Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 8, 3. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1960, Berlin/DDR. S. 254-260

I. | Inhalt | III.

II

<254> So schließt der erste Akt aus dem Leben Kinkels, und bis zum Ausbruch der Februarrevolution fällt nichts Erwähnenswertes vor. Die Cottasche Buchhandlung nahm seine Gedichte, ohne Honorar zu zahlen, in Verlag und behielt auch die Masse der Auflage auf Lager, bis der bewußte Streifschuß in Baden dem Verfasser die poetische Weihe und seinen Produkten einen Markt verlieh.

Der Biograph verschweigt übrigens ein bezeichnendes Faktum. Das eingestandene Ziel der Wünsche Kinkels war, als alter Schauspieldirektor zu sterben; als Ideal schwebte ihm ein gewisser Eisenhut vor, der als fahrender Pickelhäring mit seiner Truppe am Rhein auf und ab zu ziehen pflegte und nachher verrückt wurde.

Neben seinen Bonner kanzelberedsamkeitlichen Vorlesungen gab Gottfried auch in Köln von Zeit zu Zeit eine Reihe von theologischen und ästhetischen Kunstvorstellungen. Es beschloß sie, als die Februarrevolution anbrach, mit folgender Weissagung:

"Der Schlachtendonner, der von Paris zu uns herüberdröhnt, eröffnet auch für Deutschland und den ganzen europäischen Kontinent eine neue herrliche Zeit; dem Toben des Gewittersturms folgt der beseligende Zephyrhauch der Freiheit, und von nun an eröffnet sich die große, die segensreiche Ära der - konstitutionellen Monarchie!"

Die konstitutionelle Monarchie bedankte sich bei Kinkel für dies Kompliment dadurch, daß sie ihn zum außerordentlichen Professor ernannte. Diese Anerkennung konnte dem grand homme en herbe <werdenden großen Mann> indes nicht genügen; die konstitutionelle Monarchie schien sich keineswegs zu beeilen, " seinen Ruhm über den Erdball fliegen" zu machen. Dazu kam, daß die Lorbeeren der neueren politischen Gedichte Freiligraths den gekrönten Maikäferpoeten <255> nicht schlafen ließen. Heinrich von Ofterdingen machte also eine Schwenkung links und wurde zuerst demokratisch-konstitutionell, sodann demokratisch-republikanisch (honnête et modére <rechtschaffen und gemäßigt>). Er steuerte auf eine Deputiertenstelle los, gelangte aber durch die Maiwahlen weder nach Berlin noch nach Frankfurt. Nach diesem ersten Mißlingen jedoch verfolgte er unverdrossen sein Ziel, und man kann wirklich sagen, daß er es sich sauer werden ließ. Mit weiser Beschränkung hielt er sich zunächst an seinen kleinen Lokalkreis. Er stiftete die "Bonner Zeitung", ein bescheidenes Lokalblümchen, das sich nur durch eigentümliche Mattigkeit der demokratischen Deklamation und Naivetät der vaterlandsrettenden Ignoranz auszeichnet. Er erhob den Maikäferverein zum demokratischen Studentenklub, aus dem bald jene Jüngerschar hervorging, die den Ruhm des Meisters in alle Dörfer des Kreises Bonn trug und allen Versammlungen den Herrn Professor Kinkel aufdrängte. Er selbst kannegießerte mit den Spezereihändlern des Kasinos, drückte den wackern Gewerksmeistern brüderlich die Hand und hausierte seinen warmen Freiheitsodem selbst bei den Bauern von Kindenich und Seelscheid. Ganz besonders aber widmete er seine Sympathie dem ehrsamen Stand der Handwerkermeister. Mit ihnen weinte er über den Verfall des Handwerks, über die grausamen Wirkungen der freien Konkurrenz, über die moderne Herrschaft des Kapitals und der Maschinen. Mit ihnen entwarf er Pläne zur Wiederherstellung des Zunftwesens und zur Ausrottung des Böhnhasentums, und um alles zu tun, was an ihm war, faßte er das Resultat seiner Kasinoverhandlungen mit den Kleinmeistern zusammen in der Schrift: "Handwerk, errette Dich!"

Damit ein jeder gleich wisse, wohin Herr Kinkel eigentlich gehöre und welche Frankfurter-nationale Bedeutung sein Werkchen habe, widmete er es den "dreißig Mitgliedern des volkswirtschaftlichen Ausschusses der Frankfurter Nationalversammlung".

