt dieselbe Macht dann noch obendrein den Kaukasus, dann gehört ihr auch das Schwarze Meer, und es fehlen nur noch die Dardanellen und Konstantinopel, um seinen Zugang zu verschließen. Der Besitz der kaukasischen Berge macht sie zum Herrn über Trapezunt und dank dessen Lage am Kaspischen Meer auch gleichzeitig zum Herrn über das nördliche Meeresufer von Persien.
Rußland hat seine gierigen Augen sowohl auf die Donaumündungen wie auf die Gebirgskette des Kaukasus geworfen. Dort hieß es die Herrschaft erobern, hier sie befestigen. Die kaukasischen Gebirgszüge trennen Südrußland von den üppigen Provinzen Georgien, Mingrelien, Imeretien und Gurien, die der Moskowiter den Muselmanen entrissen hat. Dadurch ist der Fuß des ungeheuren Reichs von dem Hauptkörper abgeschnitten. Die einzige militärische Straße windet sich von Mosdok nach Tiflis durch den Engpaß von Dariel; sie ist durch eine fortlaufende Kette befestigter Plätze geschützt und zu beiden Seiten den unaufhörlichen Angriffen der feindlichen kaukasischen Stämme ausgesetzt. Würden sich all diese kaukasischen Stämme unter ein militärisches Haupt vereinigen, so könnten sie sogar den benachbarten Grenzgebieten der Kosaken gefährlich werden.
"Schrecken ergreift uns beim Gedanken an die Gefahren, welche den Süden Rußlands bedrohen würden, wenn die feindlichen Tscherkessen unter einem einzigen Oberhaupt vereinigt wären."
So äußert sich Herr Kupffer, ein Deutscher, der der wissenschaftlichen Kommission vorstand, die 1829 die Expedition des Generals Emmanuel nach dem Elbrus begleitete.
Gerade heute ist unsere Aufmerksamkeit auf die Ufer der Donau gerichtet, wo Rußland sich der beiden Kornkammern Europas bemächtigt hat, und auf den Kaukasus, wo ihm der Verlust Georgiens droht. Es war der Vertrag von Adrianopel, der die Usurpation der Moldau und Walachei durch Rußland vorbereitete und der auch seine Ansprüche auf den Kaukasus anerkennt.
Artikel IV dieses Vertrags legt fest:
"Alle Länder, die nördlich und östlich von der Grenzlinie zwischen den beiden Reichen" (Rußland und Türkei) "gegen Georgien, Imeretien und Gurien zu gelegen <403> sind, ferner die ganze Küste des Schwarzen Meeres, von der Mündung des Kuban bis zum Hafen von St. Nikolaja inklusive, sollen unter russischer Herrschaft bleiben."
Hinsichtlich der Donau bestimmt derselbe Vertrag:
"Die Grenzlinie wird dem Lauf der Donau bis zur Mündung von St. Georg folgen und alle durch die verschiedenen Arme gebildeten Inseln im Besitz Rußlands belassen. Das rechte Ufer wird wie bisher im Besitz der Pforte bleiben. Man ist jedoch übereingekommen, daß dieses rechte Ufer von dem Punkt an, wo der Arm von St. Georg sich von dem von Sulina trennt, auf einer Distanz von zwei Stunden" (sechs Meilen) "unbewohnt bleiben und kein wie immer geartetes Gebäude dort errichtet werden soll. Das gleiche gilt von den Inseln, die noch im Besitz des russischen Hofes verbleiben. Abgesehen von Quarantänestationen, die dort errichtet werden, wird es nicht gestattet sein, daselbst irgendwelche Gebäude oder Befestigungen zu erbauen."
Insofern diese beiden Paragraphen den Russen "neue Besitztümer und ausschließliche Handelsvorteile" zusichern, greifen sie in das am 4. April 1826 vom Herzog von Wellington in Petersburg unterzeichnete Protokoll und in den Vertrag vom 6. Juli 1827 ein, der zwischen Rußland und den anderen Mächten in London abgeschlossen wurde. Die englische Regierung weigerte sich daher, den Vertrag von Adrianopel anzuerkennen. Der Herzog von Wellington protestierte gegen ihn. (Lord Dudley Stuart im Unterhaus am 17. März 1837.)
Wie Lord Mahon berichtet, protestierte Lord Aberdeen ebenfalls dagegen:
"In einer Depesche an Lord Heytesbury vom 31. Oktober 1829 äußerte er sich mit nicht geringer Unzufriedenheit über viele Teile des Vertrags von Adrianopel und hob besonders die Bestimmungen über die Donauinseln hervor. Er leugnet, daß dieser Friede" (der Vertrag von Adrianopel) "die territorialen Hoheitsrechte der Pforte, sowie auch die Beziehungen und die Interessen aller Seemächte des Mittelmeeres respektiert habe." (Unterhaus, 20. April 1836.)
Earl Grey erklärte:
"Die Unabhängigkeit der Pforte wäre geopfert und der Friede Europas gefährdet, wenn man diesem Vertrag zustimme." (Oberhaus, 4. Februar 1834.)
In seiner Rede im Unterhaus vom 17. März 1837 versichert uns Lord Palmerston selbst:
"Was die Ausdehnung der russischen Grenze bis an die Donaumündung, im Süden des Kaukasus und an den Ufern des Schwarzen Meeres betrifft, so ist sie sicherlich nicht vereinbar mit der feierlichen Erklärung, die Rußland vor ganz Europa abgab, ehe der Türkische Krieg begann."
<404> Rußland konnte nur dann hoffen, seine Ansprüche auf die nordwestlichen Teile des Kaukasus zu realisieren, wenn es die Ostküste des Schwarzen Meeres blockierte und die Zufuhr von Waffen und Munition nach diesen Gebieten abschnitt. Die Küste des Schwarzen Meeres gehört sicher ebenso wie die Donaumündungen nicht zu den Gebieten, in denen sich "eine englische Aktion entwickeln könne", wie Lord Palmerston im Falle Krakaus lamentiert hatte. Durch welchen mysteriösen Kniff hat es der Moskowiter nun doch fertiggebracht, die Donau und die Küste des Schwarzen Meeres zu blockieren und England zu zwingen, sich nicht nur dem Vertrag von Adrianopel, sondern auch gleichzeitig den Vergewaltigungen zu unterwerfen, die Rußland sich gegen diesen Vertrag herausnahm?
Diese Fragen wurden am 20. April 1836 im Unterhaus an den edlen Viscount gerichtet. Gleichzeitig wurden zahlreiche Petitionen der Kaufleute von London, Glasgow und anderen Handelsstädten eingereicht, die sich gegen die fiskalischen Bestimmungen Rußlands im Schwarzen Meer und seine Verfügungen und Beschränkungen richteten, die den englischen Handel auf der Donau zu gefährden drohten. Am 7. Februar 1836 war ein russischer Ukas erschienen, der, gestützt auf den Vertrag von Adrianopel, eine Quarantänestation auf einer der Inseln in der Donaumündung errichtete. Um die Quarantänebestimmungen durchführen zu können, verlangte Rußland das Recht, an Bord der Schiffe zu gehen und sie zu durchsuchen, Abgaben zu erheben und widerspenstige Schiffe, die die Donau aufwärts fahren wollten, nach Odessa zu schleppen. Bevor die Quarantänestation errichtet worden war, oder eigentlich bevor unter dem falschen Vorwand einer Quarantäne ein Zollamt und ein Fort erbaut worden waren, hatten die russischen Autoritäten ihre Fühler ausgestreckt, um sich zu vergewissern, wieviel sie bei der englischen Regierung riskieren dürften. Lord Durham, der nach den von England erhaltenen Instruktionen handelte, protestierte bei der russischen Regierung gegen diese Behinderung des englischen Handels.
