Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 9, S. 312-320
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1960

Karl Marx

Politische Schachzüge -
Brotknappheit in Europa

Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 3886 vom 30. September 1853]

<312> London, Dienstag, 13. September 1853

Die "Sunday Times" veröffentlichte in ihrer letzten Nummer eine Depesche, die Lord Clarendon als Antwort auf die Note Graf Nesselrodes vom 2. Juli an Sir H. Seymour richtete. Diese Depesche trägt das Datum vom 16. Juli. Sie ist lediglich eine Kopie der Antwort des Herrn Drouyn de Lhuys. Ein Korrespondent des "Leader" vom vergangenen Sonnabend drückt sich in der folgenden geistreichen Art über den "Antagonismus" zwischen Lord Aberdeen und Palmerston aus:

"Lord Aberdeen konnte Lord Palmerstons Heuchelei niemals verstehen; er verstand nie, daß Lord Palmerston infolge dieser Heuchelei immer in der Lage war, die russophile Politik unbehindert zu fördern, besser sogar als Lord Aberdeen selbst ... Lord Palmerston verhüllt Zynismus durch Kompromiß ... Lord Aberdeen tat, was Lord Palmerston nicht getan hat; er sprach seine Oberzeugung aus ... Lord Palmerston sieht die Nützlichkeit, aber Lord Aberdeen sieht nicht die Nützlichkeit, über Intervention zu reden, während Nicht-Intervention betrieben wird ... Lord Aberdeen, durch seine Bekanntschaft mit den herrschenden Klassen damit vertraut, wie man Sitze erlangt und Wähler kauft, hält die britische Verfassung nicht für die vollkommenste Institution der menschlichen Gesellschaft, und da er vermutet, daß die Bevölkerung des europäischen Kontinents nicht liebenswerter oder hassenswerter ist als die Bevölkerung Großbritanniens, sieht er davon ab, kontinentalen Regierungen nahezulegen, wie wünschenswert es sei, einen väterlichen Despotismus zugunsten einer Selbstverwaltung der herrschenden Klassen abzuschaffen ... Lord Aberdeen sieht, daß Großbritannien eine Macht ist, die durch Unterwerfung anderer Nationen geschaffen wurde, und er verabscheut eine Außenpolitik, die von freundschaftlichen Gefühlen für kämpfende Nationalitäten getragen ist ... Lord Aberdeen sieht keinen Grund dafür, warum England, das Indien erobert und ausgeplündert hat und Indien zum Nutzen Indiens unterdrückt, sich als ein Hasser des Zaren Nikolaus ausgeben sollte, der in Rußland ein guter Despot ist <313> und Polen zum offensichtlichen Nutzen Polens unterdrückt. Lord Aberdeen sieht keinen Grund dafür, warum England, das verschiedene Aufstände in Irland niedergeschlagen hat, Österreich deshalb fanatisch hassen sollte, weil es Ungarn unterdrückt. Und da er weiß, daß Irland von England eine fremde Kirche aufgezwungen wird, versteht er den Eifer des Papstes, Kardinal Wiseman in Westminster einzusetzen. Er weiß, daß wir Kaffernkriege gehabt haben, und er hält daher Nikolaus nicht für einen Schurken, weil er seine Armee mit großen Verlusten gegen die Tscherkessen einsetzte. Er weiß, daß wir von Zeit zu Zeit rebellierende Mitchells und O'Briens nach Vandiemensland senden, und er empfindet keinen Abscheu, weil Louis-Napoleon ein Cayenne unterhält. Und wenn er an die neapolitanische Regierung über sizilianische Affären zu schreiben hat, verfällt er nicht in ekstatischen Liberalismus, da er dessen eingedenk ist, daß Großbritannien einen Vizekonsul in Korfu hat ... Es ist ein glückliches Arrangement: eine Koalitionsregierung mit Lord Palmerston, dazu bestimmt, die Bermondsey-Politik in Worten zu vertreten, während Lord Aberdeen die russophile Politik in der Tat ausübt."

