Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 8, 3. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1960, Berlin/DDR. S. 431-454

III. Das Komplott Cherval | Inhalt | V. Das Begleitschreiben des "Roten Katechismus"

IV

Das Originalprotokollbuch

<431> In der Sitzung vom 23. Oktober bemerkt der Präsident <Göbel>: "Der Polizeirat Stieber habe ihm angezeigt, daß er noch neue wichtige Depositionen zu machen habe", und ruft zu diesem Behuf den genannten Zeugen wieder auf. Stieber springt vor und leitet die mise-en-scène <Inszenierung> ein.

Bisher hatte Stieber die Tätigkeit der Partei Willich-Schapper oder kurzer, der Partei Cherval geschildert, ihre Tätigkeit vor und nach der Verhaftung der Kölner Angeklagten. In bezug auf die Angeklagten selbst hat er nichts geschildert, weder vor noch nach. Das Komplott Cherval fiel nach der Verhaftung der gegenwärtigen Angeklagten vor, und Stieber erklärt jetzt:

"Ich habe in meiner bisherigen Vernehmung die Gestaltung des Kommunistenbundes und die Wirksamkeit der Mitglieder desselben nur bis zur Verhaftung der gegenwärtigen Angeklagten geschildert."

Er gesteht also, daß das Komplott Cherval nichts zu tun hatte "mit der Gestaltung des Kommunistenbundes und der Wirksamkeit seiner Mitglieder". Er gesteht das Nichts seiner bisherigen Aussage. Ja, er ist so blasiert über seine Aussage vom 18. Oktober, daß er für überflüssig halt, Cherval länger mit der "Partei Marx" zu identifizieren.

"Zunächst", sagt er, "besteht noch die Willichsche Fraktion, von welcher bis jetzt nur Cherval in Paris usw. ergriffen sind."

Aha! der Hauptchef Cherval ist also ein Führer der Willichschen Fraktion.

Aber Stieber hat jetzt die wichtigsten Mitteilungen zu machen, nicht nur die allerneuesten, sondern auch die wichtigsten. Die allerneuesten und wichtigsten! Diese wichtigsten Mitteilungen würden an Gewicht verlieren, wenn <432> die Unwichtigkeit der bisherigen Mitteilungen nicht betont würde. Ich habe bisher eigentlich nichts mitgeteilt, sagt Stieber, aber jetzt kommt's. Paßt auf! Ich habe bisher über die den Angeklagten feindliche Partei Cherval berichtet, was eigentlich nicht hierher gehörte. Ich werde jetzt über die "Partei Marx" berichten, um die es sich allein in diesem Prozeß handelt. So einfach durfte Stieber nicht sprechen. Er sagt also:

"Ich habe bisher den Kommunistenbund vor der Verhaftung der Angeklagten geschildert, ich werde jetzt den Kommunistenbund nach Verhaftung der Angeklagten schildern."

Mit eigentümlicher Virtuosität weiß er sogar die bloß rhetorische Phrase meineidig zu machen.

Nach Verhaftung der Kölner Angeklagten hat Marx eine neue Zentralbehörde gebildet.

"Dies ergibt sich aus der Aussage eines Polizeiagenten <Hirsch>, den schon der verstorbene Polizeidirektor Schulz unerkannt in den Londoner Bund und in die unmittelbare Nahe von Marx zu bringen wußte."

Diese neue Zentralbehörde hat ein Protokollbuch geführt, und dies "Originalprotokollbuch" besitzt Stieber jetzt. Schreckliche Umtriebe in den Rheinprovinzen, in Köln, ja mitten im Gerichtssaal, alles das beweist das Originalprotokollbuch. Es enthält den Beweis für die fortlaufende Korrespondenz der Angeklagten durch die Gefängnismauern hindurch mit Marx. In einem Wort: Das Archiv Dietz war das Alte Testament, aber das Originalprotokollbuch ist das Neue Testament. Das Alte Testament war in starke Wachsleinwand verpackt, aber das Neue Testament ist in unheimlich roten Saffian gebunden. Der rote Saffian ist allerdings eine demonstratio ad oculos <ein Bewies durch Augenschein>, aber die Welt ist heut ungläubiger als zu Thomas' Zeiten; sie glaubt nicht einmal, was sie sieht. Wer glaubt noch an Testamente, Alte oder Neue, seitdem die Mormonenreligion erfunden ist? Auch das hat Stieber vorgesehen, der der Mormonenreligion nicht ganz abgeneigt ist.

"Man könnte mir freilich", bemerkt der Mormone Stieber, "man könnte mir freilich entgegensetzen, daß dies alles nur Traditionen verächtlicher Polizeiagenten seien, aber", schwört Stieber, "aber ich habe vollkommene Beweise der Wahrhaftigkeit und Zuverlässigkeit der von ihnen gemachten Mitteilungen."

Man verstehe wohl! Beweise der Wahrhaftigkeit und Beweise der Zuverlässigkeit! und zwar vollkommene Beweise. Vollkommene Beweise! Und welches sind die Beweise?

<433> Stieber wußte längst,

"daß eine geheime Korrespondenz zwischen Marx und den im Arresthaus befindlichen Angeklagten existiere, konnte aber dieser Korrespondenz nicht auf die Spur kommen. Da traf am vergangenen Sonntag ein außerordentlicher Kurier von London hier bei mir mit der Nachricht ein, daß es endlich gelungen sei, die geheime Adresse, unter welcher diese Korrespondenz geführt worden sei, zu entdecken; es sei dies die Adresse des Kaufmanns D. Kothes auf dem Alten Markt hierselbst. Derselbe Kurier überbrachte mir das von der Londoner Zentralbehörde geführte Originalprotokollbuch, welches man sich von einem Mitglied des Bundes für Geld zu verschaffen gewußt hat."

Stieber setzt sich nun mit dem Polizeidirektor Geiger und der Postdirektion in Verbindung.

"Es werden die nötigen Vorsichtsmaßregeln getroffen, und schon nach zwei Tagen brachte die Abendpost von London einen an Kothes adressierten Brief. Derselbe wurde auf Anstehn der Oberprokuratur mit Beschlag belegt, geöffnet und in demselben eine sieben Seiten große, von der Hand des Marx geschriebene Instruktion für den Advokaten Schneider II gefunden. Derselbe enthält eine Anweisung, wie die Verteidigung zu führen sei ... Auf der Rückseite des Briefes befand sich ein großes lateinisches B. Von dem Briefe ward eine Abschrift, ein leicht abzutrennendes Stück des Originals sowie das Originalkuvert zurückbehalten. Dann wurde er in einem Kuvert versiegelt, und so erhielt ihn ein auswärtiger Polizeibeamter mit dem Auftrage, sich zu Kothes zu begeben, sich ihm als Emissär des Marx vorzustellen etc."

Stieber erzählt dann weiter die widrige Polizei- und Bedientenkomödie, wie der auswärtige Polizeibeamte den Emissär von Marx gespielt etc. Kothes wird am 18. Oktober verhaftet und erklärt nach 24 Stunden, das B auf der innern Adresse des Briefes bedeute Bermbach. Am 19. Oktober wird Bermbach verhaftet und Haussuchung bei ihm gehalten. Am 21. Oktober werden Kothes und Bermbach wieder in Freiheit gesetzt.

Stieber machte diese Deposition Samstag, den 23. Oktober. "Vergangenen Sonntag", also Sonntag, den 17. Oktober, sei der außerordentliche Kurier mit der Adresse des Kothes und mit dem Originalprotokollbuch, zwei Tage nach dem Kurier sei der Brief an Kothes eingetroffen, also am 19. Oktober. Aber schon am 18. Oktober wurde Kothes verhaftet wegen des Briefes, den ihm der auswärtige Polizeibeamte am 17. Oktober überbrachte. Der Brief an Kothes kam also zwei Tage früher an als der Kurier mit der Adressse des Kothes, oder Kothes wurde am 18. Oktober für einen Brief verhaftet, den er erst am 19. Oktober erhielt. Chronologisches Wunder?

Später, durch die Advokatur geängstigt, erklärt Stieber, der Kurier mit der Adresse des Kothes und dem Originalprotokollbuch sei am 10. Oktober eingetroffen. Warum am 10. Oktober? Weil der 10. Oktober ebenfalls auf <434> einen Sonntag fällt und am 23. Oktober ebenfalls schon ein "vergangener" Sonntag war, weil so die ursprüngliche Aussage wegen des vergangenen Sonntags festgehalten und nach dieser Seite der Meineid verdeckt wird. Aber dann langte der Brief wieder nicht zwei Tage, sondern eine ganze Woche später an als der Kurier. Der Meineid fällt nun auf den Brief, statt auf den Kurier. Es geht den Stieberschen Eiden wie dem Lutherschen Bauer. Hilft man ihm von der einen Seite aufs Pferd, so fällt er von der andern Seite herunter.