"Man wies ihn an den Grafen Nesselrode. Graf Nesselrode verwies ihn an den Gouverneur von Südrußland, und der Gouverneur von Südrußland wiederum verwies ihn an den Konsul von Galatz, der sich mit dem britischen Konsul von Braila in Verbindung setzte, welcher die Weisung bekam, die Kapitäne, denen man Zoll abgefordert hatte, an die Donaumündung, den Schauplatz ihrer Unbill zu senden, so daß man die Angelegenheit genau untersuchen könne; es war natürlich wohlbekannt, daß die betreffenden Kapitäne sich damals schon in England befanden." (Unterhaus, 20. April 1836.)
Der offizielle Ukas vorn 7. Februar 1836 erregte jedoch die allgemeine Aufmerksamkeit der britischen Kaufmannschaft.
"Schon viele Schiffe waren ausgelaufen und andere ständen im Begriff auszulaufen, deren Kapitäne die direkte Order hatten, das Recht des An-Bord-Gehens und der Durchsuchung, das Rußland verlangte, nicht anzuerkennen. Es sei wohl vorauszusehen, welches das Schicksal dieser Schiffe sein müsse, wenn sich das Haus nicht zu einer bestimmten Meinungsäußerung entschlösse. Solange das nicht geschähe, würden die britischen Schiffe, die zusammen mindestens 5.000 Tonnen umfaßten, beschlagnahmt und nach Odessa geschleppt werden, wenn sie nicht den unverschämten Forderungen Rußlands nachgäben." (Herr Patrick M. Stewart im Unterhaus, 20. April 1836.)Rußland hatte die sumpfigen Inseln an den Donaumündungen kraft einer Klausel des Vertrags von Adrianopel erworben, die eine Verletzung des Vertrags war, den Rußland mit England und den anderen Mächten 1827 geschlossen hatte. Die Errichtung von Fortifikationen an den Mündungen der Donau und deren Bestückung mit Geschützen war an sich schon eine Verletzung des Vertrags von Adrianopel, der ausdrücklich verbot, daß innerhalb sechs Meilen vom Flusse irgendwelche Befestigungen errichtet würden. Die Erhebung von Zoll und die Behinderung der Schiffahrt war eine Verletzung des Wiener Vertrags, der erklärte, daß die Beschiffung der Flüsse in ihrem ganzen Lauf, von dem Punkt, wo jeder von ihnen schiffbar würde, bis zur Mündung, ganz frei sein solle, daß "die Höhe der Gebühren in keinem Fall die damals" (1815) "gezahlten übersteigen solle" und daß "keine Erhöhung stattfinde, wenn nicht die an diesem Flusse gelegenen Staaten gemeinsam zustimmten". Rußland konnte sich also zu seiner Rechtfertigung auf nichts berufen, als auf den Vertrag von 1827, der verletzt worden war durch den Vertrag von Adrianopel; diesen wiederum hatte es selbst verletzt, und das Ganze sollte bekräftigt werden durch einen Bruch des Wiener Vertrags.
Es erwies sich als ganz unmöglich, Lord Palmerston eine Erklärung abzuringen, ob er den Vertrag von Adrianopel anerkenne oder nicht. Was die Verletzung des Wiener Vertrags betrifft, so
"war ihm keine offizielle Information zuteil geworden, daß sich etwas ereignet habe, was durch den Vertrag nicht gerechtfertigt sei. Sollten die daran beteiligten Parteien etwas Derartiges behaupten, so müßte so vorgegangen werden, wie es die Kronjuristen den Rechten der englischen Untertanen für angemessen hielten." (Lord Palmerston im Unterhaus, 20. April 1836.)
Durch den Artikel V des Vertrags von Adrianopel garantiert Rußland den Donaufürstentümern "Gedeihen" und volle "Handelsfreiheit". Herr Stewart hat nun dargelegt, daß die Fürstentümer Moldau und Walachei Rußlands tödlichste Eifersucht hervorriefen, weil ihr Handel seit 1834 einen so schnellen <406> Aufschwung genommen hatte, weil sie in den hervorragendsten Produktionszweigen mit Rußland selbst konkurrierten, weil Galatz zum großen Lagerplatz des ganzen Getreidehandels an der Donau geworden und Odessa vom Markt verdrängte. Darauf antwortete Lord Palmerston mit folgenden Worten:
"Hätte mein ehrenwerter Freund darlegen können, daß unser Handel mit der Türkei, der doch noch vor einigen Jahren groß und bedeutend war, durch die Angriffe anderer Länder oder durch die Nachlässigkeit der Regierung zu einem unbedeutenden Geschäft herabgesunken wäre, dann wäre das ein Grund gewesen, ans Parlament zu appellieren." Statt dessen hat "mein ehrenwerter Freund auseinandergesetzt, daß sich in den letzten Jahren unser Handel mit der Türkei aus einem Nichts zu ganz bedeutendem Umfang entwickelt hat".
Rußland sperrt die Donauschiffahrt, weil der Handel der Fürstentümer immer bedeutender wird, sagt Herr Stewart. Aber, erwidert Lord Palmerston, Rußland tat das nicht, als dieser Handel noch ganz unbedeutend war. Sie unterlassen es, Rußlands letzte Übergriffe an der Donau zurückzuweisen, sagt Herr Stewart. Wir unterließen es zu einem Zeitpunkt, als man diese Übergriffe noch nicht gewagt hatte, erwiderte der edle Lord. Welche "Lage" ist also "eingetreten, gegen die sich die Regierung nicht zu sichern gedenkt, es sei denn, daß sie dazu durch die direkte Einmischung des Hauses getrieben wird?" Es gelang Seiner Lordschaft, das Haus davon abzuhalten, einen Beschluß zu fassen, indem er ihm die Versicherung gab, daß
"bei der Regierung Seiner Majestät durchaus keine Neigung dazu vorhanden sei, den aggressiven Handlungen irgendeiner anderen Macht nachzugeben, welche es auch immer sei und möge sie noch so stark und mächtig sein", und indem er das Haus ermahnte, "vorsichtshalber alles zu unterlassen, was von den anderen Mächten falsch ausgelegt und mit Recht als Provokation unsererseits betrachtet werden könnte".
Eine Woche nach dieser Debatte im Unterhaus richtete ein britischer Kaufmann einen Brief an das Außenministerium, der sich auf den russischen Ukas bezog. Der Unterstaatssekretär des Außenministeriums antwortete darauf folgendes:
"Im Auftrag Lord Palmerstons teile ich Ihnen mit, daß Seine Lordschaft sich an den Kronjuristen um ein Gutachten über die in dem russischen Ukas vom 7. Februar 1836 veröffentlichten Bestimmungen gewendet hat; einstweilen beauftragt mich Lord Palmerston, Ihnen auf den letzten Teil Ihres Briefes zu erwidern, daß nach Ansicht der Regierung die russischen Autoritäten nicht das Recht haben, an der Donaumündung Zoll zu erheben, und daß Sie recht daran taten, Ihre Agenten anzuweisen, jede Zahlung zu verweigern."
<407> Der Kaufmann handelte diesem Briefe gemäß. Er wurde von dem edlen Lord an Rußland preisgegeben. Wie Herr Urquhart berichtet, wird jetzt ein russischer Zoll in London und Liverpool durch russische Konsuln von jedem englischen Schiff erhoben, das nach den türkischen Donauhäfen fährt, "auf der Insel Leti aber befindet sich noch immer die Quarantäne".
