Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 9, S. 134-141
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1960

Karl Marx

Englische Prosperität -
Streiks -
Die türkische Frage -
Indien

Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 3809 vom 1. Juli 1853]

<134> London, Freitag, 17. Juni 1853

Nach offiziellen Angaben beträgt der Wert des britischen Exports

für April 1853

7.578.910 Pfd.St.

für April 1852 dagegen

5.268.915 Pfd.St.

für die ersten vier Monate 1853

27.970.633 Pfd.St.

für die gleichen Monate 1852 dagegen

21.844.663 Pfd.St.

Darin zeigt sich im ersteren Falle ein Anwachsen von 2.309.995 Pfd.St. oder über 40% und im zweiten Falle von 6.125.970 Pfd.St. oder nahezu 28%. Wenn das Anwachsen im gleichen Verhältnis weiter anhält, dann würde der Gesamtexport von Großbritannien Ende 1853 mehr als 100.000.000 Pfd.St. betragen.

Die "Times", die ihren Lesern diese Aufsehen erregenden Angaben übermittelt, ergeht sich dabei in einer Art von Dithyramben, die mit den Worten enden: "Wir sind alle glücklich und uns einig." Aber kaum hatte die Zeitung diese tröstliche Entdeckung hinaustrompetet, als in ganz England und besonders im industriellen Norden eine nahezu allgemeine Streikwelle ausbrach, die ein seltsames Echo zu dem von der "Times" angestimmten Lied der Eintracht bildet. Diese Streiks sind die notwendige Folge einer relativen Abnahme der überschüssigen Arbeiterbevölkerung, die mit einer allgemeinen Verteuerung der Preise für die wichtigsten Bedarfsgüter zusammenfällt. In Liverpool legten 5.000 Arbeiter die Arbeit nieder, 35.000 in Stockport usw., bis schließlich sogar die Polizei von der Epidemie ergriffen wurde und 250 Konstabler in Manchester ihren Abschied einreichten. Im Zusammenhang damit verlor die Bourgeoispresse, z.B. der "Globe", völlig ihre Fassung und widerrief ihre üblichen philanthropischen Ergüsse. Sie verleum- <135> dete, beleidigte, drohte und forderte laut die Friedensrichter zum Eingreifen auf, was tatsächlich in Liverpool praktiziert worden ist, und zwar in allen Fällen, wo auch nur der kleinste juristische Vorwand gefunden werden konnte. Diese Friedensrichter sind, wenn nicht selbst Fabrikanten oder Kaufleute, wie es allgemein in Lancashire und Yorkshire der Fall ist, zumindest mit der Geschäftswelt eng verbunden und von ihr abhängig. Sie haben zugelassen, daß Fabrikanten das Zehnstundengesetz nicht einhalten, den Truck Act umgehen und ungestraft alle anderen Gesetze verletzen, die ausdrücklich verabschiedet worden sind, um die "unverhüllte" Habgier der Fabrikanten zu zügeln, während sie den Combination Act immer auf eine Art und Weise auslegen, die den Arbeitsmann benachteiligt und für ihn ungünstig ist. Diese gleichen "ritterlichen" Freihändler, die als unermüdliche Gegner der Einmischungen der Regierung berühmt sind, diese Apostel der Bourgeoisiedoktrin des laissez faire, die den Privatinteressen unter allen Umständen freies Spiel zubilligen, sind immer die ersten, die die Regierung zum Eingreifen auffordern, sobald die Privatinteressen der Arbeiter mit ihren eigenen Klasseninteressen in Konflikt geraten. In solchen Augenblicken der Kollision blicken sie mit unverhüllter Bewunderung auf die Staaten des Kontinents, in denen despotische Regierungen, wenn sie auch die Bourgeoisie nicht an die Macht lassen, so doch zumindest die Arbeiter daran hindern, Widerstand zu leisten. Den Weg, den die revolutionäre Partei vorschlägt, um den gegenwärtigen großen Konflikt zwischen Fabrikanten und Arbeitern auszunutzen, kann ich auf keine bessere Weise darlegen, als daß ich Sie mit dem folgenden Brief des Chartistenführers Ernest Jones bekannt mache, den dieser unmittelbar vor seiner Abreise nach Lancashire, wo die Kampagne eröffnet werden soll, an mich geschrieben hat:

"Mein lieber Marx!

