Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 8, 3. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1960, Berlin/DDR. S. 304-312

X. | Inhalt | XII.

XI

<304> "Die Kraft des wahren Verlaufs", um in einer der durchschlagend schönen Formen unsres Arnold zu sprechen, verlief sich nun wie folgt. Ruge hatte sich und die deutsche Emigration am 24. Februar vor d. Ausland kompromittiert. Die wenigen Emigranten, die noch allenfalls Lust hatten, mit ihm zusammenzugehn, fühlten sich so unsicher und ohne Rückhalt. Arnold schob alles auf die Spaltungen unter der Emigration und drang mehr als je auf Vereinigung. Kompromittiert, wie er war, haschte er lebhaft nach einem Anlaß, um sich v. neuem zu kompromittieren.

Der Jahrestag der Wiener Märzrevolution wurde daher zur Veranstaltung eines deutschen Banketts benutzt. Der ritterliche Willich lehnte ab; da er dem "Bürger" Louis Blanc gehöre, könne er nicht mit dem "Bürger" Ruge zusammengehn, der dem "Bürger" Ledru gehöre. Auch die Exdeputierten Reichenbach, Schramm, Bucher pp. flohen Arnolds Nähe. Es erschienen Mazzini, Ruge, Struve, Tausenau, Haug, Ronge, Kinkel, welche alle sprachen - die stummen Gäste ungerechnet.

Ruge trat auf als der "unendlich Dumme", wie selbst seine Freunde behaupten. Das anwesende deutsche Publikum sollte indes noch größeres erleben. Die Harlekinaden Tausenaus, die Krächzereien Struves, die Faseleien Haugs, die Litaneien Ronges versteinerten das Auditorium, so daß der größere Teil sich verlief, bevor die für d. Dessert aufgesparte Rednerblume Jeremias-Kinkel zu Worte kam. Gottfried sprach als Märtyrer "im Namen der Märtyrer" f. d. Märtyrer ein wehmütiges Wort der Versöhnung an alle "vom einfachen Verfassungskämpfer bis zum roten Republikaner". Während sie wieder alle als Republikaner und stellenweise, wie Kinkel, sogar als rote Republikaner ächzten, krochen sie zugleich in demütiger Bewunderung vor der englischen Verfassung, ein Widerspruch, worauf sie der "Morning Chronicle" am andern Morgen aufmerksam zu machen geruhte.

<305> Am selben Abend erreichte Ruge jedoch das Ziel seiner Wünsche, wie aus einem Aufruf erhellt, dessen Glanzstellen hier folgen

"An die Deutschen!

Brüder und Freunde im Vaterlande! Wir, die Unterzeichneten, bilden gegenwärtig und bis ihr ein Weiteres beschließt, den Ausschuß für die deutschen Angelegenheiten" (einerlei welche).

"Das Zentralkomitee der europäischen Demokratie hat uns Arnold Ruge, die badische Revolution Gustav Struve, die Wiener Revolution Ernst Haug, die religiöse Bewegung Johannes Ronge, das Gefängnis hat uns Gottfried Kinkel gesendet; wir haben die sozial-demokratischen Arbeiter aufgefordert, einen Vertreter in unsre Mitte zu senden.

Deutsche Brüder! Die Ereignisse haben euch der Freiheit beraubt ... wir wissen, daß ihr nicht fähig seid, eure Freiheit für immer verloren zu geben, und wir selbst haben nichts" (an Komitees u. Manifesten) "unterlassen" (teste <nach dem Zeugnis von> Arnold), "um ihre Wiedereroberung zu beschleunigen.

Als wir ... als wir der Mazzinischen Anleihe unsre Unterstützung und unsre Garantie gewährten, als wir ... als wir ... die heilige Allianz der Völker gegen die unheilige Allianz ihrer Unterdrücker einleiteten, taten wir nur, wir wissen es, was ihr von ganzer Seele getan zu sehn wünschtet ... Der große Prozeß der Freiheit gegen die Tyrannen ist vor dem Weltgericht der Menschheit anhängig" (solange Arnold Staatsanwalt ist, können die "Tyrannen" ruhig schlafen) "... Brand, Mord, Verwüstung, Hunger und Bankerott werden in kurzem eine allgemeine deutsche Errungenschaft sein.

