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Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 6, S. 69-74Der Bericht des Frankfurter Ausschusses über die östreichischen Angelegenheiten
["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 154 vom 28. November 1848]
<69> *Köln, 27. November. Vor einigen 40 Jahren gab es Leute, die "Deutschland in seiner tiefsten Erniedrigung" schilderten. Gut, daß sie bereits ad patres <zu den Vätern> gegangen. Sie könnten jetzt ein solches Buch nicht schreiben; sie wüßten keinen Titel für dasselbe, und wählten sie den alten, sie widersprächen sich selbst.
Denn für Deutschland gibt es stets, um mit dem englischen Dichter zu reden, "beneath the lowest deep a lower still" <"unter dem tiefsten Abgrund ein noch tieferer", John Milton, "Paradise Lost">.
Wir glaubten, mit Abschluß des dänischen Waffenstillstandes sei die größte Schmach erschöpft. Über die Erniedrigung Deutschlands schien uns nach dem Auftreten des Reichsgesandten Raumer in Paris, Heckschers in Italien, des Kommissärs Stedtmann in Schleswig-Holstein und nach den beiden Noten an die Schweiz nichts hinausgehen zu können. Das Auftreten der beiden Reichskommissäre in den östreichischen Angelegenheiten beweist unsere Täuschung. Wie unglaublich weit deutsche Reichskommissäre es mit der Ehre Deutschlands treiben, welche stupide Unfähigkeit, Feigheit oder Verräterei die Herren des alten Liberalismus in sich bergen können, ergibt sich zur Genüge aus dem eben erschienenen "Bericht des Ausschusses für die östreichischen Angelegenheiten etc.", namentlich aus den darin enthaltenen 20 Schriftstücken.
Am 13. Oktober reisen die Herren Welcker und Mosle im Auftrage der Zentralgewalt von Frankfurt ab "zur Vermittelung in den Wiener Angelegenheiten". In der neuen Zentraldiplomatie unbewanderte Leute erwarteten binnen einigen Tagen die Nachricht von der Ankunft dieser Herren in Wien. Man wußte damals noch nicht, daß Reichskommissäre eigene Reiserouten <70> besitzen. Die reichsverweserlichen Eisele und Beisele schlugen den geradesten Weg nach Wien ein über - München. Die bekannte Reisekarte aus der "Josbsiade" in der Hand, langten sie dort am 15. Oktober abends an. Bis zum 17. Oktober mittags studierten sie jetzt die Wiener Ereignisse im traulichen Verein mit den bayerischen Ministern und dem östreichischen Geschäftsträger. In ihrem ersten Briefe an Herrn Schmerling geben sie Rechenschaft von ihren Vorstudien. In München haben beide einen lichten Augenblick. Sie wünschen sehnlichst die Ankunft eines "dritten Collega", womöglich eines Preußen, "weil wir dadurch dem großen Auftrage besser gewachsen sein werden". Der Herr "Collega" erscheint nicht. Die Trinitätshoffnung scheitert; der ärmliche Dualis muß allein in die Welt hinaus. Was wird nun aus dem "großen Auftrage" werden? Der große Auftrag wird in den Taschen der Herren Welcker und Mosle nach Passau gefahren. Noch vorm Überschreiten des östreichischen Rubicon läßt der "große Auftrag" eine Proklamation vorausmarschieren. Da drüben aber war's fürchterlich!
"Auch ist" , schreibt Welcker an Schmerling, "die Bevölkerung hier an der österreichischen Grenze keineswegs von revolutionären und terroristischen Erscheinungen frei", ja "selbst die Nationalgarden von Krems wurden nur durch das Zuvorkommen einer militärischen Besetzung der Brücke außerstand gesetzt, dieselbe ihrem Kaiser abzubrechen und diesen also gewissermaßen gefangenzunehmen."
Welcher Leser wäre verhärtet genug, diese Empfindungen einer schönen Staatslexikonseele nicht vollständig zu würdigen! Nachdem sich die beiden Herren vom 18. mittags bis zum 20. früh in Passau gestärkt, begeben sie sich nach Linz.
Am 13. Oktober waren sie von Frankfurt abgereist, am 20. abends sind sie schon in Linz. Liegt nicht in dieser ungeheuern Schnelligkeit Beweis genug für die Wichtigkeit ihres "großen Auftrages"? Sollten sie durch besondere Instruktionen zu dieser enormen Eile angetrieben worden sein? Genug, nach sieben vollen Tagen langen die Herren in Linz an. Diese Stadt, die bei ihrer "großen, schon durch Wiener Emissäre bearbeiteten Fabrikbevölkerung" im Herrn Welcker während seines Aufenthalts in Passau bange Ahnungen weckte, zeigt durchaus nichts von den wahrscheinlich für ihn und seinen zweiten Herrn Collega im Geist erblickten Galgen. Im Gegenteil:
"Die gesamte Nationalgarde mit ihrem Offizierskorps und ihrer Musik ... empfing uns in feierlicher Aufstellung mit fliegender deutscher Fahne und im Verein mit dem umgebenden Volk mit wiederholtem Lebehoch."