Als Beweis dafür, daß ich das Heldentum der Schweiz nicht unterschätzt habe, darf ich einen Brief anführen, den ihr Bundesrat an die Regierung des Kantons Tessin adressiert hat, in dem es heißt, daß

"die Kapuzinerfrage eine rein kantonale Angelegenheit sei und daß demzufolge der Kanton Tessin zu entscheiden habe, ob es besser für ihn sei, Widerstand zu leisten und länger die harten Maßnahmen Österreichs zu dulden oder aber der Regierung Angebote zum Wiederanknüpfen von Unterhandlungen zu machen".

So stellt es sich also heraus, daß der Schweizer Bundesrat versucht, aus seinem Streit mit Österreich eine simple kantonale Angelegenheit zu machen. Derselbe Rat hat gerade die Ausweisung der Italiener Clementi, Cassola und Grillanzoni befohlen, nachdem sie das Geschworenengericht in Chur von der Anklage freigesprochen hatte, den Mailänder Aufstand durch den Transport von Waffen über die Tessiner Grenze unterstützt zu haben.

Die britische Unterstützung für den Tempel Dschagannaths scheint noch nicht völlig abgeschafft worden zu sein. Am 5. Mai 1852 wurde die folgende Depesche vom Direktorium an den Gouverneur von Indien gesandt:

"Wir halten an unserer Meinung fest, daß es wünschenswert ist, die britische Regierung endgültig von allen Verbindungen mit dem Tempel zu lösen, und wir ermächtigen Sie daher, entsprechende Maßnahmen durch die Aufhebung aller periodischen Zuwendungen zu treffen, an deren Stelle eine Abschlußzahlung in Form einer Abfindung an solche Personen geleistet werden könnte, die bei einer großzügigen Aus- <314> legung der in der Vergangenheit eingegangenen Verpflichtungen und getroffenen Abmachungen ein Recht auf solche Entschädigungen haben mögen."

Jedoch hatte die Regierung Indiens bis zum 11. April 1853 nichts unternommen; zu dieser Zeit wurde die Angelegenheit immer noch erwogen.

Die von der Regierung durchgeführte Untersuchung der an den Gefangenen im Birminghamer Gefängnis verübten Grausamkeiten, Grausamkeiten, die einige zum Selbstmord und andere zu Selbstmordversuchen getrieben haben, hat eine Woche in Anspruch genommen. Während wir einerseits über die zu Tage getretenen Greueltaten bestürzt sind, die von den im österreichischen oder neapolitanischen carcere duro <strengen Kerker> verübten nicht übertroffen werden, sind wir andererseits überrascht von der gefügigen Nachgiebigkeit der das Gefängnis inspizierenden Beamten gegenüber den Darstellungen, die ihnen von interessierter Seite gemacht wurden, und von ihrer völligen Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern. Ihre Sorge um den barbarischen Kerkermeister ging so weit, daß sie ihn regelmäßig von ihren bevorstehenden Besuchen in Kenntnis setzten. Der Hauptschuldige, Leutnant Austin, ist die Personifizierung solcher Typen, die Carlyle in seinen "Model Prisons" als die wirklichen Anführer der Pauper und Verbrecher bezeichnete.

Eines der Tagesgespräche ist die Eisenbahn-Moralität. Die Direktion der Yorkshire and Lancashire Railway verkündet auf ihren Fahrscheinen, daß,

"welcher Unfall auch immer passieren, welche Verletzung auch immer durch eigene Nachlässigkeit der Reisenden oder durch deren Bedienstete vorkommen mag, die Direktion sich als jeder rechtlichen Verantwortung enthoben betrachtet".