Von euch seht nach Frankreich - der Ingrimm durchglüht es, es ist einiger als je, sich zu befreien" (wer Teufel konnte auch den 2. Dezember vorhersehn!) -"seht nach Ungarn, selbst die Kroaten sind bekehrt" (durch den "Deutschen Zuschauer" und Ruges Röcke aus Sägespänen) - "und glaubt uns, denn wir wissen es, Polen ist unsterblich." (Dies hat ihnen Herr Darasz unter dem Siegel der Verschwiegenheit vertraut.)

"Die Gewalt gegen die Gewalt, das ist die Justiz - sie bereitet sich vor. Und wir wollen nichts unterlassen, um ein wirksameres Provisorium" (aha!) "als das Vorparlament und eine mächtigere Volksgewalt als die Nationalversammlung herbeizuführen" (siehe unten, was die Herren herbeigeführt haben, indem sie einander an der Nase zu führen gedachten).

"Unsre Entwürfe über die Finanzen und die Presse" (Dekret Nr. 1 und 2 des starken Provisoriums - der Verwalter des Zolles, Christian Müller, ist mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt) "werden wir euch besonders vorlegen. Sie haben ein mehr geschäftliches Interesse. Nur soviel für die Öffentlichkeit, daß jeder Ankauf der italienischen Anleihe unmittelbar unserm Ausschusse und unsrer Sache zugute kommt und daß ihr für den Augenblick vorzüglich durch den reichlichen Zufluß der Geldmittel praktisch wirken könnt. Das Geld werden wir dann in öffentliche <306> Meinung und in öffentliche Gewalt zu übersetzen wissen" (Arnold meldet sich als Übersetzer) "... wir sagen zu euch: Zeichnet zehn Millionen Franken, und wir befreien den Kontinent!

Deutsche, erinnert euch daran ... "(daß ihr den Bariton singt und Feuer auf den Bergen anzündet) "... leiht euren Gedanken" (danach ist augenblicklich sehr viel Nachfrage, beinahe soviel wie nach Geld), "eure Börse" (d. vergeßt ja nicht) "und euren Arm! Wir erwarten, daß sich euer Eifer mit eurer Unterdrückung steigert und daß der Ausschuß für die Stunde der Entscheidung durch eure gegenwärtige Mitwirkung hinlänglich gestärkt wird." (Wo nicht, müßte man zu Spirituosen greifen, was gegen Gustavs Gewissen wäre.)

"Alle Demokraten sind mit der Bekanntmachung unsres Aufrufs beauftragt" (der Verwalter des Zolles, Christian Müller, wird das übrige tun).

"London, 13. März 1851

Der Ausschuß für die deutschen Angelegenheiten
Arnold Ruge, Gustav Struve, Ernst Haug,
Johannes Ronge, Gottfried Kinkel
"

Unsre Leser kennen Gottfried, sie kennen Gustav; die "wiederholte Erscheinung" Arnolds hat sich ebenfalls schon hinreichend oft wiederholt. Es bleiben also nur noch zwei Mitglieder des "wirksamen Provisoriums" zu betrachten.

