Das Ministerium Pfuel | Inhalt | Die "Frankfurter Oberpostamts-Zeitung" und die Wiener Revolution

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 423-427
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1959


Thiers' Rede über eine allgemeine Hypothekenbank mit Zwangskurs

["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 116 vom 14. Oktober 1848]

<423> * Herr Thiers publiziert in dem "Constitutionnel" eine Broschüre über das "Eigentum". Wir werden auf diese klassisch geschriebene Trivialität näher eingehen, sobald die Publikation vollständig erschienen ist. Herr Thiers hat sie plötzlich abgebrochen. Uns genügt einstweilen zu bemerken, daß die "großen" belgischen Blätter, der "Observateur" und die "Indépendance", schwärmen für die Schrift des Herrn Thiers. Heute verfolgen wir einen Augenblick die am 10. Oktober von Herrn Thiers in der französischen Nationalversammlung gehaltene Rede über die Hypothekenbons, eine Rede, die nach der belgischen "Indépendance" dem Papiergeld den "Todesstoß" versetzt hat. Aber Herr Thiers ist auch, wie "Indépendance" sagt, ein Redner, der mit gleicher Überlegenheit die politischen Fragen behandelt, die finanziellen, die sozialen.

Diese Rede interessiert uns nur, weil sie die Taktik der Ritter der alten Zustände zeigt, eine Taktik, die sie mit Recht den Don Ouixoten der neuen entgegenhalten.

Verlangt eine teilweise Reform in den industriellen und kommerziellen Zuständen, wie Herr Turck <In der "Neuen Rheinischen Zeitung" immer irrtümlich: Türck>, dem Thiers antwortet, und sie halten euch die Verkettung und die Wechselwirkung der Gesamtorganisation entgegen. Verlangt die Umwälzung der Gesamtorganisation, und ihr seid destruktiv, revolutionär, gewissenlos, utopistisch und überseht die partiellen Reformen. Also Resultat: Laßt alles beim Alten.

Herr Turck z.B. will den Bauern die Verwertung ihres Grundeigentums durch offizielle Hvpothekenbanken erleichtern. Er will ihr Eigentum in Zirkulation bringen, ohne daß es durch die Hände des Wuchers hindurch- <424> passieren muß. In Frankreich nämlich, wie in den Ländern überhaupt, wo die Parzellierung herrscht, hat sich die Herrschaft der Feudalherrn in die Herrschaft der Kapitalisten, haben sich die feudalen Leistungen des Bauern in bürgerliche Hypothekenverpflichtungen verwandelt.

Was antwortet Herr Thiers zunächst?

Wollt ihr den Bauern durch öffentliche Kreditanstalten helfen, so beeinträchtigt ihr den kleinen Handelsmann. Ihr könnt dem einen nicht helfen, ohne dem andern zu schaden.

Also müssen wir das ganze Kreditsystem umwandeln?

Beileibe nicht! Das ist eine Utopie. Also ist Herr Turck abgefertigt.

Der kleine Handelsmann, für welchen Herr Thiers so zärtlich sorgt, ist die große Bank von Frankreich.

Die Konkurrenz von Papierscheinen für zwei Milliarden Hypotheken würde ihr das Monopol und die Dividenden und vielleicht noch something more <einiges mehr> ruinieren. Hinter dem Argument des Herrn Thiers steht also im Hintergrund - Rothschild.

Kommen wir zu einem andern Argument des Herrn Thiers. Der Vorschlag der Hypotheken, sagt Herr Thiers, geht die Agrikultur selbst eigentlich gar nichts an.