Rußland beschränkte jedoch seine Eingriffe an der Donau nicht auf die bereits errichtete Quarantänestation, die bereits erbauten Fortifikationen und die erhobenen Zölle. Durch den Vertrag von Adrianopel kam die einzige noch schiffbare Mündung der Donau, die Sulinamündung, in den Besitz Rußlands. Solange die Türken sie besaßen, wurde das Wasser im Kanal stets in einer Tiefe von 14 bis 16 Fuß gehalten. Seit der Besitzergreifung durch Rußland ist das Wasser auf 8 Fuß reduziert worden, eine Tiefe, die zur Beförderung von Getreideschiffen völlig unzulänglich ist. Nun ist Rußland am Wiener Vertrag beteiligt, und dieser bestimmt im Artikel 113, daß
"jeder Staat auf seine Kosten für die Instandhaltung des Treidelwegs sorgen und die notwendigen Wasserbauten beaufsichtigen müsse, so daß keine Stockung der Schiffahrt eintritt".
Rußland fand kein besseres Mittel, den Kanal schiffbar zu erhalten, als seine Wassertiefe immer mehr zu verringern, ihn mit Schiffstrümmern zu übersäen und seine Mündung mit Sand und Schlamm zu verstopfen. Dieser systematischen und wiederholten Verletzung des Wiener Vertrags hat Rußland noch eine andere Verletzung, nämlich die des Vertrags von Adrianonel, hinzugefügt, der die Errichtung irgendwelcher Baulichkeiten an der Sulinamündung, ausgenommen zu Quarantäne- und Leuchtfeuerzwecken, untersagt. Auf Rußlands Geheiß ist dort nämlich ein kleines russisches Fort entstanden, das seine Einkünfte den erpreßten Geldern verdankt, die ihm die Schiffe gezwungen sind zu zahlen für Verzögerungen und Umladungen auf Leichter, hervorgerufen durch Verstopfungen in der Fahrrinne.
"Cum principia negante non est disputandum. <Wer Prinzipien leugnet, mit dem kann man nicht diskutieren.> Was nützt das Beharren auf abstrakten Prinzipien", sagte Lord Palmerston am 30. April 1823, "despotischen Regierungen gegenüber, die erwiesenermaßen das Recht nach der Macht bemessen und deren Verhalten durch Eigennutz und nicht durch Gerechtigkeit bestimmt wird?"
Seiner eignen Doktrin gemäß war aber der edle Viscount so genügsam, der despotischen Regierung Rußlands gegenüber auf abstrakten Prinzipien zu beharren. Er ging jedoch noch weiter. Während er am 6. Juli 1840 dem Hause versicherte, die Freiheit der Donauschiffahrt sei "durch den Wiener <408> Vertrag verbürgt", während er am 13. Juli 1840 jammerte, die Okkupation von Krakau sei ein Bruch des Wiener Vertrags, "England jedoch kein Mittel besäße, seinen Willen durchzusetzen, weil Krakau offenbar ein Ort sei, wo jede englische Aktion schlechterdings unmöglich sei", unterzeichnete er zwei Tage später einen Vertrag mit Rußland, durch den die Dardanellen "in Zeiten des Friedens mit der Türkei" für England <18> gesperrt wurden; auf diese Weise war England des einzigen Mittels beraubt, den Wiener Vertrag "durchzusetzen", und der Pontus Euxinus <alter Name des Schwarzen Meeres> wirklich zu einem Schauplatz geworden, wo eine englische Aktion schlechterdings unmöglich war.
Als diese Position durchgesetzt war, machte er der öffentlichen Meinung eine Scheinkonzession, indem er eine ganze Batterie von papiernen Erklärungen losfeuerte, in denen er "die despotische Regierung, die das Recht nach der Macht bemißt und sich durch Eigennutz und nicht durch Gerechtigkeit bestimmen läßt", in höchst sentimentaler und phrasenhafter Manier daran erinnert, daß
"Rußland, als es die Türkei zur Überlassung der Mündung eines großen europäischen Flusses zwang, der den Haupthandelsweg für den wechselseitigen Verkehr so vieler Nationen bildet, Pflichten und Verantwortlichkeiten gegen andere Staaten übernahm, in deren volle Erfüllung es seinen Stolz setzen sollte".
Dieser Lobgesang auf abstrakte Grundsätze entlockte dem Grafen Nesselrode nur die sattsam bekannte Antwort, "die Sache werde gründlich untersucht werden", und von Zeit zu Zeit versäumte er nicht, "das Gefühl des Bedauerns der Kaiserlichen Regierung auszudrücken, daß man ihren Absichten ein solches Mißtrauen entgegenbringe".
Den Bemühungen des edlen Lords ist es also zu danken, wenn es im Jahre 1853 so weit gekommen ist, daß die Schiffahrt auf der Donau für unmöglich erklärt werden mußte und daß das Getreide an der Sulinamündung verfault, während Frankreich, England und der Süden Europas von Hungersnöten bedroht sind. Und Rußland hat nun, wie die "Times" sagt, "seinen sonstigen wichtigen Besitztümern noch den Besitz eines eisernen Gitters zwischen der Donau und dem Pontus Euxinus hinzugefügt". Es hat den Schlüssel zur Donau erobert und besitzt dadurch eine Hungerschraube, die es immer dann anziehen kann, wenn die Politik Westeuropas ihm strafbar erscheint.<19>
["The People's Paper" Nr. 86 vorn 24. Dezember 1853]
<409> Die dem Unterbaus am 20. April 1836 eingereichten Anträge und die damit in Verbindung stehende Resolution Herrn Patrick M. Stewarts bezogen sich nicht nur auf die Donau, sondern auch auf Tscherkessien, denn in der Handelswelt hatte sich das Gerücht verbreitet, daß die russische Regierung unter dem Vorwand, die tscherkessische Küste zu blockieren, englische Schiffe daran hindern wolle, Waren und Güter in bestimmten Häfen der östlichen Küste des Schwarzen Meeres auszuladen. Lord Palmerston erklärte bei dieser Gelegenheit feierlich:
"Wenn das Parlament sein Vertrauen in uns setzen will, wenn es uns die Leitung der auswärtigen Beziehungen des Landes überlassen will, werden wir die Interessen des Landes zu schützen und die Ehre des Landes hochzuhalten wissen, ohne genötigt zu sein, zum Kriege unsere Zuflucht zu nehmen." (Unterhaus, 20. April 1836.)
