Der Hohenzollersche Preßgesetzentwurf | Inhalt | Der Krieg in Italien und Ungarn

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 6, S. 372-380
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1959

Die Adreßdebatte in Berlin

["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 259 vom 30. März 1849]

<372> *Köln, 25. März. Wir gestehen unsern Lesern, nur mit Widerwillen können wir uns dazu entschließen, die Debatten der Berliner sog. zweiten Kammer näher ins Auge zu fassen. Die Debatten der aufgelösten Vereinbarungsversammlung, so bedeutungslos und matt sie waren, hatten doch noch immer das Interesse der Aktualität; sie behandelten Gegenstände, denen kein Einfluß auf die Geschicke Europas zukam, Gesetze, denen schon von vornherein keine Dauer zuzusprechen war; aber sei behandelten eben unsere nächsten Interessen, sie boten einen getreuen Spiegel der steigenden Reaktion in Preußen. Die Debatten der gegenwärtigen Kammer dagegen haben keinen andern Zweck, als die bereits vollendete Kontrerevolution zu legalisieren. Es handelt sich nicht um die Gegenwart - man hat sie durch das Verbot der Interpellationen ausgeschlossen -, es handelt sich um die Vergangenheit, um das provisorisch Interregnum vom 5. Dezember bis zum 26. Februar, und wenn die Kammer dies Interregnum nicht unbedingt anerkennt, so wird sie auseinandergejagt, und ihre Tätigkeit ist abermals umsonst gewesen.

Und für dergleichen Beratungen soll man sich interessieren, während in Ungarn und Italien die Revolution und die Kontrerevolution sich mit den Waffen in der Hand messen, während die Russen an der Ostgrenze stehen und Frankreich sich zu einer neuen welterschütternden Revolution vorbereitet!

Die Adreßdebatte vollends gehört zu dem Ödesten, das wir uns je gelesen zu haben erinnern. Die ganze Debatte dreht sich natürlich nur um die Anerkennung oder Nichtanerkennung der oktroyierten sog. Verfassung. Und was liegt daran, ob diese, unter dem Belagerungszustand und dem niederschlagenden Effekt einer glücklich durchgeführten Kontrerevolution gewählte, in einem Winkel Berlins unter dem Belagerungszustand beratende <373> Kammer, die nicht mucken darf, wenn sie nicht aufgelöst sein will - ob eine solche Versammlung dies Aktenstück anerkennt oder nicht? Als ob durch Anerkennung oder Nichtanerkennung an dem Gang der europäischen Revolution, die alle jetzt gültigen, oktroyierten und nicht oktroyierten Verfassungen wie Staub zerreiben wird, auch nur das mindeste geändert würde!

Das einzige, was an der ganzen Debatte von Interesse ist, ist der knabenhafte Übermut der Rechten und das feige Zusammenfallen der Linken.

Die Herren Royalisten sind unverbesserlich. Kaum steht ihre Sache durch die Hülfe der gehorsamen Soldateska augenblicklich wieder besser, so glauben sie sich ins alte gelobte Land zurückgeführt und stimmen einen Ton an, der an Unverschämtheit alles übertrifft, was der Polizeistaat je geleistet.

Die Herren von der Linken dagegen stimmen ihre Ansprüche in demselben Maße herab, in dem die Rechte die ihrigen hinaufschraubt. Man hört durch alle ihre Reden jene Gebrochenheit durch, die die Folge herber Enttäuschungen ist, jene Gebeugtheit des Exmitglieds derselben Versammlung, die zuerst die Revolution versumpfen ließ und nachher, im selbstgeschaffenen Sumpf versinkend mit dem schmerzlichen Ruf unterging: Das Volk ist noch nicht reif!

Selbst die entschiedenen Mitglieder der Linken, statt sich der ganzen Versammlung direkt gegenüberzustellen, geben die Hoffnung nicht auf, in der Kammer und durch die Kammer noch zu etwas zu kommen und eine Majorität für die Linke zu erlangen. Statt eine außerparlamentarische Stellung im Parlament einzunehmen, die einzige, die in einer solchen Kammer ehrenvoll ist, machen sie der parlamentarischen Möglichkeit zu Gefallen eine Konzession über die andere, statt den konstitutionellen Standpunkt nach Möglichkeit zu ignorieren, suchen sie ordentlich die Gelegenheit, um des lieben Friedens willen mit ihm zu kokettieren.

