Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 9, S. 39-42
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1960

Karl Marx

Hirschs Selbstbekenntnisse


["Belletristisches Journal und New-Yorker Criminal-Zeitung" vom 5. Mai 1853]

<39> Hirschs "Selbstbekenntnisse" haben, wie mir scheint, nur so weit Wert, als sie durch andre Tatsachen bestätigt werden. Schon weil sie sich wechselseitig widersprechen. Von seiner Mission nach Köln zurückgekehrt, erklärte er in einer öffentlichen Arbeiterversammlung, Willich sei sein Komplice. Es wurde natürlich verschmäht, dies angebliche Bekenntnis zu protokollieren. Verschiedene Personen, ich weiß nicht, ob mit oder ohne Auftrag Hirschs, zeigten mir darauf an, Hirsch sei erbötig, mir ein volles Geständnis abzulegen. Ich lehnte es ab. Später erfuhr ich, er lebe im äußersten Elend. Ich zweifle daher nicht, daß seine "allerletzten" Bekenntnisse im Interesse der Partei geschrieben sind, die ihn augenblicklich zahlt. Sonderbar, daß es Leute gibt, die es nötig finden, sich unter den Schutz eines Hirschs zu flüchten.

Ich beschränke mich einstweilen auf einige Randglossen. Wir hatten mehr Selbstbekenntnisse von Spionen, von Vidocq, Chenu, de la Hodde usw. In einem Punkt stimmen sie überein. Sie alle sind keine ordinären Spione, sondern Spione im höheren Sinn, lauter Fortsetzungen des "Cooperschen Spions". Ihre Selbstbekenntnisse sind notwendig ebensoviel Selbstapologien.

So sucht auch Hirsch z.B. anzudeuten, nicht er, Hirsch, sondern Oberst Bangya habe den Tag der Zusammenkunft meiner Parteigenossen dem Greif denunziert und durch Greif dem Fleury. Unsere Zusammenkünfte fanden an einem Donnerstag statt, in den paar Sitzungen, denen Hirsch beiwohnte, aber an einem Mittwoch, seit Hirsch aus ihnen ausgestoßen war. Die falschen Sitzungsprotokolle, vor wie nach Hirschs Beiwohnen, sind von <40> einem Donnerstag datiert. Wer außer Hirsch konnte dies "Mißverständnis" begehen!

In einem anderen Punkt ist Hirsch glücklicher. Bangya soll wiederholt Daten in bezug auf meinen Briefwechsel mit Deutschland angegeben haben. Da alle hierauf bezüglichen und in den Kölner Gerichtsakten befindlichen Data falsch sind, so ist allerdings nicht zu entscheiden, wer sie gedichtet hat. Nun zu Bangya.

Spion oder nicht Spion, Bangya konnte mir und meinen Parteigenossen nie gefährlich werden, da ich nie über meine Parteiangelegenheiten mit ihm sprach, und Bangya selbst - wie er mir in einer seiner Rechtfertigungsschriften ins Gedächtnis ruft - es durchaus vermied, die Sprache auf diese Angelegenheiten zu bringen. Also Spion oder nicht Spion. Er konnte nichts verraten, weil er nichts wußte. Die Kölner Akten haben dies bestätigt. Sie haben bestätigt, daß die preußische Polizei, außer den in Deutschland selbst gemachten Zugeständnissen und den in Deutschland selbst saisierten Dokumenten, nichts von der Partei wußte, der ich angehöre, und sich daher genötigt sah, die albernsten Ammenmärchen aufzutischen.

Aber Bangya hat eine Broschüre von Marx "über die Emigranten" der Polizei verkauft?

Bangya erfuhr von mir, in Gegenwart anderer Personen, daß Ernst Dronke, Friedrich Engels und ich eine Publikation über die Londoner deutsche Emigration beabsichtigten, die in mehreren Heften fortlaufen sollte. Er versicherte, einen Buchhändler in Berlin verschaffen zu können. Ich forderte ihn auf, sich sofort umzusehen. Acht bis zehn Tage später zeigte er an, ein Buchhändler, namens Eisermann, in Berlin, sei erbötig, den Verlag des ersten Hefts zu übernehmen, mit dem Vorbehalt, daß die Verfasser anonym blieben, da er sonst Konfiskation befürchten müsse. Ich ging darauf ein, stellte aber meinerseits die Bedingung, daß das Honorar sofort bei Einhändigung des Manuskripts gezahlt werde, da ich die bei der "Revue der N[euen] Rh[einischen] Zeitung" gemachten Erfahrungen nicht wiederholen wolle, und daß das Manuskript nach Ablieferung gedruckt werde. Ich reiste zu Engels nach Manchester, wo die Broschüre ausgearbeitet wurde. In der Zwischenzeit brachte Bangya meiner Frau einen Brief von Berlin, worin Eisermann meine Bedingungen annahm mit dem Bemerken, der Verlag des zweiten Hefts würde von dem Vertrieb des ersten abhängen. Bei meiner Rückkehr erhielt Bangya das Manuskript und ich das Honorar.

