Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 7, 5. Auflage 1973, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1960, Berlin/DDR. S. 468-493.
Geschrieben April 1851.
Nach dem Manuskript.
<468> Ich nehme als ausgemacht an, daß jede siegreiche Pariser Revolution im J[ahre] 1852 sofort einen Krieg der Heil[igen] Allianz gegen Frankreich zur Folge hat.
Dieser Krieg wird ein ganz andrer sein als der von 1792-94, und die damaligen Ereignisse können in keiner Weise zur Parallele dienen.
I
Die Wunder des Konvents, in der milit[ärischen] Besiegung der Koalition, reduzieren sich bei näherer Betrachtung bedeutend, und man begreift und findet sogar in vielen Punkten gerechtfertigt die Verachtung Napoleons gegen die 14 Armeen des Konvents; N[apoleon] pflegte zu sagen, daß die Böcke der Koalition das meiste getan hätten, was ganz richtig ist, und er hielt Carnot noch auf St. Helena für einen mittelmäßigen Kopf.
Im August 1792 fielen 90.000 Preußen und Östreicher nach Frankreich ein. Der König v[on] Preußen wollte direkt auf Paris marschieren, Braunschweig und die östr[eichischen] Generale wollten nicht. Keine Einheit im Kommando; bald Zaudern, bald rasches Vorgehn, stets wechselnde Pläne. Nach der Passage der Argonnen-Defileen stellt Dumouriez sich ihnen bei Valmy und St. Menehould entgegen. Die Alliierten konnten ihn umgehn und ihn ruhig stehnlassen, er mußte ihnen auf Paris folgen und war, bei einigermaßen erträglichem Verfahren, ihnen nicht einmal im Rücken gefährlich. Sie konnten aber auch sichrer gehn und ihn schlagen, was leicht war, da sie mehr und bessre Truppen hatten, was die Franzosen selbst zugeben. Statt dessen liefern sie ihm die lächerliche Kanonade vom Valmy, wo während der Schlacht, ja während der Kolonnenattacke selbst, von der verwegneren zur zaghafteren Meinung mehr als einmal von den Generälen umgesprungen wird. Die beiden <471> Attacken selbst waren lausig an Masse, an Kraft, an spirit <Kampfgeist>, Schuld nicht der Soldaten, sondern der Schwankungen im Kommando; es waren kaum Attacken, höchstens Demonstrationen. Ein resolutes Vorgehn auf der ganzen Linie hätte die franz[ösischen] Volontärs und demoralisierten Regimenter sicher geworfen. Nach der Schlacht blieben die Alliierten wieder ratlos stehn, bis die Soldaten krank wurden.
In der Kampagne von Jemappes siegte Dumouriez dadurch, daß er zuerst halb instinktiv dem östreichischen System der Kordons und unendlich langen Fronten (von Ostende bis an die Maas) die Massenkonzentration entgegensetzte. Aber im nächsten Frühjahr verfiel er - infolge seiner Marotte, Holland erobern zu wollen - in denselben Fehler; die Östr[eicher] dagegen rückten konzentriert vor; Resultat, die Schlacht v[on] Neerwinden und der Verlust Belgiens. Bei Neerwinden sowohl wie speziell in den kleineren Engagements d[ie]s[e]r Kampagne zeigte sich, daß die franz[ösischen] Volontärs, die vielgepriesenen Helden, wenn sie nicht fortwährend unter den Augen Dumouriez's waren, sich nicht besser schlugen als die 1849er süddeutsche "Volkswehr". Nun ging noch Dumouriez über, die Vendée stand auf, die Armee war zersplittert und decouragiert, und wenn die 130.000 Östreicher und Engl[än]d[e]r resolut auf Paris marschierten, so war die Revolution bankerott, und Paris war erobert - geradeso wie im vorigen Jahr, wenn nicht solche Dummheiten passierten. Statt dessen legten sich die Herren vor die Festungen, warfen sich darauf, en détail <im einzelnen> die kleinsten Vorteile mit dem größten Aufwand strategischer Pedanterie einen nach dem andern zu erobern, und vertrödelten volle sechs Monate.
Die franz[ösische] Armee, die nach Lafayettes Abfall noch zusammenhielt, kann auf 120.000 M. angeschlagen werden. Die Volontärs von 1792 auf 60.000. Im März [17]93 wurden 300.000 Mann ausgehoben. Im August, wo die levée en masse <Massenaushebung> dekretiert, muß also die fr[anzösische] Armee mindestens 300.000-350.000 M. stark gewesen sein. Die levée en masse führte ihr ca. 700.000 zu. Alle Abzüge gerechnet, führten die Franzosen Anfang [17]94 ca. 750.000 Mann ins Feld gegen die Koalition, bedeutend mehr als die Koalition gegen Frankreich.
Vom April 1793 bis Oktb. wurden die Franzosen überall geklopft, nur daß die Schläge kein entscheidendes Resultat hatten - dank dem Trödelsystem der Koalition. Von Oktober an wechselten die Erfolge - im Winter wurde die Kampagne suspendiert, im Frühjahr [17]94 traten die levées en masse mit voller Wirkung in die Schlachtlinie ein; Resultat, Siege auf allen <472> Seiten im Mai, bis endl[ich] im Juni der von Fleurus das Schicksal der Revolution entscheidet.
Der Konvent, und das Ministerium des 10. August vor ihm, hatte also Zeit genug zum Rüsten. Vom 10, Aug. [1792] - März [17]93 geschah nichts - die Volontärs zählen kaum. Im März [17]93 die 300.000 M[ann] ausgehoben - von März bis zum nächsten März hatte der Konvent volle Zeit und Freiheit zum Rüsten, ein volles Jahr, davon zehn Monate, wo die revolutionäre Partei durch den Sturz der Girondins von allen Hindernissen befreit war. Und in einem Lande von 25 Millionen, das sein Normalkontingent waffenfähiger Bevölkerung besaß, eine Million Soldaten, 750.000 aktive Kombattanten gegen einen auswärtigen Feind zusammenzubringen (3% der Bevölkerung) ist, so neu es damals war, keine Hexerei, wenn man ein Jahr Zeit hat.
Mit Ausnahme der Vendée rechne ich die inneren Aufstände, militärisch gesprochen, für Null. Bis auf Lyon und Toulon waren sie in 6 Wochen ohne Schwertstreich beruhigt; Lyon wurde durch levées en masse, Toulon durch einen schlagenden Einfall Napoleons, durch einen resoluten Sturm und durch Fehler der Verteidiger genommen.