Trotzdem standen die Direktoren der Birmingham and Shrewsbury Railway am Sonnabend vor dem Gericht des Vizekanzlers, weil sie ihre eigenen Aktionäre betrogen haben. Zwischen der Great Western und der North-Western Railway besteht Rivalität, wer von ihnen sich die oben erwähnte Linie einverleiben soll. Da die Mehrheit der Aktionäre für eine Vereinigung mit der North-Western und die Direktoren für die Verschmelzung mit der Great Western sind, beschlossen die letzteren, eine bestimmte Anzahl der ihnen zu treuen Händen anvertrauten Aktien der Gesellschaft zu benutzen, um fiktive Stimmen zu erhalten. Zu diesem Zweck wurden die Aktien an eine Reihe nomineller Aktionäre ausgegeben - in einigen Fällen allem Anschein nach ohne Wissen der entsprechenden Personen, deren Namen einfach benutzt wurden; in einem Fall war es sogar ein Kind von <315> neun Jahren - welche die Aktien gar nicht bezahlt hatten, sondern sie in die Hände der Direktoren zurückgaben und diese kraft ihres nominellen Aktienbesitzes mit einer gewissen Anzahl zusätzlichen Stimmen versahen, um eine Mehrheit zugunsten der Verschmelzung mit der Great Western zu sichern. Der gelehrte Richter bemerkte, daß man sich "etwas Abscheulicheres oder Widerwärtigeres kaum vorstellen könne, wobei die Art der Ausführung des Plans noch widerwärtiger wäre." Mit dieser tadelnden Bemerkung entließ er, wie es unter den Bourgeois üblich ist, die Schuldigen, während ein armer Teufel von Proletarier gewiß sein kann, wegen eines Diebstahls von mehr als 5 Pfund deportiert zu werden.

Es ist kurios zu beobachten, wie die britische Öffentlichkeit ihre Entrüstung abwechselnd gegen die Moralität der Fabrikbesitzer, dann gegen die Grubenbesitzer, dann gegen die kleinen Händler mit verfälschten Drogen und jetzt gegen die Eisenbahnbesitzer richtet, welche die aus der Mode gekommenen Straßenräuber verdrängt haben, kurz, gegen die Moralität jeder Klasse von Kapitalisten. Im ganzen genommen könnte es scheinen, daß das Kapital eine besondere, ihm eigene Moralität besitzt, eine Art höheren Gesetzes der raison d'état <Staatsrücksichten>, während man die gewöhnliche Moral für eine Sache hält, die gerade gut genug für die armen Leute ist.

Die Manchester Palmerston-Reformer scheinen in einer hübschen Klemme zu sein. Die Wahlenthüllungen der letzten Parlamentssession betrafen fast ausschließlich städtische Wahlbezirke und sogar die großen wie Hull, Liverpool, Cambridge und Canterbury. Der liberale Wahlagent, Herr Coppock, gestand in einem Anfall von Wahrheitsliebe: "Was St. Albans war, das sind heute alle anderen städtischen Wahlbezirke." Jetzt denkt die Oligarchie darüber nach, wie sie diese Enthüllungen ausnutzen kann, um eine Reform zugunsten der ländlichen Wahlbezirke und auf Kosten der städtischen Wahlbezirke zu bewirken. Die Manchester Reformer, die keine allgemeine Ausdehnung des Wahlrechts, sondern nur eine innerhalb der Grenzen der städtischen Wahlbezirke wünschen, sind natürlich über einen derartigen Vorschlag verblüfft. Es ist erbärmlich anzusehen, wie ihr Organ, "The Daily News", sich um einen Ausweg aus dieser Schwierigkeit bemüht.

Am 14. Januar 1846 wurde der Zinsfuß der Bank von England auf 31/2% und am 21 Januar 1846 auf 4% erhöht; der Zinsfuß stieg erst im April 1847 auf 5%; doch es ist bekannt, daß in den letzten drei Wochen des April 1847 beinahe alle Kreditgeschäfte zum Stillstand gekommen waren. Im Jahre 1853 war die Aufwärtsbewegung des Zinsfußes der Bank von England weitaus <316> schneller. Von 2%, die er damals, am 24. April 1852, betrug, stieg er auf 21/2% am 8. Januar 1853, auf 3% am 22. desselben Monats, auf 31/2% am 4. Juni, auf 4% am 1. September, und bereits jetzt gehen in der City Gerüchte um, daß er in Kürze auf 5% steigen wird. Im November 1846 war der Durchschnittspreis für Weizen 56 sh. und 9 d. per Quarter; in den letzten Wochen des August 1853 hatte er 65 bis 66 sh. erreicht. Die Bank von England hatte in ihren Kellern

in der gleichen Periode des Vorjahrs

21.852.000 Pfd.St.

jetzt sind es nur

16.500.068 Pfd.St.

die Differenz beträgt

5.351.932 Pfd.St.

Der Edelmetallvorrat fiel in der vorletzten Woche um 208.875 Pfd.St. und in der vergangenen Woche um 462.852 Pfd.St. Das hatte eine unmittelbare Wirkung auf die Preise an der Börse, jede Art von Wertpapier sank im Preis. In dem Finanzartikel der "Times" vom vergangenen Mittwoch lesen wir:

