Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 9, S. 176-187
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1960

Karl Marx

Die Frage des türkischen Krieges -
Die "New-York Tribune" im Unterhaus -
Die Regierung Indiens

Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 3824 vom 20. Juli 1853]

<176> London, Dienstag, 5. Juli 1853

Der Kurier mit Reschid Paschas Ablehnung des russischen Ultimatissimums erreichte St. Petersburg am 24. Juni, und drei Tage später wurde ein Bote abgesandt mit Befehlen für Fürst Gortschakow, den Pruth zu überqueren und die Donaufürstentümer zu besetzen.

Die österreichische Regierung hat Graf Gyulai in einer außerordentlichen Mission zum Zaren geschickt, zweifellos in der Absicht, ihn vor der Gefahr der Revolution zu warnen, die hinter jedem allgemeinen europäischen Krieg lauert. Wir können die Antwort des russischen Kabinetts im gegebenen Falle aus der Antwort schließen, die von derselben Macht 1829 bei ähnlichen Vorstellungen gegeben wurde. Sie lautete wie folgt:

"Bei dieser Gelegenheit hat das österreichische Kabinett alle durch die Gärung hervorgerufenen alarmierenden Gründe, die nach seiner Auffassung und den ihm vorliegenden Informationen in mehr als einem Lande bestehen, sowie die in jüngster Zeit erfolgte Ausbreitung revolutionärer Bestrebungen, dargelegt. Diese Befürchtungen offenbaren sich ganz besonders in dem Brief von Kaiser Franz an Nikolaus. Es liegt uns fern, die uns von Österreich aufgezeigten Gefahren zu leugnen. Da, hervorgerufen durch ausländischen Einfluß, der Widerstand der Pforte einen hartnäckigen Charakter annimmt, der - entgegen unseren Wünschen und Hoffnungen - die Dauer dieser Krise verlängert und sogar von uns verdoppelte Anstrengungen und neue Opfer fordert, wird man feststellen, daß Rußland mehr denn je seine ganze Aufmerksamkeit den Interessen widmet, die ganz unmittelbar seine Macht und das Wohlergehen seiner Untertanen berühren; von diesem Zeitpunkt an müssen die Kräfte, die es dem Ausbrechen des revolutionären Geistes im übrigen Europa entgegensetzen könnte, notwendigerweise gelähmt sein. Keine Macht sollte also mehr am Friedensschluß interessiert sein als Österreich, aber an einem Frieden zum Ruhme des Kaisers und zum Vorteil für sein Reich. Denn wenn der Friede, den wir unterzeichnen sollten, diesen Charakter nicht <177> trüge, würde das politische Ansehen und der Einfluß Rußlands einen verhängnisvollen Schlag dadurch erleiden, das Prestige seiner Stärke würde schwinden, und die moralische Unterstützung, um die es vielleicht in künftigen unvorhergesehenen Fällen von befreundeten und alliierten Mächten gebeten werden könnte, wäre unsicher und unwirksam." (Geheimdepesche des Grafen Nesselrode an Herrn Tatischtschew, datiert: St. Petersburg, den 12. Februar 1829).

"The Press" vom vergangenen Sonnabend stellt fest, daß der Zar in seiner Enttäuschung über die Haltung Englands und ganz besonders über die von Lord Aberdeen, Herrn Brunnow angewiesen hat, mit diesem "guten" alten Mann keine Verbindung mehr zu halten, sondern sich auf den offiziellen Verkehr mit dem Minister des Auswärtigen zu beschränken.

Der "Wiener Loyd", das Organ der österreichischen Bankokratie, tritt sehr entschieden dafür ein, daß Österreich sich auf die Seite Englands und Frankreichs stellt, um der aggressiven Politik Rußlands Widerstand zu leisten.

Sie werden sich erinnern, daß das Koalitionsministerium am 14. April anläßlich der vorgeschlagenen Aufhebung der Annoncensteuer <siehe S. 57 und 69/70> eine Niederlage erlitt. Es hat jetzt, am 1. Juli, aus dem gleichen Grunde zwei weitere Niederlagen erfahren. Herr Gladstone beantragte an jenem Tage, die Annoncensteuer von 1 sh. 6 d. auf 6 d. zu reduzieren und auch Annoncen in allen Zeitschriften, Flugschriften und sonstigem Schrifttum einzubeziehen. Herrn Milner Gibsons Amendement auf Abschaffung aller zur Zeit für Annoncen zu zahlenden Steuern wurde mit 109 gegen 99 Stimmen abgelehnt. Herrn Gladstones Anhänger, die glaubten, den Sieg schon in der Tasche zu haben, verließen das Haus, um sich zum Dinner und zu einem Hofball zu begeben, da erhob sich Herr Bright und hielt eine sehr wirksame Rede gegen die Besteuerung des Wissens im allgemeinen und die Stempel- und Annoncensteuer im besonderen. Aus dieser Rede will ich einige Sätze, die für Sie von Interesse sein mögen, zitieren:

