Der dänisch-preußische Waffenstillstand | Inhalt | Die Freiheit er Beratungen in Berlin

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 398-404
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1959


Die Krisis und die Kontrerevolution

["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 100 vom 12. September 1848]

<398> **Köln, 11. September. Man lese unsere nachfolgenden Berliner Korrespondenzen und sage, ob wir die Entwickelung der Ministerkrisis nicht ganz richtig vorhergesagt haben. Die alten Minister treten zurück; der Plan des Ministeriums, sich durch Auflösung der Vereinbarungsversammlung, durch Martialgesetze und Kanonen zu halten, scheint den Beifall der Kamarilla nicht gefunden zu haben. Die uckermärkische Junkerschaft brennt vor Begierde nach einem Konflikt mit dem Volk, nach einer Wiederholung der Pariser Juniszenen in den Straßen von Berlin; aber sie wird sich nie für das Ministerium Hansemann, sie wird sich für das Ministerium des Prinzen von Preußen schlagen. Radowitz, Vincke und ähnliche zuverlässige Leute, die der Berliner Versammlung fremd stehen, die ihr gegenüber ungebunden sind, werden berufen; die Creme der preußischen und westfälischen Ritterschaft, zum Schein assoziiert mit einigen bürgerlichen Biedermännern der äußersten Rechten, mit einem Beckerathe und Konsorten, denen man die prosaischen kaufmännischen Geschäfte des Staats überträgt - das ist das Ministerium des Prinzen von Preußen, womit man uns zu beglücken gedenkt. Inzwischen sprengt man Hunderte von Gerüchten aus, läßt vielleicht Waldeck oder Rodbertus rufen, führt die öffentliche Meinung irre, macht inzwischen seine militärischen Vorbereitungen und tritt offen heraus, wenn es Zeit ist.

Wir gehen einem entscheidenden Kampf entgegen. Die gleichzeitigen Krisen in Frankfurt und Berlin, die letzten Beschlüsse der beiden Versammlungen zwingen die Kontrerevolution, ihre letzte Schlacht zu schlagen. Wagt man es in Berlin, das konstitutionelle Prinzip der Herrschaft der Majorität mit Füßen zu treten, stellt man den 219 Stimmen der Majorität die doppelte Anzahl Kanonen gegenüber, wagt man es, der Majorität nicht nur in Berlin, sondern auch in Frankfurt durch ein Ministerium hohnzusprechen, das <399> gegenüber den beiden Versammlungen unmöglich ist - provoziert man so den Bürgerkrieg zwischen Preußen und Deutschland, so wissen die Demokraten, was sie zu tun haben.

["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 101 vom 13. September 1848]

**Köln, 12. September. Während das neue Reichsministerium, wie wir es gestern mitteilten, auch von andern Seiten her bestätigt wird, und wir vielleicht schon heute mittag die Nachricht von seiner definitiven Konstituierung bekommen, dauert in Berlin die Ministerkrise fort. Die Krisis ist nur auf zwei Wegen lösbar:

Entweder ein Ministerium Waldeck, Anerkennung der Autorität der deutschen Nationalversammlung, Anerkennung der Volkssouveränetät;

Oder ein Ministerium Radowitz-Vincke, Auflösung der Berliner Versammlung, Vernichtung der revolutionären Eroberungen, Scheinkonstitutionalismus oder gar - der Vereinigte Landtag.

Verhehlen wir es uns nicht: Der Konflikt, der in Berlin ausgebrochen ist, ist ein Konflikt nicht zwischen den Vereinbarern und den Ministern, es ist ein Konflikt zwischen der Versammlung, die zum erstenmal sich als konstituierende hinstellt, und der Krone.

Es dreht sich alles darum, ob man den Mut hat, die Versammlung aufzulösen oder nicht.

Aber hat die Krone das Recht, die Versammlung aufzulösen?

In konstitutionellen Staaten hat die Krone allerdings das Recht, die auf Grundlage der Verfassung berufenen gesetzgebenden Kammern im Fall einer Kollision aufzulösen und durch neue Wahlen ans Volk zu appellieren.

Ist die Berliner Versammlung eine konstitutionelle, gesetzgebende Kammer?

Nein. Sie ist berufen zur "Vereinbarung der preußischen Staatsverfassung mit der Krone", auf Grund nicht einer Verfassung, sondern einer Revolution. Sie hatte ihr Mandat keineswegs von der Krone oder ihren verantwortlichen Ministern, sondern nur von ihren Wählern und von sich selbst zu empfangen. Die Versammlung war souverän als der legitime Ausdruck der Revolution, und das Mandat, das Herr Camphausen ihr im Wahlgesetz vom 8. April mit dem Vereinigten Landtag zusammen ausgefertigt hatte, war nichts als ein frommer Wunsch, über den die Versammlung zu entscheiden hatte.