Linz - das revolutionäre Sodom - löst sich somit in eine gutgesinnte Stadt auf, die Bonhomie genug besitzt, unsere trefflichen Reichskommissäre feier- <71> lich zu empfangen. Desto grausiger tritt dafür Wien in den Welcker-Mosleschen Berichten an Herrn Schmerling als das gottloseste Gomorrha, als ein Sündenpfuhl der Anarchie etc. hervor.
Am 21. stiegen die Herren aufs Dampfschiff und fuhren nach Krems. Unterwegs berichteten sie nach Frankfurt, daß sie in Linz Ehrenwachen gehabt, daß die Hauptwache vor ihnen unters Gewehr getreten und ähnliche gleich wichtige Dinge mehr. Zugleich fertigen sie drei Briefe: an Windischgrätz, Minister Kraus und an das Präsidium des Reichstags.
Sollte irgend jemand von der mehr als achttägigen Wirksamkeit unserer Reichskommissäre noch nicht vollständig befriedigt sein, der begleite sie jetzt in der Nacht vom 21. auf den 22. Oktober nach Stammersdorf ins Hauptquartier von Windischgrätz. Hier strahlt uns die kommissarische Zentralgewalt in aller Glorie entgegen. "Windischgrätz", sagt Welcker-Mosle, "lehnte jede Einwirkung von unserer Seite mit einer gewissen Schroffheit ab." Mit andern Worten: Sie erhalten Fußtritte und müssen sich ihres Weges trollen. "Ja, er wollte nicht einmal unsere Vollmacht einsehen", klagt Welcker seinem Minister Schmerling. Und um das Maß der Betrübnis vollzumachen: Windischgrätz bietet der vor ihm stehenden personifizierten Zentralgewalt keinen Tropfen Wein an, nicht einmal einen Schnaps.
Unsere Kommissäre setzen sich also wieder in den Wagen, summen traurig vor sich hin: "O du Deutschland etc." und fahren nach - Wien? Bewahre Himmel! nach Olmütz, "ans kaiserliche Hoflager". Und sie taten wohl daran. Dem ganzen Reichswitz hätte die Pointe gefehlt, der Vermittelungskomödie der letzte Akt. Waren sie von Windischgrätz wie dumme Schulbuben trakiert worden, so fanden sie in Olmütz "von seiten des Kaisers und der kaiserlichen Familie eine viel entgegenkommendere Aufnahme" (vgl. S. 11 des Berichts, Schreiben Nr. 6). Sie wurden zur Tafel geladen, und "wir haben uns", schrieben sie weiter an Herrn Schmerling, "der gnädigsten Aufnahme zu erfreuen gehabt". Das ist keineswegs die deutsche Lakaiennatur, die sich hier ausspricht, sondern innigste Dankbarkeit, die in dem Liede: "Nach so vielen Leiden etc." ihren entsprechenden Ausdruck findet.
Nach allem Essen und Trinken bleibt immer noch der bekannte "große Auftrag" zu erledigen. Unsere beiden Kommissäre wenden sich schriftlich an den Minister Freiherrn von Wessenberg.
"Ew. Exzellenz" (beginnt der Brief vom 25. Oktober) "ersuchen wir ergebenst, uns geneigtest eine Stunde bestimmen zu wollen, in welcher es Ihnen gefällig wäre, unsern Dank für die wohlwollende Aufnahme zu empfangen, welche unserer Mission und uns von seiten Sr. k. k. Majestät und Eurer Exzellenz zuteil ward, und uns in Beziehung <72> auf folgende noch zur Vollführung unserer Mission gehörigen Punkte Ihre Ansichten und Entschlüsse mitzuteilen."
Die "folgenden Punkte" sagen mit vielen Worten, daß die Kommissäre die Erlaubnis wünschen, sich nach Wien zur Vermittelung begeben zu dürfen.
Der ganze Brief, wie auch der zweite an Wessenberg, ist in einem so verzwickten Kanzleistil des vorigen Jahrhunderts abgefaßt, so voll von maßloser Höflichkeit und Unterwürfigkeit, daß es ordentlich wohltut, gleich darauf Wessenbergs Antworten lesen zu können. Die beiden Kommissäre stehen in diesem Briefwechsel dem östreichischen Minister gegenüber da wie zwei tölpische Bauern dem feingebildeten Edelmanne, wenn sie auf dem glatten Fußboden ihre possierlichen Bücklinge machen und recht gewählte Ausdrücke vorzubringen suchen.
Wessenberg antwortet auf obigen Brief:
"Hochwohlgeborne Herren! Ich muß um Entschuldigung bitten, wenn ich Ihre heutige Zuschrift so spät beantworte ... Was Ihre wohlmeinende Absicht betrifft, noch einen Versuch in Wien zur Beilegung der dortigen Zerwürfnisse zu machen, so scheint mir nötig, Sie vorerst in die Kenntnis der dermaligen dortigen Zustände zu setzen. Es handelt sich nämlich nicht darum, mit einer Partei zu unterhandeln, sondern lediglich eine Insurrektion zu unterdrücken etc." (vgl. S.16 des Berichts).
