Ein Bourgeoisaktenstück | Inhalt | Eine Neujahrsgratulation

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 6, S. 156-159
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1959

Das Budget der Vereinigten Staaten und das christlich-germanische

["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 189 vom 7. Januar 1849]

<156> *Köln, 6. Januar. Was die preußische Regierung dem Lande kostet, haben wir endlich seit einigen Tagen schwarz auf weiß. Der "Preußische Staats-Anzeiger" hat uns endlich mit dem Finanzetat für das Jahr 1849 gezeigt, wie schamlos wir in den bisherigen Budgets belogen worden sind. Überrascht hat dieses herrliche Neujahrsangebinde nur die, denen bislang jedes Wort der gottbegnadeten Regierung als heilige Wahrheit und der ganze seit 1820 mit uns getriebene Staatsfinanz-Humbug als ein Beweis von der Vortrefflichkeit unseres polizeistaatlichen Budgets erschien.

Preußen ist ein Land von beiläufig 5.000 Quadratmeilen und etwas über 16 Mill[ionen] Einwohnern.

Die Vereinigten Staaten von Nordamerika umfassen ein Ländergebiet, dessen Oberfläche jetzt der von ganz Europa ziemlich nahe kommt und deren Einwohnerzahl über 21 Mill[ionen] beträgt.

Es gibt keine passendere Einleitung zu Betrachtungen über das preußische Budget pro 1849 als das Budget der nordamerikanischen Freistaaten,

Eine Vergleichung beider Budgets zeigt, wie teuer der preußische Bourgeois das Vergnügen bezahlen muß, um von einer gottbegnadeten Regierung beherrscht, von ihren Söldlingen mit und ohne Belagerungszustände malträtiert und von einer Schar hochmütiger Beamten und Krautjunker en canaille <mit Verachtung> behandelt zu werden. Zugleich ergibt sich's aber, wie wohlfeil eine mutige, ihrer Macht bewußte und sie zu gebrauchen entschlossene Bourgeoisie ihre Regierung einrichten kann.

Die beiderseitigen Budgets sind allein schon hinreichender Beweis für die <157> Feigheit, Borniertheit und Spießbürgerlichkeit der einen wie von dem Selbstgefühl, der Einsicht und Energie der andern.

Sämtliche Ausgaben der Vereinigten Staaten während des Jahres 1848 beliefen sich auf 42 Mill[ionen] 811.970 Dollars. Hierin sind die Kosten für den mexikanischen Krieg einbegriffen, für einen Krieg, der 2.000 Meilen weit vom Sitz der Zentralregierung geführt wurde. Man begreift, welche enorme Ausgaben der Transport der Armee wie aller für sie erforderlichen Gegenstände notwendig machte.

Die Einnahme der Union betrug 35 Mill[ionen] 436.750 Dollars, und zwar 31 Mill[ionen] 757.070 Doll[ars] Zollgebühren, 3 Mill[ionen] 328.642 Doll[ars] aus dem Verkauf von Staatsländereien und 351.037 Doll[ars] vermischte und zufällige Einnahmen. Da die gewöhnlichen Einnahmen wegen der Kriegskosten nicht ausreichten, so wurde das Fehlende durch Anleihen gedeckt, die über al pari abgeschlossen wurden <die zu einem Kurswert abgeschlossen wurden, die über dem Nennwert lag>. Man frage einmal auf dem Geldmarkt an, ob die "christlich-germanische" Regierung auch nur 1.000 T[a]l[e]r. zu so vorteilhaften Bedingungen aufzubringen imstande wäre!

In den Vereinigten Staaten beginnt das Finanzjahr mit jedem 1 Juli. Bis zum Juli 1849 werden die Ausgaben immer noch wegen des mexikanischen Krieges gegen sonst, freilich nicht im Vergleich mit Preußen, bedeutend sein. Dagegen kündigt der Präsident Polk in seiner Botschaft an den Kongreß für das nächste mit dem 1. Juli 1850 endende Finanzjahr das gewöhnliche Friedensbudget an

Wie hoch belaufen sich die Ausgaben dieses mächtigen Staates - der nordamerikanischen Bourgeoisrepublik - in Friedenszelten?

Auf 33.213.152 Dollars, einschließlich der Zinsen (3.799.102 Doll[ars]) für die öffentliche Schuld und der am 30. Mai 1850 an Mexiko zu zahlenden 3.540.000 Dollars.

Zieht man die beiden letzten Summen ab, die außergewöhnlich im Budget figurieren, so kostet die ganze Regierung und Verwaltung der Vereinigten Staaten jährlich noch nicht 26 Millionen Dollars.

Und wieviel zahlen die preußischen Bürger in Friedenszeiten jährlich an den Staat?

Die Antwort ist bitter. Der "Pr[eußische] St[aats-]A[nzeiger]" gibt sie uns. Sie lautet: mehr als 94 Millionen Taler jährlich!

Während also die 21 Millionen Bewohner der nordamerikanischen Republik bei ihrer Wohlhabenheit, ja bei ihrem Reichtum kaum 26 Millionen Dollars - also noch nicht 38 Millionen Taler pr[eußisch] Kur[ant] - an die Staats- <158> kasse abgeben, müssen die 16 Mill[ionen] Preußen bei ihrer verhältnismäßigen Armut jährlich an 94 Mill[ionen] Taler dem Staatsschatze in den Rachen werfen, und doch ist er auch damit noch nicht befriedigt.