Die allgemeine Debatte dreht sich um die Anerkennung oder Nichtanerkennung der sog. Verfassung. Die Linke, die sich selbst als die Fortsetzung der steuerverweigernden Majorität der Ex-Vereinbarungsversammlung ansah, mußte mit dem entschiedensten Protest gegen den Gewaltstreich vom 5. Dezember beginnen. Und was tut sie? Sie erklärt sich bereit, die Auflösung der Nationalversammlung als eine Tatsache anzuerkennen, die nicht mehr zu ändern sei, den Prinzipienstreit über die Rechtsgültigkeit des oktroyierten Bastards fallenzulassen, alle Fußtritte und Beleidigungen mit dem Mantel der Liebe zu bedecken und sogleich zur Revision überzugehen!

Die Rechte weist natürlich dies feige Anerbieten mit gebührender Verachtung zurück und zwingt die Linke in den Prinzipienstreit hinein.

Der Linken geschieht ganz recht. Warum bilden sich die Herren auch <374> ein, sie müßten irgend etwas durchsetzen, wo einmal nichts durchzusetzen ist! Warum machen sie sich weis, sie seien berufen, dasjenige parlamentarisch durchzusetzen, was nur revolutionär, mit Gewalt der Waffen durchgesetzt werden kann! Aber freilich, die Herren sind "durch das parlamentarische Leben auf die Höhe gekommen", von der uns der Abg. Waldeck so schöne Dinge zu erzählen weiß, die Höhe, wo der esprit de corps <Kastengeist> anfängt und die revolutionäre Energie - s'il y en avait <wenn er etwas davon gehabt hat> - verdunstet!

Der erste Redner der bunten Partei, die man die Linke nennt, ist Herr v. Berg. Man glaube aber ja nicht den muntern kleinen Abbé des vorigen Jahres wiederzufinden, der die Herren von der Rechten mit allerlei kleinen pikanten Witzchen so hübsch zu ärgern wußte. Herr Berg tritt nicht mehr als Abbé, er tritt als Pastor auf.

Er meint, es sei doch wünschenswert gewesen, den Adreßentwurf so abzufassen, daß "eine möglichst große Majorität sich dafür erklären könne". Die Kammer hätte dem Lande zeigen müssen, "daß seine Vertreter gesonnen sind, bloßen Prinzipienkämpfen nicht das Wohl des Landes zu opfern". Am Schluß vermißte Herr Berg an dem Entwurf "den Geist der Versöhnung, der uns (?) durchdringt", das Streben nach "Verständigung". Er prophezeit der Kammer, sie werde durch die Adreßdebatte nicht "den Frieden, die Hoffnung auf eine bessere Zukunft im Vaterlande begründen".

In der Tat! Haben darum die Wähler von Jülich und Düren den Herrn Berg nach Berlin geschickt, daß er den Kampf um das Recht des Volks, sich selbst seine Verfassung zu geben, für einen bloßen "Prinzipienkampf" erkläre, daß er "Versöhnung" und "Verständigung" im Kanzeltone predige, daß er von "Frieden" fasele, wo es den Krieg gilt?

Sie, Herr Kaplan Berg, wurden gewählt, nicht weil Sie Prediger, sondern weil Sie Steuerverweigerer waren. Ihre Wahl geschah nicht im Interesse des Friedens, sondern sie war von vornherein eine Kriegserklärung gegen den Staatsstreich. Nicht um Versöhnung und Verständigung anzubieten, sondern um zu protestieren, wurden Sie nach Berlin gesandt. Und jetzt, wo Sie Deputierter sind, jetzt erklären Sie den Kampf zwischen der Volkssouveränetät und der "Vollgewalt der Krone" für einen bloßen unfruchtbaren Prinzipienkampf!

Die meisten der Herren Steuerverweigerer sind wiedergewählt, nicht weil ihre ganze Wirksamkeit vom Mai bis November 1848 die Wähler befriedigte, sondern weil sie durch den Steuerverweigerungsbeschluß <Siehe "Keine Steuern mehr!!!> auf revolutionären Boden getreten waren, weil man hoffen durfte, daß die Fußtritte, mit denen <375> die Regierung sie traktiert, ihnen endlich die Augen darüber geöffnet hätten, wie man sich der Krone und der Regierung gegenüber zu benehmen habe, um etwas durchzusetzen. Man hoffte, jeder von ihnen werde dadurch wenigstens eine Stufe weiter links gerückt sein.