Daß das Grundeigentum nur unter erschwerenden Umständen in Zirkulation gesetzt wird, daß es sich nur mühsam verwertet, daß die Kapitalien es sozusagen fliehen, das alles, bemerkt Herr Thiers, liegt in der "Natur". Es werfe nämlich nur kleinen Profit ab. Aber von der andern Seite kann Herr Thiers nicht leugnen, daß es in der "Natur" der modernen industriellen Organisation liegt, daß alle Industrien, also auch die Agrikultur, nur gedeihen, wenn ihre Produkte und ihre Instrumente leicht verwertet, in Umtausch gesetzt, mobilisiert werden können. Bei dem Grund und Boden ist das nicht der Fall. Also wäre der Schluß: Innerhalb der bestehenden zivilisierten Zustände kann die Agrikultur nicht gedeihen. Man muß daher die bestehenden Zustände ändern, und ein kleiner, wenn auch inkonsequenter Anlauf zu einer solchen Veränderung ist der Vorschlag des Herrn Turck. Keineswegs! ruft Thiers aus. Die "Natur", d.h. die jetzigen sozialen Verhältnisse verdammen die Agrikultur zu ihrem jetzigen Zustande. Die jetzigen sozialen Verhältnisse sind "Natur", d.h. unabänderlich. Die Behauptung ihrer Unveränderlichkeit ist natürlich der schlagendste Beweis gegen den Vorschlag jeder Veränderung. Wenn die "Monarchie" Natur ist, ist jeder republikanische Versuch eine Auflehnung gegen die Natur. Nach Herrn Thiers ist es auch <425> einleuchtend, daß das Grundeigentum immer naturgemäß dieselben kleinen Profite abwirft, sei es, daß der Staat dem Grundeigentümer die Kapitalien zu 3 oder der Wucherer zu 10 Prozent vorschießt. Es ist dies einmal "Natur".

Indem aber Herr Thiers den industriellen Profit und die Rente, welche die Agrikultur abwirft, miteinander identifiziert, stellt er geradezu auch eine den jetzigen sozialen Verhältnissen, dem, was er "Natur" nennt, widersprechende Behauptung auf.

Während der industrielle Profit im allgemeinen beständig fällt, steigt beständig die Grundrente, d.h. der Wert des Bodens. Herr Thiers hatte also das Phänomen zu erklären, daß der Bauer trotzdem beständig verarmt. Er läßt sich natürlich auf dies Gebiet nicht ein.

Von wirklich merkwürdiger Oberflächlichkeit ist ferner, was Thiers über den Unterschied der französischen und englischen Agrikultur sagt.

Der ganze Unterschied, belehrt uns Thiers, besteht in der Grundsteuer. Wir zahlen sehr hohe Grundsteuer, die Engländer gar keine. Abgesehen von der Unrichtigkeit der letztem Behauptung, weiß Herr Thiers sicher, daß in England die Armensteuer und eine Masse anderer in Frankreich nicht existierender Steuern auf die Agrikultur fallen. Das Argument des Herrn Thiers wird in umgekehrtem Sinn von englischen Anhängern der kleinem Agrikultur angewandt. Wißt ihr, sagen sie, warum das englische Getreide kostspieliger ist als das französische? Weil wir Grundrente zahlen und hohe Grundrente, was die Franzosen nicht tun, da sie im Durchschnitt nicht Pächter, sondern kleine Eigentümer sind. Es lebe daher das kleine Eigentum!

Es gehört die ganze unverschämte Trivialität von Thiers dazu, um die englische Konzentration des Arbeitsinstruments, des Bodens, wodurch Anwendung der Maschinerie und der Teilung der Arbeit im großen auf die Agrikultur möglich gemacht wird, die Wechselwirkung der englischen Industrie und des englischen Handels auf die Agrikultur, um alle diese vielverzweigten Verhältnisse in die eine nichtssagende Phrase aufzulösen, die Engländer zahlen keine Grundsteuer.

Der Ansicht des Herrn Thiers, daß die jetzige Hypothekenwirtschaft in Frankreich gleichgültig für die Agrikultur ist, setzen wir die Ansicht des größten französischen agronomischen Chemikers entgegen. Dombasle hat ausführlich bewiesen, daß, wenn das jetzige Hypothekenwesen sich "der Natur" gemäß in Frankreich fortentwickelt, die französische Agrikultur zu einer Unmöglichkeit werden wird.