In der Sitzung vom 3. November endlich erklärt der Polizeileutnant Goldheim aus Berlin, der Polizeileutnant Greif aus London habe das Protokollbuch in seiner und des Polizeidirektors Wermuth Gegenwart am 11. Oktober, also an einem Montag, dem Stieber überbracht. Goldheim erklärt also den Stieber eines doppelten Meineides schuldig.

Marx gab den Brief an Kothes, wie das Originalkuvert mit dem Londoner Poststempel ausweist, Donnerstag, den 14. Oktober, zur Post. Der Brief mußte also Freitag abend, den 15. Oktober, anlangen. Ein Kurier, der zwei Tage vor Ankunft dieses Briefes die Adresse des Kothes und das Originalprotokollbuch überbrachte, mußte also Mittwoch, den 13. Oktober, eintreffen. Er konnte aber weder am 17. Oktober eintreffen, noch am 10., noch am 11.

Greif als Kurier brachte dem Stieber allerdings sein Originalprotokollbuch von London. Was es mit diesem Buche auf sich hatte, wußte Stieber ebensogenau wie sein Kumpan Greif. Er zögerte daher, es dem Gerichte vorzulegen, denn diesmal handelte es sich nicht um Aussagen hinter den Gefängnisgittern von Mazas. Da kam der Brief von Marx. Nun war dem Stieber geholfen. Kothes ist eine bloße Adresse, denn das Schreiben selbst ist nicht an Kothes gerichtet, sondern an das lateinische B, das sich auf der Rückseite des einliegenden verschlossenen Schreibens findet. Kothes ist also faktisch bloß eine Adresse. Nehmen wir nun an, er sei eine geheime Adresse. Nehmen wir ferner an, er sei die geheime Adresse, worunter Marx mit den Kölner Angeklagten korrespondiert. Nehmen wir endlich an, unsre Londoner Agenten hätten durch denselben Kurier gleichzeitig das Originalprotokollbuch und diese geheime Adresse geschickt, der Brief sei aber zwei Tage später eingetroffen als Kurier, Adresse und Protokollbuch. Wir schlagen so zwei Fliegen mit einer Klappe. Erstens beweisen wir die geheime Korrespondenz mit Marx, zweitens beweisen wir die Echtheit des Originalprotokollbuchs. Die Echtheit des Originalprotokollbuchs ist bewiesen durch die Richtigkeit der Adresse, die Richtigkeit der Adresse ist bewiesen durch den Brief. Die Zuverlässigkeit und Wahrhaftigkeit unsrer Agenten ist bewiesen durch Adresse und Brief, die Echtheit des Originalprotokollbuchs ist bewiesen durch die <435> Zuverlässigkeit und Wahrhaftigkeit unsrer Agenten. Quod erat demonstrandum. <Was zu beweisen war.> Dann die heitere Komödie mit dem auswärtigen Polizeibeamten; dann mysteriöse Verhaftungen; Publikum, Geschworene und die Angeklagten selbst werden wie vom Donner gerührt sein.

Warum aber ließ Stieber, was doch so leicht war, seinen außerordentlichen Kurier nicht am 13. Oktober eintreffen? Weil er sonst nicht außerordentlich war, weil die Chronologie, wie wir gesehen, seine schwache Seite ist und der gemeine Kalender unter der Würde eines preußischen Polizeirats liegt. Überdem behielt er ja das Originalkuvert des Briefes zurück; wer sollte also der Sache auf die Spur kommen?

In seiner Aussage kompromittierte sich Stieber jedoch von vornherein durch das Verschweigen einer Tatsache. Kannten seine Agenten die Adresse des Kothes, so kannten sie auch den Mann, den das mysteriöse B auf der Rückseite des innern Briefes barg. Stieber war so wenig in die Mysterien des lateinischen B eingeweiht, daß er Becker am 17. Oktober im Gefängnis durchsuchen ließ, um den Marxschen Brief bei ihm zu finden. Erst durch die Aussage des Kothes erfuhr er, daß Bermbach durch das B bezeichnet ward.

Wie aber war der Brief von Marx in die Hände der preußischen Regierung geraten? Sehr einfach. Die preußische Regierung erbricht regelmäßig die ihrer Post anvertrauten Briefe und tat es während des Kölner Prozesses mit besonderer Ausdauer. Aachen und Frankfurt a. M. wissen davon zu erzählen. Es ist ein reiner Zufall, was entschlüpft oder erwischt wird.

Mit dem Originalkurier fiel auch das Originalprotokollbuch. Stieber ahnte dies natürlich noch nicht in der Sitzung vom 23. Oktober, als er triumphierend den Inhalt des Neuen Testamentes, des roten Buches offenbarte. Das nächste Resultat seiner Aussagen war die abermalige Verhaftung Bermbachs, der den Gerichtsverhandlungen als Zeuge beiwohnte.

Warum ward Bermbach abermals verhaftet?

Wegen der bei ihm gefundenen Papiere? Nein, denn nach der Haussuchung wurde er wieder in Freiheit gesetzt. Seine Verhaftung fiel 24 Stunden später als die des Kothes vor. Wenn er also kompromittierende Dokumente besessen hätte, waren sie sicher verschwunden. Warum also die Verhaftung des Zeugen Bermbach, während die Zeugen Hentze, Hätzel, Steingens, deren Mitwissenschaft oder Teilnahme am Bund konstatiert war, ruhig auf der Zeugenbank saßen?

Bermbach hatte einen Brief von Marx empfangen, der eine bloße Kritik der Anklage enthielt und nichts weiter. Stieber gab die Tatsache zu - denn <436> der Brief lag den Geschwornen vor. Er drückte nur die Tatsache in seiner polizeilich-hyperbolischen Manier folgendermaßen aus: "Marx selbst übt von London einen fortwährenden Einfluß auf den gegenwärtigen Prozeß." Und die Geschworenen fragten sich selbst, wie Guizot seine Wähler: Est-ce que vous vous sentez corrompus? <Fühlen Sie sich bestochen?> Warum also Bermbachs Verhaftung? Die preußische Regierung suchte von Beginn der Untersuchung den Angeklagten die Verteidigungsmittel prinzipiell, systematisch abzuschneiden. Den Advokaten wurde, wie sie in öffentlicher Sitzung erklären, in direktem Widerspruch mit dem Gesetz der Verkehr mit den Angeklagten, selbst nach Zustellung der Anklageakte, untersagt. Seit dem 5. August 1851 war Stieber nach eigener Aussage im Besitze des Archives Dietz. Das Archiv Dietz wurde der Anklageakte nicht beigefügt. Erst am 18. Oktober 1852, mitten in öffentlicher Sitzung, wird es produziert, nur so weit produziert, als dem Stieber gut dünkt. Geschworne, Angeklagte und Publikum sollten überrascht, überrumpelt werden, die Advokaten sollten der Polizeiüberraschung waffenlos gegenüberstehen.

Und nun gar seit Vorlage des Originalprotokollbuchs! Die preußische Regierung zitterte vor Enthüllungen. Bermbach aber hatte Verteidigungsmaterial von Marx erhalten; es war vorauszusehen, daß er Aufklärungen über das Protokollbuch erhalten würde. Durch seine Verhaftung wurde ein neues Verbrechen proklamiert, die Korrespondenz mit Marx, und Gefängnisstrafe auf dieses Verbrechen gesetzt. Das sollte jeden preußischen Bürger abhalten, sich zum Adressaten herzugeben. A bon entendeur demi mot. <Wer gut begreift, braucht nur ein halbes Wort.> Bermbach wurde eingeschlossen, um das Verteidigungsmaterial auszuschließen. Und Bermbach sitzt fünf Wochen. Hätte man ihn sofort nach Schluß der Prozedur entlassen, so proklamierten die preußischen Gerichte offen ihre willenlos sklavische Unterwerfung unter die preußische Polizei. Bermbach saß ad majorem gloriam <zum höheren Ruhm> der preußischen Richter.

Stieber schwört, daß

"Marx nach Verhaftung der Kölner Angeklagten die Ruinen seiner Partei in London wieder zusammengefügt und mit etwa achtzehn Personen eine neue Zentralbehörde gebildet" etc.

Diese Ruinen waren nie auseinandergegangen, sondern waren so gefügt, daß sie seit dem September 1850 fortwährend eine private society <Gesellschaft> bildeten. Stieber läßt sie durch ein Machtgebot verschwinden, um sie nach Verhaftung <437> der Kölner Angeklagten durch ein anderes Machtgebot ins Leben zurückzurufen, und zwar als neue Zentralbehörde.

Montag, den 25. Oktober, traf die "Kölnische Zeitung" mit dem Bericht über Stiebers Aussage vom 23. Oktober in London ein.

Die "Partei Marx" hatte weder eine neue Zentralbehörde gebildet noch Protokolle über ihre Zusammenkünfte geführt. Sie erriet sofort den Hauptfabrikanten des Neuen Testamentes - Wilhelm Hirsch aus Hamburg.

