Die Kontrerevolution in Berlin | Inhalt | Die neuen Behörden- Fortschritte in der Schweiz
Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 6, S. 13-14Das Exfürstentum
["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 140 vom 11. November 1848]
<13> **Aus der Republik Neuchâtel, 7. November. Es wird Sie interessieren, auch einmal etwas aus einem Ländchen zu hören, das noch bis vor kurzem sich der Segnungen der preußischen Herrschaft erfreute, aber zuerst von allen Landen, die der Krone Preußens untertan, die Fahne der Revolution aufpflanzte und die preußische väterliche Regierung verjagte. Ich spreche von dem ehemaligen "Fürstentum Neuenburg und Vallendis", bei dem Herr Pfuel, der jetzige Ministerpräsident, als Gouverneur die ersten administrativen Studien machte und im Mai dieses Jahres vom Volk abgesetzt wurde, noch ehe er sich in Posen Lorbeeren erringen und in Berlin als Premier Mißtrauensvoten ernten konnte. Das Ländchen hat jetzt den stolzeren Namen "République et Canton de Neuchâtel" angenommen, und die Zeit wird wohl nicht fern sein, wo in Berlin der letzte Neuchâteller Gardeschütze seinen grünen Waffenrock bürstet. Ich muß gestehen, es gewährte mir eine humoristische Genugtuung, fünf Wochen nach meiner Flucht vor der preußischen heiligen Hermandad wieder ungehudelt auf einem Boden herumspazieren zu dürfen, der de jure noch preußisch ist.
Die Republik und Kanton Neuchâtel befindet sich übrigens offenbar in einem weit behaglicheren Zustande als weiland das Fürstentum Neuenburg und Vallendis; denn bei den neulichen Wahlen für den schweizerischen Nationalrat erhielten die republikanischen Kandidaten über 6.000 Stimmen, während die Kandidaten der Royalisten, der bédouins <Beduinen (arabische Wanderhirten und -händler der Wüste); hier im Sinne von: Wanderprediger in der Wüste>, wie man sie hier nennt, kaum 900 musterten. Auch im Großen Rat sitzen fast lauter Republikaner, und nur ein kleines, von den Aristokraten beherrschtes Gebirgsdorf, <14> Les Ponts, hat den königlich-preußisch-fürstlich-neuenburgischen Ex-Staatsrat Calame als seinen Repräsentanten nach Neuchâtel geschickt, wo er vor einigen Tagen der Republik den Eid der Treue schwören mußte. Statt des alten königlichen "Constitutionnel Neuchâtelois" erscheint jetzt - in La Chaux-de-Fonds, dem größten, industriellsten und republikanischsten Orte des Kantons - ein "Républicain Neuchâtelois", der zwar in einem sehr schlechten jurassischen Schweizerfranzösisch, aber sonst gar nicht übel redigiert wird.
Die Uhrenindustrie des Jura und die Spitzenmanufaktur des Traverstales, die Hauptlebensquellen des Ländchens, fangen auch an, wieder besser zu gehen, und die Montagnards gewinnen allmählich, trotz des fußhohen Schnees, der hier bereits liegt, ihre alte Heiterkeit wieder. Inzwischen gehen die bédouins gar trübselig umher, tragen an Hose, Bluse und Mütze die preußischen Farben umsonst zur Schau und seufzen vergebens nach der Rückkehr Ehren-Pfuels und der Dekrete, die da anfingen: "Nous Frédéric-Guillaume par la grâce de Dieu!" <Wir Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden!>. Die preußischen Farben, schwarze Mützen mit weißen Rändern, hoch oben im Jura, 3.500 Fuß über dem Meeresspiegel, sind ebenso niedergeschlagen, ebenso zweideutig angelächelt wie bei uns am Rhein; - sähe man nicht die Schweizer Fahnen und die großen Plakate: "République et Canton de Neuchâtel", man könnte sich zu Hause glauben. Übrigens freut es mich, berichten zu können, daß die deutschen Arbeiter bei der Neuchâteller, wie bei allen Revolutionen von 1848, eine entscheidende, sehr ehrenvolle Rolle gespielt haben. Dafür wird ihnen auch der Haß der Aristokraten im vollsten Maße zuteil.
Geschrieben von Friedrich Engels.