Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 9, S. 117-126
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1960
Aus dem Englischen.
["New-York Daily Tribune" Nr. 3801 vom 22. Juni 1853]
<117> London, Dienstag, 7. Juni 1853
Nach einer Depesche aus Bern hat der Bundesrat das vom Kriegsgericht zu Freiburg gegen die für den jüngsten Aufruhr Verantwortlichen ausgesprochene Urteil aufgehoben und angeordnet, sie vor die ordentlichen Gerichte zu bringen, es sei denn, daß sie durch den Kantonsrat begnadigt würden. Hier also haben wir die erste der Heldentaten, die den "Bruch zwischen der Schweiz und Österreich" begleiten, dessen unvermeidliche Auswirkung ich in einem früheren Artikel über die europäische "Musterrepublik" nachgewiesen habe.
Als ich Ihnen die Nachricht übermittelte, daß die preußische Regierung einigen auf Urlaub im Ausland befindlichen Artillerieoffizieren Order gegeben hat, sofort zum Dienst zurückzukehren, erklärte ich irrtümlicherweise, daß jene Offiziere mit der Ausbildung der russischen Armee in der Gefechtspraxis beschäftigt waren, während ich eigentlich die Ausbildung der türkischen Artillerie meinte.
Alle russischen Generale und andere Russen, die in Paris leben, haben Order bekommen, unverzüglich nach Rußland zurückzukehren. Herr Kisselew, der russische Botschafter in Paris, führt eine ziemlich drohende Sprache und zeigt ostentativ Briefe aus Petersburg herum, in denen die türkische Frage assez cavalièrement <ziemlich herausfordernd> behandelt wird. Aus derselben Quelle stammt auch ein Gerücht, dem zufolge Rußland von Persien die Abtretung des Gebiets von Asterabad am südöstlichen Ufer des Kaspischen Meers verlange. Gleichzeitig depeschieren russische Kaufleute oder - wie gemeldet wird - haben bereits an ihre Londoner Agenten depeschiert,
"daß man unter den gegenwärtigen Umständen Getreideverkäufe nicht forcieren solle, da die Preise wahrscheinlich wegen der Gefahr eines unmittelbar bevorstehenden Krieges steigen würden".
<118> Schließlich ließ man allen Zeitungen vertrauliche Winke darüber zugehen, daß die russischen Truppen an die Grenzen vorrücken, daß die Bewohner von Jassy schon zu ihrem Empfang rüsten, daß der russische Konsul in Galatz eine ungeheure Zahl von Baumstämmen aufgekauft habe, um mehrere Brücken über die Donau zu schlagen, und was dergleichen Enten mehr sind, wie sie die "Augsburger Zeitung" und andere proösterreichische und prorussische Blätter so erfolgreich auszubrüten verstehen.
Diese und eine Menge ähnlicher Berichte, Mitteilungen usw. sind nichts anderes als lächerliche Versuche der russischen Agenten, die westliche Welt in einen heillosen Schrecken zu versetzen und sie zu einer Fortsetzung jener Verzögerungspolitik zu treiben, unter deren Deckmantel Rußland seine Pläne im Osten wie bisher zu verwirklichen hofft. Wie systematisch dieses Täuschungsmanöver durchgeführt wird, ist aus folgendem ersichtlich:
Vorige Woche machten mehrere französische Blätter, die, wie bekannt, von Rußland bezahlt werden, die Entdeckung,
"daß die wirkliche Streitfrage sich weniger um Rußland und die Türkei drehe als um Petersburg und Moskau, d.h. um den Zaren und die altrussische Partei; ein Krieg wäre für den Selbstherrscher viel weniger gefährlich als die Rache jener eroberungssüchtigen Partei, die schon zu oft gezeigt habe, wie sie mit ihr mißliebigen Monarchen umzugehen wisse."