Die 750.000 M., die 1794 gegen die Koalition geführt wurden, hatten mindestens 100.000 alte Soldaten aus der Monarchie und 150.000 andre, teils aus den Volontärs, teils aus der levée der 300.000 herstammende, unter fortwährenden Gefechten seit 18 resp. 12 Monaten an den Krieg gewöhnte Soldaten; dazu war von den 500.000 Neuen wenigstens die Hälfte schon in den Gefechten vom Sept., Okt. und Nov. [17]93 beteiligt gewesen, und die Jüngsten mußten wenigstens 3 Monate im Bataillon sein, als sie vor den Feind geführt wurden. Napoleon, im span[ischen] Feldzug, rechnet 3-4 Wochen für die Zeit der Einübung, der école de bataillon <Bataillonsschule>. Abgerechnet die Subalternen und Stabsoffiziere, die bei den Koalierten damals im Durchschnitt gewiß besser waren, war die fr[anzösische] Armee von [17]94, dank der ihr zur Organisation gelassenen Zeit, dank dem ewig resultatlos fechtenden System der Alliierten - ein System, das eine erprobte, bes[onders] aggressive Armee demoralisiert und die des Feindes, wenn sie jung ist und die Defensive hält, diszipliniert und an den Krieg gewöhnt -, war also die f[ran]z[ösische] Armee 1794 keine rohe, brüllende, begeischterte Freischar "für Republik zu sterben", sondern a very fair army <eine sehr beachtliche Armee>, den Feinden gewiß gleich. Die Generäle der Franzosen waren 1794 jedenfalls viel besser, obwohl sie Schnitzer genug machten; aber die Guillotine sicherte die Einheit des Kommandos und die Harmonie der Operationen da, wo nicht, was bloß ausnahms- <473> weise geschah, die Repräsentanten auf eigne Faust Dummheiten machten. Le noble Saint-Just en fit plusieurs. <Der edle Saint-Just machte deren mehrere>
Randglosse über die Massentaktik: 1. Die erste rohe Idee davon entstand aus dem glücklichen Manöver von Jemappes, das mehr instinktiv war als militärisch kalkuliert. Sie entstand aus dem wüsten Zustand der franz[ösischen] Armee, die der Überzahl bedurfte, um nur einiges milit[ärisches] Selbstvertrauen zu haben; die Masse mußte die Disziplin ersetzen. Carnots Anteil in dieser Erfindung ist gar nicht klar. - 2. Diese Massentaktik blieb im rohesten Zustand und wurde z.B. 1794 bei Tourcoing und Fleurus gar nicht angewandt (die F[ran]z[osen] und Carnot selbst machten die gröbsten Schnitzer), bis endlich Napoleon 1796 durch den sechstägigen piemontesisehen Feldzug und die wirkliche Vernichtung einer überlegnen Macht en détail den Leuten zeigte, worauf sie hinaussteuerten, ohne sich bisher darüber klargeworden zu sein. - 3. Was Carnot selbst angeht, wird mir der Kerl immer verdächtiger. Ich kann natürlich nicht definitiv urteilen, ich habe seine Depeschen an die Generäle nicht. Aber nach dem, was vorliegt, scheint sein Hauptverdienst in der grenzenlosen Ignoranz und Unfähigkeit seiner Vorgänger Pache und Bouchotte bestanden zu haben und in der totalen Unbekanntschaft des ganzen übrigen comité de s[alut] p[ublic] <Wohlfahrtsausschusses> mit militärischen Sachen. Dans le royaume des aveugles le borgne est roi. <Im Reich der Blinden ist der Einäugige König.> Carnot, alter Ingenieuroffizier, selbst als Repräs[entant] bei der Nordarmee gewesen, wußte, was eine Festung, eine Armee an Material etc. braucht, und speziell, was den Franz[osen] fehlt. Er hatte ebenfalls notwendigerweise eine gewisse Anschauung von der Manier, wie man die milit[ärischen] Ressourcen eines Landes wie Frankreich in Bewegung setzt, und da es bei einer revolut[ionären] levée en masse, wobei ohnehin viel waste <Verlust> gemacht wird, auf etwas mehr oder weniger Verschwendung von Ressourcen nicht ankommt, sobald nur der Hauptzweck, schnelle Mobilisierung dieser Ressourcen, erreicht wird, so braucht man Carnot gerade kein großes Genie zuzuschreiben, um seine Resultate zu erklären Was mich an der ihm zugeschriebnen Erfindung des Massenkriegs pour sa part <für seinen Teil> zweifeln macht, ist besonders, daß seine weitaus gehendsten Pläne von 1793/94 grade auf der entgegengesetzten Kriegsmanier beruhten; er teilte die f[ran]z[ösischen] Armeen, statt sie zu konzentrieren, und operierte gegen die Flügel des Feindes so, daß dieser dadurch selbst konzentriert wurde. Dann seine spätere Karriere, die Tugendritterei unter d[em] Konsulat etc., seine brave Verteidigung Antwerpens - die Verteidigung <474> einer Festung ist im Durchschnitt der beste Posten für einen mittelmäßigen, methodischen, aber mit einiger Zähigkeit behafteten Offizier, um sich auszuzeichnen, und dann dauerte die Belagerung v[on] Antw[erpen] 1814 keine 3 Monate -, endlich sein Versuch, dem Napoleon 1815, gegenüber den zentralisierten 1.200.000 Soldaten der Koalition und das bei gänzlich verändertem Kriegssystem, die Mittel von [17]93 aufzudrängen, und seine Philisterei überhaupt, alles das spricht nicht sehr für Carnots Genie. Und dann, wo ist es vorgekommen, daß ein ordentlicher Kerl sich, wie er getan, durch Thermidor, Fruktidor, Brumaire usw. durchgepißt hätte.
Summa summarum. Der Konvent wurde gerettet einzig und allein, weil die Koalition nicht zentralisiert war und er dadurch ein volles Jahr Zeit zum Rüsten bekam. Er wurde gerettet, wie der alte Fritz im Siebenjährigen Krieg gerettet wurde, wie Wellington 1809 in Spanien gerettet wurde, obwohl die Franzosen quantitativ und qualitativ mindestens dreimal stärker waren als ihre sämtl[ichen] Gegner und nur dadurch ihre kolossale Macht paralysierten, daß die Marschälle, als Napoleon fort war, einander allen möglichen Schabernack antaten.
II
Die Koalition ist heutzutage über die Dummheiten von [17]93 längst hinweg. Sie ist famos zentralisiert. Sie war es schon 1813. Die russische Kampagne von 1812 machte Rußland zum Schwerpunkt der ganzen Heiligen Allianz für den Kontinentalkrieg. Seine Truppen bildeten die Hauptmasse, um die sich erst später Preußen, Östr[eich] pp. gruppierten, und sie blieben die Hauptmasse bis nach Paris hinein. Alexander war faktisch Kommandeur en chef <Oberkommandierender> aller Armeen (d.h. der russische Generalstab hinter Alex[ander]). Seit 1848 aber ist die Heilige Allianz noch auf einer viel solideren Basis konstruiert. Die Entwicklung der Kontrerevolution [18]49-51 hat den Kontinent, mit Ausnahme von Frankreich, gegenüber Rußland in die Lage gebracht, in der sich der Rheinbund und Italien gegen Napoleon befanden, reines Vasallentum. Nicolas, id est Paskewitsch, ist der unvermeidliche Diktator der Heiligen Allianz en cas de guerre <im Kriegsfall>, wie Nesselrode es schon en temps de paix <in Friedenszeiten> ist.
Was ferner die moderne Kriegskunst betrifft, so ist sie von Napoleon vollständig ausgebildet worden. Bis zum Eintritt gewisser Verhältnisse, wovon weiter unten, bleibt nichts übrig, als Napoleon nachzuahmen, soweit die Verhältnisse es erlauben. Diese moderne Kriegskunst ist aber weltbekannt. In <475> Preußen ist sie jedem Sekondeleutnant schon vor dem Portepeefähndrichsexamen eingepaukt, soweit sie sich einpauken läßt. Was die Östreicher angeht, so haben sie in der ungarischen Kampagne ihre schlechten, spezifisch östreichischen Generale kennengelernt und beseitigt - die Windischgrätze, Welden, Götz u.a. alte Weiber. Dagegen - da wir keine "N[eue] Rh[einische] Z[ei tung]" mehr schreiben, brauchen wir uns keine Illusionen mehr zu machen - sind die beiden Kampagnen Radetzkys in Italien, die erste vortrefflich, die zweite meisterhaft. Wer ihm dabei geholfen, ist einerlei, jedenfalls hat der alte Kerl bon sens <gesunden Menschenverstand> genug, geniale Gedanken anderer zu erfassen. Die Defensivstellung 1848 zwischen den 4 Festungen Peschiera, Mantua, Legnago, Verona, alle 4 Seiten des Vierecks gut gedeckt, und seine Verteidigung dieser Stellung, bis er Hülfe bekam, mitten in einem insurgierten Lande, würde ein Meisterstück sein, wäre ihm nicht das Aushalten durch die miserable Führung, die Uneinigkeit und das ewige Schwanken der ital[ienischen] Generale und die Intrigen Karl Alberts und die Unterstützung der reakt[ionären] Aristokr[aten] und Pfaffen im feindl[ichen] Lager enorm erleichtert worden. Auch ist nicht zu vergessen, daß er im fruchtbarsten Land der Welt saß und für den Unterhalt seiner Armee unbesorgt war. - Die Kampagne von [18]49 aber ist für Östreicher unerhört. Die Piemontesen, statt mit konzentrierter Masse die Straße nach Turin bei Novara und Mortara (Linie 3 Meilen lang) zu versperren, was am besten war, oder von dort aus in 2-3 Kolonnen auf Mailand vorzürücken, stellen sich von Sesto bis Piacenza auf - Linie von 20 Meilen, à 70.000 M., nur 3.500 M. per d[eut]sche Meile <7.420 m> und 3-4 starke Tagmärsche von einem Flügel zum andern. Elende konzentrische Operation gegen Mailand, wobei sie überall zu schwach waren. Radetzky, sehend, daß die Ital[iener] das alte östr[eichische] System von [17]92 anwenden, operiert gegen sie, genau wie Napoleon getan hätte. Die piemontes[ische] Linie war vom Po in 2 Stücke geschnitten, ein sackgrober Fehler. Er durchbricht die Linie dicht am Po, trennt die 2 südlichen von den 3 nördl[ichen] Divisionen, indem er einen Klumpen von 60.000 M. dazwischenschiebt, greift die 3 nördl[ichen] Divis[ionen] (kaum 35.000 M. konzentriert) rasch mit seiner ganzen Macht an, wirft sie in die Alpen und trennt beide Korps der piemont[esischen] Armee voneinander und von Turin. Dies Manöver, das die Kampagne in 3 Tagen beendete und das fast buchstäblich dem von Napoleon 1809 bei Abensberg und Eggmühl gemachten, dem genialsten aller napoleonischen Manöver, nachkopiert ist, beweist jedenfalls, daß die Östreicher weit entfernt davon sind, noch als die alten "immer langsam voran" zu <476> paradieren; es war grade die Rapidität hier, die alles entschied. Die Verrätereien der Aristokraten und Ramorinos haben die Sache erleichtert, besonders durch genaue Nachrichten über Stellung und Pläne der Italiener, auch die Gemeinheit der savoyischen Brigade bei Novara, die nicht focht, sondern plünderte. Aber militärisch gesprochen, ist die elende Aufstellung der Piemontesen und das Manöver Radetzkys vollständig hinreichend, den Erfolg zu erklären. Diese beiden Tatsachen mußten unter allen Umständen dies Resultat haben. - Die Russen endlich sind durch die Natur ihrer Armee selbst auf ein Kriegssystem angewiesen, das dem modernen sehr nahkommt. Ihre Armee besteht der Hauptstärke nach aus massenhafter, halbbarbarischer, also schwerfälliger Infanterie und zahlreicher halbbarbarischer, leichter, unregelmäßiger Kavallerie (Kosaken). Die Russen haben in entscheidenden Gefechten, in großen Schlachten, nie anders als mit Massen gewirkt; Suworow verstand das schon beim Sturm von Ismail und v[on] Otschakow. Die Beweglichkeit, die ihnen fehlt, wird durch die unregelmäßige Kavallerie, die nach allen Seiten hin sie umschwärrnt und jede Bewegung der Armee maskiert, teilweise ersetzt. Gerade diese schwere Massenhaftigkeit der russ[ischen] Armee macht sie aber vortrefflich geeignet, den Kern und Rückhalt, das Pivot, einer Koalitionsarmee zu bilden, deren Operationen immer etwas langsamer sein müssen als die einer nationalen Armee. Diese Rolle haben die Russen 1813 und [18]14 mit Auszeichnung gespielt, und es kommt in diesen Jahren kaum ein Schlachtplan vor, wo nicht die massenhaften russischen Kolonnen vor allen andern durch ihre Tiefe und Dichtigkeit sogleich auffallen.