Morgen breche ich auf nach Blackstone Edge, wo ein camp-meeting <Meeting unter freiem Himmel> der Chartisten aus Yorkshire und Lancashire stattfinden wird, und ich hin glücklich, Ihnen mitteilen zu können, daß im Norden dafür die umfassendsten Vorbereitungen im Gange sind. Es sind jetzt sieben Jahre her, seitdem ein wirklich nationales Treffen an jener Stelle stattfand, die den Traditionen der Chartistenbewegung heilig ist. Der Zweck des gegenwärtigen Treffens besteht in folgendem: Durch den Verrat und die Spaltung von 1848, durch den Zerfall der damals existierenden Organisation infolge der Einkerkerung und Verbannung von 500 ihrer führenden Persönlichkeiten, durch das Lichten ihrer Reihen infolge Emigration, durch das Abflauen der politischen Energie wegen des Einflusses eines lebhaften Geschäftslebens - hatte sich die nationale <136> Bewegung des Chartismus in isolierte Aktionen umgewandelt, und die chartistische Organisation schmolz dahin, gerade zu einer Zeit, da sich das Wissen um die sozialen Zusammenhänge ausbreitete. Inzwischen wuchs auf den Ruinen der politischen Bewegung eine Arbeiterbewegung, die aus den ersten zaghaften Schritten zu einem sozialen Bewußtsein geboren wurde. Diese Arbeiterbewegung zeigte sich zuerst in isolierten genossenschaftlichen Versuchen; dann, als sich diese als Versager erwiesen, im energischen Kampf für die Zehnstundenbill, für die Beschränkung der Laufzeit der Maschinen, für die Abschaffung des Systems von Strafen durch Lohnabzüge und für eine neue Interpretation der Combination Bill. Auf diese Maßnahmen, die an sich gut waren, war die ganze Energie und Aufmerksamkeit der Arbeiterklasse gerichtet. Das Fehlschlagen der Versuche, für diese Maßnahmen gesetzliche Garantien zu erlangen, hat in erhöhtem Maße dazu beigetragen, dem Denken der Arbeiter Britanniens eine revolutionärere Richtung zu geben. Das schafft günstige Voraussetzungen, die Massen um das Banner einer wirklichen sozialen Reform zu scharen; denn es muß für jeden offenkundig sein, wie gut auch immer die obenerwähnten Maßnahmen sein mögen vom Gesichtspunkt der Befriedigung der gegenwärtigen Forderungen, sie bieten doch keine Garantie für die Zukunft und verkörpern kein fundamentales Prinzip sozialen Rechts. Die günstige Gelegenheit für eine Bewegung, die Kraft, sie mit Erfolg durchzuführen, ist durch die gegenwärtigen Zeitumstände gegeben. Die Unzufriedenheit des Volkes geht Hand in Hand mit dem Anwachsen der Kräfte des Volkes, dadurch hervorgerufen, daß im Verhältnis zu der Lebhaftigkeit der Geschäfte Mangel an Arbeitern herrscht. Überall finden Streiks statt und meistens erfolgreich. Doch es ist traurig, anzusehen, wenn die Kraft, die auf eine grundlegende Verbesserung ausgerichtet werden könnte, an eine vorübergehende Linderung verschwendet wird. Und darum versuche ich, gemeinsam mit zahlreichen Freunden, diesen so günstigen Zeitpunkt auszunutzen, um die zersprengten Reihen des Chartismus auf den gesunden Grundsätzen der sozialen Revolution wieder zu vereinen. Es ist mir gelungen, die untätigen und eingeschlafenen Ortsgruppen für dieses Ziel neu zu organisieren und sie für eine - wie ich hoffe - allgemeine und imposante Demonstration in ganz England vorzubereiten. Die neue Kampagne beginnt mit dem camp-meeting auf dem Blackstone Edge, dem weitere Massenkundgebungen in allen industriellen Grafschaften folgen sollen; gleichzeitig werden unsere Beauftragten in den landwirtschaftlichen Distrikten tätig sein, das arbeitende Volk auf dem Lande mit der übrigen Armee der Arbeit zu vereinen, eine Aufgabe, die unsere Bewegung bisher vernachlässigt hat. Unser erster Schritt wird die Forderung auf Annahme der Charte sein, eine Forderung, die von Massenkundgebungen des Volkes unterstützt wird, und der Versuch, unser korruptes Parlament zur Annahme der Vorlage über die Einführung der Charte zu zwingen, damit sie offen und eindeutig als einziges Mittel für eine soziale Reform anerkannt wird. Von diesem Standpunkt ist die Forderung nach der Charte noch nicht erhoben worden. Wenn die Arbeiterklasse diese Bewegung unterstützt - die Reaktionen auf meinen Aufruf berechtigen mich, das anzunehmen -, dann muß das Resultat von Bedeutung sein; denn im Falle der Ablehnung durch das Parlament werden die leeren Phrasen der Scheinliberalen und Tory-Philanthropen entlarvt, und ihre letzte Hoffnung - nämlich die Leichtgläubigkeit des Volkes <137> auszunutzen - wird zerstört werden. Sollte das Parlament einwilligen, die Vorlage in Erwägung zu ziehen und zu diskutieren, so wird ein reißender Strom ausgelöst, den man durch zeitweise Zugeständnisse nicht mehr eindämmen kann. Da Sie mit dem politischen Leben in England vertraut sind, werden Sie ja wissen, daß unsere Aristokratie und unsere Plutokratie weder die Energie noch die Kraft haben, um der Bewegung des Volkes ernstlichen Widerstand zu leisten. Die herrschenden Kräfte bestehen nur noch aus einem konfusen Durcheinander überlebter Parteien, die zusammengelaufen sind wie eine verzankte Schiffsmannschaft und nun an die Pumpen stürzt, um das schon sinkende Schiff zu retten. Es ist keine Kraft in ihnen, und das Hineinschütten von einigen wenigen Tropfen Schlagwasser in den demokratischen Ozean wird völlig unzureichend sein, die hochgehenden Wogen zu besänftigen. So groß, mein Freund, ist die Gelegenheit, die ich jetzt sehe, so groß ist die Kraft, von der ich hoffe, daß sie genutzt wird, und so groß ist das erste unmittelbare Ziel, auf welches jene Kraft gerichtet werden soll. Über das Ergebnis der ersten Demonstration werde ich Ihnen wieder schreiben.