"Er (Herr Bright) sagte, er halte eine Zeitung in der Hand von der gleichen Größe wie die Londoner Tageszeitungen ohne Beilage, und er wage zu behaupten, es wäre eine ebenso gute Zeitung wie irgendeine, die in London erscheine. Der Satz sei besser als in irgendeiner Londoner Tageszeitung. Das Papier, das Material seien außerordentlich gut - völlig ausreichend für alle Zwecke, denen eine Zeitung diene. Der Druck könne unmöglich übertroffen werden, und sie sei bei ihrem Format inhaltsreicher als irgendeine in London gedruckte Tageszeitung. Die ersten, zweiten und dritten Seiten enthielten Annoncen. Es gäbe lange Artikel über die Untersuchung der American Art Union, einen Leitartikel mit einer Zusammenfassung all der neuesten Nachrichten aus <178> Europa, einen Leitartikel über den Streit um die Fischereien und einen Leitartikel, mit dessen Inhalt er völlig übereinstimme, nämlich daß offizielle Bankette offizieller Unfug seien." ("Hört, hört!" und Lachen.) "Er habe vielleicht schon Artikel gelesen, die stilvoller gewesen seien, jedoch keine, die sich eines vornehmeren Tones befleißigten und wohl auch kaum nützlichere. Dann wiederum gäbe es 'Drei Tage später aus Europa', 'Die Ankunft der Asia' und eine Zusammenfassung aller Nachrichten aus Europa. Aus Großbritannien gäbe es eine ausführliche Abhandlung über das Budget des sehr ehrenwerten Gentleman <Gladstone>, die ihm teilweise Gerechtigkeit widerfahren lasse, in anderen Teilen jedoch nicht, und die der Manchesterschule nicht die geringste Gerechtigkeit widerfahren lasse". (Gelächter.) "Dann gäbe es einen Bericht über den Besuch von Frau Stowe in Edinburgh, einen langen Artikel aus der Londoner 'Times' über das den Schneiderinnen zugefügte Unrecht, Artikel aus Griechenland, Spanien und anderen Ländern des europäischen Kontinents, die Wahl in Athlone und die Wiederwahl des Generalprokurators Ihrer Majestät mit genau 189 Stimmen was für einen Amerikaner eine erstaunliche Lektüre sein müsse! - verschiedene Spalten gewöhnlicher Nachrichten in Notizform und ganz ausführliche Handels- und Marktnotierungen. Die Zeitung trete beständig für Temperenz und gegen die Sklaverei ein, und er [Bright] wage zu behaupten, daß es gegenwärtig in London keine bessere Zeitung gäbe. Der Name dieser Zeitung sei 'The New-York Tribune', und sie werde regelmäßig jeden Morgen auf den Tisch eines jeden New Yorker Arbeiters gelegt, der bereit sei, sie für einen Penny zu kaufen." ("Hört, hört!") "Seine Frage an die Regierung laute: Wie ist es möglich und welchem guten Zwecke dient es und durch welchen Kunstgriff der Unterdrückung durch den Fiskus komme es, daß ein Arbeitsmann hier 5 d. für eine Londoner Morgenzeitung zahlen müsse, während sein direkter Konkurrent in New York eine Zeitung für 1 d. kaufen könne? Wir befänden uns vor den Augen der ganzen Welt in einem Wettlauf mit den Vereinigten Staaten; wenn jedoch unsere Handwerker gezwungen würden, entweder gar keine Zeitung zu halten oder 5 d. dafür zu zahlen oder in die Wirtshäuser getrieben würden, um sie zu lesen, während jeder Handwerker in den Vereinigten Staaten sie für 1 d. erwerben könne, wie könne dann von einem fairen Wettbewerb zwischen den Handwerkern dieser beiden Länder gesprochen werden? Ebensogut könne man behaupten, daß ein Kaufmann in England, der niemals eine Preisliste zu Gesicht bekomme, sein Geschäft unter denselben Bedingungen betreiben könne wie der Kaufmann, der diesen Vorteil jeden Tag genieße." ("Hört, hört!") " ... Wenn der Schatzkanzler etwas gegen seine Feststellungen einzuwenden habe, so möchte er [Bright] ihm gleich ohne zu zögern sagen, daß es darauf zurückzuführen sei, daß er [der Schatzkanzler] insgeheim die Preßfreiheit fürchte; und wenn der sehr ehrenwerte Gentleman von finanziellen Schwierigkeiten spreche, so sei er [Bright] der Meinung, dies geschehe nur, um sein heimliches Entsetzen darüber zu verbergen, daß die Menschen eine freie Presse und größere Möglichkeiten der politischen Information haben könnten." ("Hört!") "Nur die Furcht, die Presse könne frei sein, habe sie veranlaßt, die 6 d. Annoncensteuer als Stütze für den Zeitungsstempel zu behalten."