Die Versammlung ist anfangs auf die Vereinbarungstheorie mehr oder weniger eingegangen. Sie hat gesehen, wie sie dabei von Ministern und Kamarilla geprellt worden ist. Sie hat endlich einen Akt der Souveränetät <400> vollzogen, sie hat sich einen Moment als konstituierende, nicht mehr als vereinbarende Versammlung hingestellt.

Sie hatte als für Preußen souveräne Versammlung vollkommen das Recht dazu.

Eine souveräne Versammlung ist aber von niemanden auflösbar, den Befehlen niemandes unterworfen.

Aber selbst als bloß vereinbarende Versammlung, selbst nach Herrn Camphausens eigener Theorie, steht sie gleichberechtigt neben der Krone da. Beide Teile kontrahieren einen Staatsvertrag, beide Teile haben gleichen Anteil an der Souveränetät, das ist die Theorie vom 8. April, die Theorie Camphausen-Hansemann, also die von der Krone selbst anerkannte offizielle Theorie.

Ist die Versammlung der Krone gleichberechtigt, so hat die Krone kein Recht, die Versammlung aufzulösen.

Sonst hätte die Versammlung konsequent ebenfalls das Recht, den König abzusetzen.

Die Auflösung der Versammlung wäre also ein Staatsstreich. Und wie man auf Staatsstreiche antwortet, hat der 29. Juli 1830 und der 24. Februar 1848 gezeigt.

Man wird sagen, die Krone könne ja an dieselben Wähler wieder appellieren. Aber wer weiß nicht, daß heute die Wähler eine ganz andere Versammlung wählen würden, eine Versammlung, die mit der Krone weit weniger Federlesens machen würde?

Man weiß es: Nach der Auflösung dieser Versammlung ist nur der Appell an ganz andere Wähler als die vom 8. April möglich, sind keine andere Wahlen mehr möglich, als die unter der Säbeltyrannei vorgenommen werden.

Machen wir uns also keine Illusionen:

Siegt die Versammlung, setzt sie das Ministerium der Linken durch, so ist die Macht der Krone neben der Versammlung gebrochen, so ist der König nur noch der bezahlte Diener des Volks, so stehen wir wieder am Morgen des 19. März - falls das Ministerium Waldeck uns nicht verrät, wie so manches vor ihm.

Siegt die Krone, setzt sie das Ministerium des Prinzen von Preußen durch, so wird die Versammlung aufgelöst, das Assoziationsrecht unterdrückt, die Presse geknebelt, ein Wahlgesetz mit Zensus dekretiert, vielleicht sogar, wie gesagt, der Vereinigte Landtag nochmals heraufbeschworen - alles unter dem Schutze der Militärdiktatur, der Kanonen und der Bajonette.

Wer von beiden Teilen siegt, das wird von der Haltung des Volks, namentlich von der Haltung der demokratischen Partei abhängen. Die Demokraten mögen wählen.

<401> Wir stehen am 25. Juli. Wird man es wagen, die Ordonnazen zu erlassen, die in Potsdam geschmiedet werden? Wird man das Volk provozieren, den Sprung vom 26. Juli bis zum 24. Februar in einem Tage zu machen?

Am guten Willen fehlt's sicher nicht, aber der Mut, der Mut!

["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 102 vom 14. September 1848]

**Köln, 13. September. Die Krisis in Berlin ist um einen Schritt weiter gerückt: Der Konflikt mit der Krone, der gestern nur noch als unvermeidlich bezeichnet werden konnte, ist wirklich eingetreten.

Unsere Leser finden weiter unten die Antwort des Königs auf das Entlassungsgesuch der Minister. Durch diesen Brief tritt die Krone selbst in den Vordergrund, ergreift Partei für die Minister, stellt sich der Versammlung gegenüber.

Sie geht noch weiter: Sie bildet ein Ministerium außer der Versammlung, sie beruft Beckerath, der in Frankfurt auf der äußersten Rechten sitzt und von dem die ganze Welt im voraus weiß, daß er in Berlin nie auf eine Majorität wird rechnen können.

Das Schreiben des Königs ist kontrasigniert von Herrn Auerswald. Herr Auerswald möge es verantworten, daß er die Krone auf diese Weise vorschiebt, um seinen schimpflichen Rückzug zu decken, daß er in einem und demselben Atemzuge der Kammer gegenüber sich hinter das konstitutionelle Prinzip zu verkriechen sucht und das konstitutionelle Prinzip mit Füßen tritt, indem er die Krone kompromittiert und auf die Republik provoziert!

