Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 8, 3. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1960, Berlin/DDR. S. 548-554

Karl Marx

[Kossuth und Mazzini -
Die preußische Polizei -
Der Handelsvertrag zwischen Österreich und Preußen -
Die "Times" und die Emigration]

Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 3733 vom 4. April 1853]

<548> London, Freitag, 18. März 1853

Heute wird sich das Parlament bis zum 4. April für die Osterferien vertagen.

Ich habe in einem früheren Brief berichtet, daß - einem allgemein als glaubwürdig anerkannten Gerücht zufolge - Libényis Frau in Pest von den Österreichern ausgepeitscht wurde. Ich habe mich seither vergewissert, daß er niemals verheiratet war und daß die in der Londoner Presse zirkulierende Geschichte, er habe versucht, seinen von den Österreichern mißhandelten Vater zu rächen, ebenfalls völlig erfunden ist. Er handelte ausschließlich unter dem Einfluß politischer Motive und bewahrte bis zur letzten Stunde eine feste und heroische Haltung.

Aus englischen Blättern werden Sie bereits die Antwort Kossuths auf Mazzinis Erklärung erfahren haben. Ich meinerseits bin der Ansicht, daß Kossuth eine schlechte Sache nur noch verschlimmert hat. Die Widersprüche in seiner ersten und in seiner letzten Erklärung sind so greifbar, daß ich sie heute nicht nachdrücklich hervorzuheben brauche. Außerdem ist die Sprache der beiden Dokumente von abstoßender Ungleichartigkeit: das erste ist in den orientalischen Hyperbeln des Propheten, das letztere im kasuistischen Stil des Plädoyers eines Advokaten abgefaßt.

Mazzinis Freunde versichern jetzt wie aus einem Munde, daß der Mailänder Aufstand ihm und seinen Mitgenossen durch Verhältnisse aufgezwungen wurde, deren Kontrolle außerhalb seiner Macht gewesen sei. Es gehört jedoch einerseits zu dem Wesen jeder Verschwörung, daß sie entweder durch Verrat oder durch Zufall zu einem überstürzten Ausbruch kommen kann. Andererseits darf man, wenn man drei Jahre lang nur nach Aktion, Aktion, Aktion! gerufen und das ganze revolutionäre Vokabularium <549> sich in dem einen Worte "Aufstand" erschöpft hat, nicht mit einem solchen Maß von Autorität rechnen, um in einem gegebenen Moment dekretieren zu können: der Aufstand findet nicht statt. Wie dem auch sei, die österreichische Brutalität hat aus dem Mailänder Fehlschlag den wirklichen Anfang einer nationalen Revolution gemacht. Hören wir zum Beispiel das gut informierte Organ Lord Palmerstons, die "Morning Post", von heute:

"Das Volk von Neapel wartet auf eine Bewegung, die bestimmt im österreichischen Kaiserreich zustande kommen wird. Dann wird ganz Italien, vom äußersten Piemont bis Sizilien, sich erheben, und bedauerliches Unheil wird daraus entstehen. Die italienischen Truppen werden sich auflösen; die sogenannten Schweizer Soldaten, die noch aus der Revolution von 1848 rekrutiert sind, werden die italienischen Herrscher nicht retten. Italien geht einer unmöglichen Republik entgegen. Das wird sicherlich der nächste Akt des Dramas sein, das 1848 begann. Die Diplomatie kann die Fürsten Italiens nicht mehr retten."

Aurelio Saffi, der Mazzinis Proklamation gegenzeichnete und der vor dem Ausbruch eine Tour durch Italien machte, gesteht in einem Brief an die "Daily News", "die oberen Klassen seien in apathischer Gleichgültigkeit oder in Verzweiflung versunken", und es sei das "Volk von Mailand", die Proletarier, die,

"ohne Führung ihren eigenen Instinkten überlassen, ihren Glauben an das Geschick ihres Vaterlands aufrechthielten trotz des Despotismus österreichischer Prokonsuln und der Justizmorde der Militärkommissionen und die sich einmütig zur Rache vorbereiteten."

Die Partei Mazzinis ist ein gutes Stück weitergekommen, indem sie endlich zur Überzeugung gelangt ist, selbst bei nationalen Erhebungen gegen fremden Despotismus gäbe es solch ein Ding wie Klassenunterschiede, und es seien nicht die oberen Klassen, von denen man in unserer Zeit revolutionäre Bewegungen erwarten dürfe. Vielleicht werden sie noch einen Schritt weitergehen und zur Einsicht gelangen, daß sie sich ernstlich mit der materiellen Lege des italienischen Landvolkes beschäftigen müssen, wenn sie ein Echo auf ihren Ruf "Dio e popolo" <"Für Gott und Volk"> erwecken wollen. Ich beabsichtige, später einmal die materiellen Verhältnisse ausführlich darzulegen, in denen der bei weitem größere Teil der ländlichen Bewohner Italiens sich befindet und durch die sie bis jetzt, wenn auch nicht reaktionär, doch zumindest gleichgültig gegen den nationalen Kampf ihres Landes gemacht worden sind.

