Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 8, 3. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1960, Berlin/DDR. S. 282-291

VII. | Inhalt | IX.

VIII

<289> Arnold, dem die Zurückgezogenheit in Ostende keineswegs zusagte, u. d. es nach einer "wiederholten Erscheinung" vor dem Publikum drängte, erfuhr Gustavs Unfall. Er beschloß, sofort nach England zurückzueilen und, auf Gustavs Schultern gestützt, sich zum Pentarch d. europäischen Demokratie emporzuschwingen. Es hatte sich nämlich unterdes das Europäische Zentralkomitee, bestehend aus Mazzini, Ledru-Rollin u. Darasz, gebildet, dessen Seele Mazzini war. Ruge witterte hier einen vakanten Posten. Mazzini konnte in seinem "Proscrit" den v. ihm selbst erfundnen General Ernst Haug zwar als deutschen Mitarbeiter vorführen, ihn aber wegen seiner gänzlichen Namenlosigkeit anstandshalber nicht zum Mitglied seines Zentralkomitees ernennen. Unserm Ruge war nicht unbekannt, daß Gustav zu Mazzini v. d. Schweiz her in Beziehung stand. Er selbst kannte seinerseits zwar Ledru-Rollin, hatte aber d. Unglück, nicht v. ihm gekannt zu werden. Arnold schlug also seinen Wohnsitz in Brighton auf, hätschelte und liebkoste den arglosen Gustav, versprach einen "Deutschen Zuschauer" mit ihm in London zu gründen u. sogar gemeinschaftlich u. auf seine Kosten d. demokratische Herausgabe des Rotteck-Welckerschen "Staats-Lexikons" zu betreiben. Zugleich führte er dem deutschen Lokalblatt, das er seinem Prinzipe gemäß stets zur Hand hielt (diesmal traf das Schicksal d. "Bremer Tages-Chronik" d. lichtfreundlichen Pfaffen Dulon), unsern Gustav als großen Mann u. als Mitarbeiter ein. Eine Hand wäscht die andre. Gustav führte Arnold bei Mazzini ein. Da Arnold nun ein durchaus unverständliches Französisch spricht, konnte ihn niemand hindern, sich dem Mazzini als d. größten Mann u. speziell als den "Denker" Deutschlands zu präsentieren. Der geriebene italienische Schwärmer erkannte auf den ersten Blick in Arnold den Mann, den er brauche, den homme sans conséquence <Mann ohne jede Bedeutung>, dem er die deutsche Kontrasignatur <290> seiner antipäpstlichen Bullen anvertrauen könne. So wurde Arnold Ruge das fünfte Rad am Staatswagen d. europäischen Zentraldemokratie. Als ein Elsässer Ledru fragte, wie er auf den Einfall gekommen sei, sich mit einer solchen "bête" <einem solchen "Blödian"> zu alliieren, antwortete Ledru barsch: "C'est l'homme de Mazzini." <"Das ist Mazzinis Mann"> Als man Mazzini fragte, warum er sich mit Ledru <wahrscheinlich verschrieben; müßte Ruge heißen>, einem Mann ohne alle Ideen, eingelassen habe, antwortete er schlau: "C'est précisément pour quoi je l'ai pris." <"Gerade deshalb habe ich ihn genommen."> Mazzini selbst hatte allen Grund, sich Leute mit Ideen vom Halse zu halten. Arnold Ruge aber sah sich in seinem eignen Ideal übertroffen u. vergaß für einen Augenblick sogar Bruno Bauer.