"Ungeachtet der Depression an der Börse, blieben die Schatzkammerscheine bei 2% Diskonto mit 1% Prämie, doch herrscht der Eindruck, daß der Schatzkanzler den Ankauf auf Rechnung der Regierung veranlaßt, um den Preis zu halten, und da nicht sofort Mittel für diesen Zweck vorhanden waren, wurden dreiprozentige Wertpapiere, die auf den Konten von Sparkassen standen, verkauft."

Das wäre ein Meisterstück des Herrn Gladstone: Konsols zu niedrigen Preisen zu verkaufen und Schatzkammerscheine zu einem hohen Preis einzukaufen; einen Verlust in Höhe des halben Einkommens der dreiprozentigen Wertpapiere zu verursachen, indem er sie in Schatzkammerscheine umwandelt, die kaum mehr als 11/2% Zinsen tragen.

Wie können wir einen ungünstigen Wechselkurs oder den Abfluß von Edelmetallen mit dem unerhörten Ansteigen des britischen Exports in Einklang bringen, der Ende dieses Jahres selbst den Export von 1852 um 16.000.000 Pfd.St. übersteigen wird?

"Da wir für den Export unserer Waren der ganzen Welt Kredite geben und für unsere Importe bares Geld zahlen, muß die ungewöhnliche Ausweitung unseres Handels unweigerlich einmal zu einer für uns ungünstigen Zahlungsbilanz führen; all dieses bare Geld wird jedoch zu uns zurückkehren, wenn der Kredit für unsere Exporte abgelaufen ist und dafür Rimessen geleistet werden müssen."

So sagt der "Economist". Nach dieser Theorie muß der Wechselkurs, wenn die Exporte des Jahres 1854 die des Jahres 1853 übersteigen sollten, weiterhin für England ungünstig sein und wäre eine Handelskrise der einzige <317> Weg des Ausgleichs. Der "Economist" glaubt, daß Katastrophen wie die vom Jahre 1847 nicht in Frage kommen, da heute keine so großen Kapitalien in Eisenbahnen usw. festgelegt wurden wie damals. Er vergißt, daß die Kapitalien in Fabriken, Schiffe usw. angelegt worden sind. Auf der anderen Seite beklagt der "Observer" die "sinnlosen Investierungen in ausländische Eisenbahnen und andere Gesellschaften von sehr zweifelhaftem und verdächtigem Charakter". Der "Economist" glaubt, daß der hohe Kornpreis den ausgedehnten Handelsoperationen, soweit sie Europa betreffen, einen heilsamen Einhalt gebieten wird, doch daß Amerika und Australien usw. sicher sind. Die "Times" behauptet zur gleichen Zeit, daß die Gespanntheit auf dem New Yorker Geldmarkt den amerikanischen Operationen einen heilsamen Einhalt gebieten wird.

"Wir dürfen nicht auf dieselbe Menge Bestellungen aus den Vereinigten Staaten rechnen wie bisher", ruft der "Leader".

Verbleibt Australien. Hierzu bemerkt der "Observer":

"Die Exporte sind unsinnig vorangetrieben worden. Für die 74.000 Tonnen Schiffsladungen, die jetzt für die südlichen Kolonien in London deklariert worden sind, werden die ungünstigen Meldungen, die wir von Adelaide, Melbourne usw. erhalten haben, ihre Bestätigung finden. Es kann nicht bestritten werden, daß die gegenwärtigen Aussichten nicht vielversprechend sind."

Was den chinesischen Markt betrifft, so sind sich alle Berichte in dem Punkt einig, daß eine große Bereitwilligkeit zum Verkauf, aber ein ebenso großes Widerstreben beim Einkauf besteht, daß die Edelmetalle gehortet werden und eine Änderung dieser Sachlage nicht in Frage kommt, solange die revolutionäre Bewegung in diesem Riesenreich nicht ihr Ziel erreicht hat.

Und der innere Markt?