Die Untersuchungen Heinrichs von Ofterdingen über das "Schöne" im Handwerkerstand führen ihn sogleich zu dem Resultat, daß ein "Riß jetzt gerade mitten durch den Handwerkerstand hindurchklafft" (p. 5). Dieser Riß besteht nämlich darin, daß einige Handwerker "die Kasinos der Spezereihändler und Beamten besuchen - (welche Errungenschaft!) und daß andre dies nicht tun, und dann darin, daß einige Handwerker gebildet und andre ungebildet sind. Trotz dieses Risses erkennt der Verfasser jedoch ein erfreuliches Symptom in den Handwerkervereinen und Versammlungen, die sich allerorts im lieben Vaterlande auftun und an der Agitation für Hebung <256> des Handwerkerstandes (man erinnere sich an die Winkelblechiaden des Jahres 1848). Um zu dieser wohltuenden Bewegung auch das Scherflein seines guten Rates zu steuern, entwirft er sein Erlösungsprogramm.

Zuerst untersucht der Verfasser, wie man den Übelständen der freien Konkurrenz durch Beschränkungen abhelfen könne, ohne sie jedoch ganz abzuschaffen. Er kommt dabei zu folgenden Resultaten:

"Die Gesetzgebung muß es unmöglich machen, daß der Jüngling ohne die nötige Tüchtigkeit und Reife Meister werden kann." p. 20.

"Jeder Meister darf immer nur einen Lehrling halten." p. 29.

"Auch für den Unterricht im Handwerk muß eine Prüfung festgestellt werden." p. 30.

"Der Meister des Geprüften muß bei der Prüfung unfehlbar gegenwärtig sein." p. 31.

"Für die Reife begehren wir von der Gesetzgebung, daß hinfort niemand mehr Meister werden könne vor dem vollendeten fünfundzwanzigsten Jahr." p. 42.

"Zur Tüchtigkeit aber verlangen wir, daß hinfort jeder antretende Meister seine Prüfung, und zwar öffentlich, bestehe." p. 43.

"Eine Hauptsache hierbei ist, daß die Prüfung durchaus kostenfrei sei." p. 44. Diesen Prüfungen "müssen sich gleichermaßen alle Landmeister derselben Innung unterwerfen". p. 55.

Freund Gottfried, der selbst politischen Hausierhandel treibt, will "den fahrenden oder Hausierhandel" in andern, profanen Artikeln als unehrlich abschaffen. p. 60.

"Ein Fabrikant von Handwerkserzeugnissen will sein Vermögen vorteilhaft für sich, betrüglich gegen seine Gläubiger aus dem Geschäft ziehen. Man bezeichnet das, wie alles zweideutige, mit einem welschen Namen: man nennt es Fallieren. Er wirft daher seine fertigen Fabrikate rasch in die Nachbarorte und schlägt sie dort gleichzeitig an die Meistbietenden los." p. 64. Diese Auktionen - "eigentlich nur eine Art Auskehricht, das unser lieber Nachbar, der Handelsstand, in den Garten des Handwerks hineinschüttet", - müssen abgeschafft werden. (Wäre es nicht viel einfacher, Freund Gottfried, die Sache bei der Wurzel anzufassen und gleich das Fallieren selbst abzuschaffen?)

"Mit den Jahrmärkten ist es allerdings eine eigne Sache." p. 65. "Unter diesen Umständen wird die Gesetzgebung es den einzelnen Orten überlassen müssen, ob sie in einer Beratung der gesamten Bürgerschaft, welche hierfür zu versammeln wäre, mit Mehrstimmigkeit (!) für die Erhaltung oder Abschaffung stehender Jahrmärkte sich entscheide." p. 68.

Gottfried kommt nun auf die schwierige "Streitfrage" über das Verhältnis von Handwerk und Maschinenarbeit und fördert hier folgendes zutage:

<257> "Laßt einen jeden, der Fabrikate verkauft, nur das führen, was er selbst mit eigner Hand fertig hinstellen kann." p. 80. "Weil Maschinen und Handwerk sich getrennt haben, darum sind beide verkommen und verirrt." p. 84.

Er will sie dadurch vereinigen, daß die Handwerker, z.B. die Buchbinder einer Stadt, sich assoziieren und zusammen eine Maschine halten.

"Da sie nur für sich und nur auf Bestellung die Maschine anwenden, so vermögen sie wohlfeiler zu arbeiten als der fabrikbesitzende Kaufmann." p. 85. "Das Kapital bricht man mit der Assoziation." p. 84. (Und die Assoziation bricht man mit dein Kapital.)

Seine Ideen "über den Ankauf einer Liniier-, Beschneide- und Pappschneidemaschine" (p. 85) der vereinigten geprüften Buchbinder von Bonn verallgemeinert er sodann zu einer "Maschinenkammer".

