Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 8, 3. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1960, Berlin/DDR. S. 282-287

V. | Inhalt | VII.

VI

<282> Mit Gustav war gleichzeitig Rodomonte K. Heinzen aus d. Schweiz nach London gekommen. K. Heinzen, der jahrelang v. d. Drohung gelebt hatte, die "Tyrannei" in Deutschland auszurotten, verstieg sich nach Ausbruch der Februarrevolution zu der unerhörten Kühnheit, auf der Schusterinsel <bei Basel> den deutschen Boden wieder zu inspizieren, begab sich dann in d. Schweiz, wo er vom sichren Genf aus aufs neue "die Tyrannen u. Volksunterdrücker" niederdonnerte und die Gelegenheit ergriff zu erklären: "Kossuth ist ein großer Mann, aber Kossuth hat d. Knallsilber vergessen." Heinzen war aus Abscheu gegen das Blutvergießen zum Alchimisten der Revolution geworden. Er träumte von einer Explosivkraft, die in einem Nu d. europäische Gesamtreaktion in d. Luft sprenge, ohne daß sich ihr Anwender die Finger zu verbrennen brauche. Er besaß eine eigentümliche Abneigung vor dem Wandeln im Kugelregen, gegen die ordinäre Kriegsführung, wo die Gesinnung nicht kugelfest macht. Während der Regierung des Herrn Brentano riskierte er sogar eine Revolutionsreise nach Karlsruhe. Da er hier den erwarteten Lohn seiner Hochtaten nicht fand, entschloß er sich zunächst, den Moniteur <die "Karlsruher Zeitung"> des "Verräters" Brentano zu redigieren. Als aber die Preußen vorrückten, erklärte er, Heinzen werde sich für den Verräter Brentano "nicht totschießen" lassen, und unter dem Vorwand, ein Elitekorps zu bilden, wo politische Gesinnung und militärische Organisation sich wechselseitig ergänzten, d.h., wo die militärische Feigheit für politischen Mut passiere, machte er in beständiger Jagd nach dem Freikorps, wie es sein soll, eine rückgängige Bewegung, bis er wieder auf dem bekannten Boden der Schweiz angelangt war. "Sophiens Reise von Memel nach Sachsen" fiel blutiger aus als Rodomontes Revolutionsreise. In der Schweiz angekommen, erklärte er, in Deutschland gäbe es keine Männer mehr, das wahre Knallsilber sei noch nicht entdeckt, der Krieg werde <283> noch nicht mit revolutionärer Gesinnung geführt, sondern in gewöhnlicher Weise mit Pulver u. Blei, u. er werde nun d. Schweiz revolutionieren, da er Deutschland verloren gebe. In der idyllisch abgeschiednen Schweiz u. bei dem verschrobenen Kauderwelsch, das hier gesprochen wird, konnte Rodomonte für einen deutschen Schriftsteller u. sogar für einen gefährlichen Mann passieren. Er erreichte, was er wollte. Er wurde ausgewiesen und auf Bundeskosten nach London spediert. Rodomonte Heinzen hatte sich nicht direkt an d. europäischen Revolution beteiligt, aber er hatte sich unleugbar vielseitig für sie in Bewegung gesetzt. Als die Februarrevolution ausbrach, sammelte er in New York "Revolutionsgelder", um dem Vaterland zu Hülfe zu eilen und drang bis an d. Schweizer Grenze vor. Als die Märzvereinsrevolution scheiterte, retirierte er auf Schweizer Bundesratsrechnung v. der Schweiz jenseits des Kanals. Er hatte die Genugtuung, die Revolution für sein Vorrücken und die Kontrerevolution für seinen Rückmarsch tributär zu machen.