Hirsch meldete sich Anfang Dezember 1851 bei der "Gesellschaft Marx" als kommunistischer Flüchtling. Briefe aus Hamburg denunzierten ihn gleichzeitig als Spion. Man beschloß indes, ihn einstweilen in der Gesellschaft zu dulden, zu überwachen und sich Beweise über seine Schuld oder Unschuld zu verschaffen. In der Zusammenkunft vom 15. Januar 1852 wurde ein Brief aus Köln verlesen, worin ein Freund von Marx der abermaligen Verschleppung des Prozesses gedenkt und der Schwierigkeit, selbst für Verwandte, Zutritt zu den Gefangenen zu erhalten. Bei dieser Gelegenheit wird Frau Dr. Daniels erwähnt. Es fiel auf, daß Hirsch seit dieser Sitzung weder in "unmittelbarer Nähe" noch in der Perspektive erblickt wurde. Am 2. Februar 1852 erhielt Marx von Köln die Anzeige, bei Frau Dr. Daniels sei Haussuchung gehalten worden infolge einer Polizeidenunziation, wonach ein Brief der Frau Daniels an Marx in der Londoner kommunistischen Gesellschaft verlesen und Marx beauftragt worden sei, der Frau Dr. Daniels zu antworten, Marx beschäftige sich damit, den Bund in Deutschland zu reorganisieren usw. Diese Denunziation bildet wörtlich die erste Seite des Originalprotokollbuchs. - Marx antwortete umgehend, da Frau Daniels nie an ihn geschrieben, könne er keinen Brief von ihr verlesen haben. Die ganze Denunziation sei die Erfindung eines gewissen Hirsch, eines lüderlichen jungen Menschen, dem es nicht darauf ankomme, für bares Geld der preußischen Polizei so viele Lügen aufzubinden, als sie wünsche.

Seit dem 15. Januar war Hirsch aus den Zusammenkünften verschwunden; er wurde jetzt definitiv aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Zugleich beschloß man, das Gesellschaftslokal und den Tag der Zusammenkunft zu wechseln. Bisher war man zusammengekommen in Farringdon Street, City, bei J. W. Masters, Markethouse und zwar donnerstags. Nun verlegte man den Tag der Zusammenkunft auf Mittwoch und das Gesellschaftslokal nach Rose and Crown Tavern, Crown Street, Soho. Hirsch, den "der Polizeidirektor Schulz unerkannt in die Nähe von Marx zu bringen wußte", kannte trotz der "Nähe" noch acht Monate später weder Gesellschaftslokal noch Zusammenkunftstag. Vor wie nach Februar verharrte er dabei, sein "Originalprotokollbuch" an einem Donnerstag zu fabrizieren und von einem <438> Donnerstag zu datieren. Man schlage die "Kölnische Zeitung" nach, und man findet: Protokoll vom 15. Januar (Donnerstag), item 29. Januar (Donnerstag), und 4. März (Donnerstag), und 13. Mai (Donnerstag), und 20. Mai (Donnerstag), und 22. Juli (Donnerstag), und 29. Juli (Donnerstag), und 23. September (Donnerstag) und 30. September (Donnerstag).

Der Wirt der Rose and Crown Tavern gab vor dem Magistrat von Marlborough Street die Erklärung ab, daß die "Gesellschaft des Dr. Marx" sich seit Februar 1852 jeden Mittwoch bei ihm versammle. Liebknecht und Rings, von Hirsch zu Sekretären seines Originalprotokollbuchs ernannt, ließen ihre Unterschriften vor demselben Magistrat beglaubigen. Endlich verschaffte man sich die Protokolle, die Hirsch im Stechanschen Arbeiterverein geführt hatte, so daß seine Handschrift mit der des Originalprotokollbuchs verglichen werden konnte.

So war die Unechtheit des Originalprotokollbuchs bewiesen, ohne daß es nötig war, auf die Kritik eines Inhaltes einzugehen, der sich in seinen eigenen Widersprüchen auflöst.

Die Schwierigkeit bestand darin, den Advokaten die Dokumente zuzusenden. Die preußische Post war nur noch ein Vorposten, von den Grenzen des preußischen Staates bis nach Köln aufgestellt, um den Verteidigern die Waffenzufuhr abzuschneiden.

Man mußte zu Umwegen seine Zuflucht nehmen, und die ersten Dokumente, am 25. Oktober abgeschickt, konnten erst am 30. Oktober in Köln ankommen.

Die Advokaten waren daher zunächst auf die in Köln selbst sparsam zugänglichen Verteidigungsmittel angewiesen. Stieber erhielt den ersten Stoß von einer Seite, von der er ihn nicht erwartete. Justizrat Müller, der Vater der Frau Dr. Daniels, ein als Jurist geachteter und wegen seiner konservativen Richtung bekannter Bürger, erklärte in der "Kölnischen Zeitung" vom 26. Oktober, daß seine Tochter nie mit Marx korrespondiert habe und daß das Originalbuch des Stieber eine "Mystifikation" sei. Der am 3. Februar 1852 nach Köln gesandte Brief, worin Marx den Hirsch als Mouchard und Fabrikanten falscher Polizeinotizen bezeichnete, wurde zufällig aufgefunden und der Verteidigung zugestellt. In der Austrittserklärung der "Partei Marx" aus dem Great Windmill Verein, die im Archiv Dietz vorlag, fand sich die echte Handschrift des W. Liebknecht. Endlich erhielt Advokat Schneider II von dem Sekretär der Kölnischen Armenverwaltung, Birnbaum, echte Briefe des Liebknecht und von dem Privatschreiber Schmitz echte Briefe des Rings. Auf dem Gerichtssekretariat verglichen die Advokaten das Protokollbuch teils mit Liebknechts Handschrift in der Austrittserklärung, teils mit Briefen von Rings und Liebknecht.

<439> Stieber, schon durch die Erklärung des Justizrats Müller beunruhigt, erhielt Kunde von diesen Unheil verkündenden Schriftforschungen. Um dem drohenden Schlage zuvorzukommen, springt er wieder vor in der Sitzung vom 27. Oktober und erklärt:

"Der Umstand sei ihm sehr verdächtig gewesen, daß die in dem Buche vorkommende Unterschrift des Liebknecht von einer anderen, bereits in den Akten enthaltenen sehr abweichend erschienen sei. Er habe deshalb weitere Erkundigungen eingezogen und gehört, daß der Unterzeichner der fraglichen Protokolle H. Liebknecht heiße, während dem in den Akten vorkommenden Namen W. vorstehe."

Auf die Frage des Advokaten Schneider II: "Wer ihm mitgeteilt, daß auch ein H. Liebknecht existiere", verweigert Stieber die Antwort. Schneider II fragt ihn weiter nach Auskunft über die Personen des Rings und Ulmer, die neben Liebknecht als Sekretäre unter dem Protokollbuche figurieren. Stieber ahnt eine neue Falle. Dreimal überhört er die Frage und sucht seine Verlegenheit zu verbergen, sucht Fassung zu gewinnen, indem er dreimal ohne allen Anlaß wiederholt, wie er in den Besitz des Protokollbuchs gelangt ist. Endlich stammelt er: Rings und Ulmer möchten wohl keine wirklichen, sondern bloße "Bundesnamen" sein. Die beständig im Protokollbuche wiederholte Anführung der Frau Daniels als Korrespondentin von Marx erklärt Stieber dadurch, daß man vielleicht Frau Dr. Daniels lesen und Notariatskandidat Bermbach verstehen müsse. Advokat v. Hontheim interpelliert ihn wegen des Hirsch.

"Auch diesen Hirsch", schwört Stieber, "kenne er nicht. Daß derselbe aber nicht, wie das Gerücht gehe, ein preußischer Agent sei, gehe daraus hervor, daß man preußischerseits auf denselben vigiliert habe."

Auf seinen Wink summt Goldheim hervor:

"Er sei im Oktober d. J. 1851 nach Hamburg geschickt worden, um des Hirsch habhaft zu werden."

Wir werden sehen, wie derselbe Goldheim am nächsten Tage nach London geschickt wird, um desselben Hirsch habhaft zu werden. Also derselbe Stieber, der behauptet, für bares Geld das Archiv Dietz und das Originalprotokollbuch von Flüchtlingen gekauft zu haben, derselbe Stieber behauptet jetzt, Hirsch könne nicht preußischer Agent sein, weil er Flüchtling sei! Je nachdem es ihm in den Kram paßt, reicht es hin, Flüchtling zu sein, um von Stieber die absolute Verkäuflichkeit oder die absolute Unbestechlichkeit garantiert zu erhalten. Und ist nicht Fleury, den Stieber selbst in der Sitzung vom 3. November als Polizeiagenten denunziert, ist nicht auch dieser Fleury politischer Flüchtling?

<440> Nachdem so von allen Seiten Breschen in sein Originalprotokollbuch geschossen, resümiert sich Stieber am 27. Oktober mit klassischer Unverschämtheit dahin;

"Seine Überzeugung von der Echtheit des Protokollbuchs stehe fester als je."