Einige Monate später, am 29. Oktober 1836, segelte die "Vixen", ein Handelsschiff, das Herrn George Bell gehörte und das mit Salz beladen war, von London direkt nach Tscherkessien. Am 25. November wurde das Schiff in der tscherkessischen Bucht von Sudschuk Kale von einem russischen Kriegsschiff gekapert, weil "es sich an einer blockierten Küste aufgehalten habe". (Brief des russischen Admirals Lasarew an den englischen Kapitän Childs vom 25. Dezember 1836.) Das Fahrzeug, seine Ladung und Mannschaft wurden nach dem Häfen von Sewastopol geschickt, wo die Entscheidung der Russen über die Beschlagnahme am 27. Januar 1837 entgegengenommen wurde. Jetzt war schon nicht mehr von "Blockierung" die Rede, sondern die "Vixen" wurde einfach als gesetzmäßige Prise erklärt, "sie habe sich des Schmuggels schuldig gemacht", da die Einfuhr von Salz verboten sei und es <410> in der Bucht von Sudschuk Kale, einem russischen Hafen, kein Zollamt gebe. Der Urteilsspruch wurde in außergewöhnlich herabsetzender und beschimpfender Weise vollzogen. Die Russen, die das Schiff gekapert hatten, wurden mit öffentlichen Auszeichnungen belohnt. Die britische Flagge wurde aufgezogen, dann heruntergerissen und dafür die russische gehißt. Kapitän und Mannschaft wurden als Gefangene an Bord des "Ajax", der sie gekapert hatte, gebracht, dann nach Sewastopol, von dort nach Odessa und von Odessa nach Konstantinopel transportiert, von wo aus sie dann nach England zurückkehren durften. Über das Schiff selbst schrieb ein deutscher Reisender, der einige Jahre nach diesem Ereignis Sewastopol besuchte, an die "Augsburger Zeitung folgendes:
"Von all den russischen Linienschiffen, die ich besuchte, erregte keines meine Neugier mehr als die 'Sudschuk Kale', die frühere 'Vixen', die jetzt unter russischer Flagge segelt. Das Schiff sieht heute ganz anders aus. Dieses kleine Schiff ist heute der beste Segler der russischen Flotte und wird gewöhnlich zu Transporten zwischen Sewastopol und der tscherkessischen Küste verwendet."
Die Wegnahme der "Vixen" hätte Lord Palmerston sicherlich die beste Gelegenheit zur Erfüllung seines Versprechens gegeben, "die Interessen des Landes zu schützen und seine Ehre hochzuhalten". Außer der Ehre der britischen Flagge und den Interessen des britischen Handels stand jedoch noch etwas auf dem Spiel - die Unabhängigkeit Tscherkessiens. Zuerst rechtfertigte Rußland die Beschlagnahme der "Vixen" damit, daß sie sich eine Verletzung der von Rußland proklamierten Blockade habe zuschulden kommen lassen; das Schiff aber wurde auf eine ganz anders lautende Anklage hin, und zwar wegen Übertretung der russischen Zollvorschriften, mit Beschlag belegt. Durch die Proklamierung der Blockade erklärte Rußland Tscherkessien für ein feindliches fremdes Land; und es fragte sich, ob die britische Regierung diese Blockade je anerkannt hatte. Durch die Übertragung russischer Zollvorschriften auf Tscherkessien wurde dieses im Gegenteil wieder als russischer Vasallenstaat behandelt, und es entstand die Frage, ob die britische Regierung die russischen Ansprüche auf Tscherkessien je anerkannt hatte.
Ehe wir fortfahren, wollen wir daran erinnern, daß Rußland zu jener Zeit weit davon entfernt war, seine Befestigung Sewastopols vollendet zu haben.
Irgendein Anspruch Rußlands auf den Besitz von Tscherkessien konnte bloß aus dem Vertrag von Adrianopel hergeleitet werden, wie wir schon in einem früheren Artikel auseinandersetzten. Der Vertrag vom 6. Juli 1827 verpflichtete Rußland jedoch, keine Territorialvergrößerungen vorzunehmen noch auch irgendwelche einseitige Handelsvorteile aus seinem Krieg mit der <411> Türkei zu ziehen. Jede Ausdehnung der russischen Grenze auf Grund des Vertrags von Adrianopel war daher ein offener Bruch des Vertrags von 1827 und brauchte, wie die Proteste Wellingtons und Aberdeens darlegten, von seiten Großbritanniens nicht anerkannt zu werden. Rußland hatte also kein Recht, Tscherkessien aus den Händen der Türkei anzunehmen. Andererseits konnte die Türkei an Rußland nicht etwas abtreten, was sie selber nicht besaß. Tscherkessien war stets so unabhängig von der Pforte geblieben, daß zu der Zeit, als in Anapa noch ein türkischer Pascha residierte, Rußland einige Vereinbarungen wegen des Küstenhandels mit tscherkessischen Anführern abschloß, da der türkische Handel ausschließlich und gesetzmäßig auf den Hafen von Anapa beschränkt war. Da also Tscherkessien ein unabhängiges Land war, so waren die Munizipalgesetze, die Gesundheitsbestimmungen und Zollverordnungen, mit denen der Moskowiter es beglücken wollte, ebenso bindend für Tscherkessien wie die russischen Gesetze für den Hafen von Tampico.
Andrerseits: War Tscherkessien ein fremdes, Rußland feindliches Land, so hatte Rußland nur dann ein Recht, es zu blockieren, wenn diese Blockade tatsächlich durchgeführt wurde und nicht nur auf dem Papier bestand, wenn Rußland die Seemacht bereit hatte, um sie zu erzwingen, und wirklich die Küste beherrschte. Nun aber besaß Rußland an dieser zweihundert Meilen langen Küste nur drei isolierte Forts, und das ganze übrige Tscherkessien war in den Händen tscherkessischer Stämme. In der Bucht von Sudschuk Kale gab es überhaupt kein russisches Fort. Eine Blockade fand tatsächlich nicht statt, denn es war keine Macht zur See aufgeboten. Die Mannschaften zweier englischer Schiffe, die der "Vixen" und eines anderen, das im September 1834 die Bucht besucht hatte, boten sich ausdrücklich als Zeugen dafür an, daß keine wie immer geartete russische Okkupation der Küste erfolgt war, ein Zeugnis, das zwei britische Reisende, die den Hafen 1837 und 1838 besuchten, öffentlich bestätigten. ("Portfolio", VIII, 1. März 1844.)
Als die "Vixen" in den Hafen von Sudschuk Kale einfuhr,
"waren russische Kriegsschiffe weder in Sicht noch auf offener See ... Sechsunddreißig Stunden, nachdem die 'Vixen' Anker geworfen hatte und der Besitzer und einige Offiziere an Land gegangen waren und mit den tscherkessischen Autoritäten wegen des Zolls und den für die Waren fälligen Gebühren verhandelten, ... kam gerade ein russisches Kriegsschiff in den Hafen. Und zwar kam es nicht längs der Küste, sondern von der offenen See." (Herr Anstey im Unterhaus, 23. Februar 1848.)
Bedarf es noch weiterer Beweise dafür, daß das St. Petersburger Kabinett selbst die "Vixen" unter dem Vorwand der Blockade kapern und sie dann unter dem Vorwand von Zollvorschriften konfiszieren ließ?
<412> Um so begünstigter erschienen die Tscherkessen vom Zufall, als die Frage ihrer Unabhängigkeit zusammenfiel mit der des freien Schiffsverkehrs auf dem Schwarzen Meer, dem Schutz des britischen Handels und einem unverschämten Akt von Piratentum, den Rußland an einem britischen Handelsschiff begangen hatte. Die Chance, daß Tscherkessien bei der Beherrscherin der Meere Schutz finden wurde, erschien um so weniger zweifelhaft, weil
"die tscherkessische Unabhängigkeitserklärung kurz vorher nach reiflicher Überlegung und nach mehrwöchiger Korrespondenz mit verschiedenen Regierungsdepartments im 'Portfolio' veröffentlicht worden war, einer periodischen Veröffentlichung, die mit dem Ministerium des Auswärtigen in Verbindung steht, und weil Tscherkessien auf einer von Lord Palmerston selbst durchgesehenen Landkarte als unabhängiges Land bezeichnet war". (Lord Stanley im Unterhaus, 21. Juni 1838.)