<550> Zweitausend Exemplare einer Flugschrift, die ich vor einiger Zeit in Basel unter dem Titel "Enthüllungen über den Kölner Kommunisten-Prozeß" veröffentlichte, sind an der badischen Grenze beschlagnahmt und auf Verlangen der preußischen Regierung verbrannt worden. Gemäß dem neuen Pressegesetz, das die Kontinentalmächte dem Schweizer Bund auferlegt haben, werden der Verleger, Herr Schabelitz, sein Sohn <Jakob Schabelitz> und der Drucker von der badischen Regierung verfolgt, die auch schon eine Anzahl noch im Besitz des Verlegers vorgefundener Exemplare konfisziert hat. Dies wird der erste derartige Prozeß in der Schweiz sein, und die Sache ist auch schon zu einer Streitfrage zwischen den Radikalen und der konservativen Partei geworden. Wie ängstlich die preußische Regierung bemüht ist, ihre Infamien während des Kölner Prozesses vor der Öffentlichkeit zu verheimlichen, können Sie aus der Tatsache entnehmen, daß der Minister für Auswärtige Angelegenheiten Fahndebriefe <in der "N.-Y.D.T." deutsch> erlassen hat, wonach die Flugschrift überall zu konfiszieren ist, daß er es aber noch nicht einmal wagt, sie bei ihrem Titel zu nennen. Um das Publikum irrezuführen, gibt er ihr den Namen "Eine kommunistische Theorie", während sie nichts enthält als Enthüllungen über preußische Staatsschliche.

Der einzige "Fortschritt" des offiziellen Deutschlands seit 1848 ist der Abschluß des österreichisch-preußischen Handelsvertrags et encore! <und damit ist's auch nicht weit her!> Der Vertrag ist von so vielen clausulae <Klauseln> eingehegt, hinter so vielen Ausnahmebestimmungen verschanzt und überläßt so viele Hauptfragen der späteren Bearbeitung durch noch ungeborene Kommissionen, während er die Tarife faktisch sowenig senkt, daß er bloß dem Traumbild einer wirklichen Handelsvereinigung Deutschlands gleichkommt und, praktisch gesprochen, ganz unbedeutend ist. Der hervorstechendste Zug in dem Vertrag ist der Sieg, den Österreich wieder über Preußen errungen hat. Diese perfide, diese niedrige, diese feige, diese schwankende Scheinmacht hat sich wieder einmal ihrer brutaleren, ihre Ziele offener verfolgenden Rivalin unterworfen. Österreich hat nicht nur Preußen einen mit äußerstem Widerwillen angenommenen Vertrag aufgenötigt, sondern Preußen wurde auch zur Erneuerung des alten Zollvereins mit dem alten Tarif gezwungen oder doch zu dem Versprechen, zwölf Jahre lang seine Handelspolitik nicht zu ändern ohne einstimmige Einwilligung der kleineren Zollvereins-Staaten, d h. ohne die Erlaubnis Österreichs (denn die süddeutschen Staaten sind nicht nur politisch, sondern auch kommerziell die Vasallen Österreichs oder die Gegner Preußens). Seit <551> der Restaurierung der Macht von "Gottes Gnaden" ist Preußen von Erniedrigung zu Erniedrigung gesunken. Ihr König, "zu seiner Zeit ein weiser Mann", scheint zu denken, sein Volk finde Trost und Entschädigung für den teuflischen Despotismus daheim in der Herabwürdigung, die seine Regierung von außen her erdulden muß.

Die Flüchtlingsfrage ist noch nicht geregelt. Die offiziöse "Oesterreichische Correspondenz" widerspricht der Behauptung, Österreich habe jetzt an die englische Regierung eine neue Note gerichtet, da "kürzlich eingetretene Ereignisse gezeigt hätten, daß Lord Palmerston wieder zu Einfluß gelangt sei und die kaiserliche Regierung sich einer sicheren Verletzung ihrer Würde nicht aussetzen könne". Ich schrieb schon über die Erklärung Palmerstons im Unterhaus. Aus englischen Blättern kennen Sie die austrophile Erklärung Aberdeens im Oberhaus, derzufolge die englische Regierung sich zum Spion und Generalstaatsanwalt Österreichs hergeben wolle. Palmerstons Blatt läßt sich nun über die Bemerkungen von Palmerstons Kollegen folgendermaßen aus:

"Selbst unter den einschränkenden Bedingungen, die Lord Aberdeen machen zu wollen scheint, können wir nicht behaupten, daß wir mit Zuversicht einen Erfolg erwarten ... Wage keiner, einer britischen Regierung vorzuschlagen, sie solle sich zum Werkzeug fremder Politik hergeben und in eine politische Menschenfalle verwandeln."