Fürst Menschikow ist natürlich das "Haupt dieser Partei". Die "Times" und die meisten englischen Blätter verabsäumten nicht, diese lächerliche Behauptung zu wiederholen - die einen im vollen Bewußtsein ihrer Bedeutung, die anderen vielleicht, weil sie sich unbewußt täuschen ließen. Welche Schlußfolgerungen aber wird die Öffentlichkeit geneigt sein, aus dieser neuen Offenbarung zu ziehen? Entweder, daß Nikolaus, wenn er sich unter Gelächter zurückzieht und seine kriegerische Haltung gegen die Türkei aufgibt, einen Sieg über seine eigene kriegerische altrussische Partei davongetragen hat, oder daß Nikolaus, wenn er wirklich in den Krieg geht, dies nur deshalb tut, um dem Drängen dieser legendären Partei nachzugeben? Auf alle Fälle "gäbe es bloß einen Sieg Moskaus über Petersburg oder Petersburgs über Moskau" und folglich keinen Sieg Europas über Rußland.
Was nun diese berüchtigte altrussische Partei betrifft, so weiß ich zufällig von einigen gut informierten Russen, die selbst zur Aristokratie gehören und mit denen ich in Paris viel verkehrte, daß diese Partei längst gänzlich ausgestorben ist und nur gelegentlich wieder ins Leben zurückgerufen wird, wenn der Zar eines Popanzes bedarf, um Westeuropa zu schrecken, damit es seine anmaßenden Ansprüche geduldig über sich ergehen lasse. Darum läßt man jetzt Menschikow wieder auferstehen und staffiert ihn entsprechend dem <119> legendären altrussischen Stil aus. Tatsächlich fürchtet der Zar nur eine Partei unter seinen Adligen, und zwar die Partei, deren Ziel die Errichtung eines aristokratisch-konstitutionellen Systems nach englischem Muster ist.
Außer diesen verschiedenen Gespenstern, die von der russischen Diplomatie zur Irreführung Englands und Frankreichs heraufbeschworen werden, hat man soeben noch einen anderen Versuch zu demselben Zwecke gemacht: man läßt ein Werk erscheinen, betitelt "L'Empire Russe depuis le Congrès de Vienne" aus der Feder des Vicomte de Beaumont-Vassy. Um dieses Machwerk zu charakterisieren, genügt ein Satz daraus:
"Es ist wohlbekannt, daß in den Kellern der Peter-Pauls-Festung ein Depot von Münzen, Gold- und Silberbarren existiert. Am 1. Januar 1850 wurde dieser verborgene Schatz offiziell auf 99.763.361 Silberrubel geschätzt."
Ist es schon jemals jemandem eingefallen, von dem verborgenen Schatz in der Bank von England zu sprechen? Der "verborgene Schatz" Rußlands ist nichts anderes als die Metallreserve, die hinter einer dreimal stärkeren Zirkulation von konvertiblen Noten steht, ganz abgesehen von dem verborgenen Betrag an nicht konvertiblem Papiergeld, das vom Staatlichen Schatzamt ausgegeben wird. Aber vielleicht kann man dennoch mit Recht von einem "verborgenen" Schatz sprechen, weil ihn noch niemand gesehen hat, außer den wenigen Petersburger Kaufleuten, die die Regierung des Zaren alljährlich zur Inspektion der Säcke auserwählt, in denen er verborgen ist.
Das Hauptmanöver Rußlands in besagter Richtung ist jedoch ein im "Journal des Débats" veröffentlichter Artikel, der von dem alten orleanistischen Weisen Herrn Saint-Marc Girardin gezeichnet ist. Ich zitiere:
"Für Europa existieren unseres Erachtens zwei große Gefahren: Rußland, das seine Unabhängigkeit, und die Revolution, die seine soziale Ordnung bedroht. Der einen Gefahr kann es nur entrinnen, indem es sich ganz der anderen aussetzt. Wenn Europa glaubt, daß der Schlüssel zu seiner Unabhängigkeit und insbesondere zur Unabhängigkeit des europäischen Kontinents in Konstantinopel ist und daß diese Frage dort kühn entschieden werden muß, dann bedeutet das Krieg gegen Rußland. In diesem Krieg würden Frankreich und England für die Sicherung der Unabhängigkeit Europas kämpfen. Was wurde Deutschland tun? Wir wissen es nicht. Was wir aber wissen, ist, daß bei der jetzigen Lage in Europa ein Krieg soziale Revolution bedeuten würde."