Wer hätte danach angenommen, daß der edle und ritterliche Viscount den Fall so meisterlich zu deichseln verstand, daß gerade dieser Akt von Seeräuberei, den Rußland gegen englisches Eigentum beging, ihm die längst gesuchte Gelegenheit bot, den Vertrag von Adrianopel formell anzuerkennen und die Unabhängigkeit Tscherkessiens zu vernichten?
Am 17. März 1837 beantragte Herr Roebuck, als er sich auf die Konfiskation der "Vixen" berief, es sollen
"Kopien der ganzen Korrespondenz zwischen der Regierung Englands und den Regierungen Rußlands und der Türkei vorgelegt werden, die sich auf den Vertrag von Adrianopel bezöge; sowie Berichte über alle Verhandlungen und Transaktionen, die seit dem Vertrag von Adrianopel seitens Rußlands wegen der Okkupation der Häfen und Territorien an den Ufern des Schwarzen Meeres gepflogen worden seien".
Aus Furcht, in den Verdacht zu geraten, daß er menschlich fühle oder etwa gar Tscherkessien aus abstrakten Gründen verteidige, erklärte Herr Roebuck rundheraus:
"Rußland mag versuchen, die ganze Welt an sich zu reißen, und ich werde seinen Versuchen mit Gleichmut zusehen; in dem Augenblick jedoch, wo es versucht, unserem Handel in die Quere zu kommen, werde ich die Regierung dieses Landes anrufen" (dieses Land liegt offenbar irgendwo außerhalb der ganzen Welt!) "damit sie den Übergriff bestraft."
Er verlange daher zu wissen, "ob die britische Regierung den Vertrag von Adrianopel anerkannt habe".
Der edle Lord, obgleich so hart bedrängt, hatte doch Geistesgegenwart genug, eine lange Rede zu halten und
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"wieder Platz zu nehmen, ohne dem Haus gesagt zu haben, in wessen Besitz die tscherkessische Küste sich augenblicklich tatsächlich befindet, ob sie wirklich Rußland gehöre und ob die 'Vixen' kraft einer bestehenden Blockade oder infolge der Übertretung fiskalischer Bestimmungen gekapert worden sei, und ob er den Vertrag von Adrianopel anerkenne oder nicht". (Herr Hume im Unterhaus, 17. März 1837.)Herr Roebuck konstatierte, daß sich Herr Bell, ehe er die "Vixen" nach Tscherkessien abfahren ließ, an den edlen Lord gewendet hatte, um sich zu vergewissern, ob irgendeine Unzuträglichkeit oder Gefahr zu befürchten wäre, wenn ein Schiff an irgendeinen Teil Tscherkessiens Waren brächte, und daß das Außenministerium mit Nein geantwortet hatte. Nun sah sich Lord Palmerston genötigt, dem Hause seine Korrespondenz mit Herrn Bell vorzulesen. Wenn man ihm dabei zuhörte, so hatte man die Empfindung, als läse er ein spanisches Mantel- und Degenstück, nicht aber eine offizielle Korrespondenz zwischen einem Minister und einem Kaufmann vor. Als Daniel O'Connell hörte, daß der edle Lord die Briefe über die Kaperung der "Vixen" vorgelesen, rief er aus: "Wie recht hat doch Talleyrand, wenn er sagt, die Sprache sei dazu erfunden, die Gedanken zu verbergen!"
So fragte Herr Bell zum Beispiel an, ob "irgendwelche Beschränkungen des Handels existierten, die von Seiner Majestät Regierung anerkannt sind? Wäre das nicht der Fall, dann wolle er ein mit Salz beladenes Schiff dorthin schicken." Lord Palmerston erwidert: "Sie fragen mich, ob es vorteilhaft für Sie wäre, sich in eine Spekulation mit Salz einzulassen?" und fügt hinzu:
"Handelshäuser müssen selbst wissen, ob sie sich in eine Spekulation einlassen dürfen oder nicht." "Danach habe ich nicht gefragt", antwortet Bell, "ich will nur wissen, ob die Regierung Seiner Majestät die russische Blockade auf dem Schwarzen Meer bis südlich gegen den Fluß Kuban anerkennt?" "Sie müssen in der 'London Gazette' nachsehen", erwidert der edle Lord, "dort sind alle derartigen Bekanntmachungen, wie Sie sie meinen, verzeichnet." Die "London Gazette" war nun allerdings für einen britischen Kaufmann eine geeignetere Quelle, um sich solche Informationen zu holen, als die Ukase des Kaisers von Rußland. Und da Herr Bell keine wie immer geartete Notiz über die Anerkennung der Blockade oder über sonstige Einschränkungen in der "Gazette" fand, so sandte er sein Schiff ab. Das Ergebnis war, daß er sich nach kurzer Zeit selbst in der "Gazette" erwähnt fand.
"Ich verwies Herrn Bell", sagte Lord Palmerston, "auf die 'Gazette', wo er fand, daß die russische Regierung unserem Lande eine Blockade weder mitgeteilt noch erklärt hatte, folglich gab es auch keine anzuerkennen."
Wenn Lord Palmerston Herrn Bell an die "Gazette" verwies, so leugnete er damit nicht nur die Anerkennung einer russischen Blockade durch Groß- <414> britannien, sondern er bestätigte gleichzeitig auch, daß seiner Meinung nach die tscherkessische Küste kein Teil des russischen Gebiets ist, denn die "Gazette" veröffentlicht nichts darüber, wenn ein fremder Staat ein Stück des eigenen Gebiets blockiert - z.B. gegen aufständische Untertanen. Da Tscherkessien nicht einen Teil Rußlands bildet, konnte es also auch nicht in die russischen Zollvorschriften miteingeschlossen sein. Nach seinem eigenen Eingeständnis sprach also Lord Palmerston in seinen Briefen an Herrn Beil Rußland das Recht ab, die tscherkessische Küste zu blockieren oder sie kommerziellen Einschränkungen zu unterwerfen. Wahr ist allerdings, daß er während seiner ganzen Rede bestrebt war, das Haus dahin zu bringen, es als gegeben hinzunehmen, daß Rußland von Tscherkessien Besitz ergriffen hat. Andrerseits aber konstatierte er unumwunden,
"die Ausdehnung der russischen Grenze bis an die Donaumündung, im Süden des Kaukasus und an den Ufern des Schwarzen Meeres ist sicherlich nicht vereinbar mit der feierlichen Erklärung, die Rußland vor ganz Europa abgab, ehe der Türkische Krieg begann".
Als er mit der feierlichen Versicherung, "stets die Interessen des Landes zu schützen und die Ehre des Landes hochzuhalten", seinen Sitz wieder einnahm, schien er schwer unter der Sorgenlast zu seufzen, die ihm seine vergangene Politik auferlegte, und durchaus nicht daran zu denken, verräterische Zukunftspläne auszuhecken. An diesem Tag mußte er folgenden schweren Vorwurf einstecken:
"Es sei in höchstem Maße zu tadeln, wie sehr es der edle Lord an tatkräftigem Eifer habe fehlen lassen, die Ehre des Landes zu schützen; kein früherer Minister hätte sich so wankelmütig, so unsicher, so zaudernd, so feige gezeigt, wenn britische Untertanen beschimpft worden seien. Wie lange noch beabsichtige der edle Lord, Rußland zu gestatten, Großbritannien zu beschimpfen und so den britischen Handel zu schädigen? Der edle Lord degradiere England zu einem rechten Prahlhans, der dem Schwachen hochmütig und tyrannisch, dem Starken demütig und winselnd entgegentrete."
Wer war es, der den "echten englischen" Minister so erbarmungslos brandmarkte? Kein anderer als Lord Dudley Stuart.