Ihr sehr ergebener

Ernest Jones."

Es braucht wohl kaum gesagt zu werden, daß gar keine Aussicht auf Erörterung der Chartisten-Petition durch das Parlament besteht. Welche Illusionen man auch immer in dieser Hinsicht gehabt haben mag, sie müssen nun der Tatsache weichen, daß das Parlament soeben mit einer Mehrheit von 60 Stimmen den von Herrn Berkeley eingebrachten und von den Herren Phillimore, Cobden, Bright, Sir Robert Peel etc. befürworteten Antrag auf geheime Abstimmung abgelehnt hat. Und dies geschieht durch das gleiche Parlament, das so heftig gegen die bei seiner Wahl angewandte Einschüchterungstaktik und Bestechung protestierte und monatelang wegen der merkwürdigen Anwandlung, sich selbst in Wahluntersuchungen zu dezimieren, alle ernsthaften Geschäfte vernachlässigte. Die einzige Abhilfe, die purity Johnny <der lautere John, ironische Anspielung auf John Russel> bisher gegen Bestechung, Einschüchterung und korrupte Praktiken gefunden hat, besteht in der Entziehung des Wahlrechts oder, mehr noch, in der Verkleinerung der Wahlbezirke. Zweifellos: Wenn es ihm gelungen wäre, die Wahlbezirke ebenso klein zu machen, wie er selbst es ist, dann würde die Oligarchie in der Lage sein, diese Stimmen zu erhalten, ohne sich die Mühe und Ausgaben zu machen, sie zu kaufen. Herrn Berkeleys Resolution wurde durch die vereinten Stimmen der Tories und Whigs abgelehnt, da deren gemeinsames Interesse auf dem Spiel steht: die Erhaltung ihres territorialen Einflusses auf die tenants-at-will <nach Engels: Pächter, deren Pacht jedes Jahr gekündigt werden konnte>, die kleinen Ladenbesitzer und andere Gefolgsleute der Grundbesitzer. "Wer seine Pacht zahlt, muß mit ihr <138> seine Stimme abgeben", ist ein altes Prinzip der glorreichen britischen Konstitution.