Die Franzosen sind seit 1812 kaum noch als die vorzugsweisen Träger der napoleonischen Tradition anzusehn. Diese Tradition ist mehr oder weniger auf sämtliche europäische große Armeen übergegangen; in jeder hat sie, meist schon in den letzten Jahren des Empire, eine Revolution hervorgerufen; von jeder ist das napoleonische System, soweit dies mit dem Charakter der Armee harmoniert, in Strategik und Taktik adoptiert. Der nivellierende Einfluß der Bourgeoisepoche ist hier auch fühlbar; die alten nationalen Besonderheiten sind auch in den Armeen am Verschwinden, und die franz[ösische], östr[eichische] und preuß[ische] Armee, großenteils sogar die englische, sind für napoleonische Manöver so ziemlich gleich gut organisierte Maschinen. Das hindert nicht, daß sie sonst, im Gefecht pp., sehr verschiedene Qualitäten haben. Aber von allen europ[äischen] Armeen (großen) ist nur die russische, halbbarbarische, einer eignen Taktik und Strategik fähig, weil sie allein für das vollständig entwickelte moderne Kriegssystem noch nicht reif ist.
Was die Franzosen angeht, so haben sie durch den algerischen kleinen Krieg sogar den Faden der napoleonischen Tradition des großen Kriegs <477> unterbrochen. Es muß sich zeigen, ob dieser Räuberkrieg seine nachteiligen Folgen für die Disziplin durch die Vorteile der Krieggewöhnung aufwiegt; ob er die Leute an Strapazen gewöhnt oder sie durch Überanstrengung knickt; endlich, ob er nicht auch den Generälen den coup d'œil <raschen Überblick> für den großen Krieg verdirbt. Jedenfalls wird die franz[ösische] Kavallerie in Algier verdorben; sie verlernt ihre force <Stärke>, den geschlossenen choc <Angriff>, und gewöhnt sich an ein Schwärmsystem, in dem ihr die Kosaken, Ungarn und Polen immer überlegen bleiben werden. Von den Generälen hat Oudinot sich vor Rom blamiert und nur Cavaignac sich im Juni ausgezeichnet - alles das sind aber noch keine grandes épreuves <große Bewährungsproben>.
Die Chancen der überlegenen Strategie und Taktik sind demnach im ganzen wenigstens ebensosehr auf seiten der Koalition wie auf der der Revolution.
III
Aber wird nicht eine neue Revolution, die eine ganz neue Klasse zur Herrschaft bringt, auch, wie die erste, neue Kriegsmittel und eine neue Kriegführung hervorrufen, vor der die jetzige, napoleonische, ebenso veraltet und ohnmächtig erscheint wie die des Siebenjähr[igen] Kriegs vor der der ersten Revolution?
Die moderne Kriegführung ist das notwendige Produkt der Franz[ösischen] Revolution. Ihre Voraussetzung ist die soziale und politische Emanzipation der Bourgeoisie und der Parzellenbauern. Die Bourgeoisie schafft das Geld, die Parzellenbauern stellen die Soldaten. Die Emanzipation beider Klassen von feudalen und Zunftfesseln ist nötig, um die jetzigen kolossalen Armeen stellen zu können; und der mit dieser gesellsch[aftlichen] Entwicklungsstufe verknüpfte Grad von Reichtum und Bildung ist ebenfalls nötig, um das für moderne Armeen nötige Material an Waffen, Munition, Lebensmitteln pp. zu schaffen, um die nötige Anzahl gebildeter Offiziere zu stellen und dem Soldaten selbst die nötige Intelligenz zu geben.
Ich nehme das moderne Kriegssystem, wie Napoleon es vollständig ausbildete. Seine zwei Pivots sind: Massenhaftigkeit der Angriffsmittel an Menschen, Pferden und Geschützen und Beweglichkeit dieser Angriffsmittel. Die Beweglichkeit ist die notwendige Folge der Massenhaftigkeit. Die modernen Armeen können nicht, wie die kleinen Heere des Siebenjähr[igen] Kriegs, monatelang auf einem Gebiet von 20 Meilen hin und her marschieren. <478> Sie können nicht ihren sämtlichen Bedarf an Lebensmitteln in Magazinen nachführen. Sie müssen einen Bezirk wie ein Heuschreckenschwarm überfallen, im Bereich ihrer Kavallerie rechts und links ausfouragieren und müssen fort, wenn alles verzehrt ist. Die Magazine sind hinreichend, wenn sie nur für unvorhergesehene Zufälle ausreichen; sie werden jeden Augenblick geleert und neu gefüllt; sie müssen dem schnellen Marsch der Armee folgen und können daher selten dahin kommen, den Bedarf der Armee nur auf einen Monat zu decken. Das moderne Kriegssystem ist daher in einem armen, halbbarbarischen, dünnbevölkerten Land auf die Dauer unmöglich. Die Franzosen gingen an dieser Unmöglichkeit in Spanien langsam, in Rußland rasch zugrunde. Dafür aber gingen die Spanier auch an den Franzosen zugrunde, ihr Land wurde enorm ausgesogen, und die Russen können ihr eignes, schwerfälliges Massenkriegssystem selbst in Polen nicht auf die Dauer, im eigentl[ichen] Rußland, solange sie keine Eisenbahnen haben, aber gar nicht anwenden. Die Defensive am Dnepr und an der Dwina würde Rußland ruinieren.
Zu dieser Beweglichkeit gehört aber auch ein gewisser Bildungsgrad des Soldaten, der sich in manchen Fällen selbst zu helfen wissen muß. Die bedeutende Ausdehnung des Patrouillierens und Fouragierens, des Vorpostendiensts pp., die größere Aktivität, die von jedem Soldaten gefordert wird, die häufigere Wiederholung von Fällen, in denen der Soldat einzeln agiert und auf seine eignen intellektuellen Ressourcen angewiesen ist, endlich die große Bedeutung des Tirailleurgefechts, dessen Erfolg von der Intelligenz, dem coup d'œil und der Energie jedes einzelnen Soldaten abhängt, setzen alle einen größeren Bildungsgrad beim Unteroffizier und Soldaten voraus, als dies beim alten Fritz der Fall war. Eine barbarische oder halbbarbarische Nation hat aber keinen solchen Bildungsgrad bei den Massen aufzuweisen, daß die ersten besten 500.000-600.000 Mann, die man aushebt, einerseits diszipliniert, maschinenmäßig eingeübt werden und zugleich diesen coup d'œil für den kleinen Krieg bekommen oder behalten könnten. Die Barbaren haben diesen coup d'œil des Räubers von Natur, z.B. die Kosaken; aber sie sind dafür zum regelmäßigen Kriegsdienst ebenso incapabel <unfähig> wie umgekehrt die leibeignen russischen Infanteristen zum richtigen Tiraillieren.