Johannes Ronge, oder wie er sich im vertrauten Zirkel zu nennen liebt, Johannes Kurzweg, hat jedenfalls die Apokalypse nicht geschrieben. An ihm ist nichts Mysteriöses, er ist platt, gemeinplätzlich, fad wie Wasser, namentlich wie lauwarmes Spülwasser. Johannes wurde bekanntlich ein berühmter Mann, weil er nicht wollte, daß der heilige Rock in Trier für ihn bitte, obwohl es wahrlich ganz einerlei ist, wer für Johannes bittet. Als Johannes auftrat, bedauerte der alte Paulus, daß Hegel tot sei, da dieser ihn jetzt doch gewiß nicht mehr für seicht erklären könne, und der selige Krug war froh, gestorben und damit der Gefahr überhoben zu sein, in den Ruf des Tiefsinns zu kommen. Johannes gehört zu jenen in der Geschichte häufig vorkommenden Erscheinungen, die mehrere Jahrhunderte, nachdem eine Bewegung entstanden und wieder abgestorben ist, den Inhalt dieser Bewegung in der blassesten, mattesten Weise einer gewissen Abart des Philisteriums sowie Kindern von acht Jahren als das Neueste vortragen. Ein solches Handwerk hält sich natürlich nicht lange, und so fand sich unser Johannes auch sehr bald in Deutschland in einer täglich unangenehmer werdenden Lage. Sein seichter Abspülicht des deutschen Aufkläricht kam außer Begehr, und Johannes pilgerte nach England, wo wir ihn als Konkurrenten des Padre Gavazzi nicht mit besonderm Glück auftreten sehn. Der unbehülfliche, fahle, <307> langweilige Dorfpfarrer erblich natürlich vor dem hitzigen, kulissenreißenden italienischen Mönch, und die Engländer wetteten große Summen, daß dieser ennuyante Johannes nicht der Mann sein könne, der die tiefdenkende deutsche Nation in Bewegung gesetzt hatte. Dafür aber tröstete ihn Arnold Ruge, der in dem Deutschkathohzismus unsres Johannes eine frappante Familienähnlichkeit mit seinem eignen Atheismus entdeckte.

Ludwig von Hauck, ehemaliger kaiserlich-östreichischer Ingenieurhauptmann, später 1848 Mitredakteur der "Constitution" in Wien, dann Bataillonschef der Wiener Nationalgarde, verteidigte das Burgtor am 30. Oktober mit Löwenmut gegen die Kaiserlichen und verließ den Posten erst, nachdem alles verloren war. Er rettete sich nach Ungarn, kam zur Armee Bems in Siebenbürgen, wo er infolge seiner Bravour bis zum Obersten im Generalstab avancierte. Nach der Waffenstreckung Görgeys zu Vilagos wurde Ludwig Hauck gefangen und starb wie ein Held an einem d. Galgen, die d. Östreicher als Rache f. ihre wiederholten Niederlagen und aus Wut über die ihnen unerträglich gewordene russische Protektion so zahlreich in Ungarn aufschlugen. Haug passierte in London lange für den gefangenen Hauck (Offizier, der sich rühmlich ausgezeichnet hat im ungarischen Feldzug). Soviel scheint jetzt festzustehn, daß er nicht der verstorbene Hauck ist. Wie er sich gefallen lassen mußte, nach dem Falle Roms von Mazzini zum General, konnte er es nicht vermeiden, von Arnold zum Repräsentanten der Wiener Revolution und Mitglied des starken Provisoriums improvisiert zu werden. Später hielt er ästhetische Vorlesungen über die ökonomische Grundlage der weltgeschichtlichen Kosmogonie vom geologischen Standpunkt und mit musikalischer Begleitung. Unter der Emigration ist dieser schwermütige Mensch bekannt unter dem sobriquet <Spitznamen>: das arme Tier, oder wie die Franzosen sagen: la honne bête <der gutmütige Blödian>.

Arnold sah seine Wünsche übertroffen. Ein Manifest, ein starkes Provisorium, eine Anleihe von zehn Millionen Franken und dazu noch ein Wochenblatt-Homunkulus unter dem bescheidenen Titel: Das "Kosmos", redigiert von General Haug.

Das Manifest ging spurlos und ungelesen vorüber. Das "Kosmos" starb bei der dritten Nummer an der Auszehrung, das Geld kam nicht ein, das starke Provisorium löste sich in seine Bestandteile wieder auf.