Als er das erste Manifest Mazzinis unterzeichnen sollte, dachte er mit Wehmut an d. Zeiten zurück, wo er [sich] dem Professor Leo in Halle u. d. alten Follen in d. Schweiz gegenüber das eine Mal als Dreieinigkeitsgläubiger u. das andere Mal als humanistischer Atheist produziert hatte. Diesmal galt es, sich mit Mazzini für Gott gegen die Fürsten zu erklären. Indes, d. philosophische Gewissen unsres Arnold hatte sich schon bedeutend demoralisiert durch seine Verbindung mit Dulon und andern Pastoren, bei denen er als Philosoph passierte. Ein gewisses Faible f. d. Religion im allgemeinen konnte unser Arnold in seinen besten Zeiten nicht loswerden, und überdem flüsterte ihm sein "ehrliches Bewußtsein" zu: Unterzeichne, Arnold! Paris vaut bien une messe. <Paris ist eine Messe wert.> Umsonst wird man nicht fünftes Rad am Wagen der provisorischen Regierung Europas in partibus. Bedenke, Arnold! Alle 14 Tage ein Manifest zu unterschreiben, und gar als "membre du parlement allemand" <"Mitglied des deutschen Parlaments">, in Gesellschaft d. größten Männer Europas. Und, in Schweiß gebadet, unterzeichnet Arnold. Sonderbare Schnurre, murmelt er. Ce n'est que le premier pas qui coûte. <Der erste Schritt ist immer der schwerste.> Letzten Satz hatte er sich den Abend vorher in seinem Notizbuch angemerkt. Indessen war Arnold noch nicht an d. Ende seiner Prüfungen gelangt. Nachdem d. Europäische Zentralkomitee eine Reihe von Manifesten erlassen hatte an Europa, an Franzosen, Italiener, Wasserpolacken und Walachen, kam nun, da sich gerade d. große Schlacht bei Bronzell ereignet hatte, die Reihe an Deutschland. Mazzini griff in seinem Entwurf d. Deutschen wegen Mangel an Kosmopolitismus an und speziell wegen Übermut gegen italienische Salamihändler, Orgeldreher, Zuckerbäcker, Murmeltiertreiber, Mausefallverkäufer. Arnold gestand dies bestürzt ein. Noch mehr. Er erklärte sich bereit, Welschtirol u. Istrien an Mazzini abzutreten. Aber dies war nicht genug. Er sollte d. deutschen Nation nicht nur ins Gewissen reden, <291> sie sollte auch an ihrer schwachen Seite gefaßt werden. Arnold erhielt Befehl, diesmal eine Ansicht zu haben, da er d. deutsche Element vertrete. Es war ihm zumute wie d. Kandidaten Jobs. Er kratzte sich bedächtig hinter dem Ohr u. stotterte nach langem Erwägen: "Seit Tacitus Zeiten stimmen d. deutschen Barden d. Bariton <Wahrscheinlich ironisch für Baritus, den Schlachtgesang der Germanen> u. zünden im Winter Feuer auf allen Bergen an, um sich d. Füße daran zu wärmen." D. Barden, d. Bariton u. d. Feuer auf allen Bergen! Wenn das die deutsche Freiheit nicht auf die Strümpf' bringt! schmunzelte Mazzini. D. Barden, d. Bariton, d. Feuer auf allen Bergen und die deutsche Freiheit kamen als douceur <Zuckerbrot> f. d. deutsche Nation ins Manifest. Arnold Ruge hatte zu seinem Erstaunen d. Examen bestanden u. begriff zum erstenmal, mit wie wenig Weisheit d. Welt regiert wird. Von diesem Augenblick verachtete er mehr als je Bruno Bauer, der schon in seiner Jugend 18 schwere Bände geschrieben hatte.

Während Arnold im Gefolge d. Europäischen Zentralkomitees mit Gott für Mazzini und gegen d. Fürsten kriegerische Manifeste unterschrieb, griff gleichzeitig die Friedensbewegung unter Cobdens Ägide nicht nur in England um sich, sondern grassierte selbst bis über die Nordsee hinüber, so daß in Frankfurt/Main, d. Yankeeschwindler Elihu Burritt mit Cobden, Jaup und Girardin und dem Indianer Ka-gi-ga-gi-wa-wa-be-ta einen Friedenskongreß abhalten konnte. Unsern Arnold juckte es in allen Gliedern, auch bei dieser Gelegenheit seine "wiederholte Erscheinung" zu machen und ein Manifest v. sich zu geben. Er ernannte sich also selbst zum korrespondierenden Mitglied d. Frankfurter Versammlung u. übersandte ihr ein höchst konfuses Friedensmanifest, das er sich aus Cobdens Reden in sein spekulatives Pommersch herübernotiert hatte. Arnold wurde v. verschiedenen Deutschen auf d. Widerspruch zwischen seiner kriegerischen Zentralkomiteehaltung und seinem friedensmanifestlichen Quäkertum aufmerksam gemacht. Er pflegte zu erwidern: "Das sind eben d. Widersprüche. Das ist die Dialektik. Ich habe Hegel in meiner Jugend studiert." Sein "ehrliches Bewußtsein" aber beruhigte ihn dahin, daß Mazzini kein Deutsch verstehe u. es daher leicht sei, ihm ein X für ein U zu machen.

Was außerdem Arnolds Verhältnis zu Mazzini zu befestigen versprach, war die Protektion Harro Harrings, der eben in Hull landete. In ihm tritt ein neuer, höchst bezeichnender Charakter auf die Bühne.