Dieser allgemeine Durchschnittsbildungsgrad, den das moderne Kriegssystem bei jedem Soldaten voraussetzt, findet sich nur in den entwickeltsten Ländern: in England, wo der Soldat, so roher Bauer er war, die zivilisierende Schule der Städte durchmacht; in Frankreich, wo die emanzipierten <479> Parzellenbauern und der geriebene Mob der Städte (Remplaçants <Ersatzleute für die sich vom Militärdienst Loskaufenden>) die Armee bilden; in Norddeutschland, wo der Feudalismus entweder ebenfalls vernichtet ist oder plus ou moins <mehr oder weniger> bürgerliche Formen angenommen hat und wo die Städte ein bedeutendes Kontingent zur Armee stellen; endlich scheint er, nach den letzten Kriegen, wenigstens in einem Teil der östr[eichischen] Armee, die aus den am wenigsten feudalen Gegenden rekrutiert ist, auch zu existieren. Abgesehn von England, bildet die Parzellenkultur überall die Basis der Armee, und die Armee ist für das moderne Kriegssystem um so geeigneter, je mehr die Stellung des Parzellenbauern sich der des freien Eigentümers nähert.
Aber nicht nur die Beweglichkeit des einzelnen Soldaten, auch die der Massen selbst setzt den Zivilisationsgrad der Bourgeoisepoche voraus. Die Schläfrigkeit der vorrevolutionären Armeen hängt genau mit dem Feudalismus zusammen. Die Masse der Offiziersequipagen allein verhinderte jede Bewegung. Die Armeen krochen ebenso langsam wie die ganze Bewegung. Die aufkommende Bürokratie der absoluten Monarchien brachte etwas mehr Ordnung in die Verwaltung des Materials, aber ihre Allianz mit der haute finance <Hochfinanz> organisierte gleichzeitig den Unterschleif en gros, und wo die Bürokr[atie] den Armeen irgend etwas nützte, schadete sie ihnen doppelt durch den Geist des Schematismus und der Pedanterie, den sie ihnen beibrachte. Witness <Zeuge> der alte Fritz allerhöchstselbst. Rußland laboriert noch jetzt an diesen sämtlichen Übelständen; die russ[ische] Armee, überall geprellt und geschunden, ist ausgehungert, und auf dem Marsch fallen die Kerls wie die Fliegen. Erst der Bourgeoisstaat ernährt seine Truppen erträglich und kann daher auf die Beweglichkeit seiner Armee rechnen.
Was die Beweglichkeit angeht, so ist diese also in jeder Beziehung eine Eigenschaft der Bourgeoisarmeen. Die Beweglichkeit aber ist nicht nur die notwendige Ergänzung der Massenhaftigkeit, sie ersetzt sie oft auch (Napoleon in Piemont 1796).
Aber die Massenhaftigkeit ist ebensosehr Spezialeigenschaft der modernen zivilisierten Armeen wie die Beweglichkeit.
Wie verschieden die Methode der Aushebung sein mag - Konskription, preuß[ische] Landwehr, Schweiz[er] Miliz, levée en masse -,die Erfahrung der letzten 60 Jahre beweist, daß unter dem Regime der Bourgeoisie und der freien Parzellenbauern in keinem Volkskrieg mehr als 7% der Bevölkerung unter die Waffen gerufen, also etwa 5% aktiv verwendet werden können. <480> Frankreich 1793 im Herbst, à 25 Mill[ionen] angenommen, hätte hiernach 1.750.000 Soldaten und 1.250.000 wirkliche Kombattanten stellen können. Die 1.250.000 waren um diese Zeit an den Grenzen, vor Toulon, in der Vendée - beide Seiten hier gerechnet - so ziemlich vorhanden. In Preußen - jetzt 16 Mill. - würden 7 und 5% betragen 1.120.000 M. und 800.000 M. Die ganze preuß[ische] Macht, Linie und Landwehr, beträgt aber kaum 600.000. Dies Beispiel zeigt, wieviel schon 5% für eine Nation sind.
Eh bien <Nun gut> - wenn Frankreich und Preußen 5% ihrer Bevölkerung leicht und im Notfall selbst 7% unter die Waffen rufen können, so ruft Östreich im äußersten Fall höchstens 5 und Rußland kaum 3% zusammen. 5% für Östreich wären 1.750.000 - zu 35 Mill. angenommen. 1849 hatte Östreich alle seine Kräfte angestrengt. Es hatte ca. 550.000 Mann. Die Ungarn, deren Kräfte durch die Kossuthnoten verdoppelt waren, hatten vielleicht 350.000. Ich rechne noch 50.000 Lombarden, die sich der Konskription entzogen oder die im piemonte[sischen] Heer dienten - Summa 950.000 M., also noch nicht 22/3% der Bevölkerung; wobei die kroat[ischen] Grenzer, die in exzept[ionellen] Verhältnissen lebten, wenigstens 15% ihrer Bev[ölkerung] stellten. - Rußland hat, gering gerechnet, 72 Mill. Einwohner; müßte also bei 5% 3.600.000 stellen können. Statt dessen hat es nie über 1.500.000, reguläre und irregul[äre] zusammen, stellen und davon in s[einem] eignen Land höchstens 1.000.000 gegen d[en] Feind führen können, d.h. seine Gesamtmacht war nie über 21/12, seine aktive Macht nie über 17/18 oder 139/100% Die dünne Bevölkerung auf enormem Raum, der Mangel an Kommunikationen und die geringe nationale Produktion erklären dies sehr einfach.
Wie die Beweglichkeit, ist die Masse der Angriffsmittel notwendiges Resultat der höheren Zivilisationsstufe, und speziell ist die moderne Proportion der bewaffneten Masse zur Gesamtbevölkerung unvereinbar mit jedem Gesellschaftszustande, der unter der emanzipierten Bourgeoisie steht.
Die moderne Kriegführung setzt also die Emanzipation der Bourgeois und Bauern voraus, sie ist der militärische Ausdruck dieser Emanzipation.
Die Emanzipation des Proletariats wird auch einen besondern militärischen Ausdruck haben, wird eine aparte, neue Kriegsmethode erzeugen. Cela est clair. <Das ist klar> Es läßt sich sogar schon bestimmen, welcher Art die materiellen Grundlagen dieser neuen Kriegführung sein werden.
Aber ebensoweit, wie die bloße Eroberung der politischen Herrschaft durch das jetzige konfuse, teilweise den Schwanz andrer Klassen bildende französische und deutsche Proletariat entfernt ist von der wirklichen Emanzipation <481> des Proletariats, die in der Aufhebung aller Klassengegensätze besteht, ebensoweit entfernt ist die anfängliche Kriegführung der zu erwartenden Revolution von der Kriegführung des wirklich emanzipierten Proletariats.
Die wirkliche Emanzipation des Proletariats, die vollständige Beseitigung aller Klassenunterschiede und die vollständige Konzentrierung aller Produktionsmittel in D[eu]tschl[and] und Frankreich setzt voraus die Mitwirkung Englands und mindestens die Verdopplung der jetzt in D[eu]tschl[and] und F[ran]k[rei]ch vorhandenen Produktionsmittel. Gerade das aber setzt eine neue Art der Kriegführung ebenfalls voraus.
Die großartigen Entdeckungen Napoleons in der Kriegswissenschaft können nicht durch ein Wunder beseitigt werden. Die neue Kriegswissenschaft muß ein ebenso notwendiges Produkt der neuen gesellschaftlichen Verhältnisse sein, wie die von der Revolution und Napoleon geschaffene das notw[endige] Resultat der durch die Revolution gegebenen neuen Verhältnisse war. Wie es sich aber in der proletarischen Revolution für die Industrie nicht darum handelt, die Dampfmaschinen abzuschaffen, sondern sie zu vermehren, so für die Kriegführung handelt es sich darum, die Massenhaftigkeit und Beweglichkeit nicht zu vermindern, sondern zu potenzieren.
