Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 9, S. 294-296
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1960
Aus dem Englischen.
["The Morning Advertiser" vom 2. September 1853]
An den Redakteur des "Morning Advertiser"
<294> London, 30. August 1853
Sir,
- den Herren Herzen und Golowin hat es beliebt, die "Neue Rheinische Zeitung", die 1848 und 1849 von mir herausgegeben wurde, mit den Polemiken in Verbindung zu bringen, die zwischen ihnen und "F. M." <"Francis Marx"> in bezug auf Bakunin geführt werden. Sie berichten der englischen Öffentlichkeit, daß die Verleumdung Bakunins ihren Ursprung in jener Zeitung nahm, die sogar gewagt hatte, George Sand als Zeugen anzurufen. Ich mache mir zwar nichts aus den Unterstellungen der Herren Herzen und Golowin, Aber da es zur Lösung der im Zusammenhang mit Michail Bakunin aufgetauchten Frage beitragen kann, möge es mir gestattet sein, die wirklichen Fakten dieses Falls darzulegen:
Am 5. Juli 1848 erhielt die "Neue Rheinische Zeitung" zwei Briefe aus Paris - wovon der eine die autographische Korrespondenz des Havas-Bureaus war und der andere eine private Korrespondenz, die von einem polnischen Flüchtling herrührte, der mit jener Firma überhaupt nicht in Verbindung steht -, die beide besagten, daß George Sand im Besitz von Papieren wäre, die Bakunin dahingehend kompromittierten, daß er in jüngster Zeit in Beziehungen zur russischen Regierung getreten sei.
Die "Neue Rheinische Zeitung" veröffentlichte am 6. Juli den Brief ihres Pariser Korrespondenten <August Hermann Ewerbeck>.
<295> Bakunin seinerseits erklärte in der "Neuen Oder-Zeitung" (einem Breslauer Blatt), daß vor dem Erscheinen der Korrespondenz aus Paris in der "Neuen Rheinischen Zeitung" in Breslau ähnliche Gerüchte heimlich verbreitet worden seien, daß sie von den russischen Gesandtschaften ausgingen und daß er sie nicht besser beantworten könne als durch einen Appell an George Sand. Bakunins Brief an George Sand wurde gleichzeitig mit seiner Erklärung veröffentlicht. Beides, die Erklärung und der Brief, wurden sofort von der "Neuen Rheinischen Zeitung" nachgedruckt (siehe "Neue Rheinische Zeitung" vom 16. Juli 1848). Am 3. August 1848 erhielt die "Neue Rheinische Zeitung" von Bakunin durch Herrn Koscielskis Vermittlung einen von George Sand an den Redakteur der "Neuen Rheinischen Zeitung" gerichteten Brief, der am selben Tage mit folgenden einleitenden Bemerkungen veröffentlicht wurde:
"Wir teilten in Nr. 36 dieser Zeitung ein in Paris zirkulierendes Gerücht mit, wonach George Sand im Besitze von Papieren sein sollte, welche den russischen Flüchtling Bakunin als Agenten des Kaisers Nikolaus hinstellten. Wir veröffentlichten diese Behauptung, weil sie uns gleichzeitig von zwei einander völlig unbekannten Korrespondenten zugegangen war. Wir erfüllten damit nur die Pflicht der Presse, öffentliche Charaktere streng zu überwachen, und gaben damit zugleich Herrn Bakunin Gelegenheit, einen Verdacht niederzuschlagen, der in Paris in gewissen Kreisen allerdings gegen ihn erweckt wurde. Wir druckten ebenso aus der 'Neuen Oder-Zeitung' Herrn Bakunins Erklärung und seinen Brief an George Sand ab, ohne seine Bitte abzuwarten. Wir teilten nun einen an die Redaktion der 'Neuen Rheinischen Zeitung' gerichteten Brief von George Sand in wörtlicher Übersetzung mit, wodurch diese Angelegenheit vollständig erledigt wird" (siehe "Neue Rheinische Zeitung", 3. August 1848).
In der zweiten Augusthälfte 1848 war ich auf der Durchreise in Berlin, sah dort Bakunin und erneuerte die intime Freundschaft mit ihm, die uns vor dem Ausbruch der Februarrevolution verbunden hatte.
In ihrer Ausgabe vom 13. Oktober 1848 griff die "Neue Rheinische Zeitung" das preußische Ministerium an, weil es Bakunin ausgewiesen und ihm angedroht hatte, ihn an Rußland auszuliefern, falls er es wage, die preußischen Staaten wieder zu betreten,
In ihrer Nummer vom 15. Februar 1849 brachte die "Neue Rheinische Zeitung" einen Leitartikel über Bakunins Broschüre "Aufruf an die Slawen", der mit den Worten begann: "Bakunin ist unser Freund. Das wird uns aber nicht abhalten, seine Broschüre einer strengen Kritik zu unterwerfen."
In meinen an die "New-York Daily Tribune" gerichteten Briefen über "Revolution und Konterrevolution in Deutschland" war ich, soviel ich weiß, der erste deutsche Autor, der Bakunin die ihm für seine Beteiligung an unserer <296> Bewegung und besonders an dem Dresdener Aufstand zukommende Achtung erwies und der gleichzeitig die deutsche Presse und das deutsche Volk ihrer äußerst feigen Art wegen, in der sie ihn seinen und ihren Feinden auslieferten, anprangerte.
Was "F. M." anbetrifft, der ja von der fixen Idee ausgeht, daß Revolutionen auf dem Kontinent die geheimen Pläne Rußlands fördern, so müßte er, wenn er irgendeinen Anspruch auf Folgerichtigkeit erheben will, nicht nur Bakunin, sondern jeden Revolutionär in Europa als russischen Agenten verurteilen. In seinen Augen ist die Revolution selbst ein russischer Agent. Warum nicht Bakunin?
Karl Marx