In der Sitzung vom 29. Oktober vergleicht der Sachverständige die von Birnbaum und Schmitz eingereichten Briefe des Liebknecht und Rings mit dem Protokollbuch und erklärt die Unterschriften des Protokollbuchs für falsch.

In der Anklagerede erklärt Oberprokurator Seckendorf:

"Die in dem Protokollbuch ermittelten Angaben stimmten mit anderwärts ermittelten Tatsachen überein. Nur sei das öffentliche Ministerium völlig außerstand, die Echtheit des Buches zu beweisen."

Das Buch ist echt, aber die Beweise der Echtheit fehlen. Neues Testament! Seckendorf geht weiter:

"Die Verteidigung hat aber selbst bewiesen, daß in dem Buche wenigstens viel Wahres enthalten, indem dasselbe uns über die Tätigkeit des darin genannten Rings, von welcher bis jetzt keiner wußte, Auskunft gab."

Wenn bis jetzt keiner über die Tätigkeit des Rings wußte, so gibt das Protokollbuch keine Auskunft darüber. Die Aussagen über die Tätigkeit des Rings konnten also den Inhalt des Protokollbuchs nicht bestätigen, und in bezug auf seine Form bewiesen sie, daß die Unterschrift eines Mitglieds der "Partei Marx" in Wahrheit falsch, nachgemacht sei. Sie bewiesen also nach Seckendorf, "daß in dem Buch wenigstens viel Wahres enthalten ist" - nämlich eine wahre Fälschung. Oberprokurator (Saedt-Seckendorf) und Postdirektion hatten gemeinsam mit Stieber den Brief an Kothes erbrochen. Sie kannten also das Datum seiner Ankunft. Sie wußten also, daß Stieber einen Meineid schwor, als er den Kurier am 17. und später am 10. Oktober, den Brief aber erst am 19., dann am 12. eintreffen ließ. Sie waren seine Komplizen.

In der Sitzung vom 27. Oktober suchte Stieber vergebens seine Fassung zu behaupten. Jeden Tag fürchtete er das Eintreffen der Belastungsdokumente von London. Stieber fühlte sich unwohl, und der in ihm inkarnierte preußische Staat fühlte sich unwohl. Die Bloßstellung vor dem Publikum hatte eine gefährliche Höhe erreicht. Polizeileutnant Goldheim wurde daher am 28. Oktober nach London gesandt, um das Vaterland zu retten. Was machte Goldheim in London? Den Versuch, mit Hülfe des Greif und Fleury den Hirsch zu bewegen, nach Köln zu kommen und unter dem Namen H. Liebknecht die Echtheit des Protokollbuchs zu beschwören. Eine förmliche Staats- <441> pension wurde dem Hirsch angeboten, aber Hirsch besaß seinen Polizeiinstinkt so gut wie Goldheim. Hirsch wußte, daß er weder Prokurator noch Polizeileutnant, noch Polizeirat, also nicht zum Meineid privilegiert war. Es ahnte dem Hirsch, daß man ihn fallenlassen werde, sobald die Sache schief gehe. Hirsch wollte nicht zum Bock werden, am wenigsten zum Sündenbock. Hirsch schlug rund ab. Der christlich-germanischen Regierung Preußens bleibt aber der Ruhm, daß sie einen falschen Zeugen zu kaufen suchte in einer Kriminalprozedur, wo es sich um die Köpfe ihrer angeklagten Landeskinder handelte.

Goldheim kehrt also unverrichtetersache nach Köln zurück.

In der Sitzung vom 3. November, nach Beendigung der Anklagerede, vor Beginn der Verteidigung, zwischen Tür und Angel, springt Stieber noch einmal dazwischen.

"Er habe" schwört Stieber, "nun weitere Recherchen über das Protokollbuch veranlaßt. Er habe den Polizeileutnant Goldheim von Köln nach London geschickt und diesem den Auftrag erteilt, jene Recherchen vorzunehmen. Goldheim sei am 28. Oktober abgereist, am 2. November wieder eingetroffen. Hier sei Goldheim."

Auf einen Wink des Gebieters summt Goldheim vor und schwört:

"Er habe sich, in London angekommen, zunächst an den Polizeileutnant Greif gewandt, dieser habe ihn zu dem Polizeiagenten Fleury in dem Stadtteil Kensington geführt, als zu demjenigen Agenten, der das Buch an Greif gegeben habe. Fleury habe dies ihm, dem Zeugen Goldheim, eingeräumt und behauptet, daß er das Buch wirklich von einem Mitglied der Marxschen Partei, namens H. Liebknecht, erhalten habe. Fleury habe die Quittung des H. Liebknecht über das für das Buch erhaltene Geld ausdrücklich anerkannt. Zeuge habe des Liebknecht selbst nicht in London habhaft werden können, da dieser sich nach der Behauptung des Fleury gescheut habe, öffentlich hervorzutreten. Er, Zeuge, habe in London die Überzeugung erhalten, daß der Inhalt des Buchs, einige Irrtümer abgerechnet, ganz echt sei. Er habe dies namentlich durch zuverlässige Agenten, welche den Sitzungen des Marx beigewohnt hätten, bestätigt erhalten, aber das Buch sei kein Originalprotokollbuch, sondern nur ein Notizenbuch über die Vorgänge in den Marxischen Sitzungen. Für die allerdings noch nicht völlig aufgeklärte Entstehungsart des Buches gebe es nur zwei Wege. Entweder rühre solches, wie der Agent fest versichert, wirklich von Liebknecht her, der, um seinen Verrat nicht klarzumachen, es vermieden habe, seine Handschrift herzugeben, oder der Agent Fleury habe die Notizen zu dem Buche von zwei andern Freunden des Marx, den Flüchtlingen Dronke und Imandt, erhalten und habe diese Notizen, um seiner Ware einen desto höheren Wert zu geben, in die Form eines Originalprotokollbuchs gebracht. Es sei nämlich durch den Polizeileutnant Greif amtlich festgestellt worden, daß Dronke und Imandt mit Fleury häufig verkehrt hätten ... Der Zeuge Goldheim versichert, daß er sich in London überzeugt habe, wie alles, was früher über die geheimen Sitzungen bei <442> Marx, über die Verbindungen zwischen London und Köln, über den geheimen Briefwechsel usw. angegeben sei, völlig der Wahrheit entspreche. Zum Beweise, wie gut die preußischen Agenten noch heute in London unterrichtet seien, führt Zeuge Goldheim an, daß am 27. Oktober eine ganz geheime Sitzung bei Marx stattgefunden habe, in welcher man die Schritte beraten, welche gegen das Protokollbuch und namentlich gegen den der Londoner Partei sehr unangenehmen Polizeirat Stieber ergriffen werden sollten. Die betreffenden Beschlüsse und Dokumente seien ganz geheim an den Advokatanwalt Schneider II geschickt worden. Unter den an Schneider II geschickten Papieren sei namentlich noch ein Privatschreiben, das Stieber selbst im Jahr 1848 an Marx nach Köln geschrieben und das Marx sehr geheim gehalten, weil er damit den Zeugen Stieber zu kompromittieren hoffe."

Zeuge Stieber springt vor und erklärt, er habe damals wegen einer infamen Verleumdung an Marx geschrieben, ihm einen Prozeß angedroht etc.

"Kein Mensch außer Marx und ihm könne dies wissen, und sei dies allerdings der beste Beweis für die Richtigkeit der aus London gekommenen Mitteilungen."

Also nach Goldheim ist das Originalprotokollbuch, die falschen Partien abgerechnet, "ganz echt". Was ihn von der Echtheit überführt hat, ist namentlich der Umstand, daß das Originalprotokollbuch kein Originalprotokollbuch, sondern nur ein "Notizenbuch" ist. Und Stieber? Stieber fällt nicht aus den Wolken, ein Stein fällt ihm vielmehr vom Herzen. Vor Toresschluß, als das letzte Wort der Anklage kaum noch verhallt und das erste Wort der Verteidigung noch nicht erschallt ist, läßt Stieber durch seinen Goldheim das Originalprotokollbuch noch rasch in ein Notizenbuch verwandeln. Wenn zwei Polizisten sich wechselseitig der Lüge zeihen, beweist das nicht, daß sie beide der Wahrheit frönen? Stieber hat sich durch Goldheim den Rückzug gedeckt.

Goldheim schwört,

"er habe sich, in London angekommen, zunächst an den Polizeileutnant Greif gewandt, dieser habe ihn zu dem Polizeiagenten Fleury in dem Stadtteil Kensington geführt".

Wer wird nun nicht schwören, daß der arme Goldheim mit dem Polizeileutnant Greif sich müde gerannt und gefahren hat, ehe er in dem entlegenen Stadtteil Kensington bei Fleury ankam? Aber Polizeileutnant Greif wohnt im Hause des Polizeiagenten Fleury, und zwar in der oberen Etage des Fleuryschen Hauses, so daß in Wirklichkeit nicht der Greif den Goldheim zu Fleury, sondern der Fleury den Goldheim zu Greif führte.