In den italienischen ritterlichen Epopöen kommen jeden Augenblick gewaltige breitschultrige Riesen vor, die mit kolossalen Knütteln bewaffnet sind, aber im Kampf trotz ihres barbarischen Dreinschlagens und fürchterlichen Lärmens nie den Gegner treffen, sondern immer nur die umstehenden Bäume. Ein solcher ariostischer Riese in der politischen Literatur ist Herr Heinzen. Von der Natur mit einer flegelhaften Gestalt und großen Fleischmasse begabt, erblickte er hierin den Beruf, ein großer Mann zu werden. Diese gewichtige Körperlichkeit beherrscht sein ganzes literarisches Auftreten, das durch und durch körperlich ist. Seine Gegner sind immer klein, Zwerge, die ihm nicht an die Knöchel reichen und die er mit der Kniescheibe übersieht. Wo es dagegen gilt, körperlich aufzutreten, rettet sich der "uomo membruto" <"starkgliedrige Mann"> in die Literatur oder die Gerichtshöfe. So schrieb er, kaum auf englischem Boden in Sicherheit, eine Abhandlung über den moralischen Mut. So ließ sich der Riese in New York so lange und so oft von einem gewissen Herrn Richter durchprügeln, bis der Polizeirichter, der erst nur unbedeutende Geldstrafen auferlegte, endlich in Anerkennung seiner Konsequenz den Zwerg Richter zu 200 Dollars Schmerzensgelder verurteilte. - Die natürliche Ergänzung dieser großen Körperlichkeit, an der alles gesund ist, ist der gesunde Menschenverstand, den Herr Heinzen sich im höchsten Grade zuschreibt. Diesem gesunden Menschenverstand entspricht es, daß Heinzen als "naturwüchsiges" Genie nichts gelernt hat, literarisch und wissenschaftlich durchaus roh ist. Kraft des gesunden Menschenverstandes, den er auch d. "eignen Scharfsinn" nennt u. womit er Kossuth versicherte, "bis an die <284> äußerste Grenze d. Ideen vorgedrungen zu sein", lernt er nur vom Hörensagen oder aus den Zeitungen, ist daher beständig hinter der Zeit zurück und trägt immer den einige Jahre vorher von der Literatur abgelegten Rock, während er die neue, moderne Kleidung, in die er sich noch nicht finden kann, für unsittlich und verwerflich erklärt. Was er aber einmal assimiliert hat, daran glaubt er mit möglichster Unerschütterlichkeit, das verwandelt sich für ihn in etwas naturwüchsig Entstandenes, sich von selbst Verstehendes, was jeder einsehen muß und was nur die Böswilligkeit, die Dummheit oder die Sophisterei imstande ist, nicht begreifen zu wollen. Ein so robuster Körper und gesunder Menschenverstand muß denn auch eine handfeste, wackre Gesinnung haben, und es steht ihm gar wohl an, wenn er die Gesinnungstümelei aufs äußerste treibt. Heinzen weicht in diesem Fach niemandem. Bei jeder Gelegenheit wird auf die Gesinnung gepocht, jedem Argument wird die Gesinnung entgegengehalten, und jeder, der ihn nicht versteht oder den er nicht versteht, wird damit abgefertigt, er habe keine Gesinnung, er leugne das sonnenklare Tageslicht aus schlechter Absicht und purem boshaften Willen. Gegen diese verworfenen Anhänger des Ahriman ruft er seine Muse, die Entrüstung an; er schimpft, er poltert, er rodomontiert, er predigt Moral, er geifert die tragikomischsten Kapuzinaden. Er beweist, wohin es die Schimpfliteratur bringen kann, wenn sie einem Mann in die Hände gerät, dem Börnes Witz und literarische Bildung gleich fremd sind. Wie die Muse, so sein Stil. Ewiger Knüppel aus dem Sack, aber ein Alltagsknüppel, an dem nicht einmal die knotigen Auswüchse originell und stechend sind. Bloß wo ihm etwas Wissenschaftliches entgegentritt, stutzt er einen Augenblick. Es geht ihm wie dem Fischweib in Billingsgate, mit dem sich O'Connell in ein Schimpfduell einließ und d. er zum Schweigen brachte, als er auf eine lange Schimpfrede erwiderte: Ihr seid das alles und noch viel mehr, Ihr seid ein triangulus isosceles, Ihr seid ein parallelepipedon <ein gleichschenkliges Dreieck ... ein von drei Paaren paralleler Ebenen begrenzter Körper>.