Welche freche Flachheit gehört überhaupt dazu, zu behaupten, der Agrikultur seien die Grundeigentumsverhältnisse gleichgültig, mit andern Worten, <426> der Produktion seien die gesellschaftlichen Verhältnisse gleichgültig, innerhalb deren produziert wird?

Es bedarf übrigens keiner weitern Auseinandersetzung, daß Herr Thiers, der den Kredit der großen Kapitalisten erhalten will, den kleinen keinen Kredit geben darf. Der Kredit der großen Kapitalisten ist eben die Kreditlosigkeit der kleinen. Wir leugnen allerdings, daß es möglich ist, den kleinen Grundeigentümern innerhalb des jetzigen Systems durch irgendein finanzielles Kunststück aufzuhelfen. Aber Thiers mußte dies behaupten, da er die jetzige Welt für die beste der Welten ansieht.

In bezug auf diesen Teil von Thiers' Rede bemerken wir daher nur noch eins: Indem er gegen die Mobilisation des Grundeigentums spricht und andererseits die englischen Verhältnisse preist, vergißt er, daß die Agrikultur in England gerade im höchsten Grade den Vorzug besitzt, daß sie fabrikmäßig betrieben wird und daß die Grundrente, d.h. das Grundeigentum ein mobiles, übertragbares Börsenpapier wie jedes andere ist. Fabrikmäßige Agrikultur, d.h. Betreibung der Agrikultur in der Weise der großen Industrie bedingt ihrerseits Mobilisation, kaufmännisch-leichte Austauschbarkeit des Grundeigentums.

Der zweite Teil der Rede des Herrn Thiers besteht in Angriffen auf das Papiergeld im allgemeinen. Er nennt die Ausgabe von Papiergeld überhaupt Falschmünzerei. Er erzählt uns die große Wahrheit, daß, wenn man eine zu große Masse Zirkulationsmittel, d.h. Geld auf den Markt wirft, man das Geld selbst entwertet, also doppelt betrügt, die Privaten und den Staat. Dies sei bei den Hypothekenbanken besonders der Fall.

Alles dies sind Entdeckungen, die man in den schlechtesten Katechismen der politischen Ökonomie findet.

Unterscheiden wir. Es ist klar, daß wir die Produktion, also den wirklichen Reichtum nicht vermehren, indem wir das Geld, sei es Papier- oder Metallgeld, willkürlich vermehren. So verdoppeln wir im Kartenspiel unsere Stiche nicht, wenn wir die Spielmarken verdoppeln.

Andererseits ist ebenso klar, daß, wenn die Produktion durch Mangel an Spielmarken, an Austauschmitteln, an Geld gehemmt wird, sich zu entwickeln, jede Vermehrung der Austauschmittel, jede Verminderung der Schwierigkeit, sich Austauschmittel zu verschaffen, zugleich eine Vermehrung der Produktion ist. Diesem Produktionsbedürfnisse verdanken Wechsel, Banken usw. ihren Ursprung. In dieser Weise kann die Agrikultur durch Hypothekenbanken gehoben werden.

Wofür Herr Thiers aber eigentlich kämpft, ist nicht das Metallgeld gegen das Papiergeld. Er selbst hat zu viel auf der Börse gespielt, um in den Vor- <427> urteilen der alten Merkantilisten befangen zu sein. Was er bekämpft, ist die Regelung des Kredits durch die im Staat repräsentierte Gesellschaft gegen die Regelung des Kredits durch das Monopol. Der Ansatz zu einer Regelung des Kredits im allgemeinen gesellschaftlichen Interesse war eben der Turckesche Vorschlag einer allgemeinen Hypothekenbank, deren Scheine Zwangskurs hätten, so wenig dieser Vorschlag in seiner Isolierung bedeutet.

Geschrieben von Karl Marx.