Statt dessen zeigt sich, daß die Züchtigung im November gefruchtet hat. Statt weiter links, sind die Herren weiter rechts gerückt. Mit dem wohlmeinendsten Heulerpathos predigen sie Versöhnung und Verständigung. Sie erklären, die erhaltenen Mißhandlungen vergessen und vergeben zu wollen, sie bieten den Frieden an. Es geschieht ihnen recht, daß sie mit Hohngelächter zurückgewiesen werden.

Es folgt Herr Graf Renard, Feudalherr aus Schlesien.

Herr Renard bildet sich ein, im März sei nichts umgestoßen, sondern bloß ein neuer Moment hinzugefügt worden. Die Krone bleibe Krone, nur trete als "bestimmender Moment" die ständische (!) Repräsentation mit beiratender Stimme des Volks hinzu. Sonst bleibe alles beim alten. (In der Tat, das ist es gerade, was uns mit Gott für König und Vaterland oktroyiert und revidiert werden soll.) Der Deputierte habe "zu vertreten die Verfassung des Volks in seiner Gesamtheit, also das Volk mit dem Fürsten, nicht aber das Volk gegen den Fürsten". (Wozu ist dann der Fürst noch da, wenn die Deputierten ihn ohnehin schon "vertreten"?) Nach dieser neuen Staatstheorie erklärt Herr Renard der Kammer noch folgendes: Sie sei keineswegs da, "um mit der Krone zu markten und zu feilschen" - d.h. sich zu vereinbaren - "zu streiten über Worte oder meinetwegen auch über Rechte"; Regierung und Kammer seien keineswegs "die Anwälte zweier prozeßführenden Parteien". Wer sein Mandat anders verstehe, der "führe den Bürgerkrieg in den Theorien".

Herr Renard spricht deutlich genug. In den profanen konstitutionellen Staaten regiert die Kammer durch ihren Ausschuß, das Ministerium, und der König hat kein andres Recht als das, ja und amen zu sagen und zu unterschreiben. So war es auch bei uns in der Zeit der Drangsal, der Zeit Camphausens, Hansemanns und Pfuels. Aber in der königlich preußischen konstitutionellen Monarchie von Gottes Gnaden ist es gerade umgekehrt: Die Krone regiert durch ihre Minister, und wehe den Kammern, wenn sie etwas anders zu tun versuchen, als ja und amen sagen zu den gottbegnadeten Ergüssen!

"Den deutlichsten Beweis", fährt Herr Renard fort, "daß kein Riß zwischen Krone und Volk besteht, gibt der gegenwärtige Moment, wo mit allgemeiner Begeisterung die deutsche Frage durch alle Provinzen tönt ... Die Begeisterung ... bezieht sich bei vielen großenteils auf die Würde, auf die Größe unsres angestammten Königshauses von Gottes Gnaden, des ritterlichen und" (besonders in der Champagne, bei Jena und am 18. März 1848) "sieggewohnten Stammes der Zollern (Heiterkeit und Bravo.)"

<376> Von dieser Begeisterung zeugte das an demselben 19. März, wo Herr Renard diese Worte sprach, auf dem Gürzenich von fünftausend Kehlen dem deutschen Kaiser gebrachte Pereat, zeugte wenige Tage darauf die Verwerfung des preußischen Erbkaisertums in Frankfurt, zeugte vorgestern die Frankfurter Bettelmajorität von vier ganzen Stimmen für den Erbkaiser im allgemeinen.

Nein, ruft Renard, der übrigens durchaus kein Fuchs ist <Wortspiel: "Fuchs" heißt auf französisch "renard">, schließlich aus:

"Es soll und wird niemanden gelingen, das frische Leben der Heilung anstrebenden Wunde durch ätzendes Gift zu töten und den allenfall" (also doch!) "entstandenen Spalt zur unausfüllbaren Kluft zu gestalten!"

Ehrenwertester Renard! Möge es nie Übelgesinnten gelingen, das "frische Leben" der im Frühjahr vorigen Jahres deinem feudalprivilegienstrotzenden Geldbeutel beigebrachten, nun aber vermittelst der wiederkehrenden Gnade Gottes "Heilung anstrebenden Wunde durch ätzendes Gift zu töten" und den zwischen deinen Einnahmen und Ausgaben dadurch "allenfalls entstandenen Spalt zur unausfüllbaren Kluft zu gestalten"!