Sie sehen, welch gutes Einvernehmen im Rate des Methusalem-Ministeriums zwischen "seniler Verblödung und liberaler Energie" herrscht. Die ganze Londoner Presse schrie auf vor Empörung gegen Aberdeen und das Oberhaus, mit einer schmählichen Ausnahme - der "Times".

Sie werden sich erinnern, daß die "Times" damit begann, die Flüchtlinge anzuprangern und die fremden Mächte zu ermuntern, ihre Ausweisung zu verlangen. Als sie sich dann vergewissert hatte, daß die Minister sich bei einer Wiedereinbringung der Alien Bill eine schmachvolle Abfuhr im Unterhaus holen würden, floß sie plötzlich über von schwungvoll abgefaßten Schilderungen der Opfer, die sie - O je! - bereit wäre, der Erhaltung des Asylrechts zu bringen. Endlich, nach der liebenswurdigen Unterhaltung ihrer Lordschaften im Oberhause, machte sie sich zur Entschädigung für ihre frühere hochtrabende Bürgertugend Luft durch folgenden ärgerlichen Ausbruch in ihrem Leitartikel vom 5. März:

"Viele Kabinettsmitglieder sind des Glaubens, daß wir in unserem Lande in einer wahren Menagerie von Flüchtlingen schwelgen, verwegenen Gesellen aus allen Län- <552> dern, die zu jedem Verbrechen fähig sind ... Glauben etwa diese ausländischen Schriftsteller, die auf die Anwesenheit ihrer eigenen geächteten Landsleute hinweisen, das Schicksal eines Verbannten sei in unserem Lande ein beneidenswertes? Wir wollen sie darüber aufklären. Die unseligen Wesen dieser Klasse leben zum größten Teil in schmutziger Armut, essen das Salz der Fremde, sofern sie es bekommen können, und versinken langsam in den trüben Wellen dieser ungeheuren Großstadt ... Ihre Strafe ist das Exil in seiner größten Bitternis und härtesten Form."

Im letzten Punkt hat die "Times" recht: England ist ein reizendes Land, wenn man nicht dort leben muß. Im "Himmel des Mars" begegnet Dante seinem Vorfahren Cacciaguida di Elisei, der ihm seine bevorstehende Verbannung aus Florenz mit den Worten prophezeit:

Tu proverai si come sa di sale
Lo pane altrui, e com'è duro calle
Lo scendere e'l salir per l'altrui scale.

Erfahren wirst du, wie gesalzen schmecket
Das fremde Brot und wie so herb der Pfad ist,
Den man auf fremden Stiegen auf- und absteigt.

Glücklicher Dante, warst du auch eines der "unseligen Wesen jener Klasse politischer Flüchtlinge", so konnten dich deine Feinde doch nicht mit der Misere eines Leitartikels der "Times" bedrohen! Glücklicher noch die "Times", die dadurch einem "reservierten Platz" in seinem "Inferno" entging!

Aber wenn auch die Flüchtlinge das Salz der Fremde essen, wie die "Times" sagt, und gar befremdende Preise dafür zahlen - was die "Times" vergißt -, mästet sich die "Times" selbst nicht geradezu am Fleisch und Blut dieser Fremdlinge? Wie viele Leitartikel und wie viele Pfunde haben ihre anonymen Pythien gemacht aus französischen Revolutionen, deutschen Aufständen, italienischen Unruhen und ungarischen Kriegen, aus französischen "Füsilladen", österreichischen Galgen, aus konfiszierten Köpfen und geköpftem Eigentum! Wie unglücklich wärst du, o "Times", gäbe es keine "verwegenen Gesellen" auf dem Kontinent, müßtest du Tag für Tag auf deine alten Jahre dein Leben fristen von solch grobem Futter wie Smithfield Market <Hauptmarkthalle in London> oder Londons verrußter Luft, von sonstigem Dreck, verwegenen Droschkenkutschern, den sechs Themsebrücken, der Bestattung innerhalb oder außerhalb der Stadtgrenzen, verpesteten Kirchhöfen, schmutzigem Trinkwasser, Eisenbahnunfällen, unbrauchbaren Pint- und Quartflaschen <englische Hohlmaße> <553> und anderen interessanten Dingen, die dein ständiges Inventar bilden, wenn auf dem Kontinent nichts los ist. Die "Times" hat sich nicht geändert seit jenen Tagen, als sie die englische Regierung aufforderte, Napoleon I. zu ermorden.