Aber seien wir nicht ungerecht!

Die nordamerikanische Republik besitzt dafür auch nichts weiter als einen je auf 4 Jahre gewählten Präsidenten, der freilich für das Land mehr arbeitet als ein Dutzend Könige und Kaiser zusammengenommen. Allein er bezieht dagegen nur den lumpigen Jahresgehalt von 37.000 Tlr. preuß. Kur[ant]. In diese winzige Summe von 37.000 Tlr. läßt sich der ganze Schmerz eines christlich-preußischen Gemüts mit Gott für König und Junkerschaft zusammenfassen. Keine Kammerherren, Hofjuweliere, kein Besprengen der Chaussee nach Charlottenburg für Hofdamen, keine Wildpark-Apparate auf Kosten des Bürgers usw. O es ist schrecklich! Das Schrecklichste aber ist, daß diese Nordamerikaner diese Schrecklichkeit, diese Öde, diese Gottverlassenheit nicht einmal zu begreifen scheinen.

Wie ganz anders bei uns. Zahlen wir auch drei- und viermal mehr, so erfreuen wir uns auch an Dingen, die jene nicht haben, für 37.000 Tlr. nicht haben können. Wir erfreuen und erquicken uns an dem Glanze eines gottbegnadeten Hofes, der - man weiß es nicht genau, aber nach ungefährer Schätzung - dem Volke jährlich 4 bis 5 Millionen kostet.

Während die Amerikaner so närrische Käuze sind, ihr Geld möglichst zum eigenen Glanze und zum eigenen Nutzen zu behalten, fühlen wir uns christlich-germanisch verpflichtet, unsern Glanz, d.h. unser Geld, von uns zu werfen und andere damit glänzen zu lassen. Und vom Glanze abgesehen, welche Wohltaten bietet nicht ein aus den Taschen des Volks reichausgestatteter Hof für eine Masse pauvrer <armer> Grafen, Barone, Freiherrn, simple Vons etc.? Eine Menge dieser Leute, die nur auf Konsumtion, nicht auf Produktion eingerichtet sind, würde am Ende elendiglich verderben, wenn sie nicht auf feine Weise ein öffentliches Almosen erhielten. Wollte man alle Wohltaten und Vorteile der Reihe nach durchgehen, wir würden heut nicht fertig.

Und wie weit stehen die Amerikaner wegen ihres kleinen Budgets noch in andern Beziehungen hinter uns zurück!

Bei ihnen erhielte z.B. Herr Oberpräsident Boetticher kein Geschenk von 3.000 Tlrn. aus der Staatskasse. Er könne mit seinem schönen Gehalt zufrieden sein, würde es heißen. Für Grafen und Barone fiele nichts ab zur Kindererziehung. Die nordamerikanische Republik würde zu diesen gnädigen Herrn in solchem Falle sagen: Alors il faut s'abstenir d'avoir des enfants! <Man muß sich eben des Kinderkriegens enthalten!> Ein <159> "Hüser" wäre dort um seine jährliche Gratifikation von 6.000 Talern geprellt und müßte sich mit seinem Gehalt begnügen, ja letzterer würde vielleicht auf 3.000 Tlr. vermindert. Damit sollte ein Mensch, ein preußischer Mensch, ein christlich-germanischer General leben? Ruchloser Gedanke! Apage! <Hebe dich von mir!>

Den Amerikanern geht, wie Herrn Hansemann, alle Gemütlichkeit in Geldfragen ab.

Sie würden dem Don Carlos höchstens einige whippings <Peitschenhiebe>, aber nimmermehr 700.000 Tlr. zukommen lassen, damit er nebst seinen Granden und Mönchen sich bene <gütlich> tun und für die Metternichsche Legitimität fechten könne. Das vermag nur ein gottbegnadetes Königtum, dem die Taschen des Volkes jederzeit und von Rechts wegen geöffnet bleiben müssen.

Sind die Abgaben des Amerikaners an den Staat freilich sehr unbedeutend, so hat er andererseits auch nur ein stehendes Heer von 10.000 Mann, das bloß in Kriegszelten aufs schnellste bis zu 2 Millionen kräftiger Streiter vermehrt werden kann. Er kennt nicht im entferntesten das Glück, den besten Teil der Steuern auf ein Kriegsheer verwenden zu dürfen, das uns in Friedenszelt belagert, malträtiert, verwundet und totschießt - alles zum Ruhm und zur Ehre des Vaterlandes.

Allein was hilft's? Diese Bourgeoisrepublikaner sind einmal so starrköpfig, daß sie von unsern christlich-germanischen Einrichtungen nichts wissen, ja geringe Steuern lieber zahlen wollen als hohe.

Ebenso hartnäckig besteht der deutsche Bourgeois darauf, daß das Gottesgnadentum mit seinem Kriegs- und Beamtenheere, seinen Scharen von Pensionierten, seinen Gratifikationen, Extraordinariis etc. gar nicht hoch genug bezahlt werden kann.

Der Geldsackrepublikaner von Nordamerika und der Bourgeois in Preußen verhalten sich eben just zueinander wie ihre Budgets, wie 37 zu 94 Millionen. Der eine selbst-, der andere gottbegnadet: Das ist die eigentliche Differenz.