Die Voraussetzung der napol [eonischen] Kriegführung waren vermehrte Produktivkräfte; die Voraussetzung jeder neuen Vervollkommnung in der Kriegführung müssen ebenfalls neue Produktivkräfte sein. Die Eisenbahnen und elektr[ischen] Telegraphen werden schon jetzt bei europ[äischen] Kriegen einem talentvollen General oder Kriegsminister zu ganz neuen Kombinationen Anlaß geben. Die allmähliche Steigerung der Produktivkräfte und damit der Bevölkerung hat ebenfalls Gelegenheit zu größeren Massenanhäufungen gegeben. In Frankreich statt 25, 36 Millionen, gibt für 5% nicht mehr 1.250.000, sondern 1.800.000 Mann. In beiden Fällen hat die Macht der zivilisierten Länder gegen die der barbarischen sich verhältnismäßig vermehrt. Sie allein haben große Eisenbahnnetze, und ihre Bevölkerung ist doppelt so rasch gewachsen wie die von Rußland z.B. - Alle diese Berechnungen beweisen, nebenbei gesagt, wie rein unmöglich eine dauernde Unterjochung Westeuropas unter Rußland ist und wie unmöglicher sie mit jedem Tage wird.
Die Macht der neuen, durch die Abschaffung der Klassen zu erzeugenden Kriegführung kann aber nicht darin bestehen, daß die disponiblen 5% mit dem Wachstum der Bevölkerung immer bedeutendere Massen bilden. Sie muß darin bestehn, daß man instand gesetzt wird, nicht mehr 5, resp. 7%, sondern 12-16% der Bevölkerung, id est die Hälfte bis zwei Drittel der männlichen erwachsenen Bevölkerung - die gesunden Leute von 18-30 oder resp. 40 Jahren -, unter die Waffen zu rufen. Wie aber Rußland seine disponible <482> Macht nicht von 2-3% auf 5% steigern kann, ohne eine vollständige Revolution seiner ganzen innern soz[ialen] und polit[ischen] Organisation und seiner Produktion vor allen Dingen, so kann D[eu]tschl[and] und F[ran]k[rei]ch nicht seine disp[onible] Macht von 5 auf 12% bringen, ohne seine Produktion zu revolutionieren und mehr als zu verdoppeln. Erst wenn die Durchschnittsarbeit jedes einzelnen durch Maschinen pp. doppelt soviel wert ist wie jetzt, kann die doppelte Zahl von der Arbeit entbehrt werden - selbst nur für kurze Zeit, denn die 5% sind von keinem Land je lange auf den Beinen erhalten worden.
Sind die Bedingungen dazu erfüllt, ist die nationale Produktion hinreichend gesteigert und zentralisiert, sind die Klassen abgeschafft, was durchaus notwendig ist - der preuß[ische] Einjähr[ig] -Freiwillige, solange er nicht Unteroffizier oder L[an]dwehroffizier ist, wird wegen seiner gesellschaftl[ichen], aristokr[atischen] Stellung nie ein brauchbarer Soldat neben den Bauern und Knoten -, so ist nur die Limite der waffenfähigen Bevölkerung die Schranke der wirklichen Aushebung, d.h., im äußersten Notfall können momentan 15-20% der Bevölkerung bewaffnet und 12-15% wirklich gegen den Feind geführt werden. Diese enormen Massen setzen aber eine ganz andre Beweglichkeit voraus als selbst die jetzigen Armeen. Ohne vollständiges Eisenbahnnetz können sie sich weder konzentrieren noch ernähren, noch mit Munition versehn halten, noch sich bewegen. Und ohne elektr[ische] Telegr[aphen] können sie gar nicht dirigiert werden; da es aber nicht möglich ist, daß bei solchen Massen der Stratege und der Taktiker (der auf dem Schlachtfeld kommandiert) einer und derselbe ist, so tritt hier die Teilung der Arbeit ein. Die strateg[ischen] Operationen, das Zusammenwirken der verschied[enen] Korps müssen vom Zentralpunkt der telegr[aphischen] Linien aus dirigiert werden; die taktischen von d[en] einzelnen Generalen. Daß unter diesen Umständen Kriege in noch weit kürzerer Zeit entschieden werden können und müssen als selbst durch Napoleon, ist klar. Der Kostenpunkt macht es nötig, die notwendige entscheidende Wirkung jedes Schlags mit solchen Massen macht es unvermeidlich.
An Masse und strategischer Beweglichkeit müssen diese Armeen also schon ganz unerhört furchtbar sein. Die taktische Beweglichkeit (beim Patrouillieren, Tiraillieren, auf d[em] Schlachtfeld) muß bei solchen Soldaten ebenfalls bedeutend größer sein, sie sind robuster, gelenkiger, intelligenter als alles, was die jetzige Gesellschaft leisten kann.
Leider aber kann das alles erst nach langen Jahren und zu einer Zeit durchgeführt werden, wo derartige Massenkriege aus Mangel an einem adäquaten Feind nicht mehr vorkommen können. In der ersten Zeit der proleta- <483> rischen Revolution existieren zu alledem die ersten Bedingungen nicht, am allerwenigsten im Jahr 1852.
Das Proletariat in Frankreich bildet jetzt gewiß kaum die doppelte Prozentzahl der Bevölkerung gegen 1789. Damals war das Proletariat - wenigstens [17]92-94 - so aufgewühlt und in tension <Spannung>, wie es nächstens nur sein wird. Schon damals stellte es sich heraus, daß in Revolutionskriegen mit heftigen innern Konvulsionen die Masse des Proletariats zur Verwendung im Innern nötig ist. Dasselbe wird jetzt wieder und wahrscheinlich mehr als je der Fall sein, da die Chancen für den sofortigen Ausbruch von Bürgerkriegen mit dem Vorrücken der Alliierten zunehmen. Das Proletariat wird daher nur einen kleinen Kontingent zur aktiven Armee schicken können; die Hauptquelle der Aushebung bleibt der Mob und die Bauern. D.h., die Revolution wird Krieg zu führen haben mit den Mitteln und nach der Methode der allgemeinen modernen Kriegführung.
Nur ein Ideologe könnte fragen, ob nicht mit diesen Mitteln, d.h. einer aktiven Armee von 4-5% der Bevölkerung, neue Kombinationen zu machen, neue überraschende Verwendungsmethoden zu erfinden seien. Ebensowenig wie man auf dem Webstuhl das Produkt vervierfachen kann, ohne die bewegende Kraft, die Handarbeit, durch den Dampf zu ersetzen, ohne ein neues Produktionsmittel zu erfinden, das mit dem alten Handwebstuhl nur wenig mehr gemein hat, ebensowenig kann man in der Kriegskunst mit den alten Mitteln neue Resultate erzeugen. Erst die Herstellung neuer, gewaltigerer Mittel macht die Erzielung neuer, großartigerer Resultate möglich. Jeder große Feldherr, der in der Kriegsgeschichte durch neue Kombinationen Epoche macht, erfindet selbst entweder neue materielle Mittel oder er entdeckt zuerst den richtigen Gebrauch neuer, vor ihm erfundener materieller Mittel. Zwischen Turenne und dem alten Fritz liegt die Revolution in der Infanterie, die Verdrängung der Pike und des Luntenschlosses durch das Bajonett und das Steinschloß - und das Epochemachende in der Kriegswissenschaft des alten Fritz besteht darin, daß er innerhalb der Grenzen der damaligen Kriegführung überhaupt die alte Taktik den neuen Instrumenten gemäß umschuf und ausbildete. Gerade wie Napoleons epochemachendes Verdienst darin besteht, daß er für die durch die Revolution möglich gemachten kolossaleren Armeemassen die einzig richtige taktische und strategische Verwendung fand und diese obendrein so vollständig ausbildete, daß im ganzen und großen moderne Generäle, weit entfernt, über ihn hinausgehn zu können, in ihren glänzendsten und geschicktesten Operationen nur ihn zu kopieren versuchen.
<484> Summa summarum, die Revolution wird mit den modernen Kriegsmitteln und der modernen Kriegskunst gegen moderne Kriegsmittel und moderne Kriegskunst kämpfen müssen. Die Chancen des militärischen Talents sind für die Koalition mindestens ebensogroß wie für Frankreich: Ce seront alors les gros bataillons qui l'emporteront.<Es werden dann die stärkeren Bataillone den Sieg davontragen.>
IV
Sehen wir jetzt, was für Bataillone in die Schlachtlinie gebracht und wie sie verwendet werden können.
1. Rußland. Die russische Armee, Friedensfuß, beträgt nominell 1.100.000 Mann, in Wirklichkeit gegen 750.000. Seit 1848 hat die Regierung fortwährend gearbeitet, das Effektiv des Kriegsfußes von 1.500.000 Mann zu erreichen, und Nikolaus und Paskewitsch haben möglichst überall selbst revidiert. Gering angenommen, hat Rußland jetzt also den vollen Friedensfuß - 1.100.000 Mann - wirklich erreicht. Davon gehen ab, hoch gerechnet:
Für den Kaukasus |
100.000 M. |
|
Rußland selbst |
150.000 M. |
|
die poln[ischen] Provinzen |
150.000 M. |
|
Kranke, Detachierte pp |
150.000 M. |
550.000 M. |
Bleiben disponibel 550.000 M. zur aktiven Verwendung gegen außen. Das ist kaum mehr gerechnet, als Rußland 1813 wirklich über die Grenzen schickte.