Herr Jacoby betritt die Tribüne. Auch Herr Jacoby, obgleich er entschiedener auftritt als Berg und in seinem Räsonnement klarer und präziser ist, kann doch das Diplomatisieren nicht lassen. Die Anerkennung der Verfassung in der Adresse sei nicht am Ort, weil sie nicht beiläufig geschehen dürfe, und nicht an der Zeit, weil die Verfassung noch nicht revidiert, definitiv sanktioniert und beschworen sei. Als ob die Anerkennung einer solchen Verfassung je am Ort und an der Zeit sein könnte!

Auch er "will nicht den alten Streit erneuern" über die Sprengung der Vereinbarungsversammlung; ob sie eine rettende Tat oder End- und Zielpunkt einer Diplomatenkonspiration gewesen, will er "der unparteiischen Geschichte überlassen". Die "unparteiische Geschichte" wird registrieren, daß die Leute, die so laut sprachen, als sie die Majorität hatten, jetzt, wo sie in der Minorität sind, mit der Demut gezüchtigter Schulknaben auftreten.

"Was die Anerkennung der Verfassung durch das Volk betrifft, habe ich dem entgegenzustellen, daß diese unsere Versammlung das einzige rechtmäßige, das einzig zu einer solchen Anerkennung befugte Organ ist."

Nein, Herr Jacoby, das ist Ihre Versammlung keineswegs. Ihre Versammlung ist weiter nichts als das größtenteils durch Regierungsumtriebe zustande gekommene Organ der auf Grund des oktroyierten sog. Wahlgesetzes vermittelst der famosen "Selbständigkeit" erwählten Wahlmänner. Ihre <377> Versammlung mag die Verfassung anerkennen, so ist das nur eine Anerkennung der oktroyierten Verfassung durch die oktroyierte Verfassung selbst. Das Volk wird sich wenig daran stören und die "unparteiische Geschichte" wird über ein kleines zu registrieren haben, daß diese sog. Verfassung trotz ihrer Anerkennung - sollte es je zu dieser kommen - im Laufe der europäischen Revolution niedergetreten wurde und verschwunden ist, man weiß nicht wie.

Herr Jacoby weiß das wahrscheinlich so gut wie wir; die Rechte der Kammer weiß auch, daß er es weiß; wozu also all dieser Rechtsboden-Firlefanz, vollends, wenn man den Rechtsboden der gesprengten Versammlung im Zweifel lassen will!

Herr Scherer, Advokat und Abgeordneter von Düsseldorf-Elberfeld, entsetzt sich höchlich über den d'Esterschen Adreßentwurf. Er meint, die Deputation, die eine solche Adresse dem König überreiche, müsse "den bewaffneten Aufstand in ihrem Gefolge haben". Wenn man den bewaffneten Aufstand im Gefolge hat, Herr Scherer, dann spricht man noch ganz anders mit Königen!

Dieser Entwurf "schleudre die Fackel ins Land"; aber Herr Scherer glaubt, "sie werde nicht zünden, sondern nur ihren Trägern zum Schaden gereichen"!

Man kann nicht deutlicher sprechen. Herr Scherer gibt der Linken den wohlmeinenden Rat, den Entwurf zurückzuziehen, sonst werde man sie eines Morgens zu fassen wissen, trotz des Unverletzlichkeitsparagraphen. Sehr menschenfreundlich, Herr Scherer!

Es erhebt sich nunmehr Herr Waldeck. Wir finden ihn unverändert wieder: links, aber nicht weiter links, als es angeht, wenn man sich möglich halten will. Herr Waldeck beginnt mit dem Ausdruck seiner Verdrießlichkeit darüber, daß die Rechte ihm immer den fatalen Streit über den Staatsstreich vom November zuschieben will. Herr Waldeck und "seine Partei" hat sich ja "deutlich genug darüber ausgesprochen, daß dieser Prinzipienstreit gar nicht hätte erhoben werden sollen". Nach seiner Ansicht "ist die Versammlung darüber einig" (schlimm genug!) "was sie mit der Verfassung tun soll" - nämlich sie revidieren. Herr Waldeck setzt nun abermals auseinander, warum der Prinzipienstreit überflüssig sei, und appelliert noch einmal an das bessere Gefühl der Rechten: "Können Sie nicht diese Frage in der Zwischenzeit sehr wohl ruhen lassen? ... Sie verlieren bei Ihrer Ansicht gar nichts; schonen Sie aber die Ansichten anderer!"

Würdige Sprache eines auseinandergejagten "Volksvertreters" zu derselben Majorität, die sich die Hände vor Freude reibt, wenn sie an die gelungene Auseinanderjagung denkt.

"Schonen Sie doch die Ansichten andrer!" Um Schonung fleht der große Mann!