"Bedenkt man denn auch", schrieb sie am 8. Juli 1815, "welche Wirkung es notwendig auf die Unzufriedenen in allen Teilen Europas haben muß, daß sie wissen, dieser Mensch lebt immer noch? Sie werden denken, und mit Recht denken, daß die verbündeten Souveräne sich fürchten, das Leben eines Mannes anzutasten, der so viele Bewunderer und Anhänger hat."

Sie ist noch genau das Blatt, das den Kreuzzug gegen die Vereinigten Staaten von Amerika predigte:

"Keinen Frieden mit Amerika, ehe nicht mit diesem verderblichen Beispiel einer erfolgreichen demokratischen Rebellion aufgeräumt worden ist."

Im Redaktionsstab der "Times" finden sich keine "verwegenen" kontinentalen Gesellen. Ganz im Gegenteil. Da ist zum Beispiel ein armes Männlein, ein Preuße, namens Otto von Wenckstern, vormals Herausgeber einer kleinen deutschen Zeitung, der später in der Schweiz verarmte und verdreckte und genötigt war, an die Taschen Freiligraths und anderer Flüchtlinge zu appellieren, bis er schließlich in die Dienste des preußischen Gesandten in London, des weitberühmten Bunsen, trat und gleichzeitig seinen festen Platz fand im Stab des Orakels von Printing House Square <Sitz der Redaktion der "Times">. Es gibt noch mehr solche zahme kontinentale Gesellen in der "Times"-Redaktion, die das Bindeglied zwischen der kontinentalen Polizei und dem führenden Presseorgan Englands bilden.

Die Pressefreiheit in England zeigt sich in folgendem Beispiel: Auf dem Polizeirevier von Bow Street in London erschien Mr. E. Truelove, wohnhaft Am Strand, auf Veranlasssung der Beauftragten für innere Steuerangelegenheiten. Die Informationen gegen ihn besagten, er habe eine Zeitung "The Potteries Free Press" verkauft, die, entgegen dem Gesetz aus dem sechsten und siebten Regierungsjahr Wilhelms IV., Kapitel 76, auf nicht ordnungsmäßig gestempeltem Papier gedruckt war. Vier Nummern dieses Blattes waren in Stoke-on-Trent erschienen. Als nomineller Besitzer fungiert Collet Dobson Collet, Sekretär der Gesellschaft zur Abschaffung der Besteuerung des Wissens, die das Blatt herausgab, in "Übereinstimmung mit der Praxis des Stempelamts, das die Veröffentlichung von Berichten über laufende Ereignisse und von Kommentaren dazu ohne Stempelsteuer im 'Athenäum', <554> 'Builder', 'Punch', in der 'Racing Times' usw. gestattet". Sie wollte damit, wie sie offen zugab, eine Belangung seitens der Regierung provozieren, damit ein Geschwornengericht entscheide, welcher Art von Nachrichten das Recht auf Befreiung vom Penny-Stempel zusteht. Der Richter, Mr. Henry, hat sich seine Entscheidung noch vorbehalten. Viel wird übrigens von ihr nicht abhängen, denn die fragliche Zeitung erscheint nicht, um dem Stempelgesetz Trotz zu bieten, sondern nur, um sich eine noch unklare Zweideutigkeit im Wortlaut des Gesetzes nutzbar zu machen.

Die heutigen englischen Blätter bringen eine Depesche vom 6. März aus Konstantinopel, die die Ersetzung Fuad-Effendis, Minister des Äußern, durch Rifaat-Pascha meldet. Es war der russische außerordentliche Gesandte Fürst Menschikow, der der Pforte diese Konzession abpreßte. Bis jetzt ist die Angelegenheit der Heiligen Stätten zwischen Rußland, Frankreich und der Pforte noch nicht beigelegt; L[ouis]-Napoleon, höchlichst gereizt über die Intrigen Rußlands und Österreichs, die seine Krönung durch den Papst hintertrieben, gedenkt, sich auf Kosten der Türken schadlos zu halten. In meinem nächsten Brief will ich auf diese ewig wiederkehrende Orientfrage zurückkommen, auf diese pons asini <Eselsbrücke> der europäischen Diplomatie.

Karl Marx