Selbstverständlich entscheidet sich Herr Saint-Marc Girardin zugunsten des Friedens um jeden Preis und gegen die soziale Revolution. Er vergißt dabei jedoch, daß der Kaiser von Rußland mindestens denselben "horreur" <"Schrecken"> vor der Revolution empfindet wie er und sein Verleger, Herr Bertin.
<120> Trotz all dieser Einschläferungsmittel, die die russische Diplomatie der englischen Presse und dem englischen Volke einflößt, sah sich der "alte, halsstarrige" Aberdeen gezwungen, Admiral Dundas Order zu geben, sich mit der französischen Flotte an der türkischen Küste zu vereinigen. Und sogar die "Times", die in den letzten paar Monaten es nur noch verstand, russisch zu schreiben, scheint eine mehr englische Inspiration empfangen zu haben. Sie nimmt den Mund jetzt recht voll.
Die dänische (früher schleswig-holsteinische) Frage beginnt lebhaftes Interesse in England zu erregen, seit nun endlich auch die englische Presse entdeckt hat, daß dieser Frage dasselbe Prinzip der Expansion Rußlands zugrunde liegt, das auch der Ausgangspunkt für die Komplikationen im Orient ist. Herr Urquhart, Mitglied des Parlaments und allbekannter Bewunderer der Türkei und der orientalischen Institutionen, hat eine Flugschrift über die dänische Erbfolge herausgegeben, mit der ich mich in einem meiner nächsten Artikel beschäftigen will. Das Hauptargument in dieser Schrift besteht in dem Hinweis darauf, daß der Sund für Rußland im Norden dieselbe Rolle spielen soll wie im Süden die Dardanellen, d.h., daß Rußland sich seine Vorherrschaft zur See im Baltischen Meer durch den Sund auf die gleiche Weise sichern will, wie es sich seine Vorherrschaft im Pontus Euxinus <Schwarzes Meer> durch die Okkupation der Dardanellen sichern möchte.
Vor kurzem teilte ich Ihnen meine Meinung mit, daß der Zinsfuß in England ansteigen würde und daß dieser Umstand eine ungünstige Wirkung auf Herrn Gladstones Finanzpläne haben würde. Nun hat die Bank von England die minimalste Diskontorate in der vergangenen Woche tatsächlich von 3% auf 31/2% erhöht, und das von mir vorausgesagte Mißlingen des Gladstoneschen Konvertierungsplans ist bereits zur vollendeten Tatsache geworden, wie Sie aus folgendem Bankausweis ersehen können:
Bank von England |
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Donnerstag, 2. Juni 1853 |
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Wert, der bis zum heutigen Tage akzeptierten neuen Wertpapiere: |
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Pfd.St. |
sh. |
d. |
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31/2prozentige Wertpapiere |
138.082 |
0 |
3 |
21/2prozentige Wertpapiere |
1.537.100 |
10 |
10 |
Schatzkammerbonds |
4.200 |
0 |
0 |
Insgesamt |
1.679.382 |
11 |
1 |
Südseekompanie |
||||||
Donnerstag, 2. Juni 1853 |
||||||
Wert der konvertierten Annuitäten bis zum heutigen Tage: |
||||||
Pfd.St. |
sh. |
d. |
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31/2prozentige Annuitäten |
67.504 |
12 |
8 |
|||
21/2prozentige Annuitäten |
986.528 |
5 |
7 |
|||
Schatzkammerbonds |
5.270 |
18 |
4 |
|||
Insgesamt |
1.059.303 |
16 |
7 |
Demgemäß sind von der Gesamtsumme der zur Konvertierung angebotenen Südsee-Annuitäten nur ein Achtel und von den von Herrn Gladstone geschaffenen zwanzig Millionen neuer Wertpapiere nur ein Zwölftel akzeptiert worden. Herr Gladstone wird daher gezwungen sein, eine Anleihe aufzunehmen, zu einer Zeit, da der Zinsfuß gestiegen ist und sehr wahrscheinlich weiterhin ansteigen wird, eine Anleihe, die eine Höhe von 8.157.811 Pfd.St. betragen dürfte. Fiasko! Auf die Einsparung von 100.000 Pfd.St., welche man sich von dieser Konversion versprochen und die man bereits dem Budget kreditiert hatte, muß demzufolge verzichtet werden. Unter Berücksichtigung des großen Umfangs der Staatsschuld, nämlich 3%ige Papiere in Höhe von 500.000.000 Pfd.St., hat Herr Gladstone als einziges Resultat seines finanziellen Experiments erreicht, daß am 10. Oktober 1853 ein weiteres Jahr verstrichen sein wird, in dem er nicht in der Lage war, eine Konversion bekanntzugeben. Aber das Schlimmste ist, daß 116.000 Pfd.St. in wenigen Tagen an die Inhaber von Schatzkammerscheinen bar ausgezahlt werden müssen, die es ablehnen, sie unter den von Herrn Gladstone angebotenen Bedingungen zu erneuern. Das ist der finanzielle Erfolg der Regierung "aller Talente".