<179> Herr Craufurd beantragte sodann, den Betrag 6 d. durch die Ziffer 0 d. zu ersetzen. Herr Cobden unterstützte den Antrag, und als Entgegnung auf Herrn Gladstones Behauptung, daß sich die Annoncensteuer auf den Umsatz billiger Zeitungen nicht besonders auswirken werde, lenkte er seine Aufmerksamkeit auf die Aussage von Herrn Horace Greeley, der in dieser Angelegenheit von dem 1851 tagenden Ausschuß verhört wurde.

"Dieser Herr war einer der Kommissäre der großen Ausstellung, und er war der Eigentümer eben dieser Zeitung, die sein ehrenwerter Freund, Herr Bright, angeführt hatte. Er wurde befragt, welches die Auswirkung der Annoncensteuer in Amerika sein würde; seine Antwort lautete, ihre Anwendung würde die neuen amerikanischen Zeitungen ruinieren."

Nun erhob sich Lord John Russell und sagte mit ziemlich erregter Stimme, daß es kaum fair sei, bei den sehr gelichteten Reihen des Hauses die bereits angenommenen Entscheidungen rückgängig zu machen. Natürlich erinnerte sich Lord John nicht daran, daß seine Kollegen bei eben dieser Annoncensteuer seinerzeit mit einer Mehrheit von 40 Stimmen geschlagen worden waren und jetzt nur eine Mehrheit von 10 Stimmen gehabt haben. Ungeachtet der Lektion Lord Johns über "konstitutionelle" Fairness wurde der Antrag Herrn Gladstones auf Besteuerung jeder Annonce mit 6 Pence mit 68 gegen 63 Stimmen abgelehnt und Herrn Craufurds Amendement mit 70 gegen 61 Stimmen angenommen. Herr Disraeli und seine Freunde stimmten mit der Manchesterschule.

Das Unterhaus hat, um dem kolossalen Ausmaß des Themas gerecht zu werden, seine Indien-Debatte zu ungewöhnlicher Länge und Breite ausgesponnen, obwohl diese Debatte es ganz und gar an Tiefe und starkem Interesse hat fehlen lassen. Die Abstimmung, die dem Ministerium eine Mehrheit von 322 gegen 142 überließ, steht in umgekehrtem Verhältnis zur Debatte. Die Debatte war voller Disteln für das Ministerium, und Sir Charles Wood war der Esel, dem offiziell die Aufgabe zuteil wurde, sie zu fressen. Bei der Abstimmung war alles voller Rosen, und Sir Charles Wood wird zu einem zweiten Manu gekrönt. Dieselben Leute, die den Regierungsplan mit ihren Argumenten ablehnten, bejahten ihn mit ihren Stimmen. Keiner seiner Verteidiger wagte es, den Gesetzentwurf selbst zu rechtfertigen. Im Gegenteil! Alle rechtfertigten sich für ihre Unterstützung des Entwurfs; die einen, weil er ein winziger Teil einer richtigen Maßnahme sei, die anderen, weil er überhaupt keine Maßnahme sei. Die ersteren geben vor, den Gesetzentwurf jetzt im Ausschuß verbessern zu wollen; die letzteren sagen, daß sie ihn allen Pseudoreformschmucks entblößen werden.

<180> Das Ministerium behauptete das Feld, weil mehr als die Hälfte der Tory-Opposition hinauslief und ein großer Teil der Verbliebenen mit Herries und Inglis in das Aberdeen-Lager desertierte, während von den 142 oppositionellen Stimmen 100 der Disraeli-Fraktion angehörten und 42 der Manchesterschule, unterstützt von einigen unzufriedenen Iren und einigen Undefinierbaren. Die Opposition innerhalb der Opposition hat wieder einmal das Ministerium gerettet.

