Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 9, S. 238-244
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1960

Karl Marx

[Im Unterhaus -
Die Presse über die orientalischen Angelegenheiten -
Das Manifest des Zaren -
Dänemark]

Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 3847 vom 16. August 1853]

<238> London, Dienstag, 2. August 1853

Der Londoner Droschkenverkehr wurde wieder aufgenommen. Der Cabby <Droschkenkutscher> hat vergangenen Sonnabend die passive Resistenz aufgegeben. Unterdessen fährt das Parlament fort, sein großes Gesetzeswerk der Parlaments-Session einzureißen und beseitigt so Schritt für Schritt jeglichen Casus belli zwischen dem Cabby und dem Unterhaus.

Die Indienbill durchlief am Freitag ihre letzte Lesung, nachdem die Vorschläge der Regierung, die Gehälter für Direktoren und Vorsitzende zu erhöhen, abgelehnt worden waren und letztere auf 900 Pfd.St. bzw. 1.000 Pfd.St. herabgesetzt wurden. Die außerordentliche Tagung des Aufsichtsrats der Ostindischen Kompanie am Freitag bot ein äußerst klägliches Schauspiel. Die verzweifelten Rufe und Reden verrieten deutlich die Befürchtungen der ehrenwerten Aktienbesitzer, daß das Indische Reich wohl die längste Zeit ihr Eigentum war. Einer der sehr ehrenwerten Gentlemen bekundete seine Absicht, dem Unterhaus eine Entschließung zu unterbreiten, welche die gegenwärtige Bill verwirft und die Ablehnung der Aktienbesitzer und Direktoren zum Ausdruck bringt, die ihnen durch die Regierungsmaßnahme zugedachte Rolle zu spielen. Die ehrenwerten Aktienbesitzer und Direktoren der Ostindischen Kompanie im Streik! Wirklich sehr eindrucksvoll! Die Abschaffung des Salzmonopols der Ostindischen Kompanie durch das britische Unterhaus war dessen erster Schritt, Indiens Finanzen in seine eigene Verwaltung zu bringen.

Die Küstenmilizbill ging gestern durch die Ausschußsitzung. Zweck dieser Maßnahme ist es, ein Korps von 10.000 Mann für die Verteidigung der <239> britischen Küsten aufzustellen, das jährlich eine vierwöchige Ausbildung erhält. Sie sollen, ebenso wie die Miliz, ein Handgeld von 6 Pfd. St. erhalten. Ihre Dienstzeit soll in Friedenszeiten auf fünf Jahre und bei drohendem Kriegsausbruch auf sechs Jahre begrenzt werden. Wenn sie einberufen werden, sollen sie die Löhnung eines Vollmatrosen erhalten und zusätzlich zwei Pence täglich während des letzten Jahres. Die Männer dürfen in Friedenszeiten nicht mehr als 50 und im Gefahrenfalle nicht mehr als 100 leagues von der Küste entfernt auslaufen.

Gestern abend erfolgte auch die dritte Lesung der Irish Landlords and Tenants Bill <Gesetz über die irischen Grundherren und Pächter>. Eine wichtige Änderung zugunsten der Pächter wurde hinzugefügt, nämlich das Verbot für den Grundherrn, das Getreide eines Pächters bereits auf dem Halm zu beschlagnahmen und zu veräußern.

Herr Cobden hat ein Pamphlet über den Ursprung des birmanischen Krieges veröffentlicht.

In Frankreich ist die Furcht vor einer Mißernte so groß, daß die Regierung Louis Bonapartes mit der Pariser Bäckerinnung eine geringe Brotpreisherabsetzung in der ersten Augusthälfte ausgehandelt hat, ungeachtet der ständigen Verteuerung von Mehl an der Halle aux blés <Getreidemarkthalle in Paris>. Die Bäcker sollen durch eine spätere Preisheraufsetzung entschädigt werden.

"Dies", so sagt der "Economist", "ist eine Verschwörung seitens der französischen Regierung, um der Bevölkerung vorzugaukeln, die Ernte sei nicht so schlecht, obgleich das doch der Fall ist."

Tagtäglich sind die Zeitungsspalten mit einander widersprechenden Meldungen über orientalische Angelegenheiten überschwemmt, die in Wien und Berlin fabriziert werden, und zwar teilweise von russischen Agenten, um die französische und britische Öffentlichkeit über die Maßnahmen Rußlands zu täuschen, teilweise aber auch auf ausdrücklichen Befehl aus Paris zu börsenspekulativen Zwecken. Eine Erklärung in der heutigen "Morning Post" würde Aufmerksamkeit erheischen, hätte nicht das Organ Palmerstons mit solchen Drohungen, die es heute ausstößt, um sie morgen zu widerrufen, schon so oft Mißbrauch getrieben.