Lord John Russell drückte sich in der Debatte über die Kircheneinkünfte Irlands (Unterhaus, 31. Mai) folgendermaßen aus:
"Es ist in den vergangenen Jahren offenkundig geworden, daß die römisch-katholische Geistlichkeit - wenn wir sehen, wie sie sich in England benimmt, wenn wir jene Kirche nach den Taten beurteilen, die sie auf Weisung ihres Führers begeht, der, selbst ein ausländischer Souverän, nach politischer Macht strebte (Hört, Hort!), was mir nicht vereinbar scheint mit der schuldigen Ergebenheit gegenüber der englischen Krone (Hört, Hört!), mit der schuldigen Ergebenheit gegenüber der allgemeinen Sache der Freiheit, mit der schuldigen Ergebenheit gegenüber den Pflichten, die jeder Bürger des Staates diesem gegenüber hat. Wahrhaftig, da ich mit ebensolcher Offenheit zu sprechen wünsche wie der ehrenwerte Gentleman, der vor mir sprach, so möchte ich von diesem Hause nicht mißverstanden werden. Ich bin weit davon entfernt zu leugnen, daß es in diesem Hause und darüber hinaus sowohl in unserem Lande als auch in Irland <122> viele Mitglieder des römisch-katholischen Glaubens gibt, die dem Thron und den Freiheiten unseres Landes ergeben sind; aber was ich sage und davon bin ich überzeugt, besteht darin: würde der römisch-katholischen Geistlichkeit größere Macht gegeben und würden sie als Kirchenmänner größere Kontrolle und größeren politischen Einfluß ausüben als heute, dann würden sie diese Macht nicht in Übereinstimmung mit der allgemeinen Freiheit, die in unserem Lande herrscht, ausüben (Hurra!), und daß sie weder in Fragen der politischen Macht noch in andern Dingen zugunsten jener allgemeinen Freiheit der Diskussion und jener Aktivität und Energie des menschlichen Geistes handeln wurden, die den wahren Geist der Verfassung unseres Landes ausmachen. (Tusch!) Ich glaube nicht, daß die Katholiken in dieser Hinsicht den Presbyterianern Schottlands (Dudelsackpfeifen!), den Wesleyanern Englands und der anglikanischen Kirche gleichgestellt werden können. (Begeisterte Zustimmung im ganzen Saal.) ... Ich bin also gezwungen, zu der Schlußfolgerung zu kommen, höchst widerwillig, aber ganz entschieden zu der Schlußfolgerung zukommen, daß die staatlichen Zuwendungen an die römisch-katholische Religion in Irland an Stelle der staatlichen Zuwendungen an die protestantische Kirche in jenem Lande nicht ein Objekt sind, welches das Parlament Englands annehmen oder sanktionieren sollte."
Zwei Tage nach dieser Rede Lord Johns, in welcher er zum sechstausendsten Male versuchte, seine Liebe zur "allgemeinen Freiheit" durch eifrige Kniebeugen vor einigen bigotten protestantischen Sekten zur Schau zu stellen, reichten die Herren Sadleir, Keogh und Monsell in einem von Herrn Monsell an Mylord Aberdeen gerichteten Schreiben dem Koalitionsministerium ihren Rücktritt ein. In seiner Antwort vom 3. Juni versichert Mylord Aberdeen diesen Gentlemen:
"Die Gründe, die von Lord John Russell angeführt werden, und die Sentiments, über die Sie sich beklagen, werden weder von mir noch von vielen meiner Kollegen geteilt ... Lord John Russell legt Wert darauf, durch mich sagen zu lassen, daß er nicht die Katholiken des Mangels an Loyalität beschuldigen wollte."