Am 25. November 1836 war die "Vixen" beschlagnahmt worden. Die stürmischen Debatten im Unterhaus, die wir eben zitierten, spielten sich am 17. März 1837 ab. Aber erst am 19 April 1837 forderte der edle Lord die russische Regierung auf,
"den Grund anzugeben, durch den sie sich für berechtigt hielt, in Friedenszeiten ein Handelsschiff zu kapern, das britischen Untertanen gehört".
<415> Am 17. Mai 1837 erhielt der edle Lord folgende Depesche vom Earl of Durham, dem britischen Botschafter in St. Petersburg:
"Mylord!
Hinsichtlich der militärischen de-facto-Okkupation von Sudschuk Kale muß ich Eurer Lordschaft mitteilen, daß sich in der Bucht ein Fort befindet, das den Namen der Kaiserin trägt (Alexandrowski) und das stets von einer russischen Garnison besetzt war.
Ich bin usw. usw.
Durham."
Es braucht wohl kaum betont zu werden, daß das Alexandrowskifort nicht einmal so viel Realität besaß wie die Pappdörfer, die Potemkin der Kaiserin Katharina II. bei ihrem Besuch auf der Krim zeigte. Fünf Tage nach dem Empfang dieser Depesche sendet Lord Palmerston folgende Antwort nach St. Petersburg:
"In Erwägung, daß Sudschuk Kale, das im Vertrag von 1783 von Rußland als türkischer Besitz anerkannt wurde, jetzt durch den Vertrag von Adrianopel zu Rußland gehört, wie Graf Nesselrode bezeugt, hat die Regierung Seiner Majestät keinen ausreichenden Grund, in Frage zu stellen, ob Rußland berechtigt war, die 'Vixen' zu ergreifen und zu konfiszieren."
Einige sehr merkwürdige Begleitumstände knüpfen sich an diese Verhandlungen. Zu ihrer Eröffnung brauchte Lord Palmerston volle sechs Monate der Vorbereitung, zu ihrem Abschluß kaum einen Monat. Mit seiner letzten Depesche vom 23. Mai 1837 brechen die Verhandlungen jäh und plötzlich ab. Das Datum des Vertrags von Kütschük-Kainardschi wird darin nicht nach dem gregorianischen, sondern nach dem griechischen Kalender erwähnt. Auch
"hat sich", wie Sir Robert Peel sagt, "vom 19. April bis zum 23. Mai eine auffallende Wandlung von offizieller Deklaration zur Befriedigung vollzogen; man ließ sich offenbar durch die Versicherung des Grafen Nesselrode dahin beschwichtigen, daß die Türkei im Vertrag von Adrianopel den Küstenstrich, um den es sich handelt, an Rußland abgetreten habe. Warum protestierte er nicht gegen diesen Ukas?" (Unterhaus, 21. Juni 1838.)
Warum das alles? Der Grund ist sehr einfach. König Wilhelm IV. hatte Herrn Bell insgeheim angestiftet, die "Vixen" an die tscherkessische Küste zu senden. Als der edle Lord die Unterhandlungen hinauszog, erfreute sich der König noch seiner vollen Gesundheit. Als Lord Palmerston dieselben so jählings abschloß, lag der König in den letzten Zügen, und der edle Lord <416> verfügte so absolut über das Ministerium des Auswärtigen, als wäre er der absolute Monarch von Großbritannien. War es nicht ein Meisterstück des spaßhaften Lords, mit einem Federstrich den Vertrag von Adrianopel, Rußlands Besitzrecht auf Tscherkessien und die Konfiskation der "Vixen" formell anzuerkennen, und zwar im Namen des sterbenden Königs, der selbst die trotzige "Vixen" ausgesandt hatte, in der bestimmten Absicht, den Zaren zu ärgern, den Vertrag von Adrianopel zu mißachten und die Unabhängigkeit von Tscherkessien zu bestätigen?
Herr Bell kam also, wie schon gesagt, in die "Gazette", und Herr Urquhart, damals erster Botschaftssekretär in Konstantinopel, wurde zurückberufen, weil er "Herrn Bell zur Ausführung der Expedition der 'Vixen' überredet habe".
Solange König Wilhelm IV. am Leben war, wagte Lord Palmerston nicht, sich offen der Expedition der "Vixen" entgegenzustellen, wie dies klar bewiesen wird erstens durch die Unabhängigkeitserklärung Tscherkessiens, die im "Portfolio" veröffentlicht wurde; ferner durch die tscherkessische Landkarte, die Seine Lordschaft durchgesehen hatte; durch seine jeder Bestimmtheit ermangelnde Korrespondenz mit Herrn Bell; durch seine vagen Erklärungen vor dem Unterhaus; schließlich bekam Herrn Bells Bruder, der Superkargo der "Vixen", bei der Ausreise Depeschen vom Ministerium des Auswärtigen an die Botschaft in Konstantinopel mit, und von Lord Ponsonby, dem britischen Botschafter bei der Hohen Pforte, wurde ihm direkte Ermutigung zuteil.
Zu Beginn der Regierung der Königin Victoria schien der Einfluß der Whigs gesicherter denn je zu sein, und demgemäß änderte sich auch plötzlich die Sprache des ritterlichen Viscounts. Aus Verteidigung und Schmeichelei wurden mit einem Male Hochmut und Verachtung. Als ihn Herr T. H. Attwood am 14. Dezember 1837 über die "Vixen" und Tscherkessien befragte, meinte er:
"In betreff der 'Vixen' habe Rußland derartige Erklärungen über sein Vorgehen abgegeben, daß sich die Regierung unseres Landes damit zufriedengeben könne. Das Schiff sei nicht während einer Blockade genommen worden. Man habe es nur deshalb ergriffen, weil die mit seiner Leitung betrauten Personen den Munizipal- und Zollverordnungen Rußlands zuwidergehandelt hätten."
Den Befürchtungen Herrn Attwoods wegen der russischen Übergriffe trat er entgegen,
"denn Rußland biete seines Erachtens der Welt genau dieselben Garantien zur Erhaltung des Friedens wie England". (Lord Palmerston im Unterhaus, 14. Dezember 1837.)
<417> Am Schluß der Session legte der edle Lord dem Hause die Korrespondenz mit der russischen Regierung vor, deren beide wichtigsten Teile wir schon zitierten.
1838 hatte sich die Konstellation der Parteien erneut geändert, und die Tories waren wieder zu Einfluß gelangt. Sie richteten gegen Lord Palmerston am 21. Juni eine scharfe Anklage. Der nunmehrige Botschafter in Konstantinopel, Sir Stratford Canning, beantragte eine besonders gewählte Kommission, die die Beschuldigungen Herrn George Bells gegen den edlen Lord und seine Entschädigungsansprüche prüfen sollte. Zuerst zeigte sich Seine Lordschaft höchlichst erstaunt, daß Sir Stratfords Antrag "solch kleinlichen Charakter trage".
"Sie sind", rief ihm darauf Sir Robert Peel zu, "der erste englische Minister, der es wagt, den Schutz des britischen Eigentums und Handels eine kleinliche Angelegenheit zu nennen."
"Kein einzelner Kaufmann", sagte darauf Lord Palmerston, "hat das Recht, von der Regierung zu verlangen, daß sie sich über so wichtige Dinge äußert, wie das Souveränitätsrecht Rußlands in Tscherkessien oder die von Rußland mit Waffengewalt eingeführten Zollverordnungen und Gesundheitsbestimmungen."
"Wozu brauchen wir dann überhaupt ein Ministerium des Auswärtigen, wenn das nicht zu seinen Pflichten gehört?" fragte Herr Hume.