Herr Halliday, einer der Beamten der Ostindischen Kompanie, gab bei seiner Vernehmung vor einem Untersuchungsausschuß an:

"In den Augen der indischen Bevölkerung macht die Charte, die der Ostindischen Kompanie eine Pachtzeit von zwanzig Jahren einräumt, sie zu Pachtobjekten."

Diesmal ist die Charte wenigstens nicht für eine bestimmte Zeit erneuert worden, sondern kann auf Wunsch des Parlaments jederzeit widerrufen werden. Die Kompanie wird also von ihrer respektablen Stellung von Erbpächtern auf die unsichere Stellung von tenants-at-will <nach Engels: Pächter, deren Pacht jedes Jahr gekündigt werden konnte> herabsteigen. Um so besser für die indische Bevölkerung. Dem Koalitionsministerium ist es gelungen, das Problem der Regierung Indiens, wie alle anderen Fragen, in eine offene Frage umzuwandeln. Andererseits hat sich das Unterhaus erneut ein Armutszeugnis ausgestellt, indem es durch ein und dieselbe Abstimmung seine Unfähigkeit zur Gesetzgebung und seine Abneigung, die Gesetzgebung aufzuhalten, unter Beweis stellte.

Seit Aristoteles' Zeiten ist die Welt mit einer schrecklichen Flut von Dissertationen - mal talentvollen, mal absurden - zu dem Thema überschwemmt worden: Wer soll die herrschende Macht sein? Aber zum ersten Mal in den Annalen der Geschichte hat der Senat eines Volkes, Herrscher über ein anderes Volk von 156 Millionen Menschen, die eine Fläche von 1.368.113 Quadratmeilen bevölkern, in feierlicher und öffentlicher Versammlung die Köpfe zusammengesteckt, um die ungewöhnliche Frage zu beantworten: Wer unter uns ist eigentlich die herrschende Macht über jenes fremde Volk von 150 Millionen Seelen? Es gab keinen Ödipus im britischen Senat, der es verstanden hätte, dieses Rätsel zu lösen. Die ganze Debatte drehte und wandte sich ausnahmslos um die Sache herum, denn obgleich eine Abstimmung stattfand, gelangte man zu keiner Definition der Regierung Indiens.

Daß es in Indien ein permanentes Finanzdefizit gibt, mehr als genug Militärausgaben und garkeine Ausgaben für öffentliche Arbeiten, ein ab- <181> scheuliches Steuersystem und einen nicht weniger abscheulichen Zustand von Recht und Gesetz, daß diese fünf Posten sozusagen die fünf Punkte der ostindischen Charte bilden, das alles wurde in den Debatten von 1853 geklärt, bis es über jeden Zweifel erhaben war, ganz so wie in den Debatten von 1833 und in den Debatten von 1813, ebenso wie in allen vorangegangenen Debatten über Indien. Das einzige, was man niemals herausgefunden hat, war, wer denn nun eigentlich für all dies verantwortlich zu machen ist.

Zweifellos existiert ein Generalgouverneur von Indien, der die oberste Macht in Händen hält, aber dieser Gouverneur untersteht seinerseits einer Regierung in England. Und wer ist diese Regierung in England? Ist es der Minister für Indien, der sich unter dem bescheidenen Titel des Präsidenten der Kontrollbehörde verbirgt, oder sind es die vierundzwanzig Direktoren der Ostindischen Kompanie? An der Schwelle zur indischen Religion stoßen wir auf eine göttliche Dreieinigkeit, und ebenso stoßen wir an der Schwelle zur indischen Regierung auf eine weltliche Dreieinigkeit.

Läßt man den Generalgouverneur zunächst ganz außer acht, so läuft die gestellte Frage auf das System der doppelten Regierung hinaus; in dieser Form ist sie dem Engländer vertraut. Das Ministerium mit ihrer Gesetzesvorlage und das Haus mit seiner Abstimmung klammern sich an diesen Dualismus.