"Eine große Zahl der Maschinenweber in Manchester und Umgebung sind dem Beispiel Stockports gefolgt und sind für eine zehnprozentige Lohnerhöhung in den Streik getreten ... Die Fabrikarbeiter werden wahrscheinlich vor Ende des Winters herausfinden, daß es nicht um die Frage geht, ob eine Lohnerhöhung von 10% zugestanden wird, sondern ob die Fabrikherren erlauben werden, daß die Arbeit zu den bisherigen Lohnsätzen wieder aufgenommen wird."

Mit diesen unmißverständlichen Worten deutet der "Morning Chronicle" den bevorstehenden Rückgang des Binnenmarktes an.

Ich habe wiederholt auf die gewaltige Erweiterung der alten Fabriken und die bisher noch nicht dagewesene schnelle Errichtung neuer Betriebe hingewiesen. Ich habe Ihnen von einigen neuerrichteten Betrieben berichtet, <318> die gleichsam ganze Fabrikstädte bilden. Ich erklärte, daß zu keiner früheren Epoche ein so großer Teil des flüssigen Kapitals, das während der Periode der Prosperität akkumuliert wurde, direkt für Fabrikationszwecke angelegt wurde. Beachten wir also diese Fakten einerseits und die Symptome der überfüllten Märkte im In- und Auslande andrerseits; denken wir auch daran, daß ein ungünstiger Wechselkurs das sicherste Mittel ist, unüberlegt Überexporte nach ausländischen Märkten vorzunehmen.

Doch es ist die schlechte Ernte, die vor allem die lange angesammelten Elemente einer großen kommerziellen und industriellen Krise zum Ausbruch bringen wird. Jedes andere Produkt hemmt, wenn verteuert, seine eigene Nachfrage; Getreide jedoch ist, wenn sein Preis steigt, nur noch eifriger gefragt, wobei es bei allen anderen Waren ein Sinken der Preise auslöst. Das zivilisierteste Volk muß, ebenso wie der unentwickeltste Wilde, erst seine Nahrung besorgen, bevor es daran denken kann, irgend etwas anderes zu besorgen; und das Anwachsen des Reichtums und das Fortschreiten der Zivilisation gehen gewöhnlich in demselben Maße vonstatten, in dem sich die Arbeit und die Kosten für die Herstellung der Nahrungsmittel verringern. Eine allgemein schlechte Ernte bewirkt an sich eine allgemeine Schrumpfung der Märkte im In- und Ausland. Nun ist die gegenwärtige Ernte in dem südlichen Teil Europas, in Italien, Frankreich, Belgien und Rheinpreußen, zumindest ebenso unzulänglich, wie sie es in den Jahren 1846/1847 war; auch im Nordwesten und Nordosten ist sie keineswegs vielversprechend. Was England betrifft, so erklärt der "Mark Lane Express", dieser "Moniteur" der Londoner Getreidebörse, in seiner Ausgabe von vergangener Woche:

"Daß die Weizenernte im Vereinigten Königreich die geringste seit vielen Jahren sein wird, steht außer Frage. Der durchschnittliche Ertrag wird in beinahe allen Teilen des Königreichs in erheblichem Maße ein geringer sein, wobei unabhängig davon bedacht werden muß, daß wegen des ungünstigen Wetters zur Zeit der Aussaat wenigstens ein Viertel weniger Land als gewöhnlich bebaut wurde."

Diese Lage wird nicht durch die Illusion gelindert, daß kommerzielle Erschütterungen, industrielle Überproduktion und schlechte Ernten gleichzeitig durch den Freihandel beseitigt worden seien. Im Gegenteil.

"Die Farmer", bemerkt derselbe "Mark Lane Express", "können sich noch keinen Mangel beim Freihandel vorstellen. Daher sind nur wenige darauf eingestellt, große Lagervorräte zu halten. Wenn wir demnach genötigt sein sollten, große Importe zu tätigen, so besteht die Möglichkeit, daß wir die Lebensmittel teuer bezahlen müssen."