2. Preußen. Das herrliche Kriegsheer, wenn die ganze Landwehr 1. und 2. Aufgebots, Überzählige und alles einberufen würde, betrüge mindestens 650.000 M. Die Regierung kann aber höchstens für den Moment 550.000 M. mobilisieren. Ich rechne nur 500.000. Diese brauchen nur wenig über das 2. Aufgebot (150.000 M.) zu Besatzungen usw. zu detachieren, da überall die allmähliche Einberufung der Überzähligen und der neuen Konskription für das folgende Jahr - wofür Nikolaus schon sorgen wird - sowie die unaufhörlich durchmarschierenden Russen hinreichende Reserve gegen jeden inneren Aufstandsversuch bilden würden. Auch haben sie weniger Kranke, da sie sich im eignen Land konzentrieren und weniger weit bis an den Rhein zu marschieren haben als die Russen. Ich rechne indes wie bei den Russen die Hälfte ab, wobei die andre Hälfte disponibel bleibt: 250.000 M.
<485> 3. Östreich. Hat unter den Waffen und beurlaubt, die ebenso rasch bei der Armee sind wie die preuß[ische] Landwehr, gering gerechnet 600.000 M. Auch hier rechne ich die Hälfte ab, da wenigstens auf 2/3 der Monarchie die nachrückenden Russen bis zur Bildung neuer Reserven als Reserve im Innern dienen und die Herde der Insurrektion in Schranken halten. Bleiben disponibel gegen den Feind - 300.000 M.
4. Der Deutsche Bund. Da die Herren nahe am Rhein wohnen und die ganze Koalition bei ihnen durchmarschiert, so brauchen sie fast gar keine Besatzung gegen das Inland; um so weniger, als bei den ersten Erfolgen der Koalition gegen Frankreich die Reservearmeen sich quer durch Deutschland aufstellen würden, von Norden nach Süden. Der D[eutsche] B[und] stellt wenigstens 120.000M.
5. Die ital[ienischen] Regierungen, die Dänen, Belgier, Holländer, Schweden pp. nehme ich einstweilen auf 80.000 Mann an.
Die ganze Masse der Koalitionstruppen beläuft sich hiernach auf 1.300.000 Mann, die entweder schon unter den Waffen stehn oder sofort einberufen werden können. Die sämtlichen Annahmen sind absichtlich zu gering. Die Abzüge für Kranke allein sind so stark, daß aus den Rekonvaleszenten usw. allein zwei Monate nach Beginn der Operationen eine zweite Armee von 350.000 M. an der f[ran]z[ösischen] Grenze gebildet werden kann. Da aber heutzutage keine Regierung so unvernünftig ist, einen Krieg anzufangen, ohne zugleich mit dem Ausmarsch der aktiven Armee neue Aushebungen, so stark wie möglich, zu machen und diese der ersten Armee nachzuschicken, so muß diese zweite Armee noch bedeutend stärker ausfallen.
Die Truppen der ersten Armee (die 1.300.000 M.) sind in circa 2 Monaten vollständig zu konzentrieren, und zwar folgendermaßen: Daß die Preußen und Östreicher in 2 Monaten ihre obigen Kontingente disponibel haben können, daran kann seit den Rüstungen v[om] vorigen November kein Zweifel mehr sein. Was die Russen angeht, so sind ihre drei definitiven Konzentrationspunkte zunächst Berlin, Breslau und Krakau oder Wien (vgl. unten). Von Petersburg nach Berlin sind ungefähr 45 Tagemärsche; von Berlin an den Rhein 16, zusammen 61 Märsche à 5 d[eu]tsche Meilen. Von Moskau nach Breslau 48 Märsche, von Breslau nach Mainz 20, zusammen 68 Märsche. Von Kiew nach Wien 40, von Wien nach Basel 22, zusammen 62 Märsche. Hierzu die Ruhetage gerechnet, die bei russischen Truppen und bei den obigen starken Märschen unter keiner Bedingung ausfallen können, so ist es klar, daß selbst die in Moskau, Petersburg und Kiew stationierten Truppen in drei Monaten bequem am Rhein sein können, und zwar in der Voraussetzung, daß die Leute bloß zu Fuß marschieren und daß die Eisenbahnen und der <486> Transport zu Wagen nicht in Anwendung gebracht werden. Diese Mittel aber können in Deutschland fast überall, in Rußland und Polen wenigstens teilweise in Anwendung kommen und würden den Transport der Truppen im ganzen gewiß um 15-20 Tage verkürzen. Die Hauptmasse der russ[ischen] Truppen steht aber schon jetzt in den polnischen Provinzen konzentriert, und sowie die politischen Verhältnisse eine Krisis wahrscheinlich machen, wird man noch mehr Truppen dahin dirigieren, so daß die Anfangspunkte der Marschlinie nicht Petersburg, Moskau und Kiew, sondern Riga, Wilna, Minsk, Dubno, Kamieniec sein werden, d.h., daß die Marschlinie um ca. 60 Meilen - 12 Marsch- und 4 Ruhetage - verkürzt wird. Dabei wird ein großer Teil der Infanterie - besonders der, der aus den entfernteren Stationen kommt - wenigstens jeden dritten oder Ruhetag 5 Meilen weit gefahren werden können, so daß für diesen Teil die Ruhetage als Marschtage zählen. Das Material der Artillerie, die Munitionen und Vorräte würden dann die Eisenbahnen freibehalten, die Bespannung und Bedienung der Artillerie würde marschieren resp. fahren und so jedenfalls früher ankommen als nach der bisherigen Weise.
Nach all diesem scheint mir nichts im Wege zu stehn, daß die Konzentrierung der Koalitionsarmee am Rhein zwei Monate nach dem Ausbruch der Revolution in folgender Weise erfolgen <Im Manuskript: verhindern> könnte:
Erste Armee: 1. |
Erste Linie am Rhein und vor Piemont: |
|
Pr[eußen], Östrr. pp. |
750.000 M. |
|
Russen |
300.000 M. |
|
1.050.000 M. |
||
2. |
Zweite Linie, Reserve, |
250.000 M. |
total |
1.300.000 M. |
|
wie oben |
||
Zweite Armee: 1. |
Reserve der klein[en] Koaliert[en] |
200.000 M. |
2. |
Russ[ische] Reserve, im Marsch, |
150.000 M. |
350.000 M |
||
beide Armeen total |
1.650.000 M. |
<487> Im Grunde sind unter den jetzigen Verhältnissen kaum 5-6 Wochen nötig, um 300.000 Russen an den Rhein zu bringen, und in derselben Zeit können Preußen, Östr[eich] und die kleinen Alliierten ihre obigen Kontingente an den Rhein bringen; aber um den unvorhergesehenen Hindernissen, die bei jeder Koalition sich einstellen, gehörig Rechnung zu tragen, nehme ich volle zwei Monate an. Die Aufstellung der alliierten Truppen im Moment, wo Napoleon von Elba kam, war in Beziehung auf einen Marsch nach Frankreich kaum so günstig wie die jetzige, und doch waren die Russen am Rhein, als Napoleon sich bei Waterloo gegen die Engländer und Preußen schlug.
Welche Ressourcen hat Frankreich den Alliierten entgegenzusetzen?
1. Die Linie beträgt ca. 450.000 M., wovon 50.000 in Algier nicht entbehrt werden können. Von den übrigen 400.000 gehen ab die Kranken, das notwendige Minimum für Festungsbesatzungen, kleinere Detachierungen in zweideutigen Gegenden des Innern - bleiben disponibel höchstens 250,000 Mann.
2. Das beliebte Mittel der jetzigen Roten: die ausgedienten Soldaten zur Fahne zurückzurufen, ist mit Erfolg zwangsweise höchstens bei 6 Altersklassen, d.h. vom 27.-32. Jahr, anzuwenden. Jede Altersklasse trägt zur Konikription bei 80.000 M. Die Ravagen <Verwüstungen> des alger[ischen] Kriegs und Klimas, die gewöhnl[iche] Sterblichkeit während 12 Jahren, Ausfall der Untauglich gewordenen, Ausgewanderten und derer, die sich dem Wiedereintritt auf die eine oder die andre Weise zu entziehen wissen zu einer Zeit, wo die Verwaltung ohnehin in Unordnung gerät, reduzieren die 480.000 ehemaligen Rekruten dieser 6 Altersklassen auf höchstens 300.000 Wiedereintretende. Davon gehn 150.000 ab für Festungsbesatzungen, die man hauptsächlich aus dieser Klasse älterer, großenteils verheirateter Leute nehmen wird - bleiben 150.000 Mann. Diese sind ohne Schwierigkeit bei einigermaßen geschickter Direktion in 2 Monaten mobilzumachen.