Als die Kompanie der englischen Kaufmannsabenteurer, die Indien eroberte, um Geld daraus zu schlagen, damit begann, ihre Faktoreien zu einem Weltreich auszuweiten, als ihr Konkurrenzkampf mit den holländischen und französischen privaten Kaufleuten den Charakter einer Rivalität unter Nationen annahm, da begann die britische Regierung sich natürlich in die Angelegenheiten der Ostindischen Kompanie einzumischen, und das System der doppelten Regierung Indiens entstand de facto, wenn auch nicht nominell. Der Pitt-Akt von 1784 akzeptierte, regelte und sanktionierte nicht nur nominell, sondern auch de facto dieses aus den Umständen entstandene System der doppelten Regierung, indem er ein Kompromiß mit der Ostindischen Kompanie einging und sie der Aufsicht der Kontrollbehörde unterstellte und die Kontrollbehörde wiederum zu einem Anhängsel des Ministeriums machte.

Der Parlamentsakt von 1833 stärkte die Kontrollbehörde, verwandelte die Aktienbesitzer der Ostindischen Kompanie in bloße Pfandgläubiger der Einkünfte aus Ostindien, wies die Kompanie an, ihre Warenvorräte zu verkaufen, löste ihre kommerzielle Existenz auf, und verwandelte sie, soweit sie politisch noch existierte, in einen bloßen Treuhänder der Krone und - verfuhr so mit der Ostindischen Kompanie, wie diese mit den ostindischen <182> Fürsten zu verfahren pflegte. Nachdem der Akt von 1833 die Nachfolge der Ostindischen Kompanie angetreten hatte, fuhr er für eine gewisse Zeit fort, noch in ihrem Namen zu regieren. Seither, seit 1833, hat die Ostindische Kompanie nur noch dem Namen nach und geduldeterweise existiert. Während es einerseits also gar nicht schwierig zu sein scheint, sich der Kompanie gänzlich zu entledigen, ist es andererseits völlig gleichgültig, ob die englische Nation über Indien unter dem persönlichen Namen der Königin Victoria oder unter der traditionellen Firma einer anonymen Gesellschaft herrscht. Die ganze Frage scheint sich daher um reine Formalitäten von höchst fragwürdiger Bedeutung zu drehen. Aber dennoch ist die Angelegenheit nicht ganz so einfach.

Zunächst einmal muß hervorgehoben werden, daß die ministerielle Kontrollbehörde, die ihren Sitz in der Cannon-row hat, gerade so eine Scheinexistenz führt wie die Ostindische Kompanie, die angeblich in der Leadenhall Street residiert. Die Mitglieder, aus denen sich die Kontrollbehörde zusammensetzt, sind nur der Deckmantel für die absolute Herrschaft des Präsidenten der Behörde. Der Präsident selbst ist nur ein untergeordnetes, wenn auch unabhängiges Mitglied des britischen Reichsministeriums. In Indien scheint man der Auffassung zu sein, daß man einen Mann, der zu nichts taugt, am besten als Richter einsetzt und ihn auf diese Weise los wird. Wenn in Großbritannien eine Partei an die Regierung kommt, und wenn sie einen zehntrangigen "Staatsmann" als Ballast mit sich herumschleppt, hält man es für das beste, ihn zum Präsidenten der Kontrollbehörde zu machen, zum Nachfolger des Großmoguls und ihn auf diese Weise loszuwerden - teste Carolo Wood <Beweis: Charles Wood>

Der Buchstabe des Gesetzes betraut die Kontrollbehörde, was nur eine Umschreibung für ihren Präsidenten ist, mit

"allen Rechten und Vollmachten, um alle Maßnahmen, Operationen und Angelegenheiten der Ostindischen Kompanie, die in irgendeiner Weise die Regierung der indischen Besitzungen oder die Einkünfte aus ihnen betreffen, zu überwachen, zu lenken und zu kontrollieren".

Es ist den Direktoren untersagt,

"jedwede Anweisung, Instruktion, Depeschen, offizielle Briefe oder Mitteilungen, die sich auf Indien oder seine Regierung beziehen, ergehen zu lassen, wenn sie nicht die Billigung der Kontrollbehörde erfahren haben".

Die Direktoren sind angewiesen,

"Instruktionen oder Anweisungen zu jeglichen Fragen innerhalb von vierzehn Tagen <183> nach Anforderung von der Kontrollbehörde vorzubereiten, oder auch die Indien betreffenden Anordnungen der Behörde weiterzuleiten".