<319> Der gestrige "Mark Lane Express" fügt hinzu:

"Es ist immer noch ein so großer Teil der Ernte auf dem Felde, daß der Wetterzustand der nächsten Wochen großen Einfluß auf den Handel haben wird. Die Qualität des auf den Feldern der Witterung ausgesetzten Getreides hat bereits durch die letzten Regenfälle gelitten, und ein Andauern der Nässe könnte großes Unheil anrichten ... Das schließliche Ergebnis der Ernte droht weniger befriedigend zu sein, als es vor ein oder zwei Wochen schien... Die Berichte über Kartoffeln, die uns in den letzten Tagen erreichten, sind ungünstiger als diejenigen, die wir früher erhielten ... Trotz der enorm großen Lieferungen aus dem Ausland während der letzten Woche (88.833 Quarters) war die Wirkung auf die Preise nur gering; der Rückgang vom Höchststand war nicht größer als 1 bis 2 sh. für ein Quarter ... Das wahrscheinliche Ergebnis der Ernte in den Ostseeländern ist im ganzen unbefriedigend ... Nach den letzten Meldungen lag Weizen bei 60 sh. frei Hafen in Danzig, bei 56 sh. 9 d. in Königsberg, 54 sh. in Stettin, 58 sh. in Rostock."

Wie 1847 zeichnen sich bereits die Folgen der Teuerung am politischen Horizont ab. In Neapel ist es der Stadtverwaltung nicht möglich, die Arbeiter mit öffentlichen Arbeiten zu beschäftigen, und das Schatzamt kann den Staatsbeamten nicht ihre Gehälter zahlen. Im Kirchenstaat - in Tolentino, Terni, Ravenna und Trastevere - sind Lebensmittelkrawalle ausgebrochen, die in keiner Weise durch die kürzlichen Verhaftungen, die Invasion der Österreicher und die Drohung mit der Prügelstrafe besänftigt wurden. Die politischen Folgen der Teuerung und der industriellen Stagnation in der Lombardei werden nicht durch die von Graf Strassoldo zusätzlich erhobene Steuer von 61/2 Kreuzern pro Florin behoben, die am 20. September und 10. Oktober dieses Jahres zu zahlen ist und allen Zahlern von direkten Steuern, einschließlich der Einkommen- und Gehaltssteuer, auferlegt wird. Die allgemeine Notlage Österreichs kommt darin zum Ausdruck, daß es nach einer neuen Anleihe trachtet, die es, wie gewöhnlich, mit der Behauptung auf den Markt bringt, das Geld werde nur zur Verminderung seiner Armee benötigt. Auf die fieberhafte Unruhe der französischen Regierung kann man aus ihren falschen Ernteberichten, der ungerechten Akzise auf Brot in Paris und ihren ungeheuren Getreideeinkäufen auf allen Märkten schließen. Die Provinz ist unzufrieden, weil Bonaparte Paris auf ihre Kosten füttert; die Bourgeoisie ist unzufrieden, weil er zugunsten der Proletarier in den Handel eingreift; die Proletarier sind unzufrieden, weil er den Soldaten in einem Augenblick, da Bauern und Arbeiter von der Aussicht bedroht sind, überhaupt kein Brot zu bekommen, Weißbrot statt Schwarzbrot gibt; schließlich sind die Soldaten unzufrieden wegen der demütigenden, antinationalen Haltung Frankreichs in der orientalischen Frage. In Belgien gaben mehrere Lebensmittelunruhen <320> das Echo auf die törichten Festlichkeiten, welche die Coburger an die österreichische Erzherzogin verschwendeten. In Preußen ist die Furcht der Regierung so groß, daß zum Schein mehrere Getreidemakler verhaftet und der Rest zum Polizeipräsidenten gerufen wurde, der sie "ersuchte", zu "ehrlichen" Preisen zu verkaufen.

Ich schließe, indem ich wiederum meine Meinung zum Ausdruck bringe, daß weder die Deklamationen der Demagogen noch das Geschwätz der Diplomaten die Dinge zur Krise treiben werden, sondern daß wirtschaftliches Unheil und soziale Erschütterungen herannahen, welche die sicheren Vorboten der europäischen Revolution sind. Seit 1849 hat die kommerzielle und industrielle Prosperität für die Konterrevolution das Ruhelager bereitet, auf dem sich diese ungestört ausruhen konnte.

Karl Marx