"Der Polizeiagent Fleury im Stadtteil Kensington!" Welche Bestimmtheit! Könnt ihr noch an der Wahrhaftigkeit der preußischen Regierung <443> zweifeln, die ihre eigenen Mouchards denunziert, mit Namen und Wohnung, mit Haut und Haar? ist das Protokollbuch falsch, haltet euch nur an den "Polizeiagenten Fleury in Kensington". Jawohl. An den Privatsekretär Pierre im 13. Arrondissement. Wenn man ein Individuum spezifizieren will, so nennt man nicht nur seinen Familiennamen, sondern auch seinen Vornamen. Nicht Fleury, sondern Charles Fleury. Man bezeichnet das Individuum mit dem Geschäft, das es öffentlich führt, nicht mit einem Gewerbe, das es heimlich treibt. Also Kaufmann Charles Fleury, nicht Polizeiagent Fleury. Und wenn man seine Wohnung angeben will, so bezeichnet man nicht bloß ein Londoner Stadtviertel, das selbst wieder eine Stadt ist, sondern Stadtviertel, Straße und Hausnummer. Also nicht Polizeiagent Fleury in Kensington, sondern Kaufmann Charles Fleury, 17 Victoria Road, Kensington.

Aber "Polizeileutnant Greif", das ist wenigstens von der Leber weg gesprochen. Wenn aber Polizeileutnant Greif sich in London an die Gesandtschaft attachiert und aus dem Leutnant ein attaché wird, so ist das ein attachement, welches die Gerichte nichts angeht. Der Zug des Herzens ist des Schicksals Stimme.

Also der Polizeileutnant Goldheim versichert, der Polizeiagent Fleury versichere, er habe das Buch von einem Menschen erhalten, der wirklich versichere, H. Liebknecht zu sein, und dem Fleury sogar eine Quittung ausgestellt habe. Nur konnte Goldheim des H. Liebknecht nicht "habhaft werden" zu London. Goldheim konnte also ruhig zu Köln bleiben, denn die Versicherung des Polizeirats Stieber wird dadurch nicht fetter, daß sie nur als eine Versicherung des Polizeileutnants Goldheim erscheint, die der Polizeileutnant Greif versichert, dem seinerseits wieder der Polizeiagent Fleury den Gefallen tut, seine Versicherung zu versichern.

Unbeirrt durch seine wenig aufmunternden Londoner Erfahrungen hat sich Goldheim mit dem ihm eigentümlichen großen Überzeugungsvermögen, das ihm das Urteilsvermögen ersetzen muß, "völlig" überzeugt, daß "alles", was Stieber über die "Partei Marx", ihre Verbindungen mit Köln usw. beschworen hat, "alles völlig der Wahrheit entspreche". Und jetzt, nachdem ihm sein Subalternbeamter Goldheim ein testimonium paupertatis <Armutszeugnis> ausgestellt hat, Polizeirat Stieber wäre noch jetzt nicht gedeckt? Ein Resultat hat Stieber durch seine Art zu schwören erreicht, er hat die preußische Hierarchie umgestülpt. Ihr glaubt dem Polizeirat nicht? Gut. Er hat sich kompromittiert. Ihr werdet dann doch dem Polizeileutnant glauben. Ihr glaubt dem Polizeileutnant nicht? Noch besser, Dann bleibt euch nichts übrig, als wenigstens <444> dem Polizeiagenten, alias mouchardus vulgaris <anders gesagt, dem gemeinen Spitzel>, zu glauben. Solche ketzerische Begriffsverwirrung richtet der schwörende Stieber an.

Nachdem Goldheim bisher den Beweis geliefert, daß er zu London die Nichtexistenz des Originalprotokollbuches und von der Existenz des H. Liebknecht nur das konstatiert hat, daß ihrer zu London nicht "habhaft" zu werden ist, nachdem er sich eben dadurch überzeugt, daß "alle" Aussagen des Stieber über die "Partei Marx" "völlig der Wahrheit" entsprechen, muß er doch endlich, außer diesen negativen Argumenten, worin nach Seckendorf zwar "viel Wahres" liegt, auch das positive Argument liefern, "wie gut die preußischen Agenten noch heute in London unterrichtet sind". Als Probe führt er an, am 27. Oktober habe eine "ganz geheime Sitzung bei Marx stattgefunden". In dieser ganz geheimen Sitzung habe man die Schritte gegen das Protokollbuch und den "sehr unangenehmen" Polizeirat Stieber beraten. Die betreffenden Dekrete und Beschlüsse seien "ganz geheim an den Advokat Schneider II geschickt worden".

Obgleich die preußischen Agenten diesen Sitzungen beiwohnten, blieb ihnen der Weg, den diese Briefe nahmen, jedoch so "ganz geheim", daß die Post sie trotz aller Anstrengungen nicht abzuhalten vermochte. Man höre, wie im alternden Gemäuer melancholisch noch das Heimchen zirpt:

"Die betreffenden Briefe und Dokumente seien ganz geheim an den Advokat Schneider II geschickt worden."

Ganz geheim für die geheimen Agenten des Goldheim.

Die imaginären Beschlüsse über das Protokollbuch können nicht am 27. Oktober in der ganz geheimen Sitzung bei Marx gefaßt worden sein, da Marx schon am 25. Oktober die Hauptberichte über die Unechtheit des Protokollbuches, zwar nicht an Schneider II, wohl aber an Herrn v. Hontheim sandte.

Daß überhaupt Dokumente nach Köln geschickt worden, das sagte der Polizei nicht nur ihr böses Gewissen. Am 29. Oktober langte Goldheim in London an. Am 30. Oktober fand Goldheim im "Morning Advertiser", im "Spectator", im "Examiner", im "Leader", im "Peoples' Paper" eine Erklärung, gez. Engels, Freiligrath, Marx und Wolff , worin diese das englische Publikum auf die Enthüllungen verweisen, welche die Verteidigung über die forgery, perjury, falsification of documents <Fälschungen, Meineide, Verfälschungen von Dokumenten>, kurz über die preußischen Polizei-Infamien bringen werde. So "ganz geheim" wurde das Versenden der Dokumente gehalten, daß die "Partei Marx" das englische Publikum öffent- <445> lich davon in Kenntnis setzte, allerdings erst am 30. Oktober, nachdem Goldheim in London und die Dokumente in Köln angelangt sind.

Indes auch am 27. Oktober wurden Dokumente nach Köln geschickt. Woher erfuhr die allwissende preußische Polizei dies?

Die preußische Polizei agierte nicht ganz geheim, wie die "Partei Marx". Sie hatte vielmehr ganz öffentlich zwei ihrer Mouchards seit Wochen vor das Haus von Marx aufgepflanzt, die ihn du soir jusqu'au matin und du matin jusqu'au soir <von abends bis morgens und von morgens bis abends> von der Straße aus beobachteten und ihm auf Schritt und Tritt nachgingen. Nun hatte Marx am 27. Oktober die ganz geheimen Dokumente, die die echten Handschriften des Liebknecht und Rings und die Aussage des Wirtes der Crown Tavern über den Zusammenkunftstag enthielten, diese ganz geheimen Dokumente hatte er in dem ganz öffentlichen Polizeigerichte in Marlborough Street in Gegenwart der Reporter der englischen Tagespresse amtlich beglaubigen lassen. Die preußischen Schutzengel folgten ihm von seiner Wohnung nach Marlborough Street und von Marlborough Street nach seiner Wohnung zurück und von seiner Wohnung wieder nach der Post. Sie verschwanden erst, als Marx einen ganz geheimen Gang zum Polizeirichter des Viertels machte, um einen Verhaftsbefehl gegen seine zwei "Anhänger" zu erwirken.

Übrigens hatte die preußische Regierung noch einen andern Weg. Marx sandte nämlich die am 27. Oktober beglaubigten und vom 27. Oktober datierten Dokumente direkt durch die Post nach Köln, um das ganz geheim abgeschickte Duplikat derselben vor den Griffen des preußischen Adlers zu sichern. Post und Polizei zu Köln wußten also, daß vom 27. Oktober datierte Dokumente von Marx verschickt waren, und Goldheim brauchte nicht nach London zu reisen, um das Geheimnis zu entdecken.

Goldheim fühlt, daß er endlich "namentlich" irgend etwas "namentlich" angeben müsse, was in der "ganz geheimen Sitzung vom 27. Oktober" an Schneider II zu schicken beschlossen wurde, und er nennt den von Stieber an Marx gerichteten Brief. Leider hat aber Marx diesen Brief nicht am 27., sondern am 25. Oktober, und nicht an Schneider II, sondern an Herrn v. Hontheim geschickt. Aber woher wußte die Polizei, daß Marx überhaupt den Brief Stiebers noch besaß und der Verteidigung zuschicken werde? Doch lassen wir Stieber wieder vorspringen.