Vergangenen Sonnabend machte die "Press", eine neue unter dem Einfluß von Herrn Disraeli stehende Wochenschrift, der englischen Öffentlichkeit folgende kuriose Eröffnung:

"Baron Brunnow übermittelte zu Beginn des Frühlings Lord Clarendon die Forderung, die der russische Zar im Begriff war, an die Pforte zu richten, mit dem Bemerken, die Mitteilung bezwecke, die Meinung Englands in der Angelegenheit festzustellen. Lord Clarendon habe keine Einwände erhoben, noch auf irgendeine Weise von dem eingeschlagenen Weg abgeraten. Der Moskauer Diplomat habe seinem kaiserlichen Herrn übermittelt, daß England nicht abgeneigt sei, sich gegenüber seinen Plänen hinsichtlich des Goldenen Horns wohlwollend zu verhalten."

Nun brachte die "Times" von gestern, als Antwort auf die schwerwiegende Anschuldigung von Herrn Disraeli, einen wohlerwogenen offiziellen, vom Ministerium des Auswärtigen inspirierten Artikel, welcher aber meiner Meinung nach diese Anschuldigung noch schwerwiegender macht, statt sie zu widerlegen. Die "Times" versichert, daß zu Beginn des Frühlings, vor dem Eintreffen des Fürsten Menschikow in Konstantinopel, Baron Brunnow sich bei Lord John Russell beschwerte, daß die Pforte die den griechisch-orthodoxen Geistlichen durch Vertrag übertragenen Vorrechte zurückgenommen und daß Lord John Russell, nach dessen Meinung die Angelegenheit nur die Heiligen Stätten betreffe, den Plänen des Zaren seine Zustimmung gegeben habe. Aber die "Times" ist gleichzeitig gezwungen zuzugeben, daß nach dem Eintreffen des Fürsten Menschikow in Konstantinopel und nach dem Wechsel im Ministerium des Auswärtigen, wo Lord John Russell durch Lord Clarendon abgelöst wurde, Baron Brunnow eine neue Mitteilung an Lord Clarendon richtete,

"mit dem Inhalt, den Geist der von ihm erhaltenen Instruktionen und einige der Ausdrücke zu erläutern, die in dem Beglaubigungsschreiben gebraucht werden, das Fürst Menschikow im Auftrage des Zaren dem Sultan überreichte".

Dabei gibt die "Times" zu, daß "Lord Clarendon den durch Baron Brunnow übermittelten Forderungen zugestimmt hat". Offensichtlich muß diese zweite Mitteilung etwas mehr enthalten haben als das, was Lord John Russell übermittelt worden war. Die Angelegenheit kann daher mit dieser Erklärung in der "Times" nicht abgeschlossen sein. Entweder stellt es sich heraus, daß Baron Brunnow ein diplomatischer Betrüger ist, oder die Mylords Clarendon und Aberdeen sind Verräter. Wir werden sehen.

Es dürfte für Ihre Leser von Interesse sein, ein die orientalische Frage betreffendes Dokument kennenzulernen, das kürzlich in einer Londoner <139> Zeitung veröffentlicht wurde. Es handelt sich um eine Proklamation, die von dem heute in London lebenden Fürsten von Armenien herausgegeben und unter den Armeniern in der Türkei verbreitet worden ist:

"Lew, der von Gottes Gnaden regierende Fürst von Armenien etc., an die Armenier in der Türkei:

Geliebte Brüder und treue Landsleute! ... Unser Wille und unser heißer Wunsch ist es, daß Ihr bis zum letzten Tropfen Eures Blutes Euer Land und den Sultan gegen den Tyrannen des Nordens verteidigt. Erinnert Euch, Brüder, daß es in der Türkei keine Knuten gibt, daß die Türken Euch nicht die Nasenflügel zerreißen und Eure Frauen weder insgeheim noch in der Öffentlichkeit prügeln. Unter der Herrschaft des Sultans gibt es Menschlichkeit, während es unter der Herrschaft des Tyrannen des Nordens nur bestialische Grausamkeit gibt. Darum vertraut Euch der Führung Gottes an und kämpft tapfer für die Freiheit Eures Landes und für Euren jetzigen Herrscher. Reißt Eure Häuser nieder, um daraus Barrikaden zu bauen; und wenn Ihr keine Waffen habt, so zerbrecht Euern Hausrat und verteidigt Euch damit. Möge Euch der Herr den Weg zum Ruhm führen. Mein höchstes Glück wird es sein, in Eurer Mitte gegen die Unterdrücker Eures Landes und Eures Glaubens zu kämpfen. Möge Gott des Sultans Herz geneigt machen, meinen Aufruf zu billigen, denn unter seiner Herrschaft wird die Reinheit unserer Religion bewahrt bleiben, während sie unter der Herrschaft des Tyrannen des Nordens geändert werden wird. Seid auch dessen eingedenk, Brüder, daß das Blut in den Adern desjenigen der sich jetzt an Euch wendet, das Blut von zwanzig Königen ist, es ist das Blut der Helden, der Lussinians, der Verteidiger unseres Glaubens. Und wir rufen Euch zu: Verteidigen wir die Reinheit unseres Glaubens bis zum letzten Blutstropfen."

Am 13. d.M. kündigte Lord Stanley im Unterhaus an, daß er bei der zweiten Lesung der Indienbill (am 23. d.M..) folgende Resolution einbringen würde:

"Nach Meinung des Hauses sind weitere Informationen erforderlich, um das Parlament in die Lage zu versetzen, Gesetze zugunsten einer ständigen Regierung Indiens zu beschließen. In diesem vorgerückten Stadium der Parlamentssession wäre es nicht angebracht eine Maßnahme zu ergreifen, die die bestehende Ordnung nur stören würde und doch nicht als endgültige Lösung angesehen werden kann."

Aber im April 1854 wird die Charte der Ostindischen Kompanie ablaufen, und so oder so muß etwas in dieser Richtung geschehen. Die Regierung möchte ein ständiges Gesetz beschließen, mit andern Worten die Charte auf weitere zwanzig Jahre verlängern. Die Manchesterschule möchte jegliche Gesetzgebung verschieben und die Charte auf höchstens ein Jahr verlängern. Die Regierung erklärte, daß ein ständiges Gesetz für das "Wohl" Indiens notwendig sei. Die Manchesterleute erwiderten, das sei unmöglich, da Informationen fehlen. Das "Wohl" Indiens wie auch das Fehlen von Informationen sind beides Vorspiegelungen falscher Tatsachen. Die herrschende Oligarchie <140> möchte noch vor dem Zusammentritt des neuen Parlaments auf Kosten Indiens ihr eigenes "Wohl" für die nächsten zwanzig Jahre im voraus sichern. Die Manchesterleute möchten überhaupt keine Annahme irgendwelcher Gesetze bis zur Neuwahl des Parlaments, da sie im alten Parlament keine Chancen haben, ihre Ansichten erfolgreich durchzusetzen. Und jetzt hat das Koalitionskabinett im Widerspruch zu seinen früheren Erklärungen, aber in Übereinstimmung mit seinem üblichen Verfahren, Schwierigkeiten zu umgehen, durch Sir Charles Wood so etwas wie einen Gesetzentwurf eingebracht. Andrerseits aber hat es nicht gewagt, die Verlängerung der Charte für einen bestimmten Zeitpunkt vorzuschlagen, sondern hat eine "Lösung" angeboten, in der es dem Parlament überlassen wird, anders zu verfügen, wann immer es diese Körperschaft für angebracht hält. Wenn es zur Annahme der Regierungsvorschläge käme, würde es keine Erneuerung geben, sondern die Ostindische Kompanie würde nur eine weitere Lebensfrist bekommen. In jeder andern Hinsicht tastet der Vorschlag der Regierung die Verfassung der Regierung Indiens nur scheinbar an; die einzige ernsthafte Änderung, die er enthält, ist, daß er einige Gouverneure zusätzlich verlangt, obwohl durch lange Erfahrung bewiesen ist, daß die Gebiete Ostindiens, die von einfachen Kommissären verwaltet werden, weit besser gedeihen als jene, in denen die Bevölkerung für würdig befunden wurde, Gouverneure und Räte zu haben, die sich mit kostspieligem Luxus umgeben. Das von den Whigs erfundene Mittel, das Los der ausgesaugten Länder dadurch zu erleichtern, daß man ihnen die Lasten neuer Pfründe für pauperisierte Aristokraten aufbürdet, erinnert an die frühere Regierung Russell, die - als den Whigs plötzlich der Zustand geistiger Armut auffiel, in dem die Inder und Mohammedaner im Osten lebten - beschloß, ihnen durch den Import mehrerer neuer Bischöfe zu helfen, während die Tories auf der Höhe ihrer Macht niemals mehr als einen Bischof für notwendig erachteten. Als dieser Beschluß gefaßt worden war, entdeckte Sir John Hobhouse - der damalige Whig-Präsident der Kontrollbehörde - sofort, daß er einen Verwandten besäße, der sich vortrefflich für die Bischofswürde eigne, und dieser wurde unverzüglich in eines der neuen Bistümer berufen. "In solchen Fällen", bemerkt ein englischer Autor, "wenn der Schuh so genau paßt, ist es tatsächlich schwierig zu sagen, ob der Schuh für den Fuß oder der Fuß für den Schuh gemacht worden ist." Genauso ist es mit der Entdeckung Charles Woods; es wäre sehr schwierig, zu sagen, ob die neuen Gouverneure für die indischen Provinzen oder die indischen Provinzen für die neuen Gouverneure gemacht worden sind.