Die Kontrollbehörde ist ermächtigt, jegliche Korrespondenzen und Depeschen von und nach Indien sowie die Geschäftstätigkeit des Aufsichtsrates und des Direktoriums zu überprüfen. Schließlich hat das Direktorium einen Geheimausschuß zu bestellen, bestehend aus seinem Vorsitzenden, seinem stellvertretenden Vorsitzenden und seinem Seniormitglied, die einen Eid auf Geheimhaltung leisten müssen. Über diese Personen kann der Präsident der Kontrollbehörde seine persönlichen Anordnungen in allen politischen und militärischen Dingen nach Indien leiten; der Ausschuß fungiert lediglich als sein Übermittlungsorgan. Die Befehle, die die Kriege gegen Afghanistan und Birma sowie die Besetzung von Scinde betreffen, wurden durch diesen Geheimausschuß übermittelt, ohne daß das Direktorium in irgendeiner Weise darüber mehr Informationen erhalten hätte als die breite Öffentlichkeit oder das Parlament. Bis heute scheint also der Präsident der Kontrollbehörde der wahre Großmogul zu sein, und unter allen Umständen hält er eine unbegrenzte Macht in Händen, Unheil anzurichten, z.B. die verderblichsten Kriege anzuzetteln, wobei er sich ständig hinter dem Aushängeschild des nicht verantwortlichen Direktoriums versteckt. Andererseits jedoch ist das Direktorium nicht ohne reale Macht. Da es allgemein die Initiative in administrativen Maßnahmen ausübt, da es im Vergleich zur Kontrollbehörde eine dauerhaftere und festere Körperschaft ist mit traditionellen Richtlinien für seine Tätigkeit und einer gewissen Kenntnis der Einzelheiten, fällt die ganze laufende innere Administration dem Direktorium zu. Es ernennt auch mit Genehmigung der Krone die höchste Macht in Indien, den Generalgouverneur und seine Berater, und es besitzt außerdem die unumschränkte Macht, die höchsten Beamten und sogar den Generalgouverneur abzuberufen, wie es mit Lord Ellenborough unter Sir Robert Peel verfuhr. Aber das ist immer noch nicht sein wichtigstes Privileg. Da die Direktoren nur 300 Pfd.St. im Jahr erhalten, stammen ihre Einkünfte in Wirklichkeit aus dem Stellenvergebungsrecht. Ihnen obliegt es, alle Stellen für Beamte und Offiziersanwärter zu vergeben, aus deren Reihen der Generalgouverneur von Indien und die Provinzgouverneure alle höheren Posten, von denen die indische Bevölkerung ausgeschlossen ist, besetzen müssen. Wenn die Anzahl der zu besetzenden Stellen für das gegebene Jahr ermittelt ist, wird das Ganze in 28 gleiche Teile aufgeteilt, von denen zwei dem Vorsitzenden und dem stellvertretenden Vorsitzenden zugeteilt werden, zwei dem Präsidenten der Kontrollbehörde und je einer den Direktoren. Der Jahreswert eines jeden Anteils des Stellenvergebungsrechts beträgt selten weniger als 14.000 Pfund.

<184> "Alle Ernennungen", sagt Herr Campbell, "sind jetzt sozusagen individuelles Privateigentum, das unter den Direktoren aufgeteilt wird, und jeder verfügt über seinen Anteil nach Gutdünken."

Nun ist es klar, daß der Geist des Direktoriums die ganze höhere Verwaltung Indiens durchdringen muß, da ihre Repräsentanten in den Schulen von Addiscombe und Hailybury erzogen und durch Protektion der Direktoren berufen werden. Es liegt nicht weniger auf der Hand, daß dieses Direktorium, das Jahr für Jahr Ernennungen im Werte von nahezu 400.000 Pfund an die oberen Klassen Großbritanniens zu vergeben hat, wenig oder gar keiner Kontrolle durch die öffentliche Meinung, die gerade durch diese Klassen bestimmt wird, unterworfen ist. Welcher Geist das Direktorium beseelt, will ich in einem späteren Artikel über die gegenwärtige Lage in Indien aufzeigen. Für den Augenblick mag der Hinweis genügen, daß Herr Macaulay im Verlauf der noch andauernden Debatten für das Direktorium besonders in die Waagschale warf, daß es unfähig sei, all das Übel, das es vielleicht noch begehen möchte, zu bewerkstelligen; es sei geradezu so, daß alle Verbesserungen ihm zum Trotz und wider seinen Willen von einzelnen Gouverneuren durchgesetzt worden seien, die aus eigener Verantwortung gehandelt hätten. Dies treffe zu auf die Unterdrückung der Satti, die Aufhebung der abscheulichen Transitzölle und auf die Einführung der Preßfreiheit in Ostindien.