Von den früheren Erlebnissen des Herrn Heinzen ist zu sagen, daß er in den holländischen Kolonien zwar nicht zum General, aber doch zum Unteroffizier avancierte, eine Zurücksetzung, wofür er die Holländer später immer als eine gesinnungslose Nation behandelt hat. Später finden wir ihn in Köln als Untersteuereinnehmer wieder, in welcher Eigenschaft er ein Lustspiel schrieb, worin sein gesunder Menschenverstand sich vergebens bemühte, die Hegelsche Philosophie zu verspotten. Besser zu Hause war er in dem Lokalklatsch der "Kölnischen Zeitung", hinter dem Strich, wo er gewichtige Worte <285> sprach über die Zwistigkeiten im Kölner Karnevalsverein, jenem Institut, aus dem alle großen Männer Kölns hervorgegangen sind. Seine eignen Leiden und die seines Vaters, des Försters Heinzen, im Kampf gegen die Vorgesetzten erhoben sich für ihn, wie das dem gesunden Menschenverstand bei allen kleinen persönlichen Konflikten passiert, zum Range von Weltereignissen; er beschrieb sie in seiner "Preußischen Büreaukratie", einem Buch, das tief unter dem Venedeyschen steht und weiter nichts enthält als Querelen des Subalternbeamten gegen die höheren Behörden. Dies Buch zog ihm einen Preßprozeß zu; obwohl ihn höchstens sechs Monate Gefängnis treffen konnten, sah er seinen Kopf gefährdet und rettete sich nach Brüssel. Von hier aus verlangte er, die preußische Regierung solle ihm nicht nur freies Geleit geben, sondern auch zu seinen Gunsten das ganze französische Gerichtsverfahren aufheben und ihn für ein einfaches Vergehen vor die Geschwornen stellen. Die preußische Regierung erließ einen Steckbrief gegen ihn; er antwortete mit einem "Steckbrief" auf die preußische Regierung, worin er u.a. den moralischen Widerstand und die konstitutionelle Monarchie predigte und die Revolution für unmoralisch und jesuitisch erklärte. Von Brüssel ging er nach der Schweiz. In der Schweiz fand er, wie wir schon oben sahen, Freund Arnold und lernte von diesem außer seiner Philosophie noch eine sehr nützliche Methode der Bereicherung. Wie Arnold sich die Ideen seiner Gegner während der Polemik mit ihnen anzueignen suchte, so lernte nun Heinzen, solche ihm neue Gedanken, indem er sie bekämpfte, sich anzuschimpfen. Kaum Atheist geworden, begann er mit wahrem Proselyteneifer sofort eine wütende Polemik gegen den armen alten Follen, weil dieser sich nicht veranlaßt sah, ohne alle Veranlassung auf seine alten Tage auch Atheist zu werden. Die Schweizer Föderativrepublik, auf die er jetzt mit der Nase gestoßen wurde, entwickelte den gesunden Menschenverstand dahin, daß er nun diese Föderativrepublik auch in Deutschland einführen wollte. Derselbe gesunde Menschenverstand brachte es zu dem Schluß, daß dies nicht ohne Revolution möglich sei, und so wurde Heinzen revolutionär. Nun fing er einen Handel mit Pamphleten an, die im plumpsten Schweizer Bauernton sofortiges "Losschlagen" und Tod den Fürsten predigten, von denen alles Elend der Welt herrührte. Er suchte Komitees in Deutschland zur Beschaffung der Druckkosten und Verbreitung dieser Flugblätter, woran sich ungezwungen eine ausgedehnte Bettelindustrie knüpfte, in der die Parteileute erst exploitiert und dann ausgeschimpft wurden. Näheres darüber kann der alte Itzstein mitteilen. Durch diese Pamphlets brachte sich Heinzen in großen Ruf bei den deutschen Weinreisenden, die ihn überall als tapferen "Dreinschläger" ausposaunten.

<286> Aus der Schweiz ging er nach Amerika, wo es ihm gelang, trotzdem daß er hier kraft seines Schweizer Bauernstils für einen echten Dichter galt, die New Yorker "Schnellpost" in kurzer Zeit totzureiten.