Wie dem auch sein mag, das Koalitionskabinett glaubte, es sei allen Klagen gerecht geworden, als es dem Parlament das Recht überließ, einen vorgeschla- <141> genen Gesetzentwurf jederzeit ändern zu können. Doch leider tritt der Tory Lord Stanley mit seiner Resolution dazwischen, die bei ihrer Ankündigung von der "radikalen" Opposition laut begrüßt wurde. Lord Stanleys Resolution indessen widerspricht sich selbst. Einerseits weist Lord Stanley den Vorschlag des Ministeriums zurück, weil das Haus mehr Informationen benötige, um ein ständiges Gesetz zu beschließen. Andererseits weist er es zurück, weil es kein ständiges Gesetz ist, sondern die bestehende Ordnung ändert, ohne auf eine endgültige Lösung Anspruch zu erheben. Die Konservativen stehen der Bill natürlich ablehnend gegenüber, weil sie überhaupt eine gewisse Veränderung mit sich bringt. Die Radikalen stehen ihr ablehnend gegenüber, weil sie überhaupt keine wirkliche Veränderung mit sich bringt. In diesen Zeiten der Koalitionen hat Lord Stanley eine Formel gefunden, welche die beiden gegensätzlichen Standpunkte gegen den Standpunkt des Ministeriums in dieser Sache eint. Das Koalitionsministerium simuliert heilige Entrüstung über eine solche Taktik, und der "Chronicle", sein Organ, meint empört:

"Wenn man den Vorschlag auf Aufschub als Parteimaßnahme ansieht, so ist er im höchsten Grade parteisüchtig und verwerflich ... Er ist nur gemacht worden, weil einige Parteigänger des Ministeriums sich verpflichtet haben, sich in dieser Teilfrage von denen abzugrenzen, mit denen sie sonst zusammengehen."

Die Minister scheinen in der Tat ernstlich besorgt zu sein. Der "Chronicle" kehrt in seiner heutigen Ausgabe wieder zu diesem Thema zurück und schreibt:

"Die Abstimmung über Lord Stanleys Antrag wird wahrscheinlich für das Schicksal der Indienbill entscheidend sein; es ist deshalb von größter Wichtigkeit, daß jene, die die Wichtigkeit einer baldigen Gesetzgebung empfinden, alle Anstrengung machen, die Regierung zu unterstützen."

Hingegen lesen wir in der heutigen "Times":

"Das Schicksal der Indienbill der Regierung ist jetzt in genaueren Umrissen zu erkennen ... Die Gefahr für die Regierung besteht darin, daß Lord Stanleys Einwände völlig mit den Schlußfolgerungen der öffentlichen Meinung übereinstimmen. Jedes Wort dieses Amendements trifft mit tödlicher Genauigkeit das Ministerium."

In einem meiner nächsten Artikel werde ich darlegen, welchen Einfluß die indische Frage auf die verschiedenen Parteien Großbritanniens hat und welchen Nutzen der arme Hindu aus diesem Gezänk der englischen Aristokratie, der Plutokratie und der Millokratie um die Verbesserung seines Daseins ziehen kann.

Karl Marx