Der edle Lord schloß:
"Es wird verbreitet, daß Herr Bell, der unschuldige Herr Bell, durch die Antworten, die ich ihm gab, in eine von mir gestellte Falle gelockt worden sei. Wenn man schon von einer Falle spricht, dann hat sie mir Herr Bell gelegt und nicht ich sie ihm."
Offenbar mit den Fragen, die er an den "unschuldigen" Lord Palmerston richtete.
Im Verlauf dieser Debatten (am 21 Juni 1838) kam endlich das große Geheimnis ans Licht. Wenn der edle Lord sogar willens gewesen wäre, im Jahre 1836 den Ansprüchen Rußlands zu widerstreben, so hätte er es nicht mehr gekonnt, aus dem einfachen Grunde, weil schon 1831, kaum daß er ins Amt gekommen, seine erste Tat darin bestand, die russische Usurpation des Kaukasus anzuerkennen und damit zugleich auch von hinten herum den Vertrag von Adrianopel. Am 8. August 1831, so berichtet Lord Stanley (jetzt Lord Derby), teilte das russische Kabinett seinem Vertreter in Konstantinopel seine Absicht mit,
"den bisherigen starken Verkehr zwischen den Bewohnern des Kaukasus und den benachbarten türkischen Provinzen Gesundheitsbestimmungen zu unterwerfen", und <418> "diese Bestimmungen sollten den auswärtigen Missionen in Konstantinopel und der ottomanischen Regierung bekanntgegeben werden".
Indem man Rußland gestattete, an der tscherkessischen Küste sogenannte Gesundheitsbestimmungen und Zollverordnungen einzuführen, die sonst nirgends existierten als in dem obenerwähnten Schreiben, wurden die russischen Ansprüche auf den Kaukasus anerkannt und damit auch der Vertrag von Adrianopel, auf den sie begründet waren,
"Diese Instruktionen", sagt Lord Stanley, "waren dem Botschaftssekretär, Herrn Mandeville, in Konstantinopel ganz offiziell mitgeteilt worden, ausdrücklich zum Zwecke der Information für die britischen Kaufleute, und wurden auch dem edlen Lord Palmerston übermittelt."
"Die Tatsache, eine solche Benachrichtigung erhalten zu haben, teilte er, entgegen dem Brauch früherer Regierungen, Lloyd's Committee nicht mit", wagte er nicht, mitzuteilen. Der edle Lord hat sich "sechs Jahre lang der Verheimlichung" schuldig gemacht, rief ihm Sir Robert Peel zu.
An diesem Tage entging der spaßhafte Lord nur mit 16 Stimmen einer Verurteilung: 184 stimmten gegen, 200 für ihn. Diese 16 Stimmen werden weder die Geschichte übertönen noch die Bergbewohner zum Schweigen bringen, deren Waffengeklirr der Welt beweist, daß der Kaukasus nicht "jetzt zu Rußland gehört, wie Graf Nesselrode behauptet" und wie Lord Palmerston es nachbetet!
Karl Marx
Textvarianten
<1> In der "New-York Daily Tribune" vom 19. Oktober 1853 beginnt der Artikel mit folgenden Worten, die in "The People's Paper" nicht abgedruckt wurden: "Die Orientwirren haben in England eine große Veränderung hervorgerufen, die, wenn nicht die Parteien, so zumindest die Männer an der Spitze der Parteien berührt. Lord Palmerston ist wieder zum Liebling des Publikums geworden. Er ist in jedermanns Munde, er ist der einzige Mensch, der England retten kann, er wird zuversichtlich zum unumgänglichen Premierminister jedes veränderten Kabinetts erklärt und gleichermaßen von den Tories, den Whigs, von den angeblichen Patrioten, der Presse und der allgemeinen öffentlichen Meinung gepriesen.
Das Phänomen der Palmerston-Manie ist so außergewöhnlich, daß man versucht ist, es nur für ein künstliches Phänomen zu halten, das nicht für den Hausgebrauch, sondern als Exportartikel für auswärtigen Gebrauch gedacht ist. Dies wäre jedoch ein Irrtum." <=
<2> In der "New-York Daily Tribune" vom 19. Oktober 1853 folgt hier der Satz: "Er ist ein großartiges Muster jener Sorte, die Thomas Carlyle als die vorgeblichen Führer der Welt bezeichnet." <=
<3> In der "New-York Daily Tribune" vom 19. Oktober 1853 heißt es an dieser Stelle: "den klaren Himmel über dem Parlament der Gutsbesitzer und Geldherren verdüsterte". <=
<4> In der "New-York Daily Tribune" vom 19. Oktober 1853 steht anstatt der Worte "Immer wieder greift er Aberdeen wegen seiner antirussischen Diplomatie an" folgender Satz: "Ein halbes Jahrhundert lang stand ein und dieselbe Phrase dem Vormarsch Rußlands nach Konstantinopel im Wege: Die Phrase von der Integrität des Türkischen Reichs, die zur Erhaltung des europäischen Gleichgewichts notwendig sei. Am 5. Februar 1830 erklärte Palmerston: 'Ich widersetze mich einer Politik, die die Integrität des Türkischen Reichs in Europa als ein Objekt hinstellt, das unbedingt notwendig ist für die Interessen des christlichen und zivilisierten Europas.'" <=
<5> In der "New-York Daily Tribune" vom 4. November 1853 und in der in London 1853 herausgegebenen Broschüre "Palmerston und Rußland" beginnt der Artikel folgendermaßen: "Vor kurzem fand in London ein Protestmeeting gegen die Handlungen des englischen Ministeriums in dem jetzigen Konflikt zwischen Rußland und der Türkei statt; ein Redner, der sich besonders scharf gegen Lord Palmerston wandte, wurde bei dieser Gelegenheit mit einem Entrüstungssturm empfangen und niedergeschrien. Die Versammlung dachte offenbar, daß, wenn Rußland einen Freund im Ministerium habe, es gewiß nicht der edle Lord sei, und hätte zweifellos des Jubels kein Ende gefunden, wenn jemand imstande gewesen wäre, ihr die Ernennung seiner Lordschaft zum Premierminister zu melden. Dieses erstaunliche Zutrauen zu einem so hohlen, falschen Menschen beweist aufs neue, wie leicht sich das Volk durch glänzende Eigenschaften täuschen läßt, und wie notwendig es ist, diesem arglistigen Feind der menschlichen Freiheit die Maske vom Gesicht zu reißen. Auf der Grundlage der Geschichte der letzten fünfundzwanzig Jahre und gestützt auf die Parlamentsdebatten wollen wir daher fortfahren, die wahre Rolle aufzudecken, die dieser vollendete Schauspieler in dem Drama des modernen Europas spielte." <=
<6> In der "New-York Daily Tribune" vom 4. November 1853 und in der 1853 in London herausgegebenen Broschüre "Palmerston und Rußland" steht anstatt "Die Konstitution Krakaus wurde abgeschafft ..." folgendes: "Bei dieser Gelegenheit enthielt sich der edle Lord jedes Einspruchs, weil, wie er 1836 und 1840 äußerte, 'es schwierig sei, unsere Proteste wirksamer zu gestalten'. Als jedoch Krakau endgültig durch Österreich konfisziert war, erschien ihm ein einfacher Protest 'als das einzige wirksame Mittel'." <=
<7> In der "New-York Daily Tribune" vom 4. November 1853 und in der 1853 in London herausgegebenen Broschüre "Palmerston und Rußland" steht nach den Worten "eines politischen Ereignisses" folgender Satz: ".... und mußte auf jeden Fall den edlen Lord daran hindern, später einmal zu erklären, er hätte von den Intrigen gar nichts bemerkt, die von Österreichern, Russen und Preußen in Krakau angezettelt wurden." <=