"Bis zum 10. August wird die ganze Angelegenheit friedlich beendet sein, oder die vereinigten Flotten werden Order erhalten, zum Bosporus oder vielleicht auch zum Schwarzen Meer auszulaufen. Aktive Maßnahmen werden geduldige Verhandlungen ablösen, und die Furcht vor der Gefahr wird nicht mehr verhindern, daß energische Schritte <240> eingeleitet werden, die die Sicherheit garantieren. Sollte der Zar den jetzigen Vorschlag annehmen, so wird die erste Bedingung die sofortige Räumung der Donaufürstentümer sein."

Die "Morning Post" behauptet weiter, daß sich die Vertreter von England, Frankreich, Österreich und Preußen am 24. Juli auf die Bedingungen eines Ultimatums geeinigt hätten, welches sofort St. Petersburg zugestellt wurde. Diese Behauptung widerspricht jedoch den jüngsten Erklärungen von Lord Clarendon und Lord John Russell, die nur von einer gemeinsamen Note Frankreichs und Englands sprachen; außerdem wird diese Behauptung von der französischen Presse vollkommen ignoriert. Aber wie dem auch sein mag, jedenfalls deutet es darauf hin, daß die Partei Palmerstons im Kabinett dem guten Aberdeen ein Ultimatum überreicht hat, welches der letztere am 10. August beantworten soll.

Von der "National-Zeitung" erfahren wir, daß andere Konferenzen jetzt auch in Berlin tagen sollen, als ob wir noch nicht genügend Konferenzen in Wien und Konstantinopel gehabt hätten. Damit diese Konferenzen auch mit dem notwendigen "Stoff" versehen sind, hat der Kaiser von Rußland selbstzufrieden erklärt, daß er sich bei aller Bereitschaft seinerseits, die Okkupation der Donaufürstentümer als materielle Garantie seiner religiösen Bestrebungen aufzuheben, nunmehr gezwungen sehe, sie aufrechtzuerhalten als Garantie für die Entschädigung seiner durch die Okkupation entstandenen Ausgaben. Während Fürst Gortschakow in seinen Proklamationen verkündete, daß Rußland sich verpflichtet habe, sich jeder Einmischung in die Tätigkeit der eingesetzten Behörden der Fürstentümer zu enthalten, erläßt der Zar einen Ukas, der den Hospodaren der Moldau und der Walachei verbietet, irgendeinen Tribut an die türkische Regierung zu entrichten oder mit ihr Verbindung aufrechtzuerhalten. Als Folge dieser Weisung setzte der Hospodar der Walachei den russischen Konsul in Bukarest davon in Kenntnis, daß er seinen Tribut an den Sultan bereits entrichtet habe, worauf der Konsul erwiderte: c'est de l'argent perdu <das ist verlorenes Geld>, denn der Hospodar müsse ihn noch einmal an Rußland zahlen.

Die gestrige Ausgabe der "Patrie" berichtet, daß drei der einflußreichsten Bojaren der Moldau, mit Sondererlaubnis des Hospodars, von Jassy nach Petersburg abgereist sind, um beim Zaren wegen des Verhaltens russischer Soldaten Einspruch zu erheben, die, in Verletzung des der Pforte gegebenen feierlichen Versprechens, die Donauprovinzen als erobertes Land behandelten und dort zahllose Erpressungen begingen. Man kann den Russen <241> gewiß nicht vorwerfen, daß sie versuchen, Propaganda zu betreiben, indem sie sich in den Fürstentümern beliebt machen.

Nach wie vor fährt Rußland fort, ostentativ aufzurüsten. Die "Hamburger Nachrichten" veröffentlichen das vom 23. Juli datierte, in Petersburg erlassene Kaiserliche Manifest:

"Von Gottes Gnaden Wir Nikolaus I.

Durch Unser Manifest vom 1. (13.) August 1834 haben Wir jährliche in bestimmten Teilen des Kaiserreichs stattfindende Rekrutenaushebungen angeordnet. Wir befehlen nunmehr:

1. Zur Vervollständigung Unserer Land- und Seemacht die folgende zehnte teilweise Rekrutenaushebung aus dem östlichen Teil des Kaiserreichs zu 7 Seelen von 1.000 in gleicher Weise wie die, welche im Jahre 1852 im westlichen Teile des Reiches stattgefunden hat.

2. Außerdem sollen aus den Gouvernements des östlichen Teiles 3 Rekruten von je 1.000 Seelen ausgehoben werden, als Nachnahme von der Zahl der 6 Seelen per 1.000, welche dieser Teil bei vorigen Rekutierungen erst zur Hälfte gestellt hat.