Aber der Druck verzögerte sich unter verschiedenen plausiblen Vorwänden. Ich schöpfte Verdacht. Nicht, daß das Manuskript der Polizei eingehändigt sei, damit sie es drucke. Ich bin heute bereit, meine Manuskripte <41> dein Kaiser von Rußland auszuliefern, wenn er seinerseits bereit ist, sie morgen zu drucken. Umgekehrt. Was ich fürchtete, war Unterschlagung des Manuskripts.

Die Tagesschreier waren hier angegriffen, natürlich nicht als staatsgefährliche Revolutionäre, sondern als konterrevolutionäre Strohwische.

Mein Verdacht bestätigte sich. Georg Weerth, den ich gebeten hatte, in Berlin Forschungen über Eisermann anzustellen, schrieb, daß kein Eisermann aufzutreiben sei. Ich begab mich mit Dronke zu Bangya. Eisermann war nunmehr bloßer Geschäftsführer bei Jacob Collmann. Da es mir darum zu tun war, Bangyas Aussagen schriftlich zu haben, bestand ich darauf, daß er in meiner Gegenwart in einem Brief an Engels in Manchester seine Aussage wiederholte und Collmanns Adresse angebe. Ich richtete zugleich einige Zeilen an Bruno Bauer mit der Bitte, sich zu erkundigen, wer in dem mir von Bangya angegebenen Hause Collmanns wohne, erhielt aber keine Antwort. Der angebliche Buchhändler antwortete auf meine Mahnbriefe, ich habe keinen bestimmten Termin des Drucks kontraktlich abgemacht. Er müsse am besten wissen, wann der geeignete Augenblick gekommen sei. In einem spätem Briefe spielte er den Verletzten. Schließlich erklärte mir Bangya, der Buchhändler weigere sich, das Manuskript zu drucken und werde es zurückschicken. Er selbst verschwand nach Paris.

Die Berliner Briefe und Bangyas Briefe, die die ganzen Verhandlungen enthalten, nebst Rechtfertigungsversuchen Bangyas befinden sich in meiner Hand.

Aber warum machten mich die Verdächtigungen nicht irre, die die Emigration gegen Bangya ausgestreut hatte? Eben weil ich die "Vorgeschichte" dieser Verdächtigungen kannte. Ich lasse diese Vorgeschichte für jetzt im gebührenden Dunkel.

Weil ich wußte daß Bangys als Revolutionsoffizier im ungarischen Kriege Rühmliches geleistet hat. Weil er mit Szemere, den ich achte, in Korrespondenz und mit General Perczel in freundschaftlicher Beziehung stand. Weil ich mit eigenen Augen ein Diplom sah, worin Kossuth ihn zu seinem Polizeipräsidenten in partibus ernennt, gegengezeichnet vom Grafen Szirmay, dem Vertrauten Kossuths, der dasselbe Haus mit Bangya bewohnte. Diese seine Stellung bei Kossuth erklärte auch seinen notwendigen Umgang mit Polizisten. Wenn ich nicht irre, ist Bangya noch in diesem Moment Kossuths Agent in Paris.

Die ungarischen Führer mußten ihren Mann kennen. Was riskierte ich im Vergleich mit ihnen? Nichts als die Unterschlagung meiner Kopie, von der ich das Original in der Hand behielt.

<42> Später frug ich bei Buchhändler Lizius in Frankfurt a.M. und anderen Buchhändlern in Deutschland an, ob sie das Manuskript drucken wollten. Sie erklärten es unter den gegenwärtigen Verhältnissen für unmöglich. Jetzt hat sich in der letzten Zeit eine Aussicht eröffnet, es in einem nichtdeutschen Lande gedruckt zu erhalten.

Nach diesen Aufschlüssen, die ich natürlich nicht Herrn Hirsch gebe, sondern meinen Landsleuten in Amerika, bleibt nicht "die offene Frage": Welches Interesse hatte die pr[eußische] Polizei, ein Pamphlet gegen Kinkel, Willich und die übrigen "Großen Männer des Exils" zu unterschlagen?

Löse mir, o Oerindur,
Diesen Zwiespalt der Natur!

Karl Marx

London, 9. April 1853.