Das konstitutionelle Prinzip! schreien die Minister. Das konstitutionelle Prinzip! schreit die Rechte. Das konstitutionelle Prinzip! ächzt das hohle Echo der "Kölnischen Zeitung".

"Das konstitutionelle Prinzip!" Sind denn diese Herren wirklich so töricht zu glauben, man könne das deutsche Volk aus den Stürmen des Jahres 1848, aus dem täglich drohender hereinbrechenden Einsturz aller historisch überlieferten Institutionen hinausführen mit der wurmstichigen Montesquieu-Delolmeschen Teilung der Gewalten, mit abgetragenen Phrasen und längst durchschauten Fiktionen!

"Das konstitutionelle Prinzip!" Aber gerade die Herren, die das konstitutionelle Prinzip um jeden Preis retten wollen, müssen doch zuerst einsehen, daß es sich in einem provisorischen Zustande nur durch Energie retten läßt!

"Das konstitutionelle Prinzip!" Aber hat das Votum der Berliner Versammlung, haben die Kollisionen zwischen Potsdam und Frankfurt, haben die Unruhen, die Reaktionsversuche, die Provokationen der Soldateska nicht <402> längst gezeigt, daß wir trotz aller Phrasen noch immer auf revolutionärem Boden stehen, daß die Fiktion, als stünden wir schon auf dem Boden der konstituierten, der fertigen konstitutionellen Monarchie, zu weiter nichts führt als zu Kollisionen, die schon jetzt das "konstitutionelle Prinzip" an den Rand des Abgrunds geführt haben?

Jeder provisorische Staatszustand nach einer Revolution erfordert eine Diktatur, und zwar eine energische Diktatur. Wir haben es Camphausen von Anfang an vorgeworfen, daß er nicht diktatorisch auftrat, daß er die Überbleibsel der alten Institutionen nicht sogleich zerschlug und entfernte. Während also Herr Camphausen sich in konstitutionellen Träumereien wiegte, verstärkte die geschlagene Partei die Positionen in der Bürokratie und in der Armee, ja, wagte hier und da selbst den offenen Kampf. Die Versammlung wurde einberufen, um die Verfassung zu vereinbaren. Sie trat gleichberechtigt neben die Krone hin. Zwei gleichberechtigte Mächte in einem Provisorium! Gerade die Teilung der Gewalten, mit der Herr Camphausen "die Freiheit zu retten" suchte, gerade diese Teilung der Gewalten mußte in einem Provisorium zu Kollisionen führen. Hinter der Krone versteckte sich die kontrerevolutionäre Kamarilla des Adels, des Militärs, der Bürokratie. Hinter der Majorität der Versammlung stand die Bourgeoisie. Das Ministerium suchte zu vermitteln. Zu schwach, die Interessen der Bourgeoisie und der Bauern entschieden zu vertreten und die Macht des Adels, der Bürokratie und der Armeeführer mit einem Schlage zu stürzen, zu ungeschickt, um nicht die Bourgeoisie in seinen Finanzmaßregeln überall zu verletzen, kam es zu nichts, als sich bei allen Parteien unmöglich zu machen und die Kollision herbeizuführen, die es gerade vermeiden wollte.

In jedem nichtkonstituierten Zustande ist nicht dies oder jenes Prinzip maßgebend, sondern allein das salut public, das öffentliche Wohl. Das Ministerium konnte die Kollision der Versammlung mit der Krone nur dadurch vermeiden, daß es allein das Prinzip des öffentlichen Wohles anerkannte, sogar auf die Gefahr hin, selbst mit der Krone in Kollision zu kommen. Aber es hat es vorgezogen, sich in Potsdam "möglich" zu halten. Es hat gegen die Demokratie nie gezaudert, Maßregeln des öffentlichen Wohls (mesures de salut public), diktatorische Maßregeln anzuwenden. Oder was anders war die Anwendung der alten Gesetze auf politische Verbrechen, selbst als Herr Märker schon anerkannt hatte, daß diese Landrechtsparagraphen abgeschaft werden müßten? Was anders waren die massenhaften Verhaftungen in allen Teilen des Königreichs?

Aber gegen die Kontrerevolution hat sich das Ministerium wohl gehütet, aus Gründen des öffentlichen Wohls einzuschreiten!