Danach zogen die Herren Sadleir, Keogh und Monsell ihren Rücktritt zurück, und die Arrangements für eine allgemeine Versöhnung verliefen gestern abend im Parlament "zur größten Befriedigung von Lord John Russell".
Die letzte Indienbill von 1783 erwies sich als verhängnisvoll für das Koalitionskabinett der Herren Fox und Lord North. Die neue Indienbill von 1853 wird sich höchstwahrscheinlich ebenso verhängnisvoll für das Koalitionskabinett der Herren Gladstone und Lord John Russell erweisen. Wenn jedoch die ersteren ausgebootet wurden, weil sie versuchten, das Direktorium und den Aufsichtsrat abzuschaffen, so werden letztere von einem ähnlichen Geschick bedroht, jedoch aus völlig entgegengesetzten Gründen. Am 3. Juni stellte Sir Charles Wood den Antrag, ihm zu gestatten, einen Gesetzentwurf <123> über die Regierung Indiens einzubringen. Sir Charles begann damit, daß er die außerordentliche Länge der Rede, die er zu halten beabsichtige, mit dem "Umfang des Themas" und mit den "150 Millionen Seelen, mit denen er sich dabei beschäftigen müsse", entschuldigte. Sir Charles fühlte sich verpflichtet, für je 30 Millionen seiner "Mitbürger" nicht weniger als eine Stunde Stimmaufwand zu opfern. Aber warum diese übereilte Gesetzgebung für ein solch "großes Thema", während sogar Maßnahmen für die "unbedeutendste Sache" aufgeschoben werden? Weil die Charte der Ostindischen Kompanie am 30. April 1854 abläuft. Aber warum nicht eine zeitweilige Verlängerung der Charte beschließen und eine beständigere Gesetzgebung späterer Diskussion überlassen? Weil nicht zu erwarten ist, daß wir je wieder eine "solch günstige Gelegenheit finden werden, um in Ruhe diese umfangreiche und wichtige Frage zu behandeln" - d.h. sie parlamentarisch abzuwürgen. Außerdem - wir sind über diese Angelegenheit völlig informiert - sind die Direktoren der Ostindischen Kompanie der Meinung, daß es notwendig sei, während der gegenwärtigen Parlamentssession das Gesetz zu beschließen, und der Generalgouverneur von Indien, Lord Dalhousie, forderte die Regierung in einem Eilbrief auf, das Gesetz auf jeden Fall unverzüglich zu verabschieden. Doch das schlagendste Argument, mit dem Sir Charles seine Eile bei der Verabschiedung des Gesetzentwurfs rechtfertigt, ist die Tatsache, daß, obwohl er darauf vorbereitet zu sein scheint, über einen Wust von Fragen zu sprechen,
"die nicht in dem Gesetzentwurf enthalten sind, den er einzubringen vorschlägt", "die Maßnahme, welche er zu unterbreiten hat, soweit sie die Gesetzgebung betrifft, auf einen sehr geringen Umfang beschränkt ist".
Nach dieser Einleitung trug Sir Charles seine Verteidigung der Verwaltung Indiens in den letzten 20 Jahren vor. "Wir müssen Indien gewissermaßen mit indischen Augen betrachten!" Dabei scheinen diese indischen Augen die besondere Gabe zu haben, alles, was England betrifft, in den leuchtendsten und alles, was Indien betrifft, in den schwärzesten Farben zu sehen.
"In Indien haben Sie einen Menschenschlag, der traditionsgebunden, tief verstrickt in religiösen Vorurteilen und überlebten Bräuchen ist. Dort sind in der Tat alle Hindernisse für einen schnellen Fortschritt vorhanden." (Vielleicht gibt es in Indien eine Wigh-Koalitionspartei.)