3. Die Volkswehr, Freiwilligen, Volontärs, levée en masse oder wie man dies untergeordnete Kanonenfutter sonst nennen will. Mit Ausnahme von etwa 10.000 noch zusammenzubringenden garde mobile hat kein Mann davon mehr Bekanntschaft mit den Waffen als irgendein deutscher Bürgerwehrmann. Die Franzosen lernen das Handwerk rascher, aber 2 Monate sind eine sehr kurze Zeit, und wenn Napoleon seine Rekruten in 4 Wochen durch die Bataillonsschule passieren lassen konnte, so brachte er das nur mit ausgezeichneten Cadres fertig, während die erste Folge der nächsten Revolution die Desorganisation selbst der Cadres der Linie ist. Dazu sind unsre franz[ösischen] <488> Revolutionäre bekanntlich traditionell, und ihr erster Schrei wird sein: Levée en masse! Deux millions d' hommes au frontières! <Massenaushebung! Zwei Millionen Mann an die Grenzen!> Die deux millions d'hommes wären schön und gut, wenn man sich von der Koalition wieder solcher Dummheiten zu versehen hätte wie Anno [17]92 und [17]93 und Zeit hätte, die 2.000.000 M. nach und nach einzuüben. Aber davon kann keine Rede sein. Man muß sich darauf gefaßt machen, binnen zwei Monaten eine Million aktiver feindlicher Soldaten an der Grenze zuhaben, und es handelt sich darum, dieser Million mit Chance des Erfolgs gegenüberzutreten.
Wenn die Franzosen wieder als traditionelle Nachbeter von [17]93 auftreten, so unternehmen sie die Geschichte mit den 2 Millionen, d.h., sie unternehmen so viel, daß das wirkliche Resultat bei der kurzen Frist auf Null hinausläuft. Die Einübung und Organisation von 2.500.000 Mann in 8 Wochen, ohne Cadres, läuft in der Praxis auf eine sinnlose Verzettelung aller Ressourcen und auf die Verstärkung der Armee nicht einmal durch ein einziges brauchbares Bataillon
Wenn sie dagegen einen ordentlichen Kriegsminister haben, der einige Kenntnis hat von Revolutionskriegen und den Methoden, rasch eine Armee zu schaffen, und wenn man dem keine auf Unwissenheit und Popularitätssucht beruhenden dummen Hindernisse in den Weg legt, so wird er sich in den Grenzen des Möglichen halten und kann viel tun. Man wird dann mehr oder weniger auf folgenden Plan herauskommen müssen:
Die bewaffnete Macht besteht zunächst aus zwei Bestandteilen: 1. proletarische Garde in den Städten, Bauerngarde auf dem Land, soweit das Land verläßlich ist zum Dienst im Innern; 2. regelmäßige Armee gegen die Invasion. - Der Festungsdienst wird von der prolet[arischen] und Bauerngarde geleistet; die Armee liefert nur die nötigsten Detachements. Paris, Straßburg, Lyon, Metz, Lille, Valenciennes, die wichtigsten Festungen, die zugleich große Städte sind, werden außer ihrer eignen Garde und wenigen Bauerndetachements aus der Umgegend nur wenig Linie zur Verteidigung nötig haben. Die im Innern disponiblen proletarischen Garden, soweit sie aus nichtbeschäftigten Arbeitern bestehn, werden in einem Übungslager vereinigt und von zum Felddienst untauglichen alten Offizieren und Unteroffizieren eingeübt, um die Lücken in den Reihen der aktiven Armee zu füllen. Das Lager kann bei Orléans angelegt werden - zugleich eine Drohung gegen die legitimistischen Gegenden.
Die Linie, soweit sie in Frankreich ist, muß verdreifacht, von 400.000 auf 1.100.000 M. gebracht werden. Dies geschieht so: Jedes Bataillon wird in <489> ein Regiment verwandelt - das dabei unvermeidliche allgemeine Avancement wird den Offizieren und Unteroffizieren nicht weniger Respekt vor der Revolution einflößen als die Guillotine und das Kriegsgericht. Die unvermeidliche Erweiterung der Cadres geschieht dabei möglichst allmählich, und was von Offizieren zu gewinnen ist, wird gewonnen. Dies ist bei der Unmöglichkeit, in 2 Monaten Offiziere zu hexen, sehr wichtig. Ohnehin herrscht bei den mittleren und niedern Graden der fr[anzösischen] Armee noch so viel Nationalgefühl, daß diese Leute mit etwas Avancement, einer energischen Leitung der Kriegsdepartements und einiger Chance des Erfolgs sich im Anfang ganz gut machen werden, besonders wenn ein paar Exempel an Meuterern und Deserteuren statuiert sind. Die Schüler der Militärschulen, die Beamten der Ponts-et-Chaussées <Verwaltung des Brücken- und Straßenbaus> geben vortreffliche Artillerie- und Genieoffiziere, und nach ein paar Aktionen werden sich jene bei den Franzosen so häufigen untergeordneten militärischen Talente zu entwickeln anfangen, die eine Kompanie zu führen verstehn, wenn sie einmal im Feuer gewesen sind.
Was die Soldaten selbst betrifft, so stellt
die Linie |
400.000 M. |
|
die Wiedereinberufenen |
300.000 M. |
|
bleiben noch auszuheben und einzuüben |
500.000 M. |
|
zusammen |
1.200.000 M. |
|
wovon für Kranke |
100.000 M. |
ab |
bleiben |
1.100.000 M. |
|
Von diesen sind aktiv zu verwenden: |
||
Linie |
250.000 M. |
|
Wiedereinberufene |
150.000 M. |
|
Rekruten |
400.000 M. |
|
800.000M. |
Was man damit anfangen kann, wird sich zeigen. Die Einübung von 400.000 bis 500.000 Mann aber als Rekruten zur Linienarmee, die mit den bisherigen und wiedereinberufenen Soldaten in den Regimentern und Bataillonen verschmolzen werden, innerhalb zwei Monaten, ist so überaus schwer nicht, wenn rasch, le lendemain de la révolution <am Tag nach der Revolution> ans Werk gegangen wird. Alle diese Verstärkungen würden die Infanterie und Artillerie treffen; in 2 Monaten kann <490> man wohl einen Infanteristen und einen wenigstens zur einfachen Geschützbedienung brauchbaren Kanonier ausbilden, aber keinen Kavalleristen. Der Zuwachs der Kavallerie würde also sehr schwach sein.
Bei dem ganzen Bewaffnungsplan wird vorausgesetzt, daß ein ordentlicher Kriegsminister da ist, der die politischen Verhältnisse zu würdigen versteht, der strategische, taktische und Detailkenntnisse über alle Waffen besitzt und der die gehörige Portion Energie, Raschheit und decisiveness <Entschlossenheit> hat und dem von den Eseln, die mit ihm regieren werden, freie Hand gelassen wird. Aber wo hat die "rote" Partei in Frankreich so einen Kerl! Die Chancen sind im Gegenteil, daß wie gewöhnlich ein unwissender Kerl, den man und der sich als bon démocrate <guter Demokrat> natürlich jedem Posten gewachsen glaubt, den Carnot zu spielen versuchen, daß er Massenaushebung dekretieren, alles vollständig auflösen, sehr bald am Ende seines Witzes ankommen, dann alles der Routine alter Unterbeamten überlassen und die feindlichen Armeen bis vor Paris kommen lassen wird. Heutzutage aber einer europäischen Koalition zu widerstehn, muß man nicht Pache und Bouchotte, auch nicht Carnot, man müßte Napoleon sein oder entsetzlich dumme Feinde und entsetzlich viel Glück haben.
Es ist nicht zu übersehn, daß bei allen Berechnungen der Streitkräfte der Koalition das Minimum der Gesamtmacht und das Maximum der Abzüge angenommen worden, so daß bei nur einigermaßen erträglicher Direktion die disponible Truppenmasse größer und die nötige Zeit zur Konzentration geringer sein wird als hier angegeben. Bei Frankreich dagegen sind die Annahmen umgekehrt; die disponible Zeit ist möglichst lang, die möglicherweise zu organisierende Gesamtmacht ist sehr hoch, die Abzüge gering, also die disponible Truppenmasse möglichst groß angenommen. Mit einem Wort: alle diese Kalkulationen stellen - von unvorhergesehenen Ereignissen und von groben Böcken der Alliierten abstrahiert - den für die Revolution möglichst günstigen Fall dar.
