Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 9, S. 297-299
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1960

Karl Marx

Steigen der Kornpreise -
Cholera -
Streiks -
Seeleutebewegung

Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 3873 vom 15. September 1853]

<297> London, Dienstag, 30. August 1853

Die "Breslauer Zeitung" berichtet, daß die Ausfuhr von Getreide aus der Walachei endgültig verboten ist.

Gegenwärtig gibt es eine etwas wichtigere Frage zu lösen als die orientalische, nämlich die Frage der Versorgung. Die Kornpreise sind in Königsberg, Stettin, Danzig, Rostock, Köln, Hamburg, Rotterdam, Antwerpen und natürlich auf allen Importmärkten gestiegen. Auf den wichtigsten Provinzmärkten Englands ist der Weizen um 4 bis 6 sh. pro Quarter gestiegen. Die ständig steigenden Weizen- und Roggenpreise in Belgien und Frankreich und die dadurch hervorgerufene Brotverteuerung erregen große Besorgnis. Die französische Regierung kauft Getreide in England, Odessa und in den Ostseeländern auf. Die endgültigen Berichte über die Ernte in England werden erst nächste Woche bekanntgegeben. Die Kartoffelkrankheit ist hier mehr verbreitet als in Irland. Der Getreideexport wurde von allen Regierungen in Italien, die Regierung der Lombardei mit einbegriffen, verboten.

In der letzten Woche sind in London einige nachweisbare Fälle von asiatischer Cholera vorgekommen. Wie wir ebenfalls erfahren haben, hat die Cholera jetzt auch Berlin erreicht.

Der Kampf zwischen Arbeit und Kapital, zwischen Löhnen und Profiten, geht weiter. Es gab in London neue Streiks der Kohlenträger, der Barbiere, der Schneider, der Schuhmacher für Damenstiefel und Schuhe, der Regen- und Sonnenschirmmacher, der Hemdenmacher, der Näher von Unterkleidung überhaupt und von anderen, bei Kleiderhändlern und Großhandelsexporthäusern Beschäftigten. Gestern kündigten mehrere Maurer und die Themse-Leichterschiffer, die die Waren zwischen den Kais und den Schiffen <298> auf dem Fluß transportieren, einen Streik an. Der Streik der Kohlenhäuer und Eisenarbeiter in Süd-Wales geht weiter. Zu dieser Liste kommt noch ein neuer Streik der Kohlenhäuer in Resolven usw. usw.

Es würde zu ermüdend sein, Brief für Brief mit der Aufzählung der vielen Berichte über die verschiedenen Streiks fortzufahren, die mir Woche um Woche zu Ohren kommen. Ich werde mich deshalb nur hin und wieder mit denen beschäftigen, die besonders interessante Züge tragen; darunter verdient der schwebende Konflikt zwischen den Polizeikonstablern und ihrem Chef, Sir Richard Mayne, erwähnt zu werden, wenn er auch noch kein richtiger Streik ist. Sir Richard Mayne hat in seinem an die verschiedenen Abteilungen der Londoner Polizei gerichteten Zirkular verboten, daß Polizisten Versammlungen abhalten oder sich zusammenschließen, und sich gleichzeitig bereit erklärt, sich individueller Beschwerden anzunehmen. Die Polizisten erwiderten ihm darauf, daß sie das Versammlungsrecht als ein Recht betrachten, dessen kein Engländer beraubt werden kann. Sir Mayne erinnerte sie daran, daß ihre Lohnskala zu einer Zeit festgelegt wurde, da die Lebensmittel viel teurer waren als jetzt. Die Polizisten antworteten,

"ihre Forderung stütze sich nicht nur auf den Preis der Lebensmittel, sondern beruhe auf der Überzeugung, daß Menschen nicht mehr so billig sind, wie sie einst waren".

Der bedeutendste Vorfall in dieser Geschichte der Streiks ist die Deklaration der Seamen's United Friendly Association <Seeleutevereinigung>, die die Bill of Rights <Verfassung> der angelsächsischen Seeleute genannt wird. Diese Deklaration nimmt auf die Merchant Shipping Bill <das Gesetz über die Handelsschiffahrt> Bezug, welche die Klausel der Navigationsgesetze aufhebt, die von den britischen Reedern verlangt, daß mindestens drei Viertel der Mannschaft ihrer Schiffe aus britischen Untertanen bestehen. Durch diese Bill wird jetzt die Küstenschiffahrt den ausländischen Seeleuten selbst dort geöffnet, wo ausländische Schiffe nicht zugelassen sind. Die Mannschaften erklären, daß diese Bill keine Seeleutebill, sondern eine Eigentümerbill sei. Die Bemannungsklausel habe den Kapitänen in bezug auf die Behandlung und das In-Gewahrsam-nehmen von Besatzungen gewissermaßen Zügel angelegt; das neue Gesetz würde die Seeleute völlig der Gewalt jedes schlechten Offiziers ausliefern. Das neue Gesetz gehe von dem Grundsatz aus,

"daß alle 17.000 Kapitäne sehr freundliche Menschen, die von Großzügigkeit, Wohltätigkeit und Liebenswürdigkeit überströmten, alle Matrosen aber halsstarrig, unvernünftig und von Natur aus schlecht seien".

<299> Die Seeleute erklären, daß der Eigentümer seine Schiffe hinschicken könne, wohin es ihm passe, sie hingegen in ihrer Arbeit auf ihr eigenes Land beschränkt seien, da die Regierung die Navigationsgesetze aufgehoben habe, ohne vorher den Seeleuten auf Schiffen anderer Nationen entsprechende Arbeit zu verschaffen.

"Da das Parlament die Seeleute den Schiffseigentümern geopfert hat, sind wir als Klasse gezwungen, uns zusammenzuschließen und Maßnahmen für unseren eigenen Schutz zu ergreifen."

Diese Maßnahmen bestehen hauptsächlich in der Absicht der Seeleute, ihrerseits an der Bemannungsklausel festzuhalten, wobei sie zugleich erklären,

"daß die Seeleute der Vereinigten Staaten von Amerika als Briten betrachtet werden sollen und daß an sie ein Appell gerichtet werden soll, ihren Verband zu unterstützen. Ferner, da es nach dem 1. Oktober, wenn das obenerwähnte Gesetz in Kraft tritt, keinen Vorteil mehr bieten wird, als britischer Untertan auf Schiffen zu fahren, sondern im Gegenteil der Dienst als Ausländer auf britischen Schiffen in Friedenszeiten eine Garantie dafür gibt, in Kriegszeiten nicht gepreßt oder zum Dienst in der Kriegsmarine Ihrer Majestät eingezogen zu werden, und da der Besitz der amerikanischen Bürgerrechte in Friedenszeiten größeren Schutz bietet, werden sich die Seeleute Bürgerzertifikate der Vereinigten Staaten beschaffen, wenn sie in einen Hafen dieser Republik kommen".

Karl Marx