<378> Dann aber, wenn die Verfassungsarbeit fertig ist, dann "hofft" der Minister der Zukunft, "dann wird diese Versammlung durch das parlamentarische Leben wirklich auf die Höhe gekommen sein, welche notwendig ist, um die Folgen einer solchen Erklärung" (über die Gültigkeit der Verfassung) "wohl zu erkennen"!!

Wahrhaftig! Tun nicht unsre neugebackenen Tribünenritter, die kaum sieben Monate parlamentarische Praxis hinter sich haben; schon gerade so altklug und weise, als hätten sie 50 Jahre auf den Bänken von St. Stephens gesessen und alle Pariser Kammern von der Introuvable von 1815 bis zur Introuvable des 24. Februar durchgemacht!

Aber das ist wahr. Unsre Tribünenritter haben in ihrer kurzen Karriere soviel parlamentarische Selbstgenügsamkeit geschluckt, sind so sehr aller revolutionären Energie - si jamais il y en avait <wenn sie jemals etwas davon gehabt haben> - entkleidet worden, als wären sie im Pathos der Parlamente grau geworden.

Nach Herrn Waldeck produziert sich Seine weiland Exzellenz, der ehedem allgewaltige Herr von Bodelschwingh.

Gerade wie Herr Manteuffel, so ist auch sein ehemaliger Vorgesetzter "auf Befehl Sr. Majestät" konstitutionell geworden. Es ist ganz amüsant, den letzten Premier des Absolutismus die konstitutionelle Monarchie verteidigen zu hören.

Herr Bodelschwingh pflegte vor dem Februar für den besten Redner des damaligen Ministeriums zu gelten. Auf dem Vereinigten Landtag hatte er sich noch am geschicktesten durchgeschlagen. Aber wenn man seine jetzige Rede liest, so erschrickt man in seinem eigenen Interesse über die Albernheit und die Fadaise dieses sonderbaren Vortrags. Herr Bodelschwingh ist auf Befehl konstitutionell geworden; abgesehen von diesem Wort aber ist er, wir wissen nicht, ob auf Befehl oder ohne Befehl, ganz der alte geblieben. Er entschuldigt sich damit, daß er "in ländlicher Zurückgezogenheit" gelebt habe; aber man sollte wirklich meinen, er habe sich das ganze Jahr über begraben lassen.

Er bekennt, daß er durch den höchst unschuldigen Adreßentwurf der Linken "in einer Weise und in einem Umfang über ihre Ansichten aufgeklärt worden, von dem er vor seinem Erscheinen in der Kammer nicht einmal eine Ahnung hatte".

Quel bonhomme! <Was für ein Einfaltspinsel!> Als Herr Bodelschwingh noch Preußen regierte, müssen ihn seine zahlreichen Spione für unser Geld merkwürdig schlecht unterrichtet haben, daß er jetzt glauben kann, dergleichen sei seitdem plötzlich aus der Erde emporgeschossen!

Die Linke hatte erklärt, sie sei hier nicht auf Grund der oktroyierten <379> Standrechtscharte, sondern auf Grund des allgemeinen Stimmrechts. Was antwortet Herr Bodelschwingh?

"Wenn wir unsern Sitz aus dem allgemeinen Wahlrecht ableiten, so bedarf es all der Formalitäten "(der Wahlprüfung) "nicht. Wir brauchen nur auf den Markt zu treten und zu sagen: Wählt mich! Ich weiß nicht, wieviel Partikelchen des allgemeinen Wahlrechts Sie für erforderlich halten, um den Eintritt in dies Haus zu beanspruchen. Nehmen Sie, soviel Sie wollen, genugsam Stimmen würden sich auf diese Weise leicht auftreiben lassen; es würde sich mit Anerkennung dieses Rechtes der Raum dieses Hauses bald so füllen, daß unseres Bleibens nicht mehr wäre; meinerseits würde ich wenigstens meinen Sitz je eher, je lieber aufgeben."