<403> Und gerade aus dieser Lauheit des Ministeriums gegenüber der täglich drohender werdenden Kontrerevolution entstand die Notwendigkeit für die Versammlung, selbst Maßregeln des öffentlichen Wohls zu diktieren. War die durch die Minister repräsentierte Krone zu schwach, so mußte die Versammlung selbst einschreiten. Sie hat dies getan in dem Beschluß vom 9. August. Sie tat es noch auf eine sehr gelinde Weise, sie gab den Ministern nur eine Warnung. Die Minister kehrten sich nicht daran.

Aber wie hätten sie auch darauf eingehen können! Der Beschluß vom 9. August tritt das konstitutionelle Prinzip mit Füßen, er ist ein Übergriff der gesetzgebenden Gewalt gegen die vollziehende, er zerstört die Teilung und gegenseitige Kontrolle der Gewalten, die im Interesse der Freiheit so nötig ist, er macht die Vereinbarungsversammlung zum Nationalkonvent!

Und nun ein Pelotonfeuer von Drohungen, ein donnernder Appell an die Furcht der Kleinbürger, eine weite Perspektive auf Schreckensregierung mit Guillotine, Progressivsteuer, Konfiskation und roter Fahne.

Die Berliner Versammlung - ein Konvent! Welche Ironie!

Aber die Herren haben nicht ganz unrecht. Fährt die Regierung fort wie bisher, so haben wir in nicht gar langer Zeit einen Konvent - nicht bloß für Preußen, sondern für ganz Deutschland -, einen Konvent, dem es obliegen wird, den Bürgerkrieg unserer zwanzig Vendéen und den unvermeidlichen russischen Krieg mit allen Mitteln zu unterdrücken. Jetzt freilich sind wir erst an der Parodie der Konstituante!

Wie aber haben die Herren Minister, die an das konstitutionelle Prinzip appellieren, dies Prinzip aufrechterhalten?

Am 9. August lassen sie die Versammlung ruhig auseinandergehen im guten Glauben, daß die Minister den Beschluß ausführen werden. Sie denken nicht daran, der Versammlung ihre Weigerung anzukündigen, und noch weniger, ihr Amt niederzulegen.

Sie besinnen sich einen ganzen Monat und zeigen endlich, als mehrere Interpellationen drohen, der Versammlung kurzweg an: Es verstehe sich von selbst, daß sie den Beschluß nicht ausführen würden.

Als darauf die Versammlung den Ministern die Weisung erteilt, den Beschluß dennoch auszuführen, verschanzen sie sich hinter die Krone, rufen einen Bruch zwischen der Krone und der Versammlung hervor und provozieren dadurch auf die Republik.

Und diese Herren sprechen noch vom konstitutionellen Prinzip!

Resumieren wir:

Die unvermeidliche Kollision zwischen zwei gleichberechtigten Mächten in einem Provisorium ist eingetreten. Das Ministerium wußte die Regierung <404> nicht energisch genug zu führen, es unterließ, die notwendigen Maßregeln des öffentlichen Wohls zu treffen. Die Versammlung tat nur ihre Schuldigkeit, als sie das Ministerium aufforderte, seine Pflicht zu tun. Das Ministerium gibt dies für eine Verletzung der Krone aus und kompromittiert die Krone noch im Moment seines Abtretens. Krone und Versammlung stehen einander gegenüber. Die "Vereinbarung" hat zur Trennung, zum Konflikt geführt. Vielleicht werden die Waffen entscheiden.

Der am meisten Mut und Konsequenz hat, wird siegen.

["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 104 vom 16. September 1848]

**Köln, 15. September. Die Ministerkrisis ist abermals in ein neues Stadium getreten; nicht durch die Ankunft und die vergeblichen Bemühungen des unmöglichen Herrn Beckerath, sondern durch die Militärrevolte in Potsdam und Nauen. Der Konflikt zwischen Demokratie und Aristokratie ist im Schoß der Garde selbst ausgebrochen: Die Soldaten sehen in dem Beschluß der Versammlung vom 7. ihre Befreiung von der Tyrannei der Offiziere, sie erlassen Dankadressen an die Versammlung, sie bringen ihr ein Lebehoch.

Damit ist der Kontrerevolution das Schwert aus den Händen gewunden. Jetzt wird man es nicht wagen, die Versammlung aufzulösen, und wenn man dazu nicht schreitet, so bleibt nichts anders übrig als nachzugeben, den Beschluß der Versammlung auszuführen und ein Ministerium Waldeck zu berufen.

Die Potsdamer Soldatenrevolte erspart uns wahrscheinlich eine Revolution.

Geschrieben von Karl Marx.