Stieber hofft Schneider II von der Vorlesung des ihm sehr "unangenehmen Briefes" abzuhalten, indem er das Prävenire spielt. Wenn Goldheim sagt, Schneider II besitze meinen Brief, und zwar durch "kriminelle Verbindung <446> mit Marx", kalkuliert Stieber, so wird Schneider II den Brief unterdrücken, um zu beweisen, daß Goldheims Agenten falsch unterrichtet sind und er selber nicht in krimineller Verbindung mit Marx steht. Stieber springt also vor, gibt den Inhalt des Briefes falsch an und schließt mit dem erstaunlichen Ausruf:

"Kein Mensch außer ihm und Marx könne dies wissen, und sei dies allerdings der beste Beweis der Glaubwürdigkeit der aus London gekommenen Mitteilungen."

Stieber besitzt eine eigentümliche Methode, ihm unangenehme Geheimnisse verborgen zu halten. Wenn er nicht spricht, muß alle Welt schweigen. Außer ihm und einer gewissen ältlichen Dame kann daher "kein Mensch wissen", daß er einst in der Nähe von Weimar als homme entretenu <ausgehaltener Mann> gelebt hat. Aber wenn Stieber allen Grund hatte, niemand außer Marx, hatte Marx allen Grund, jedermann außer Stieber von dem Briefe wissen zu lassen. Man kennt jetzt den besten Beweis der aus London gekommenen Mitteilungen. Wie mag Stiebers schlechtester Beweis aussehen?

Aber Stieber schwört wieder wissentlich einen Meineid, wenn er sagt, "kein Mensch außer mir und Marx könne dies wissen". Er wußte, daß nicht Marx, sondern ein anderer Redakteur der "Rheinischen Zeitung" auf seinen Brief geantwortet hatte. Das war jedenfalls "ein Mensch außer ihm und Marx". Damit noch mehr Menschen davon wissen, lassen wir hier den Brief folgen:

"In Nr. 177 der 'Neuen Rheinischen Zeitung' findet sich eine Korrespondenznachricht aus Frankfurt a. M. vom 21 Dezember, welche die niederträchtige Lüge enthält, daß ich als Polizeispion nach Frankfurt gegangen sei, um unter dem Schein demokratischer Gesinnung die Mörder des Fürsten Lichnowski und des Generals Auerswald zu ermitteln. Ich bin allerdings am 21. in Frankfurt gewesen, habe mich dort nur einen Tag aufgehalten und habe dort, wie Sie aus beiliegender Bescheinigung ersehen werden, nur eine Privatangelegenheit der hiesigen Frau v. Schwezler zu regulieren gehabt, ich bin längst nach Berlin zurückgekehrt, wo ich meine Tätigkeit als Defensor längst wieder begonnen habe. Ich verweise Sie übrigens auf die bereits in dieser Angelegenheit ergangene offizielle Berichtigung in Nr. 338 der 'Frankfurter Oberpostamts-Zeitung' vom 21. Dezember und Nr. 248 der hiesigen 'National-Zeitung'. Ich glaube von Ihrer Wahrheitsliebe erwarten zu dürfen, daß Sie sofort die anliegende Berichtigung in Ihr Blatt aufnehmen und mir den Einsender der lügenhaften Nachricht, der Ihnen gesetzlich obliegenden Verpflichtung gemäß, nennen werden, da ich eine solche Verleumdung unmöglich ungerügt lassen kann und ich sonst zu meinem Bedauern genötigt sein werde, gegen eine wohllöbliche Redaktion selbst Schritte zu unternehmen.

<447> Ich glaube, daß die Demokratie in neuester Zeit niemandem mehr Dank schuldig ist als gerade mir. Ich bin es gewesen, der Hunderte angeklagter Demokraten aus den Netzen der Kriminaljustiz gerissen hat. Ich bin es gewesen, der noch im hiesigen Belagerungszustand, als die feigen, erbärmlichen Kerle (sogenannte Demokraten) längst das Feld geräumt hatten, unerschrocken und emsig den Behörden entgegengetreten ist und es noch heute tut. Wenn demokratische Organe in solcher Weise mit mir umgehen, so ist das wenig Aufmunterung zu ferneren Bestrebungen.

Das Beste bei der Sache ist aber im vorliegenden Falle die Plumpheit der demokratischen Organe. Das Gerücht, ich ginge als Polizeiagent nach Frankfurt, ist zuerst von der 'Neuen Preußischen Zeitung', diesem berüchtigten Organ der Reaktion, ausgesprengt worden, um meine ihr störende Tätigkeit als Defensor zu untergraben. Die andern Berliner Blätter haben dies längst berichtigt. Die demokratischen Organe sind aber so ungeschickt, eine solche dumme Lüge nachzubeten. Wollte ich als Spion nach Frankfurt gehen, so würde es gewiß nicht vorher in allen Blättern stehn, wie sollte auch Preußen einen Polizeibeamten nach Frankfurt schicken, wo amtskundige Beamte genug sind? Die Dummheit war stets ein Fehler der Demokratie, und ihre Gegner siegten durch Schlauheit.

Ebenso ist es eine niederträchtige Lüge, daß ich vor Jahren in Schlesien als Polizeispion gewesen sei. Ich war damals öffentlich angestellter Polizeibeamter und habe als solcher meine Schuldigkeit getan. Es sind niederträchtige Lügen über mich verbreitet worden. Ein Mensch soll auftreten und beweisen, daß ich mich bei ihm eingeschlichen hätte. Lügen und behaupten kann jeder. Ich erwarte also von Ihnen, den ich für einen ehrlichen, anständigen Mann halte, umgehende befriedigende Antwort. Die demokratischen Zeitungen sind bei uns durch ihre vielen Lügen verrufen worden, mögen Sie nicht gleiches Ziel verfolgen.

Berlin, 26. Dezember 1848

Ergebenst
Stieber, Doktor der Rechte usw., Berlin,
Ritterstraße 65"

Woher wußte nun Stieber, daß am 27. Oktober sein Brief von Marx an Schneider II geschickt war? Aber er wurde nicht am 27., sondern am 25. Oktober, und nicht an Schneider II, sondern an v. Hontheim verschickt. Stieber wußte also nur, daß der Brief noch existiere, und er ahnte, daß Marx ihn irgendeinem Verteidiger mitteilen werde. Woher diese Ahnung? Als die "Kölnische Zeitung" Stiebers Aussage vom 18. Oktober über Cherval etc. nach London brachte, schrieb Marx an die " Kölnische Zeitung", an die "Berliner National-Zeitung" und an das "Frankfurter Journal" eine vom 21. Oktober datierte Erklärung, an deren Schluß dem Stieber mit seinem noch vorhandenen Brief gedroht wird. Um den Brief "ganz geheim" zu halten, kündigt ihn Marx selbst in den Zeitungen an. Er scheitert an der Feigheit der deutschen Tagespresse, aber die preußische Post war nun instruiert, und mit der preußischen Post ihr - Stieber.

<448> Was also hat Goldheim aus London heimgezirpt?

Daß Hirsch nicht falsch schwört, daß H. Liebknecht keine "faßbare" Existenz besitzt und das Originalprotokollbuch kein Originalprotokollbuch ist, daß die allwissenden Londoner Agenten alles wissen, was die "Partei Marx" in der Londoner Presse veröffentlicht hat. Um die Ehre der preußischen Agenten zu retten, legt Goldheim ihnen die spärlichen, durch Brieferbrechung und Briefunterschlagung aufgestieberten Notizen in den Mund.

In der Sitzung vom 4. November, nachdem Schneider II den Stieber und sein Protokollbuch vernichtet, ihn der Fälschung und des Meineids überwiesen hat, springt Stieber zum letzten Male vor und macht seiner sittlichen Entrüstung Luft. Sogar, ruft er aus indignierter Seele, sogar Herrn Wermuth, den Polizeidirektor Wermuth wagt man des Meineids zu zeihen. Stieber ist also wieder zur orthodoxen Stufenleiter zurückgekehrt, zur aufsteigenden Linie. Früher bewegte er sich in heterodoxer, in absteigender Linie. Wolle man ihm, dem Polizeirat, nicht glauben, so doch seinem Polizeileutnant, wenn nicht dem Polizeileutnant, so doch dessen Polizeiagenten, wenn nicht dem Agenten Fleury, so doch dem Unteragenten Hirsch. Jetzt umgekehrt. Er, der Polizeirat, könne vielleicht falsch schwören, aber Wermuth, ein Polizeidirektor? Unglaublich! In seinem Unmut lobt er den Wermuth mit steigender Bitterkeit, schenkt dem Publikum reinen Wermuth ein, Wermuth als Mensch, Wermuth als Advokat, Wermuth als Familienvater, Wermuth als Polizeidirektor, Wermuth for ever <allezeit>.