Das "Kosmos" enthielt zunächst Reklamen für Kinkels Vorlesungen, für d. wackeren Willichs schleswig-holsteinische Flüchtlings- Geldsammlungen und für Göhringers Bierstube. Es enthielt ferner u.a. eine Pasquinade von <308> Arnold. Der alte Schalksnarr simuliert sich einen gewissen Gastfreund Müller in Deutschland, als dessen Schulze er sich hinstellt. Müller wundert sich über alles, was er von englischer Gastfreundschaft in den Zeitungen liest, und fürchtet, dieser "Sybaritismus" möge Schulze an seinen "Staatsgeschäften" verhindern - doch sei ihm dies zu gönnen, da Schulze bei seiner Rückkehr nach Deutschland vor lauter Staatsgeschäften dem Genuß der Müllerschen Gastfreundschaft werde entsagen müssen. Schließlich ruft Müller aus:

"Nicht der Verräter Radowitz, sondern Mazzini, Ledru-Rollin, Bürger Willich, Kinkel und Sie selbst" (Arnold Ruge) "waren wohl in Windsor <im königlichen Schloß> eingeladen?"

Wenn nun das "Kosmos" danach bei der dritten Nummer entschlief, lag dies gewiß nicht am Vertrieb, denn in allen beliebigen englischen Meetings wird es den Rednern zugesteckt mit der Bitte, es zu empfehlen, da es ganz speziell ihre Prinzipien vertrete.

Kaum war die Aufforderung zu der Anleihe von zehn Millionen erschienen, als plötzlich das Gerücht lief, in der City zirkuliere eine Liste zu Geldbeiträgen für Spedierung Struves (nebst Amalien) nach Amerika.

"Als das Komitee beschloß, eine teutsche Wochenschrift erscheinen zu lassen und Haug die Redaktion zu geben, protestierte Struve, der selbst die Redaktion haben und das Blatt: 'Deutscher Zuschauer' nennen wollte, und beschloß darauf, nach Amerika zu gehn."

So berichtet die N.Y. "Deutsche Schnellpost". Sie verschweigt, und Heinzen hatte seine Gründe, daß Mazzini unsern Gustav als Mitarbeiter an der herzoglich-braunschweigischen "Deutschen Londoner Ztg." von der Liste des deutschen Komitees ganz strich. Gustav akklimatisierte sofort seinen "Deutschen Zuschauer" in New York. Aber bald darauf kam die Depesche über den Ozean: "Gustavs 'Zuschauer' ist tot." Wie er sagt, nicht aus Mangel an zeichnenden Abonnenten, auch nicht, weil er keine Muße zum Schreiben hat, sondern einzig aus Mangel an zahlenden Abonnenten; es sei aber jetzt die demokratische Bearbeitung von Rottecks "Weltgeschichte" ein nicht länger aufzuschiebendes Bedürfnis, und da er sie schon vor 15 Jahren begonnen, so wolle er den Abonnenten die entsprechende Bogenzahl statt in "Deutschen Zuschauern" in "Weltgeschichte" liefern; er müsse aber Pränumeration verlangen, was man ihm unter diesen Umständen nicht verübeln könne. Solange sich Gustav diesseits des Ozeans befunden, stellte ihn Heinzen nebst Ruge als größten Mann Europas hin. Kaum war er herüber, als zwischen beiden ein gewaltiger Spektakel entstand.

<309> Gustav schreibt:

"Als Heinzen in Karlsruhe am 6. Juni sah, daß Kanonen aufgefahren wurden, floh er in weiblicher Begleitung nach Straßburg."

Heinzen erklärt Gustav für einen "Wahrsager".

Das "Kosmos" ging grade unter, als Arnold es mit Emphase in dem Blatt des starkgläubigen Heinzen ausposaunte, und das starke Provisorium löste sich auf zur selben Zeit, wo Rodomonte-Heinzen in seinem Journal ihm "militärischen Gehorsam" ankündigte. Man kennt Heinzens Vorliebe für das Militärfach in Friedenszeiten.

"Kurz nach Struves Abreise trat auch Kinkel aus dem Komitee, das damit ohne Wirksamkeit blieb. (N.Y. "D[eutsche] Schnellpost", Nr. 23.)