Wenn ein westfälischer Bauer oder wenn Herr v. Bodelschwingh zu der Zeit, wo er noch Minister war, diesen Tiefsinn über das allgemeine Stimmrecht zutage gefördert hätte, so würde uns das nicht wundern. In diesem Sinn hat obige Stelle das Interessante, daß sie beweist, wie man preußischer Premier sein und die ganze examinierte Bürokratie dirigieren konnte, ohne von den allernächsten Fragen von europäischem Interesse "auch nur eine Ahnung zu haben". Aber daß man, nachdem in Frankreich das allgemeine Stimmrecht zweimal fungiert hat, nachdem das, was die Linke allgemeines Stimmrecht nennt, in Preußen zweimal fungiert und sogar dem Herrn Bodelschwingh selbst seinen Sitz in der Kammer oktroyiert hat -, daß man da noch in so fabelhaften Phantasien über das allgemeine Stimmrecht sich ergehen kann, dazu muß man antediluvianischer preußischer Minister gewesen sein! Doch vergessen wir nicht, Herr Bodelschwingh war begraben und ist erst wieder auferstanden, um "auf Befehl Sr. Majestät" in die Kammer zu treten!

Nachher heißt es:

"Wenn wir auch keineswegs der Ansicht sind, daß diese Verfassung erst durch die Revision ihre Geltung erhalte, so vertrauen wir doch vollkommen, daß die Krone den Wünschen (!) ... der Kammern ... ihre Sanktion nicht entziehen wird ... mit dem Bewußtsein, daß wir mit der Regierung nicht zu mäkeln und zu rechten brauchen, als ständen wir Feinden gegenüber, sondern mit der Überzeugung, daß wir der Krone gegenüberstehn, welche wie wir nur das Wohl des Vaterlandes im Auge hat ... in guten und bösen Tagen fest zusammenhalten mit unsern Fürsten. Grundlagen der Gottesfurcht, der Achtung vor dem Gesetz, des Gemeinsinns usw."

Herr Bodelschwingh glaubte noch im Vereinigten Landtag zu sprechen. Er steht vor wie nach auf dem Boden des Vertrauens. Aber der Mann hat ja recht! Das von der Linken sogenannte allgemeine Stimmrecht hat ja vermittelst Selbständigkeitsparagraphen, indirekter Wahl und Manteuffelschen Manövern eine Kammer zustande gebracht, die sich gar nicht zu schämen brauchte, "Hoher Vereinigter Landtag" angeredet zu werden.

<380> Nach einer unbedeutenden Rede des Abg. Schulze-Delitzsch tritt auf Se. weiland Exzellenz der Herr Graf Arnim. Herr Arnim hat das letzte Jahr nicht geschlafen wie Herr Bodelschwingh. Er weiß, was er will.

Warum wir die Verfassung jetzt gleich in Bausch und Bogen anerkennen wollen, sagt er, ist klar.

"Ist es denn so sicher, daß das Geschäft der Revision zu einem Resultat führen werde? Wie denn? Was gilt dann für ein Grundgesetz? Gerade also weil wir in dem Falle sind, daß eine Einigung zwischen den drei Gewalten über die Punkte der Revision ungewiß ist, gerade darum liegt uns daran, daß auch für diesen Fall das Volk eine Verfassung habe."

Ist das deutlich? Das ist schon die zweite leise Andeutung in dieser einen Sitzung.

Der Abgeordnete d'Ester spricht noch gegen den Kommissionsentwurf. D'Esters Rede ist bei weitem die beste, die von seiten der Linken in dieser allgemeinen Debatte gefallen. Die Keckheit und Lebhaftigkeit, mit der der Abgeordnete von Mayen die Herren von der Rechten attackiert, macht einen angenehmen Eindruck mitten in dieser trübseligen und ledernen Debatte. Aber auch d'Ester kann nicht ohne diplomatische Konzessionen und parlamentarische Windungen sprechen. Er sagt z.B., auch er stimme damit vollkommen überein, daß die Revolution beendigt werden müsse. Wenn bei dem Deputierten dies Wort aus parlamentarischen Rücksichten vielleicht zu entschuldigen ist, so durfte das Mitglied des demokratischen Zentralausschusses so etwas nie aussprechen, so durfte der Mann, der gleich darauf mit Vincke die Debatte über die respektive "Bildungsstufe" begann, auch nicht den Schein auf sich bringen, als sei er einer solchen Faselei fähig. Zudem glaubt es ihm doch kein Mensch.

Zum Schluß stimmt noch der Abg. Riedel ein Triumphlied darüber an, daß "die Krone das Recht der Gesetzgebung wieder an sich genommen" habe. Ein ironisches Bravo macht ihn aufmerksam, daß er aus der Schule geplaudert. Er erschrickt und setzt hinzu: "Provisorisch, versteht sich!"

Dritter leiser Wink für die Herren Abgeordneten!

Man geht zur speziellen Debatte über. Wir versparen sie auf morgen.

Geschrieben von Friedrich Engels.