Selbst jetzt in öffentlicher Sitzung sucht Stieber die Angeklagten immer noch au secret <völlig isoliert> zu halten und eine Barriere zwischen der Verteidigung und dem Verteidigungsmaterial aufzuschlagen. Er beschuldigt Schneider II "krimineller Verbindung" mit Marx. Schneider begehe in ihm ein Attentat auf die höchsten preußischen Behörden. Selbst der Assisenpräsident Göbel, ein Göbel selbst, fühlt sich erdrückt unter der Wucht Stieber. Er kann nicht umhin; wenn auch in furchtsam-serviler Weise, läßt er einige Rutenstreiche auf Stiebers Nacken fallen. Aber Stieber hat seinerseits recht. Es ist nicht sein Individuum, es ist die Prokuratur, das Gericht, die Post, die Regierung, das Polizeipräsidium zu Berlin, es sind die Ministerien, es ist die preußische Gesandtschaft zu London, kurz, es ist der preußische Staat, der mit ihm am Pranger steht, das Originalprotokollbuch in der Hand.

Herr Stieber hat nun die Erlaubnis, die Antwort der "Neuen Rheinischen Zeitung" auf seinen Brief drucken zu lassen.

Kehren wir noch einmal mit Goldheim nach London zurück.

<449> Wie Stieber noch immer nicht weiß, wo Cherval sich aufhält und wer Cherval eigentlich ist, so ist nach Goldheims Aussage (Sitzung vom 3. November) die Entstehungsart des Protokollbuchs immer noch nicht völlig aufgeklärt. Um sie aufzuklären, gibt Goldheim zwei Hypothesen.

"Für die noch nicht völlig aufgeklärte Entstehungsart des Buches gibt es", sagt er, "nur zwei Wege. Entweder rühre solches, wie der Agent fest versichert, wirklich von Liebknecht her, der, um seinen Verrat nicht klarzumachen, es vermieden habe, seine Handschrift herzugeben."

W. Liebknecht gehört notorisch der "Partei Marx" an. Aber die im Protokollbuch befindliche Unterschrift Liebknecht gehört so notorisch nicht dem W. Liebknecht. Stieber schwört daher in der Sitzung vom 27. Oktober, der Besitzer dieser Unterschrift sei auch nicht jener W. Liebknecht, sondern ein anderer Liebknecht, ein H. Liebknecht. Er habe die Existenz dieses Doppelgängers erfahren, ohne die Quelle seiner Erfahrung angeben zu können. Goldheim schwört: "Fleury habe behauptet, daß er das Buch wirklich von einem Mitglied der 'Marxschen Partei' namens H. Liebknecht erhalten hat." Goldheim schwört ferner: "Er habe dieses H. Liebknecht zu London nicht habhaft werden können." Welches Existenzzeichen hat also bisher der von Stieber entdeckte H. Liebknecht der Welt im allgemeinen und dem Polizeileutnant Goldheim im besonderen gegeben? Kein Existenzzeichen, außer seiner Handschrift im Originalprotokollbuch; aber jetzt erklärt Goldheim: "Liebknecht habe es vermieden, seine Handschrift herzugeben."

H. Liebknecht existierte bisher nur als Handschrift. Jetzt bleibt also nichts mehr von H. Liebknecht übrig, nicht einmal eine Handschrift, nicht einmal der Punkt auf dem i. Woher aber Goldheim weiß, daß der H. Liebknecht, dessen Existenz er aus der Handschrift des Protokollbuchs kennt, eine vom Protokollbuch verschiedene Handschrift schreibt, das bleibt ein Geheimnis Goldheims. Wenn Stieber seine Wunder hat, warum sollte nicht Goldheim seine Wunder haben?

Goldheim vergißt, daß sein Vorgesetzter Stieber die Existenz des H. Liebknecht vorgeschworen, daß er selbst sie noch eben geschworen hat. In demselben Atemzug, worin er auf den H. Liebknecht schwört, erinnert er sich, daß H. Liebknecht nur ein von Stieber erfundener Notbehelf, eine Notlüge war, und Not hat kein Gebot. Er erinnert sich, daß es nur einen echten Liebknecht gibt, den W. Liebknecht, daß aber, wenn der W. Liebknecht echt, die Protokollbuchsunterschrift falsch ist. Er darf nicht gestehen, daß Fleurys Unteragent Hirsch mit dem falschen Protokollbuch auch die falsche Unterschrift fabriziert hat. Er macht daher die Hypothese: "Liebknecht habe es <450> vermieden, seine Unterschrift herzugeben." Machen wir auch einmal eine Hypothese. Goldheim hat früher einmal Banknoten gefälscht. Er wird vor Gericht gestellt, es wird bewiesen, daß die auf der Note figurierende Unterschrift nicht diejenige des Bankdirektors ist. Nehmen Sie mir es nicht übel, meine Herren, wird Goldheim sagen, nehmen Sie es nicht übel. Die Banknote ist echt. Sie rührt vom Bankdirektor selbst her. Wenn sein Name nicht in seiner eigenen, sondern in einer falschen Unterschrift ausgefertigt ist, was tut das zur Sache? "Er hat es eben vermieden, seine Handschrift herzugeben."

Oder, fährt Goldheim fort, wenn die Hypothese mit dem Liebknecht falsch ist:

"Oder der Agent Fleury habe die Notizen zu dem Buche von zwei anderen Freunden des Marx, den Flüchtlingen Dronke und Imandt, erhalten und habe diese Notizen, um seiner Ware einen desto höheren Wert zu geben, in die Form eines Originalprotokollbuchs gebracht. Es sei nämlich durch den Polizeileutnant Greif amtlich festgestellt worden, daß Dronke und Imandt mit Fleury häufig verkehrt hätten."

Oder? Wieso oder? Wenn ein Buch, wie das Originalprotokollbuch, von drei Leuten unterschrieben ist, von Liebknecht, Rings und Ulmer, so wird niemand schließen: "Es rührt von Liebknecht her" - oder von Dronke und Imandt, sondern: Es rührt von Liebknecht her oder von Rings und von Ulmer. Sollte der unglückliche Goldheim, der sich nun einmal zu einem disjunktiven Urteil verstiegen hat - entweder, oder -, sollte er nun abermals sagen: "Rings und Ulmer haben es vermieden, ihre Handschrift herzugeben"? Selbst Goldheim hält eine neue Wendung für unvermeidlich.

Wenn das Originalprotokollbuch nicht von Liebknecht herrührt, wie der Agent Fleury behauptet, so hat Fleury selbst es gemacht, aber die Notizen dazu hat er von Dronke und Imandt erhalten, von denen der Polizeileutnant Greif amtlich festgestellt hat, daß sie häufig mit Fleury verkehrten.

"Um seiner Ware einen desto höheren Wert zu geben", sagt Goldheim, bringt Fleury die Notizen in die Form eines Originalprotokollbuchs. Er begeht nicht nur einen Betrug, er macht falsche Unterschriften, alles, "um seiner Ware einen höheren Wert zu geben". Ein so gewissenhafter Mann, wie dieser preußische Agent, der aus Gewinnsucht falsche Protokolle, falsche Unterschriften fabriziert, ist jedenfalls unfähig, falsche Notizen zu fabrizieren. So schließt Goldheim.

Dronke und Imandt kamen erst im April 1852, nachdem sie von den Schweizer Behörden ausgewiesen worden, nach London. Ein Dritteil des Originalprotokollbuchs besteht aber aus den Protokollen der Monate Januar, Februar und März 1852. Ein Dritteil des Originalprotokollbuchs hat Fleury <451> also jedenfalls ohne Dronke und Imandt gemacht, obgleich Goldheim schwört: Entweder Liebknecht hat das Protokollbuch gemacht - oder Fleury hat es gemacht, aber nach den Notizen von Dronke und Imandt. Goldheim schwört's, und Goldheim ist zwar nicht Brutus, aber doch Goldheim.

Aber so bleibt die Möglichkeit, daß Dronke und Imandt dem Fleury die Notizen seit April geliefert haben, denn, schwört Goldheim:

"Es sei durch den Polizeileutnant Greif amtlich festgestellt worden, daß Dronke und Imandt häufig mit Fleury verkehrt hätten."

Kommen wir auf diesen Verkehr.

Fleury war, wie schon oben bemerkt, zu London nicht als preußischer Polizeiagent bekannt, sondern als City-Kaufmann, und zwar als demokratischer Kaufmann. Aus Altenburg gebürtig, war er als politischer Flüchtling nach London gekommen, hatte später eine Engländerin aus angesehener und wohlhabender Familie geheiratet und lebte scheinbar zurückgezogen mit seiner Frau und seinem Schwiegervater, einem alten industriellen Quäker. Den 8. oder 9. Oktober trat Imandt in "häufigen Verkehr" mit Fleury, nämlich in den Verkehr des Unterrichtgebers. Nach der verbesserten Aussage des Stieber traf aber das Originalprotokollbuch am 10., nach der Schlußaussage des Goldheim am 11. Oktober in Köln ein. Fleury hatte also, als der ihm bisher gänzlich unbekannte Imandt seine erste französische Stunde bei ihm gab, das Originalprotokollbuch nicht nur schon in roten Saffian binden lassen, er hatte es bereits dem außerordentlichen Kurier übergeben, der es nach Köln trug. So sehr verfaßte Fleury sein Protokollbuch nach den Notizen des Imandt. Den Dronke aber sah Fleury nur einmal zufällig bei Imandt, und zwar erst am 30. Oktober, nachdem das Originalprotokollbuch schon längst wieder in sein ursprüngliches Nichts zurückgefallen war.