"Es müssen allerwärts durch einen Bund der betreffenden Innungsmeister Geschäfte, den Fabriken einzelner Kaufleute im kleinen ähnlich, errichtet werden, die nur für die am Orte befindlichen Meister auf Bestellung arbeiten und von andern Arbeitgebern keine Aufträge annehmen." p. 86. Das Eigentümliche bei dieser Maschinenkammer ist, daß "eine kaufmännische Geschäftsführung" nur "anfänglich nötig ist" (ebendas.). "Jeder Gedanke, der so neu ist wie dieser", ruft Gottfried "beseligt" aus, "bedarf vor seiner Ausführung des ruhigsten praktischen Durchdenkens bis in seine Einzelheiten. Dieses Denken" ersucht er "jedes einzelne Handwerk für sich vorzunehmen"! p. 87, 88.

Hieran reiht sich eine Polemik gegen die Staatskonkurrenz durch die Arbeit der Gefangenen, Reminiszenzen über eine Verbrecherkolonie ("Schöpfung eines menschlichen Sibiriens", p. 102), und endlich gegen "die sogenannten Handwerkerkompanien und Handwerkskommissionen" beim Militär. Es soll dem Handwerkerstand nämlich dadurch die Militärlast erleichtert werden, daß der Staat sich das Material durch die Handwerksmeister teurer anfertigen läßt, als er selbst es herstellen kann.

"Die Konkurrenzfragen sind hiermit erledigt." p. 109.

Der zweite Hauptpunkt, auf den Gottfried jetzt kommt, ist die materielle Hülfe, die der Staat dem Handwerkerstand leisten soll. Gottfried, der den Staat nur vom Standpunkt des Beamten aus betrachtet, ist der Meinung, daß dem Handwerker am einfachsten gewiß durch Vorschüsse aus der großen Staatskasse zur Errichtung von Gewerbehallen, Darlehnskassen usw. zu helfen sei. Woher die Fonds dazu in die Staatskasse kommen sollen, das darf, als die "unschöne" Seite der Frage, hier natürlich nicht untersucht werden.

<258> Schließlich kann es nicht fehlen, daß unser Theologe in die Rolle des Sittenpredigers zurückfällt und dem Handwerkerstand eine moralische Vorlesung darüber hält, wie er sich selbst helfen könne. Zunächst "Klagen über das lange Borgen und die Rechnungsabzüge", p. 136, wobei dem Handwerker aber auch die Gewissensfrage gestellt wird: "Hast du, mein Freund, für jede Arbeit, die du machst, einen gleichen und ganz unwandelbaren Preissatz?", p. 132, bei welcher Gelegenheit er besonders davor gewarnt wird, "reichen Engländern" ja nicht zuviel abzufordern. "Die Wurzel des ganzen Übels", hat Gottfried herausspintisiert, "sind die Jahresrechnungen." p. 139. Dann Jeremiaden über die Putzsucht der Handwerkerfrauen und das Wirtshausleben der Handwerksmänner. p. 140 ff.

Die Mittel nun, wodurch der Handwerkerstand sich selbst heben kann, sind "die Innung, die Krankenkasse und das Handwerkerschiedsgericht", p. 146; endlich die Bildungsvereine der Arbeiter, p. 153. Als letztes Wort dieser Bildungsvereine wird folgendes ausgesprochen:

"Endlich schlägt der Gesang mit der Deklamation in Verbindung die Brücke zur dramatischen Aufführung und zum Handwerkstheater, welches man als Endziel dieser ästhetischen Bestrebungen stets im Auge behalten muß. Erst wenn die arbeitenden Klassen wieder sich auf der Bühne bewegen lernen, ist ihre künstlerische Erziehung vollendet." p. 174/175.

So hat Gottfried den Handwerker glücklich zum Komödianten gemacht und ist damit wieder bei sich selber angekommen.

Diese ganze Schöntuerei mit den Zunftgelüsten der Bonner Handwerksmeister hatte indessen ihr praktisches Resultat. Gegen das feierliche Versprechen, auf Herstellung der Zünfte anzutragen, wurde Freund Gottfrieds Wahl zum Deputierten für Bonn zur oktroyierten zweiten Kammer durchgesetzt. "Gottfried fühlte sich von dieser Stunde an" glücklich.

Er ging sofort nach Berlin, und da er glaubte, die Regierung wolle sich in der zweiten Kammer eine feste "Innung" approbierter Gesetzgebermeister zulegen, richtete er sich dort wie auf Lebenszeit ein und beschloß, Weib und Kind nachkommen zu lassen. Da aber wurde die Kammer aufgelöst, und Freund Gottfried kehrte nach kurzem parlamentarischem Hochgenuß schmerzlich enttäuscht zu Mockel zurück.