Dazu ist vorausgesetzt worden, daß die Revolution und Invasion nicht sogleich im Innern des Landes Bürgerkrieg hervorruft. Es ist jetzt, 60 Jahre nach dem letzten Bürgerkrieg in Frankreich, unmöglich zu bestimmen, inwiefern der legitimistische Fanatismus einer mehr als ephemeren Insurrektion fähig ist; es ist indes klar, daß in demselben Maß, wie die Alliierten vorrücken, auch die Chancen einer Erhebung wie 1793 in Lyon, Toulon pp., einer momentanen Allianz aller politisch gestürzten Klassen und Fraktionen zunimmt. Nehmen wir indes auch hier den für die Revolution günstigsten <491> Fall, nämlich daß die revolutionäre proletarische und Bauerngarde imstande ist, die rebellischen Departements und Klassen glücklich zu entwaffnen.
Auf die Chancen, die durch Aufstände in Deutschland, Italien pp. der Revolution gegeben werden können, kommen wir gleich zu sprechen.
V
Wir kommen jetzt zur wirklichen Kriegführung.
Wenn man den einen Fuß eines Zirkels auf der Karte auf Paris setzt und mit der Entfernung von Paris bis Straßburg als Radius einen Kreis um Paris beschreibt, so trifft die Peripherie dieses Kreises im Süden die franz[ösische] Grenze zwischen Grenoble und Chambéry bei Pont de Beauvoisin, folgt ihr in nördlicher Richtung über Genf, den Jura, Basel, Straßburg und Hagenau und folgt dann dem Lauf des Rheins bis zu seiner Mündung; wenn sie sich an einzelnen Punkten von ihm entfernt, so erreicht diese Entfernung nie die Länge von zwei Tagemärschen. Wäre der Rhein die Grenze Frankreichs, so wäre Paris von dem Punkt an, wo die Alpen aufhören diese Grenze zu decken, bis zur Nordsee gleich weit von der Grenze entfernt. Das militärische System Frankreichs, mit Paris als Zentrum, hätte alle seine geographischen Bedingungen erfüllt. Dieser einfache Kreisbogen von Chambéry bis Rotterdam, der alle Punkte der einzigen offnen Grenze Frankreichs, und noch dazu der Grenze, die der Hauptstadt am nächsten liegt, auf die gleichmäßige Entfernung von etwa 70 deutschen Meilen - 14 Tagemärschen - von Paris reduziert und zu gleicher Zeit die Grenze durch einen breiten Strom deckt - das ist die militärische reelle Basis der Behauptung, daß der Rhein die natürliche Grenze Frankreichs sei.
Dieselbe eigentümliche Konfiguration seines Laufs macht den Rhein aber auch zum Ausgangspunkt aller konzentrischen Operationen gegen Paris, denn die verschiedenen Armeen, um gleichzeitig vor Paris ankommen, gleichzeitig Paris von verschiednen Seiten bedrohen zu können, müssen gleichzeitig von gleich weit entfernten Punkten aufbrechen. Die Operationen jeder kontrerevolutionären Koalitionsarmee gegen Frankreich müssen konzentrisch sein, so gefährlich alle konzentrischen Operationen sind, bei denen der Konzentrationspunkt im Bereich des Feindes liegt oder gar seine Operationsbasis bildet: 1. weil mit Paris Frankreich erobert ist; 2. weil kein Teil der im Bereich der Operationen französischer Armeen liegenden Grenze bloßgegeben werden darf, da sonst die Franzosen auf dem Gebiet der Koalition, im Rücken ihrer Armeen, durch Sendung von Armeen Insurrektionen provozieren <392> könnten; 3. weil die Massen, die jede Koalition gegen Frankreich schleudern muß, zu ihrer Ernährung mehrfache Operationslinien nötig haben.
Die zu deckende Grenze für beide Armeen geht von Chambéry bis Rotterdam. Die spanische Grenze bleibt einstweilen außer Betracht. Die italienische vom Var bis an die Isère ist durch die Alpen gedeckt und entfernt sich immer weiter von Paris, da sie die Tangente des obigen Kreises bildet. Sie kann nur in Betracht kommen: 1. wenn die befestigten Defileen der Savoyer Alpen, namentlich des Mont Cenis, in den Händen der Franzosen sind; 2. wenn man an der Küste eine Diversion machen will, zu der besondere Gründe vorliegen müssen; 3. wenn franz[ösische] Armeen, nachdem die Grenze an allen andern Punkten sichergestellt ist, offensiv vorgehn wollen wie 1796 Napoleon. Für alle andern Fälle liegt sie zu weit ab.
Die aktiven Operationen, sowohl für die Koalition wie für Frankreich, beschränken sich also auf die Linie von Chambéry oder der Isère bis nach der Nordsee und auf das Gebiet, das zwischen dieser Linie und Paris liegt. Und gerade dieser Teil von Frankreich bietet ein Terrain dar, das zur Verteidigung wie geschaffen ist und dessen Gebirgs- und Flußsysteme militärisch kaum besser gewünscht werden könnten.
Von der Rhône bis zur Mosel ist die Grenze durch einen langen, schwer und nur an bestimmten Punkten passierbaren Gebirgszug gedeckt: den Jura, an den sich die Vogesen anschließen, deren Verlängerung wieder der Hochwald und Idarwald bilden. Beide Gebirge laufen der Grenze parallel, und die Vogesen werden noch dazu durch den Rhein gedeckt. Zwischen Mosel und Mus decken die Ardennen, jenseits der Maas die Argonnen den Weg nach Paris. Nur das Gebiet von der Sambre zur See ist offen, aber hier wird die Lage jeder vordringenden Armee auch gefährlicher mit jedem Schritt, den sie vorwärts tut - sie riskiert bei einigermaßen geschickten Operationen einer starken französischen Armee, von Belgien abgeschnitten und in die See geworfen zu werden. Dazu ist die ganze Linie von der Rhône bis zur Nordsee mit Festungen gespickt, von denen einige, z.B. Straßburg, ganze Provinzen beherrschen.
Von dem Vereinigungspunkt des Jura und der Vogesen läuft ein Gebirgszug in südwestlicher Richtung nach der Auvergne zu, der die Wasserscheide zwischen der Nordsee und dem Ozean einerseits und dem Mittelmeer andrerseits bildet. Von ihm fließt nach Süden die Saône, nach Norden parallel die Mosel, die Maas, die Marne, die Seine, die Yonne. Zwischen je zweien dieser Flüsse, wie zwischen Yonne und Loire, zweigen sich lange Gebirgsketten ab, die, nur von wenigen Straßen durchschnitten, die einzelnen Flußtäler voneinander trennen. Dieses ganze Gebirgsland ist zwar für alle Waffengattungen <493> größtenteils praktikabel, aber sehr unfruchtbar, und keine große Armee kann sich lange darauf halten.
Ist auch dies Gebirge sowie die gleich unfruchtbaren Höhenstriche der Champagne, die das Maasgebiet vom Seinegebiet trennen, überstiegen, so tritt die feindliche Armee ins Gebiet der Seine. Und. hier erst zeigen sich die auffallenden militärischen Vorteile der Lage von Paris vollständig.
Das Flußgebiet der Seine abwärts bis zur Mündung der Oise wird von mehreren, in fast parallelen Bogen in nordwestlicher Richtung strömenden Flüssen gebildet - der Yonne, der Seine, der Marne, der Oise und Aisne, von denen jeder noch in gleicher Richtung strömende Nebenflüsse hat. Alle diese bogenförmigen Täler vereinigen sich ziemlich nahe beieinander, und im Zentrum dieser Vereinigungspunkte liegt Paris. Die Hauptstraßen nach Paris von allen Landgrenzen zwischen dem Mittelländischen Meer und der Schelde laufen durch diese Flußtäler und laufen mit ihnen konzentrisch in Paris zusammen. Die Armee, die Paris verteidigt, kann sich also immer in kürzerer Zeit konzentrieren und von einem bedrohten Punkt zum andern wenden als die angreifende Armee, weil von zwei konzentrischen Kreisen der innere die kleinere Peripherie hat. Die bewundernswürdige Benutzung dieser Vorteile, die unermüdliche Bewegung auf der Peripherie des inneren Kreises machte es Napoleon in seinem glänzenden Feldzug von 1814 möglich, mit einer Handvoll Soldaten zwei Monate lang die ganze Koalition im Seinegebiet im Schach zu halten. <Hier endet das Manuskript>