3. Aus den Gouvernements Pskow, Witebsk und Mohilew, welchen durch Unser Manifest vom 31. Oktober 1845 und 26. September 1846 wegen Mißernte die Rekrutenstellung nachgelassen war, soll die Rekrutierung für 1853 nach dem Anteil von 3 Rekruten per 1.000 stattfinden, und von den Juden der Gouvernements Witebsk und Mohilew sollen in gleicher Weise wie von den Juden der andern Gouvernements 10 Mann per 1.000 ausgehoben werden.

4. Die Rekrutenaushebung hat am 1. November zu beginnen und schließt mit dem 1. Dezember.

Gegeben zu St. Petersburg

Nikolaus I."

Dem Manifest folgen zwei Ukase, die die Einzelheiten dieser neuen und außergewöhnlichen Rekrutierung regeln. Außer in den obenerwähnten Gouvernements soll nach dem zweiten Ukas eine Rekrutierung unter den Odnodworzi und Einwohnern der Städte in den Gouvernements Kiew, Podolien, Wolhynien, Minsk, Grodno, Wilna und Kowno vorgenommen werden.

Der Korrespondent der "Hamburger Nachrichten" berichtet wie folgt:

"Die Rüstung im Innern des Reiches wird ununterbrochen fortgesetzt. Die Reservebataillone des 4. Infanteriekorps werden in der Nähe von Tula konzentriert. Aus einem Tagesbefehl erfahren wir, daß die Gardetruppen und Grenadiere sich noch in ihren Stellungen in den Lagern nahe Krasnoe Selo und nahe Pudosch, unweit Gatschina, befinden. Die Feldmanöver dieser beiden Korps, die sich auf 100.000 Mann belaufen, dauern an."

<242> Die Stockholmer "Post Zeitung" vom 16. Juli teilt mit, daß der Kaiser von Rußland Befehl gegeben hat, die Ostseeflotte, bestehend aus 20 Linienschiffen und 15 Fregatten, zu bewaffnen und auszurüsten. Die "Kölnische Zeitung" vom 29. Juli erklärt, daß

"die Rückkehr der schwedisch-dänischen Flotte vor Ablauf des Übungstermins infolge des bestimmten Befehls an den Kommandanten, sich unverzüglich in die Ostsee zu begeben, erfolgt ist".

Sowohl die französischen Zeitungen wie auch der "Morning Chronicle" von heute enthalten eine telegraphische Meldung aus Wien vom 3. Juli, der zufolge Amerika der Pforte Geld und aktive Unterstützung angeboten habe.

Der Eindruck, den die drohende Haltung Rußlands im Zusammenhang mit den düsteren Ernteaussichten bei den Menschen des Kontinents hervorgerufen hat, wird mit folgenden Worten des "Economist" bezeichnend wiedergegeben:

"Der Zar hat den revolutionären Geist Europas zu Leben und Hoffnung erweckt; wir lesen von Komplotten in Österreich, Komplotten in Italien und Komplotten in Frankreich; man fürchtet sich hier allmählich vor neuen revolutionären Unruhen mehr als davor, daß die Regierungen sich in einen Krieg einlassen könnten."

Ein gut informierter dänischer Herr, der gerade hier eintraf, weil er sich vor der Cholera fürchtet, die zur Zeit in Kopenhagen derart wütet, daß bereits 4.000 Menschen davon befallen sind und nicht weniger als 15.000 Paßanträge zum Verlassen der dänischen Hauptstadt vorliegen, teilte mir mit, daß die Königliche Botschaft über die Erbfolge vor allem dank der Stimmenthaltung einer großen Anzahl Eidermenen angenommen wurde, die gehofft hatten, durch ihre passive Haltung eine Krise zu vermeiden. Die von ihnen befürchtete Krise ist dennoch über sie gekommen in Gestalt der aufgezwungenen Verfassung, und jene Verfassung ist vor allem gegen die Partei der "Bauernfreunde" gerichtet, mit deren Unterstützung die dänische Krone ihre vorangegangenen Erfolge in der Erbfolgefrage erzielte. Da ich beabsichtige, auf dieses Thema in einem besonderen Artikel noch einmal zurückzukommen, will ich hier nur bemerken, daß die dänische Regierung dem vereinigten Reichstag (dem Landsting und dem Folketing gemeinsam) den Notenaustausch mit den Großmächten über ihre Vorschläge vorgelegt hat.