Der Präsident der Kontrollbehörde verwickelt demzufolge unter dem Schutz des Direktoriums Indien in verheerende Kriege, während das Direktorium unter dem Deckmantel der Kontrollbehörde die indische Verwaltung korrumpiert.

Dringen wir tiefer in das Gefüge dieser anomalen Regierung ein, so entdeckt man in ihrem Kern eine dritte Macht, souveräner als die Kontrollbehörde oder das Direktorium; weniger verantwortlich und verborgener und geschützter vor den Augen der öffentlichen Meinung. Der zeitweilige Präsident der Kontrollbehörde hängt von den ständigen Beamten seines Amtssitzes in der Cannon-row ab, und für diese Beamten liegt Indien nicht in Indien, sondern in der Leadenhall Street. Nun, und wer ist Herr in der Leadenhall Street?

Zweitausend Personen - ältliche Damen und kränkliche Herren, Besitzer von Aktien der Ostindischen Kompanie, die kein weiteres Interesse an Indien haben, als ihre Dividenden aus den indischen Einkünften zu erhalten - wählen vierundzwanzig Direktoren, deren einzige Qualifikation darin besteht, daß sie Besitzer von Aktien im Wert von 1.000 Pfd.St. sind. Kaufleute, Bankiers und Direktoren von Gesellschaften machen große Anstren- <185> gungen, um aus reinem Privatinteresse in das Direktorium aufgenommen zu werden.

"Ein Bankier der Londoner City", sagte Herr Bright, "verfügt über 300 Stimmen in der Ostindischen Kompanie, und sein Wort ist bei der Wahl von Direktoren fast absolutes Gesetz."

Also ist das Direktorium nichts weiter als ein verlängerter Arm der englischen Plutokratie. Das auf diese Art gewählte Direktorium bildet seinerseits außer dem obengenannten Geheimausschuß drei weitere Ausschüsse, nämlich 1. den politischen und militärischen; 2. Finanzen und Inneres; 3. Einnahmen, Justiz und Gesetzgebung. Die Mitglieder dieser Ausschüsse werden jedes Jahr ausgewechselt, so daß also irgendein Finanzier in einem Jahr im Justiz- und im folgenden Jahr im Militärausschuß sitzt und niemand Gelegenheit hat, eine spezielle Abteilung ständig zu überwachen. Nachdem auf Grund des Wahlmodus Leute hineingebracht wurden, die ihren Aufgaben überhaupt nicht gewachsen sind, versetzt das System, nach dem sie ausgewechselt werden, allen Fähigkeiten, die sie zufälligerweise besitzen mögen, den Todesstoß. Wer regiert denn nun tatsächlich unter dem Namen der Direktoren? Ein großer Stab von Sekretären ohne Verantwortung, Revisoren und Schreibern im India House, von denen, wie Herr Campbell in seinem "Scheme for the Government of India" feststellt, wahrscheinlich nur ein einziges Individuum mal in Indien gewesen ist und auch dann nur zufällig. Abgesehen von dem Postenschacher ist es eine reine Fiktion, wenn man von der Politik, den Prinzipien und dem System des Direktoriums spricht. Das wirkliche Direktorium, die wirkliche Regierung Indiens in England, ist die ständige jeder Verantwortung bare Bürokratie, - "die Kreaturen des Schreibpultes und die Kreaturen der Gunst", die in Leadenhall Street residieren. Wir haben es also mit einer Körperschaft zu tun, die über ein riesiges Imperium herrscht und die sich nicht, wie in Venedig, aus hervorragenden Patriziern, sondern aus alten störrischen Schreiberlingen und dergleichen merkwürdigen Gestalten zusammensetzt.

Es ist also nicht weiter verwunderlich, daß es keine andere Regierung gibt, die so viel schreibt und so wenig tut, wie die Regierung Indiens. Als die Ostindische Kompanie nur eine Handelsassoziation war, forderte sie natürlich detaillierte Berichte über jede Einzelheit von den Verwaltern ihrer indischen Faktoreien an, wie das jedes Handelsunternehmen tut. Als die Faktoreien zu einem Imperium anwuchsen, die Handelsberichte zu Schiffsladungen von Korrespondenz und Dokumenten, behielten die Leadenhall-Schreiber ihr System bei, daß die Direktoren und die Kontrollbehörde von <186> ihnen abhängig wurden; und es gelang ihnen, die Regierung Indiens in einen ungeheuren Schreibapparat umzuwandeln. Lord Broughton teilte in seiner Aussage vor dem amtlichen Gehaltsausschuß mit, daß mit einer einzigen Depesche 45.000 Seiten Belege mitgeschickt wurden.