<8> In der "New-York Daily Tribune" vom 4. November 1853 und in der 1853 in London herausgegebenen Broschüre "Palmerston und Rußland" steht nach diesen Worten folgender Satz: "Niemals hat er sich darüber ausgesprochen, warum oder weshalb er seine gegebene Zusage nicht einhielt, und allen Versuchen, ihm irgendwelche schriftliche Belege über diese Angelegenheit zu entreißen, hat er erfolgreich widerstanden." <=
<9> In der "New-York Daily Tribune" vom 4. November 1853 und in der 1853 in London herausgegebenen Broschüre "Palmerston und Rußland" heißt es an dieser Stelle weiter: "mit der Begründung, daß die Anleihe abgeschlossen wurde, um Holland den ungeteilten Besitz der belgischen Provinzen zu erhalten, und daß es jetzt die Souveränität über diese Länder nicht mehr besitze." <=
<10> In der "New-York Daily Tribune" vom 4. November 1853 und in der 1853 in London herausgegebenen Broschüre "Palmerston und Rußland" lautet der Schluß des vorliegenden Artikels: "Und nun können wir auch ermessen, welchen Grad von Entschlossenheit er entwickeln wird, wenn es gilt, den Übergriffen jener Macht Widerstand zu leisten, der er so unentwegt gedient hat." <=
<11> In der "New-York Daily Tribune" vom 21 .November 1853 beginnt der Artikel folgendermaßen: "Es gibt Leute. die erwarten, daß die britische Regierung in dem Kriege, der jetzt zwischen der Türkei und Rußland begonnen hat, endlich ihr System der halben Maßnahmen und fruchtlosen Verhandlungen aufgeben und energische und wirksame Maßnahmen ergreifen wird, damit der Moskowiter Eindringling seiner Beute und seinen Weltherrschaftsträumen entsagt. Eine solche Erwartung mag der Grundlage einer abstrakten Wahrscheinlichkeit und einer sie rechtfertigenden Politik nicht entbehren. Wie wenig realer Grund dafür vorhanden ist, wird für jeden ersichtlich, der die nachstehend vorgebrachten Tatsachen bezüglich des Verhaltens des englischen Ministers in der Vergangenheit bedenkt, von dem man annimmt, er werde dem Vormarsch des russischen Despotismus in Europa äußerst feindlich gesinnt sein. Tatsächlich sind die meisten Leute in England, die mit der Politik der Regierung hinsichtlich der Auseinandersetzung zwischen der Türkei und Rußland unzufrieden sind, überzeugt davon, daß die Dinge ganz anders aussehen würden, wenn Lord Palmerston dafür verantwortlich wäre. Diese Leute müssen - wenn sie sich die Geschichte des edlen Viscount in Erinnerung rufen - die ganze ereignisreiche Periode von 1832 bis 1847 auslassen, eine Lücke, die wir zu ihrer Information ausfüllen werden." <=
<12> In der "New-York Daily Tribune" vom 21. November 1853 heißt es an dieser Stelle weiter: "...um den Ehrgeiz Mechmed Alis zu zähmen und den Vormarsch der Heere Ibrahim Paschas aufzuhalten. Das berichtet uns Lord Mahon, der im Ministerium des Auswärtigen unter Robert Peel eben zu der Zeit diente, als diese Behauptung aufgestellt wurde." <=
<13> In der "New-York Daily Tribune" vom 21. November 1853 folgt an dieser Stelle noch folgender Absatz: "Sir Stratford Canning wurde im September abberufen und Lord Ponsonby im November ernannt. Ibrahim Pascha hatte jedoch noch nicht den Taurus überschritten, noch nicht die Schlacht bei Konia geschlagen, und die Russen hatten noch nicht Zarigrad erobert. Dementsprechend hatte Lord Ponsonby Befehl erhalten, sieben Monate zur Überfahrt von Neapel nach Konstantinopel zu brauchen." <=
<14> In der "New-York Daily Tribune" vom 21. November 1853 heißt es an dieser Stelle weiter: "Das gleiche Vertrauen hatte er Rußland in der Frage geschenkt, daß es die polnische Verfassung und die nationale Existenz Polens nicht beseitigen würde. Unterdessen hatte der Zar beides durch das Organisations-Statut von 1832 aufgehoben - doch das grenzenlose Vertrauen des edlen Lords blieb unerschüttert." <=
<15> In der 1854 erschienenen Broschüre "Palmerston und der Vertrag von Hunkiar-Iskelessi" lautet dieser Absatz folgendermaßen: "Einerseits sollte also der Vertrag von Adrianopel, gegen den Lord Aberdeen und der Herzog von Wellington protestiert hatten, durch England hinterrücks anerkannt werden, indem Lord Palmerston sich mit dem Vertrag von St. Petersburg völlig einverstanden erklärte, der doch nur eine Ratifikation des ersteren war; und andererseits sollte dadurch die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit von dem Vertrag von Hunkiar-Iskelessi abgelenkt und die Feindseligkeit, die er in Europa gegen Rußland ausgelöst hatte, besänftigt werden." <=
<16> In der "New-York Daily Tribune" vom 21. November 1853 beginnt der Satz folgendermaßen: "Sein System der falschen Vorspiegelungen, Vorwände, Widersprüche, Fallen und unglaubhaften Erklärungen erreichte seinen Höhepunkt, als er sich am 14. Dezember 1837 gegen eine Resolution des Herrn T. Attwood, die mit dem Vertrag von Hunkiar-Iskelessi zusammenhängenden Papiere vorzulegen, mit der Begründung wandte, daß ..." <=
<17> In der "New-York Daily Tribune" vom 21. November 1853 endet der Artikel nicht mit dem Zitat von Shakespeare, sondern folgendermaßen: "Solch ein plumpes Betrugssystem bildete die letzte Zuflucht eines englischen Ministers, der der russischen Armee Konstantinopel geöffnet, der englischen Armee die Dardanellen verschlossen und dem Zaren dazu verholfen hatte, monatelang von Konstantinopel Besitz zu ergreifen und jahrelang eine Kontrolle über die Türkei auszuüben. Wie absurd ist es dann, anzunehmen, er könne sich jetzt eines anderen besinnen und sich gegen einen Freund wenden, dem er so lange und so treu gedient." <=
<18> In der "New-York Daily Tribune" vom 11 Januar 1854 stehen anstatt "für England" die Worte "für englische Kriegsschiffe". <=
<19> In der "New-York Daily Tribune" vom 11. Januar 1854 endet der Artikel folgendermaßen: "Das Geheimnis von Lord Palmerstons Transaktionen mit Rußland über dessen Pläne an der Donau wurde jedoch erst im Verlauf der Debatten über Tscherkessien enthüllt. Damals, am 23. Februar 1848, wurde von Herrn Anstey nachgewiesen, daß 'der erste Akt des noblen Viscounts bei Amtsübernahme' (als Außenminister) 'darin bestand, den Vertrag von Adrianopel anzunehmen' - der gleiche Vertrag, gegen den der Herzog von Wellington und Lord Aberdeen protestiert hatten.
Wie dies durchgeführt und wie Tscherkessien von Lord Palmerston an Rußland ausgeliefert wurde - soweit er die Macht hatte, es auszuliefern -, das könnte vielleicht den Gegenstand eines weiteren Artikels bilden." <=