Bald darauf brach der Konflikt zwischen den Regierungen und der Frankfurter Versammlung aus und damit die Bewegungen in Süddeutschland und am Rhein. Das Vaterland rief, und Gottfried folgte. Siegburg hatte ein Landwehrzeughaus, und Siegburg war der Ort, wo Gottfried, zunächst Bonn, am häufigsten den Samen der Freiheit ausgestreut hatte. Er verband <259> sich also mit seinem Freunde, dem ehemaligen Leutnant Anneke, und bot alle seine Getreuen zum Zuge gen Siegburg auf. Bei der fliegenden Brücke war das Rendezvous. Über hundert sollten kommen, aber als nach langem Warten Gottfried die Häupter seiner Lieben zählte, waren ihrer kaum dreißig, darunter - zur ewigen Schmach für den Maikäferverein sei es gesagt - nur drei Studenten! Unerschrocken jedoch setzt Gottfried mit seinem Häuflein über den Rhein und marschiert auf Siegburg los. Die Nacht war finster und regnicht. Plötzlich ertönt Pferdegetrappel hinter den Tapfern. Man verbirgt sich seitwärts vom Wege, eine Patrouille lanciers <Ulanen> trabt vorbei: Elende Buben hatten die Sache ausgeplaudert; die Behörden waren benachrichtigt, der Zug war vereitelt, und man mußte umkehren. Der Schmerz, der Gottfrieds Brust in dieser Nacht durchzuckte, ist nur dem zu vergleichen, den er empfand, als sowohl Knapp wie Chamisso die Aufnahme seiner ersten poetischen Blüten in ihre Musenalmanache verweigerten.

Hiernach war seines Bleibens in Bonn nicht mehr, aber bot nicht die Pfalz ein weites Feld für seine Tätigkeit? Er ging nach Kaiserslautern, und da er doch einen Posten haben mußte, so erlangte er eine Sinekure im Kriegsbüro (wie es heißt, die Leitung der Marineangelegenheiten), verdiente sich indes sein Brot durch den bereits bekannten Hausierhandel mit Freiheits- und Volksbeglückung bei den Bauern der Umgegend, und soll bei dieser Gelegenheit in einigen reaktionären Bezirken ihm nicht gar freundlich mitgespielt worden sein. Trotz dieser kleinen Mißgeschicke war Kinkel auf jeder Landstraße zu sehn, rüstig wandernd, die Reisetasche über die Schulter, und er erscheint nunmehr auch in allen Zeitungen mit dem stehenden Attribut der Reisetasche.

Aber die Pfälzer Bewegung nahm ein schnelles Ende, und wir finden Kinkel wieder in Karlsruhe, statt der Reisetasche die Muskete führend, die nun sein bleibendes Abzeichen wird. Diese Muskete soll eine sehr schöne Seite gehabt haben, nämlich einen Kolben und Schaft von Mahagoni, und war jedenfalls eine ästhetische, künstlerische Muskete; die unschöne Seite an ihr war freilich, daß Freund Gottfried weder laden, noch sehen, noch schießen, noch marschieren konnte. Weshalb ihn auch ein Freund befrug, warum denn er in den Kampf ziehen wolle, worauf Gottfried erwiderte: Ei nun, nach Bonn kann ich nicht zurück, ich muß doch leben!

So trat Gottfried ein in die Reihen der Krieger, in das Korps des ritterlichen Willich. Wie uns durch verschiedene seiner Waffenbrüder glaubhaft versichert worden, machte Gottfried von nun an alle Schicksale dieser <260> Abteilung mit, demütig und in Gestalt eines gemeinen Freischärlers, leutselig und freundlich in bösen wie in guten Zeiten, jedoch meistens auf dem Marodenwagen. Bei Rastatt aber sollte dieser lautere Zeuge für Wahrheit und Recht jene Prüfung bestehn, aus der er seitdem als Märtyrer unter der Bewunderung des ganzen deutschen Volkes unbefleckt hervorgegangen ist. Die näheren Umstände dieses Ereignisses sind noch immer nicht mit Genauigkeit festgestellt, nur soviel wird versichert, daß, als ein Trupp Freischärler beim Tiraillieren auf Abwege geriet, einige Schüsse ihnen in die Flanke kamen, daß eine Kugel unsern Gottfried leicht am Kopfe streifte und er umfiel mit dem Ausruf: "Ich bin tot!", daß er zwar nicht tot war, aber doch auf dem Rückzug der Übrigen nicht mitkonnte und in ein Bauernhaus geleitet wurde, wo er sich mit den Worten an die biedern Schwarzwälder wandte: "Rettet mich, ich bin der Kinkel!"- endlich, daß ihn hier die Preußen fanden und ihn abführten in die babylonische Gefangenschaft.