So begnügt sich die christlich-germanische Regierung nicht damit, Pulte zu erbrechen, fremde Papiere zu stehlen, falsche Aussagen zu erschleichen, falsche Komplotte zu stiften, falsche Dokumente zu schmieden, falsche Eide zu schwören, Bestechung zu falschen Zeugnissen zu versuchen - alles, um eine Verurteilung der Kölner Angeklagten zu erwirken. Sie sucht einen infamierenden Verdacht auf die Londoner Freunde der Angeklagten zu werfen, um ihren Hirsch zu verstecken, von dem Stieber geschworen, daß er ihn nicht kennt, und Goldheim, daß er kein Spion sei.

Freitag, den 5. November, brachte die "Kölnische Zeitung" den Bericht über die Assisensitzung vom 3. November mit Goldheims Aussage nach London. Man zog sofort Erkundigungen über Greif ein und erfuhr noch denselben Tag, daß er bei Fleury wohne. Gleichzeitig begaben sich Dronke und Imandt <452> mit der "Kölner Zeitung" zu Fleury. Sie lassen ihn Goldheims Aussage lesen. Er erbleicht, sucht Fassung zu gewinnen, spielt den Erstaunten und erklärt sich durchaus bereit, vor einem englischen Magistrat Zeugnis gegen Goldheim abzulegen. Vorher aber müsse er noch seinen Advokaten sprechen. Ein Rendezvous für den Nachmittag des folgenden Tages, Samstag, den 6. November, wird festgesetzt. Fleury verspricht, seine amtlich beglaubigte Aussage fertig zu diesem Rendezvous mitzubringen. Er erschien natürlich nicht. Imandt und Dronke begaben sich daher Samstagabend in seine Wohnung und fanden hier folgenden für Imandt bestimmten Zettel vor:

"Durch Hülfe des Advokaten ist alles abgemacht, weiteres ist vorbehalten, sobald die Person ermittelt ist. Der Advokat hat die Sache noch heute abgehen lassen. Das Geschäft machte meine Anwesenheit in der City notwendig. Wollen Sie mich morgen besuchen, ich bin den ganzen Nachmittag bis 5 Uhr zu Hause. Fl."

Auf der andern Seite des Zettels befindet sich die Nachschirift:

"Ich komme soeben zu Hause, mußte mit Herrn Werner und meiner Frau ausgehen, wovon Sie sich morgen überzeugen können. Schreiben Sie mir, auf welche Zeit Sie kommen wollen."

Imandt hinterließ folgende Antwort:

"Ich bin außerordentlich überrascht, Sie jetzt nicht zu Hause zu treffen, da Sie sich auch diesen Nachmittag zu dem verabredeten Rendezvous nicht eingestellt haben. Ich muß Ihnen gestehen, daß durch die Umstände mein Urteil über Sie bereits feststeht. Wenn Sie Interesse haben, mich eines andern zu belehren, so werden Sie zu mir kommen, und schon morgen früh, denn ich kann Ihnen nicht dafür einstehen, daß Ihre Eigenschaft als preußischer Polizeispion nicht in englischen Blättern besprochen wird. Imandt."

Fleury erschien auch Sonntagmorgen nicht. Dronke und Imandt begaben sich also am Abend wieder zu ihm, um unter dem Scheine, als sei ihr Vertrauen nur im ersten Augenblicke erschüttert worden, seine Erklärung zu erhalten. Unter allerlei Zögerungen und Unschlüssigkeiten kam die Erklärung zustande. Namentlich schwankte Fleury, als man ihn darauf aufmerksam machte, daß er nicht nur seinen Familiennamen, sondern auch seinen Vornamen unterzeichnen müsse. Die Erklärung lautete wörtlich wie folgt:

"An die Redaktion der 'Kölnischen Zeitung'.

Der Unterzeichnete erklärt, daß er Herrn Imandt ungefähr einen Monat kennt, während welcher Zeit ihm derselbe Unterricht im Französischen erteilt, daß er Herrn Dronke zum erstenmal Samstag, den 30. Oktober d. J., gesehen.

<453> Daß keiner von beiden ihm Mitteilungen gemacht, die in Beziehung zu dem im Kölner Prozeß figurierenden Protokollbuch stehen.

Daß er keine Person kennt, die den Namen Liebknecht trägt, noch in irgendeiner Verbindung mit einer solchen gestanden.

London, 8. November 1852. Kensington

Charles Fleury"

Dronke und Imandt waren natürlich überzeugt, daß Fleury der "Kölnischen Zeitung" die Order zuschicken würde, keine Erklärung mit seiner Namensunterschrift aufzunehmen. Sie schicken seine Erklärung daher nicht an die "Kölnische Zeitung", sondern an Advokat Schneider II, der sie aber in einem zu vorgerückten Stadium des Prozesses erhielt, um noch Gebrauch davon machen zu können.

Fleury ist zwar nicht die Fleur de Marie der Prostituierten der Polizei, aber Blume ist er und Blüten wird er tragen, wenn auch nur Fleurs de lys. (1)

Die Geschichte des Protokollbuches hatte nicht ausgespielt.

Sonnabend, den 6. November, bekannte W. Hirsch, von Hamburg, an Eides Statt vor dem Magistrat zu Bow Street, London, daß er selbst unter Leitung von Greif und Fleury das in dem Kölner Kommunistenprozeß figurierende Originalprotokollbuch fabriziert habe.

Also erst Originalprotokollbuch der "Partei Marx" - dann Notizbuch des Spions Fleury - endlich Fabrikat der preußischen Polizei, einfaches Polizeifabrikat, Polizeifabrikat sans phrase.

An demselben Tage, wo Hirsch das Geheimnis des Originalprotokollbuches dem englischen Magistrat zu Bow Street verriet, war ein anderer Repräsentant des preußischen Staates zu Kensington im Hause des Fleury damit beschäftigt, diesmal zwar weder gestohlene noch fabrizierte, noch überhaupt Dokumente, wohl aber seine eigenen Habseligkeiten in starke Wachsleinwand zu verpacken. Es war dies niemand anders als Vogel Greif, Pariser Angedenkens, der außerordentliche Kurier nach Köln, der Chef der preußischen Polizeiagenten zu London, der offizielle Dirigent der Mystifikation, der an die preußische Gesandtschaft attachierte Polizeileutnant. Greif hatte von der preußischen Regierung den Befehl erhalten, London sofort zu verlassen. Zeit war nicht zu verlieren.

<454> Wie am Schlusse von Spektakelopern die im Hintergrunde befindliche, bisher von Kulissen versteckte, amphitheatralisch aufsteigende Szenerie plötzlich in bengalischem Feuer glänzt und in blendenden Umrissen alle Augen schlägt, so am Schluß dieser preußischen Polizeitragikomödie die verborgene amphitheatralische Werkstätte, worin das Originalprotokollbuch geschmiedet wurde. Auf der untersten Stufe sah man den unglücklichen, auf Stücklohn arbeitenden Mouchard Hirsch; auf zweiter Stufe den bürgerlich plazierten Spion und agent provocateur, City-Kaufmann Fleury; auf dritter Stufe den diplomatischen Polizeileutnant Greif, und auf der höchsten Stufe die preußische Gesandtschaft selbst, der er attachiert ist. Seit 6 bis 8 Monaten fabrizierte Hirsch regelmäßig, Woche für Woche, sein Originalprotokollbuch im Arbeitszimmer und unter den Augen des Fleury. Aber einen Stock über Fleury hauste der preußische Polizeileutnant Greif, der ihn überwachte und inspirierte. Aber Greif selbst brachte einen Teil des Tages regelmäßig im Hotel der preußischen Gesandtschaft zu, wo er seinerseits überwacht und inspiriert wurde. Das preußische Gesandtschaftshotel war also das eigentliche Treibhaus, wo das Originalprotokollbuch großwuchs. <In der Baseler Ausgabe von 1853 hier eingefügt: Die Blamage, die ihn zu London erwarete, fiel auf die preußische Gesandtschaft zurück.> Greif mußte also verschwinden. Er verschwand am 6. November 1852.

Das Originalprotokollbuch war nicht länger zu halten, selbst nicht als Notizbuch. Prokurator Saedt bestattete es in seiner Replik auf die Verteidigungsreden der Advokaten.

Man war also wieder da angelangt, von wo der Anklagesenat des Appellhofes ausging, als er eine neue Untersuchung verordnete, weil "kein objektiver Tatbestand vorliege".


Fußnoten 

(1) Fleurs-de-lys [Lilien] heißen in der französischen Volkssprache die den gebrandmarkten Verbrechern eingebrannten Buchstaben T. F. (travaux forcés, Zwangsarbeit). Wie richtig Marx seinen Kunden beurteilte, geht aus dem Nachtrag (unten, VIII, 1) hervor. [Anmerkung von Engels zur Ausgabe von 1885.] <=