Um Ihnen eine gewisse Vorstellung von der zeitraubenden Art und Weise zu geben, mit der Geschäfte im India House abgewickelt werden, werde ich eine Textstelle von Herrn Dickinson zitieren:

"Wenn eine Depesche aus Indien eintrifft, wird die Sache in erster Instanz an das Revisionsdepartment überwiesen, wo sie hingehört; danach beraten sich die Vorsitzenden <gemeint sind der Vorsitzende und der stellvertretende Vorsitzende des Direktoriums der Ostindischen Kompanie> mit dem für dieses Department verantwortlichen Beamten und vereinbaren mit ihm den Tenor einer Antwort und überweisen den Entwurf dieser Antwort an den Minister für indische Angelegenheiten, was technisch mit v.A., d.h. vorläufige Antwort bezeichnet wird. Während dieses Vorstadiums der v.A. hängen die Vorsitzenden hauptsächlich von den Beamten ab. Der Grad dieser Abhängigkeit ist derartig, daß selbst bei einer Debatte im Aufsichtsrat, nach den einleitenden Bemerkungen des Vorsitzenden, das klägliche Bild zu beobachten ist, wie er sich dauernd an einen neben ihm sitzenden Sekretär wendet, der ihm dann etwas ins Ohr flüstert und souffliert, als ob er einfach eine Marionette wäre; und der Minister am anderen Ende dieses Systems befindet sich in derselben peinlichen Lage. Wenn es in diesem Stadium der v.A. eine Meinungsverschiedenheit über den Entwurf gibt, so wird das besprochen und fast immer in freundschaftlichem Meinungsaustausch zwischen dem Minister und dem Vorsitzenden beigelegt. Schließlich schickt der Minister den Entwurf der Antwort entweder bestätigt oder geändert zurück; dann wird der Entwurf dem Ausschuß des Direktoriums unterbreitet, der für das entsprechende Department verantwortlich ist, mit allen den Fall betreffenden Papieren, um beraten und besprochen, angenommen oder abgeändert zu werden. Danach wird er derselben Prozedur in der Vollversammlung des Direktoriums unterworfen, und erst dann zum erstenmal als offizielle Mitteilung an den Minister weitergeleitet, wonach er dieselben Instanzen in umgekehrter Richtung durchläuft."

Herr Campbell sagt dazu folgendes:

"Wenn in Indien über eine Maßnahme diskutiert wird, dann versteht man unter der Mitteilung, daß sie an das Direktorium verwiesen worden ist, ihre Verschiebung auf unbestimmte Zeit."

Der muffige und niedrige Geist dieser Bürokratie verdient es, mit den berühmten Worten von Burke gebrandmarkt zu werden:

"Diese Sippe vulgärer Politiker steht auf der niedrigsten Stufe unserer Gattung. Kein Metier ist so abscheulich und so mechanisch wie das Regieren von ihrer Hand. <187> Tugend ist bei ihnen nicht Brauch. Ein Verhalten, das nur durch Gewissen und durch die Größe der Sache bestimmt wird, übersteigt ihr Begriffsvermögen. Eine großzügige, liberale und weitblickende Betrachtungsweise der Interessen der Staaten ist in ihren Augen nichts als Romantik und die sie motivierenden Prinzipien nichts als Auswüchse einer überreizten Phantasie. Die kühlen Rechner streichen diese Posten aus ihren Sinnen. Die Narren und Possenreißer bringen sie dazu, sich alles Großen und Erhabenen zu schämen. Engstirnigkeit in Zielsetzung und in Mitteln erscheint ihnen als Vernunft und Sachlichkeit."

Die Kanzleien der Leadenhall Street und der Cannon-row kosten die indische Bevölkerung jährlich die Kleinigkeit von 160.000 Pfd.St. Die Oligarchie verstrickt Indien in Kriege, um für ihre jüngeren Söhne Beschäftigung zu finden; die Plutokratie schlägt es dem Höchstbietenden zu, und eine subalterne Bürokratie paralysiert seine Verwaltung und verewigt seine Sehmach als lebenswichtige Voraussetzung für ihre eigene Verewigung.

Das Gesetz von Sir Charles Wood ändert nichts an dem bestehenden System. Es erweitert die Machtbefugnisse des Ministeriums, ohne seine Verantwortlichkeit zu erhöhen.

Karl Marx