Mit dieser Antwort schickt er ihnen zugleich ihre Vollmachten zurück.
Sie wiederholen ihr Anliegen unterm 27. Oktober.
"Wir müssen", sagen sei, "es für dringende Pflicht halten, Ew. Ex[zellenz] und in Ihnen die K[aiserliche] Regierung nochmals inständigst zu ersuchen, uns schleunigst mit milden und versöhnenden Aufträgen und Bedingungen unter sicherem Geleite nach Wien zu senden, um so in dieser furchtbaren Krisis die beschwichtigende und persönliche Kraft zu benutzen, welche in uns und in unserer Mission liegt."
Wir haben gesehen, wie diese "beschwichtigende und persönliche Kraft" in den 14 Tagen, seitdem sie aus Frankfurts Toren gefahren ist, gewirkt hat.
Sie übt auf Wessenberg den mächtigen Einfluß, daß er in seiner Antwort auf ihr Anliegen keine Antwort gibt. Er teilt ihnen einige noch dazu halb unwahre Nachrichten aus Wien mit und bemerkt ironisch:
"Daß übrigens Empörungen der Art wie jene der Proletarier in Wien nicht leicht ohne Anwendung von Zwangsmitteln unterdrückt werden können, haben noch neuerlich die Ereignisse in Frankfurt bewiesen!"
Solchen Argumenten konnten die Herren Welcker und Mosle unmöglich widerstehen: Sie stehen deshalb von weitern Versuchen ab und harren mit <73> ihrer "beschwichtigenden und persönlichen Kraft" der Dinge, die da kommen sollen.
Am 28. Oktober berichten sie in betreff ihres "großen Auftrages" wieder an Schmerling. Auf Wessenbergs Anerbieten übergeben sie ihre Depesche einem Kurier, den ersterer nach Frankfurt sendet. Der Kurier geht ab, doch nicht die Depesche. Sie langt erst am 6. November in Frankfurt an. Wären sie nicht an der kaiserlichen Tafel gewesen, hätte die kaiserliche Familie und namentlich der Erzherzog Karl nicht so freundlich mit ihnen gesprochen - die Kommissare müßten über so viel Pech ihren hohen Verstand verloren haben.
Jetzt folgt zweitägiges Stillschweigen. Die "beschwichtigende Kraft" hält Sabbatruhe nach so vieler Arbeit.
Da, am 30. Oktober, teilt ihnen Wessenberg die offizielle Kunde von der Übergabe Wiens mit. Ihr Entschluß ist gefaßt. Zwar meinten sie noch am 28. Oktober (S. 14 des Berichts), "es scheint, daß bei ihm (Windischgrätz) ebenso wie hier (in Olmütz) bei den einflußreichen Personen der Gedanke, nicht bloß Wien zu unterwerfen, sondern auch eine rächende Züchtigung für bisheriges Unrecht eintreten zu lassen, allzusehr vorherrscht". Allein seitdem hat ihnen Wessenberg versichert, und wie sollte ein Reichskommissär da noch zu zweifeln wagen - er hat ihnen versichert, daß "die östreichische Regierung bei der Benutzung dieses Sieges sich von den Grundsätzen leiten lassen werde, welche geeignet seien, ihr die Zuneigung ihrer Untertanen zu sichern".
"So können wir also annehmen", ruft Welcker-Mosle voll Reichspathos aus, "daß unsere Vorschläge doch einigen Einfluß gehabt haben." Also doch? O sicher! Ihr habt Wessenberg, Erzherzog Karl, Sophie und Konsorten acht Tage lang aufs prächtigste amüsiert. Ihr wart kaiserlich-königlicher Verdauungspulob, Welcker-Mosle!
"Wir halten nach jener Versicherung des Ministers unsere Aufgabe nun für gelöst und werden morgen (31. Oktober) über Prag unsere Rückreise antreten."
So schließt die letzte Depesche der Herren Welcker-Mosle.
Und in der Tat, ihr habt recht, euer "großer Auftrag" der Versöhnung und Vermittelung war erledigt. Was hättet ihr auch jetzt nach Wien gehen sollen? Waren nicht die Apostel der Humanität, Windischgrätz und Jellachich, Herren der Stadt? Predigten nicht die Rotmäntel und die k. k. Truppen mittelst Plünderung, Brand, Mord und Notzucht das Evangelium des Friedens und der konstitutionellen Freiheit, verständlich für jedermann?
Wie sehr eure "beschwichtigende Kraft" zum Durchbruch gekommen, <74> wie herrlich ihr eure Aufgabe gelöst - das zeigt das Röcheln der Gemordeten, der Verzweiflungsschrei der Geschändeten, das zeigen die Tausende in den Gefängnissen, das lehrt uns der blutige Schatten Robert Blums.
Eure Aufgabe war es, zur Trilogie, welche Windischgrätz, Jellachich und Wessenberg in Szene setzten, in Olmütz das Satyrspiel aufführen zu helfen. Sie ist würdig von euch gelöst worden: Ihr habt, wenn nichts Schlimmeres, so doch die Rolle der "gefoppten Oheime" mit Virtuosität zu Ende gespielt.