So war das starke Provisorium reduziert auf d. Herren Ruge, Ronge und Haug. Selbst Arnold sah ein, daß mit dieser Dreieinigkeit nicht nur keine Welt <Wortspiel mit "Kosmos">, sondern überhaupt nichts zu schaffen war; indes blieb sie bei allen Permutationen, Variationen und Kombinationen der Kern seiner späteren Komiteebildungen. Der Unermüdliche gab sein Spiel noch keineswegs verloren; es handelte sich für ihn ja nur darum, daß überhaupt etwas getan und getrieben werde, was ihm den Schein der Geschäftigkeit, tiefer politischer Kombinationen und vor allem Stoff zu wichtigtuendem Hin- und Herreden, zu wiederholter Erscheinung und zu selbstgefälligem Klatsch gäbe.

Was nun Gottfried betrifft, so erlaubten ihm einmal seine dramatischen Vorlesungen für respektable city-merchants <Citykaufleuten> durchaus nicht, sich zu kompromittieren. Andrerseits lag es zu sehr auf der Hand, daß das Manifest vom 13. März keinen andern Zweck hatte, als der usurpierten Stellung des Herrn Arnold im Europäischen Zentralkomitee einen Hinterhalt zu geben. Selbst Gottfried mußte dies nachträglich entdecken; eine solche Anerkennung lag aber durchaus nicht in seinem Interesse. So kam es, daß kurz nach der Veröffentlichung des Manifestes die "Kölnische Zeitung" eine Erklärung der Dama acerba <gestrengen Dame> Mockel brachte: Ihr Mann habe den Aufruf nicht unterschrieben, denke überhaupt nicht an öffentliche Anleihen und sei aus dem eben gebildeten Komitee wieder ausgetreten. Arnold klatschte hierauf in der N. Y. "Schnellpost", Kinkel habe zwar, durch Krankheit verhindert, das Manifest nicht gezeichnet, aber er habe es gebilligt, der Plan dazu sei auf seinem Zimmer abgefaßt, er selbst habe die Beförderung einer Anzahl Exemplare nach Deutschland übernommen und sei aus dem Komitee ausgetreten, weil es den General Haug und nicht ihn zu seinem Präsidenten ernannt habe. Arnold begleitete diese Erklärung mit ärgerlichen Ausfällen <310> über die Eitelkeit Kinkels, "des absoluten Märtyrers", des "demokratischen Beckerath" und mit Verdächtigungen gegen Frau Johanna Kinkel, der so verpönte Blätter wie die "Köln. Ztg." zu Gebot ständen.

Indes war Arnolds Samenkorn auf keinen steinigen Boden gefallen. Die "schöne Seele" Gottfrieds beschloß, die Rivalen zu übertölpeln und allein den Revolutionsschatz zu heben. Johanna hatte kaum d. lächerliche Unternehmen in der "Köln. Ztg." desavouiert, als unser Gottfried in den transatlantischen Blättern auf eigne Faust zu einer Anleihe aufforderte mit dem Bemerken, man solle das Geld dem Manne schicken, "der das meiste Vertrauen besitze". Wer anders konnte dieser Mann sein als Gottfried Kinkel? Vorläufig verlangte er eine Abschlagszahlung von 500 Pfd. Sterling für die Fabrikation des revolutionären Papiergeldes. Ruge, nicht faul, läßt durch die "Schnellpost" erklären, er sei Kassierer des demokratischen Zentralkomitees, bei ihm seien Mazzinische Scheine fertig zu kaufen. Wer also 500 Pfd.St. verlieren wolle, tue jedenfalls besser, die fertigen Scheine zu nehmen, als in noch gar nicht existierenden zu spekulieren. Und Rodomonte-Heinzen brüllte, wenn Herr Kinkel nicht von seinen Manövern abstehe, werde man ihn offen als "Feind der Revolution" behandeln. Gottfried ließ Gegenartikel in die "N.-Y. Staatsztg.", die direkte Antagonistin der "Schnellpost", schreiben. So wurde jenseits des atlantischen Ozeans der Krieg schon in allen Formen geführt, als man diesseits noch Judasküsse wechselte.

Gottfried hatte indessen, wie er bald merkte, die demokratischen Biedermänner einigermaßen schockiert, indem er ohne Umstände auf seinen eignen Namen eine Nationalanleihe oktroyierte. Um den Fehltritt gutzumachen, ließ er nun erklären,

"dieser Aufruf zur Geldbeisteuer, zur Einleitung eines deutschen Nationalanlehens sei durchaus nicht von ihm ausgegangen und wahrscheinlich von allzu dienstfertigen Freunden in Amerika sein Name dazu gebraucht worden."