Nach Europa zurückgekehrt infolge der Februarrevolution, schrieb er an die "Mannheimer Abendzeitung" Depeschen über die Ankunft des großen Heinzen und veröffentlichte eine Broschüre gegen Lamartine aus Rache dafür, daß dieser, wie die ganze Regierung, ihn trotz eines Mandats als Vertreter der amerikanischen Deutschen ignoriert hatte. Nach Preußen wollte er nicht zurückgehn, weil er trotz Märzrevolution und Amnestie seinen Kopf dort noch immer für gefährdet ansah. Das Volk sollte ihn berufen. Da dies nicht geschah, wollte er sich aus der Ferne in Hamburg fürs Frankfurter Parlament wählen lassen: Da er ein schlechter Redner sei, werde er um so lauter stimmen - aber er fiel durch.

Als er nach der Beendigung des badischen Aufstandes in London ankam, entrüstete er sich sehr über die jungen Leute, über denen und von denen der große Mann von vor der Revolution und nach der Revolution vergessen werde. Er war immer nur l'homme de la veille oder l'homme du lendemain gewesen, nie l'homme du jour oder gar de la journée. <Er war immer nur der Mann von gestern oder der Mann von morgen gewesen, nie der Mann von heute oder gar der Mann des Tages.> Da das wahre Knallsilber noch immer nicht erfunden war, mußten neue Mittel gegen die Reaktion aufgetrieben werden. Er forderte also zwei Millionen Köpfe, damit er als Diktator bis an die Knöchel in dem - von andern zu vergießenden - Blut waten könne. Im Grunde handelte es sich nur darum, Skandal zu erregen; die Reaktion hatte ihn auf ihre Kosten bis London spediert, sie sollte ihn nun, vermittelst einer Ausweisung aus England, auch gratis noch weiter bis New York spedieren. Der Coup mißlang und hatte weiter keine Folgen, als daß die französischen radikalen Blätter ihn für einen Narren erklärten, der zwei Millionen Köpfe verlange, weil er den seinigen nie riskiert habe. Um aber der Sache die Krone aufzusetzen, hatte er diesen ganzen blutdürstigen und blutwatenden Artikel veröffentlicht - in der "Deutschen Londoner Zeitung" des Exherzogs von Braunschweig, gegen Barzahlung, versteht sich.

Gustav und Heinzen achteten sich seit geraumer Zeit. Heinzen gab den Gustav für einen Weisen aus und Gustav den Heinzen für einen Dreinschläger. Heinzen hatte das Ende der europäischen Revolution kaum abwarten können, um der "verderblichen Uneinigkeit in der demokratischen deutschen Emigration" ein Ende zu machen und sein vormärzliches Geschäft wieder zu eröffnen. Er gab ein Programm der teutschen Revolutionspartei als <287> Entwurf und Vorschlag der Diskussion preis. Das Programm zeichnete sich aus durch die Erfindung eines besondern Ministeriums für "die keiner andren an Wichtigkeit nachstehnde Branche der öffentlichen Spielplätze, Kampfplätze" (ohne Kugelregen) "u. Gärten" und durch d. Dekret, "d. Vorrechte des männlichen Geschlechts namentlich in der Ehe" (bes. auch in d. Stoßtaktik im Kriege, siehe Clausewitz) "werden abgeschafft". Dies Programm, in der Tat nur eine diplomatische Note Heinzens an Gustav, da sonst kein Hahn danach krähte, veranlaßte statt der Einigung vielmehr die sofortige Trennung d. beiden Kapaune; Heinzen verlangte für die "revolutionäre Übergangszeit" einen einzigen Diktator, der dazu Preuße sein müsse, u., fügte er hinzu, damit kein Mißverständnis möglich sei: "Zur Diktatur kann kein Soldat berufen werden." Gustav dagegen verlangte eine Dreimännerdiktatur, worin sich außer ihm wenigstens zwei Badenser befinden müßten. Zudem glaubte Gustav zu entdecken, daß Heinzen ihm in d. voreilig veröffentlichten Programm eine "Idee" gestohlen habe. So zerschlug sich dieser zweite Einigungsversuch, und Heinzen, völlig v. d. Welt verkannt, trat in sein Dunkel zurück, bis er den englischen Boden unhaltbar fand und Herbst 1850 nach New York absegelte.