Sir Charles Wood erklärt:
"Die Punkte, auf die größtes Gewicht gelegt worden ist und die an der Spitze der Beschwerden in den Petitionen an den Ausschuß stehen, beziehen sich auf die Rechtspflege, den Mangel an öffentlichen Arbeiten und die Bodenbesitzverhältnisse."
<124> Was die öffentlichen Arbeiten betrifft, so beabsichtige die Regierung, einige von "größtem Ausmaße und höchster Bedeutung" auszuführen. Was den Bodenbesitz betrifft, so beweist Sir Charles höchst erfolgreich, daß seine drei bestehenden Formen - das Samindari-, das Raiatwari- und das Dorfsystem nur ebensoviele Formen der fiskalischen Ausbeutung seitens der Kompanie sind, von denen nicht eine zur allgemeingültigen gemacht werden könnte oder dürfte. Der Gedanke, eine andere Form mit einem völlig entgegengesetzten Charakter einzuführen, beschäftigt Sir Charles nicht im entferntesten.
"Was die Rechtspflege betrifft", fährt er fort, "so beziehen sich die Beschwerden hauptsächlich auf die Unbequemlichkeiten, die aus Verfahrensfragen des englischen Rechts erwachsen, auf die angebliche Inkompetenz der englischen Richter und auf die Korruption der eingeborenen Beamten und Richter."
Um nun zu beweisen, welche beschwerliche Arbeit mit der Einrichtung einer Rechtspflege in Indien verbunden ist, berichtet Sir Charles, daß schon 1833 ein Rechtsausschuß in Indien ernannt worden sei. Aber wie verfuhr dieser Ausschuß nach dem Zeugnis Sir Charles Woods? Das erste und einzige Ergebnis der Bemühungen dieses Ausschusses war ein Strafgesetzbuch; ausgearbeitet unter den Auspizien des Herrn Macaulay. Dieses Gesetzbuch wurde den verschiedenen indischen Lokalbehörden zugesandt, die es nach Kalkutta zurückschickten, von wo es nach England befördert wurde, um von England zurück nach Indien geschickt zu werden. In Indien war inzwischen Herr Macaulay von Herrn Bethune als Rechtssachverständiger abgelöst und das Gesetzbuch von Grund auf umgeändert worden. Auf Grund dieser Tatsache sandte der Generalgouverneur <Dalhousie>, der damals noch nicht der Meinung war, "daß Aufschub eine Quelle von Schwäche und Gefahr ist", es zurück nach England, und von England wurde es zurück an den Generalgouverneur geleitet, mit der Ermächtigung, das Gesetzbuch in der Form in Kraft zu setzen, die er selbst für richtig halte. Doch da Herr Bethune gestorben ist, hielt es der Generalgouverneur für das beste, das Gesetzbuch einem dritten englischen Juristen vorzulegen, und zwar einem Juristen, der nichts von den Sitten und Gebräuchen der Hindus wußte, wobei sich der Generalgouverneur das Recht vorbehielt, später ein Gesetzbuch abzulehnen, das von einem völlig inkompetenten Beamten ausgeheckt wurde. Das waren die Abenteuer des Gesetzbuches, das bis auf den heutigen Tag noch nicht das Licht der Welt erblickt hat. Hinsichtlich der formalen Absurditäten der <125> Rechtsprechung in Indien beruft sich Sir Charles auf die nicht weniger absurden Formalitäten der englischen Rechtsprozedur. Während er einerseits auf die völlige Unbestechlichkeit der englischen Richter in Indien schwört, ist er andererseits bereit, sie, durch eine Änderung des Verfahrens ihrer Ernennung, zu opfern. Den allgemeinen Fortschritt Indiens veranschaulicht Sir Charles durch einen Vergleich der heutigen Verhältnisse in Delhi mit den Verhältnissen in Delhi zur Zeit des Einfalls von Khuli-Khan. Um die Einführung der Salzsteuer zu rechtfertigen, benutzt er die Argumente der bekanntesten Ökonomen, die alle geraten haben, einige der wichtigsten Lebensmittel mit Steuern zu belegen. Sir Charles fügt jedoch nicht hinzu, was dieselben Ökonomen sagen würden, wenn sie erfahren hätten, daß in zwei Jahren, von 1849 bis 1850 und 1851 bis 1852, der Salzverbrauch um 60.000 Tonnen zurückgegangen ist und daß das bei einer Gesamteinnahme aus der Salzsteuer von 2 Millionen Pfd.St. einen Rückgang der Einnahmen von 415.000 Pfd.St. zur Folge hatte.