Diese Erklärung rief folgende Antwort des Dr. Wiß in der N. Y. "Schnellpost" hervor:

"Jener Aufruf zur Agitation für eine deutsche Anleihe ist mir, wie allgemein bekannt, von Gottfried Kinkel mit der dringenden Bitte übersandt worden, ihn in allen deutschen Zeitungen zu verbreiten, und ich bin bereit, diesen Brief jedem, der daran zweifelt, zur Ansicht vorzulegen. Ist jene Äußerung von Kinkel wirklich geschehen, so ist es eine Ehrensache für ihn, sie öffentlich zu widerrufen und meine Korrespondenz mit ihm mitzuteilen, um der Partei zu zeigen, wie unabhängig und gewiß nicht 'allzu dienstfertig' ich ihm gegenüber gehandelt. Im entgegengesetzten Fall ist es Kinkels Pflicht, den geehrten Referenten jener Äußerung als bösen Verleumder oder, sollte ein <311> Mißverständnis obgewaltet haben, als leichtsinnigen, gewissenlosen Schwätzer öffentlich zu bezeichnen. Ich für mein Teil kann an so bodenlose Perfidie Kinkels nicht glauben. Dr. G. Wiß." (Wochenblatt der N. Y. "D[eutschen] Schnellpost".)

Was sollte Gottfried tun? Er schob abermals die aspra donzella <rauhe Jungfer> vor, er erklärte Mockel für den "leichtsinnigen, gewissenlosen Schwätzer", er behauptete, seine Gattin habe hinter seinem Rücken die Anleihe betrieben. Diese Taktik war unstreitig sehr "ästhetisch".

So sehr war unser Gottfried schwankend wie ein Rohr, bald vortretend, bald sich zurückziehend, bald sich auf ein Unternehmen einlassend, bald es desavouierend, je nachdem er glaubte, daß eben der Volkswind bläst. Während er in London als Märtyrer der Revolution sich offiziell von der ästhetischen Bourgeoisie fetieren und feiern ließ, trieb er schon damals hinter dem Rücken derselben verbotnen Umgang mit dem durch Willich repräsentierten Mob der Emigration. Während er in Verhältnissen lebte, die im Vergleich mit seiner bescheidnen Lage in Bonn glänzend zu nennen waren, schrieb er gleichzeitig nach Saint Louis, er lebe und wohne, wie es "dem Vertreter der Armut" gezieme. So erfüllte er die vorgeschriebne Etikette gegen die Bourgeoisie und machte zugleich die gebührende Reverenz vor dem Proletariat. Indes, als ein Mann, bei dem die Einbildungskraft den Verstand weit überwiegt, konnte er nicht umhin, in die Unarten und Anmaßungen des Parvenüs zu verfallen, was ihm manchen gespreizten Biedermann der Emigration abwendig gemacht hat. Ganz charakteristisch für ihn war sein Aufsatz im "Kosmos" über die Industrieausstellung. Nichts bewunderte er mehr als den Monstrespiegel, der im Kristallpalast ausgestellt war. Die objektive Welt löst sich ihm in einen Spiegel auf, die subjektive in eine Phrase. Unter dem Vorwand, die schöne Seite von allen Dingen aufzufassen, tut er mit allen Dingen schön, und dies Schöntun nennt er Poesie, Aufopferung, Religion, wie es grade paßt. Im Grunde dient ihm alles dazu, mit sich selbst schön zu tun. Er kann dabei nicht vermeiden, in der Praxis die häßliche Seite hervorzukehren, indem die Einbildung direkt in Lüge und die Überschwenglichkeit in Gemeinheit umschlägt. Übrigens war unserm Gottfried vorherzusagen, daß er bald die Löwenhaut lassen werde, sobald er erst in die Hände solcher alterfahrnen Harlekins geraten war wie Gustav und Arnold.