Von diesen Dokumenten sind die Noten Englands und Rußlands die interessantesten, besonders zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Der "schweigsame" <243> Clarendon billigt nicht nur die königliche Botschaft, sondern gibt der dänischen Regierung auch noch den deutlichen Wink, daß sie mit der alten demokratischen Verfassung, mit dem allgemeinen Wahlrecht und ohne Oberhaus nicht mehr existieren könne. Demzufolge hat der schweigsame Clarendon im Interesse Rußlands die Initiative ergriffen, den dänischen Coup d'état zu empfehlen und zu veranlassen. Nach einer Stellungnahme zu den Artikeln des Londoner Abkommens vom 8. Mai 1852 schließt die russische Note des Grafen Nesselrode an Baron Ungern-Sternberg folgendermaßen:

"Das Abkommen vom 8. Mai schreibt formell nicht vor, daß die Lex Regia aufgehoben werden sollte, da eine solche Verfügung in einem zwischen unabhängigen Staaten abgeschlossenen Vertrag unpassend gewesen wäre. Das wäre gegen die diplomatischen Gepflogenheiten gewesen und noch mehr gegen die Ehrerbietung, die der souveränen Würde der dänischen Krone gebührt. Aber die Mächte, die einer Retrozession ihre Zustimmung gegeben haben, die dazu dienen soll, an Stelle des in der Lex Regia vorgesehenen Verfahrens zu treten, sollte sich die Notwendigkeit seiner Anwendung ergeben, sind natürlich verpflichtet gewesen, als sie ihre Unterstützung zusagten, die Wahl der geeigneten Maßnahmen zur Erreichung des Zieles mit gesetzgeberischen Mitteln Seiner Majestät, dem König von Dänemark zu überlassen. Seine Majestät, der von seinem königlichen Vorrecht Gebrauch machte, hat seine Absicht kundgetan, für alle unter seiner Herrschaft stehenden Länder eine Erbfolgeordnung festzusetzen, durch die, für den Fall, daß die männliche Nachkommenschaft Friedrichs VII. erlischt, alle Rechte nicht anwendbar sein sollen, die sich aus den Artikeln 27-40 der Lex Regia ergehen, und Prinz Christian von Glücksburg auf den Thron berufen wird, um ihm und seinen männlichen Nachkommen aus seiner Ehe mit der Prinzessin Louise von Hessen die dänische Krone zu sichern. Dergestalt sind die Verfügungen der königlichen Botschaft vom 4. Oktober 1852. Sie bringen die Ansichten zum Ausdruck, die, wenigstens seitens der Kaiserlichen Regierung, als Grundlage für die gegenwärtigen Verhandlungen dienten. Das Kaiserliche Kabinett betrachtet sie als ein Ganzes, das keinerlei Einschränkungen zuläßt; denn uns deucht, daß die Aufhebung der Artikel 27-40 der Lex Regia nicht nur eine notwendige Konsequenz und eine Bedingung sine qua non der Abmachungen ist, die Prinz Christian von Glücksburg und seine Nachkommen auf den Thron beriefen, sondern auch des in der Präambel des Abkommens festgelegten Prinzips, nämlich: daß ein Arrangement, welches die Erbfolge der männlichen Nachkommen in allen gegenwärtig unter der Herrschaft Dänemarks stehenden Ländern gewährleistet, das beste Mittel wäre, die Integrität dieser Monarchie zu garantieren ...

In Artikel II des Abkommens wird erklärt, daß sie das Prinzip der Integrität der dänischen Monarchie als permanent anerkennen ... Sie haben unverzüglich ihre Absicht kundgetan, mit vereinten Kräften die Wiederkehr der Komplikationen zu verhindern, an denen das vergangene Jahr unglücklicherweise so reich war ... Das Erlöschen der männlichen Nachkommenschaft des Prinzen Christian von Glücksburg würde die <244> eventuellen Rechte, auf die Seine Majestät der Kaiser zugunsten dieses Prinzen verzichtet hatte, unbedingt wieder aufleben lassen. Die Initiative jedoch, dem König von Dänemark ausdrücklich vorbehalten, wie auch die Zusammenarbeit der drei Großmächte, falls die erwähnten Eventualitäten eintreten sollten, bieten nunmehr den dänischen Patrioten eine Garantie gegen die ehrgeizigen Pläne und Absichten, die nirgends als in ihrer eigenen Einbildung existieren."

Somit gibt Rußland zu verstehen, daß die zeitweilige Aufhebung der Lex Regia, wie sie in dem Protokoll vom 8. Mai vereinbart wurde, als eine dauernde verstanden werden muß, daß der dauernde Verzicht des Kaisers von Rußland nur ein zeitweiliger ist, daß die dänischen Patrioten jedoch von nun an auf den Schutz der Unantastbarkeit ihres Landes durch die europäischen Mächte vertrauen können. Sind sie nicht Zeuge, wie die Unantastbarkeit der Türkei seit dem Vertrag von 1841 beschützt worden ist?

Karl Marx