Die von Sir Charles vorgeschlagenen und "auf einen sehr geringen Umfang beschränkten" Maßnahmen sind:
1. Das Direktorium soll aus achtzehn statt vierundzwanzig Mitgliedern bestehen; davon sind zwölf von den Aktienbesitzern und sechs von der Krone zu wählen.
2. Das Einkommen der Direktoren soll von 300 auf 500 Pfd.St. jährlich, das des Vorsitzenden auf 1.000 Pfd.St. erhöht werden.
3. Alle unteren Beamtenstellen im Zivildienst und alle wissenschaftlichen Stellen im Militärdienst in Indien sollen der öffentlichen Bewerbung zugänglich gemacht werden, wobei die Ernennungen für die Kadettenstellen in der Linienkavallerie den Direktoren vorbehalten bleiben.
4. Der Posten des Generalgouverneurs soll von dem des Gouverneurs von Bengalen getrennt und die oberste Regierung ermächtigt werden, eine neue Präsidentschaft in den Bezirken am Indus zu bilden.
5. Schließlich sollen alle aufgeführten Maßnahmen nur solange Gültigkeit haben, bis das Parlament eine andere Entscheidung getroffen hat.
Die Rede und die vorgeschlagenen Maßnahmen des Sir Charles Wood waren Gegenstand einer sehr scharfen und sarkastischen Kritik seitens Herrn Brights; seine Darstellung des durch den Steuerdruck der Kompanie und der Regierung ruinierten Indiens enthielt natürlich keinen Nachtrag über das durch die Manchesterleute und den Freihandel ruinierte Indien. Was die gestern Abend gehaltene Rede des alten Ostindienmannes, Sir J. Hogg, anbetrifft, eines Direktors oder Exdirektors der Kompanie, so hege ich den Verdacht, daß ich ihr bereits in den Jahren 1701, 1730, 1743, 1769, <126> 1772, 1781, 1783, 1784, 1793, 1813 u.a. begegnet hin. Als Antwort auf seine Lobpreisung der Direktoren möchte ich nur einige wenige Tatsachen aus den Indischen Jahresausweisen zitieren, die, wie ich annehme, unter seiner Oberaufsicht veröffentlicht worden sind:
Gesamtnettoeinnahmen Indiens: |
||
1849/50 .......... 20.275.831 Pfd.St. |
} |
Rückgang der Einnahmen innerhalb von 3 Jahren 348.792 Pfd.St. |
Gesamtausgaben: |
||
1849/50 .......... 16.687.382 Pfd.St. |
} |
Erhöhung der Ausgaben innerhalb von 3 Jahren um 1.214.284 Pfd.St. |
Bodensteuer: |
|
In den letzten 4 Jahren schwankte die Summe |
|
in Bengalen |
zwischen 3.500.000 Pfd.St. und 3.560.000 Pfd.St. |
im Nordwesten |
zwischen 4.870.000 Pfd.St. und 4.900.000 Pfd.St. |
in Madras |
zwischen 3.640.000 Pfd.St. und 3.470.000 Pfd.St. |
in Bombay |
zwischen 2.240.000 Pfd.St. und 2.300.000 Pfd.St. |
Bruttoeinnahmen |
Ausgaben für öffentliche Arbeiten |
|
1851/52 |
1851/52 |
|
Bengalen |
10.000.000 Pfd.St. |
87.800 Pfd.St. |
Madras |
5.000.000 Pfd.St. |
20.000 Pfd.St. |
Bombay |
4.800.000 Pfd.St. |
58.500 Pfd.St. |
Insgesamt |
19.800.000 Pfd.St. |
166.300 Pfd.St. |
Von der Gesamtsumme von 19.800.000 Pfd.St. sind also für den Bau von Straßen, Kanälen, Brücken und für andere notwendige öffentliche Arbeiten nur 166.300 Pfd.St. ausgegeben worden.
Karl Marx