Der Konflikt zwischen Marx und der preußischen Untertanenschaft | Inhalt | Sturz des Ministeriums der Tat
Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 386-389["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 97 vom 8. September 1848]
<386> **Köln, 7. September.
"Was soll aus Deutschland werden, wenn Preußen nicht mehr an seiner Spitze steht, wenn Preußens Heere nicht mehr Deutschlands Ehre schirmen, wenn Preußens Macht und Einfluß als Großmacht untergegangen sind in der phantastischen Macht einer imaginären deutschen Zentralgewalt!"
So prahlt die preußische Partei, die Partei der Helden mit Gott für König und Vaterland, die kontrerevolutionäre Ritterschaft Hinterpommerns und der Uckermark.
Nun - Preußen hat an der Spitze gestanden, Preußen hat die Ehre Deutschlands geschirmt - in Schleswig-Holstein.
Und was war das Resultat? Nach einer Reihe von leichten, ruhmlosen Siegen über einen schwachen Feind, nach einer durch die feigste Diplomatie gelähmten Kriegführung, nach den schimpflichsten Rückzügen vor einer geschlagenen Armee, endlich - ein Waffenstillstand, so entehrend für Deutschland, daß selbst ein preußischer General einen Grund fand, ihn nicht zu unterzeichnen.
Die Feindseligkeiten und die Unterhandlungen begannen von neuem. Der Reichsverweser gab der preußischen Regierung eine Vollmacht zum Abschluß des Waffenstillstands; diese Vollmacht war von keinem der Reichsminister kontrasigniert und hatte also gar keine Gültigkeit. Sie erkannte den ersten Waffenstillstand an, jedoch mit folgenden Modifikationen: 1. Die Mitglieder der neuen Regierung von Schleswig-Holstein sollten noch vor Abschluß des Waffenstillstandes "in solcher Art vereinbart werden, daß hierdurch der Bestand und die gedeihliche Wirksamkeit der neuen Regierung verbürgt erscheinen"; 2. alle bis zum Abschluß des Waffenstillstandes erlassenen Gesetze und Verordnungen der provisorischen Regierung sollten <387> volle Gültigkeit behalten; 3. die in Schleswig-Holstein zurückbleibenden Truppen sollten sämtlich unter den Befehlen des deutschen Oberbefehlshabers bleiben.
Vergleicht man diese Instruktion mit den Stipulationen des ersten preußisch-dänischen Projekts, so ist ihr Zweck sehr deutlich. Sie sichern bei weitem nicht alles, was das siegreiche Deutschland fordern konnte; aber indem sie in der Form manches nachgeben, retten sie manches der Sache nach.
Die erste Bedingung sollte dafür garantieren, daß in der neuen Regierung die schleswig-holsteinische (deutsche) Richtung das Übergewicht über die dänische habe. Was tut Preußen? Es willigt ein, daß der Chef der dänischen Partei in Schleswig-Holstein, Karl Moltke, Chef der neuen Regierung wird, daß Dänemark drei Stimmen gegen zwei schleswig-holsteinische in der Regierung bekommt.
Die zweite Bedingung sollte die Anerkennung, wenn auch nicht der provisorischen, vom Bundestage anerkannten Regierung selbst, doch ihrer bisherigen Wirksamkeit durchsetzen. Ihre Beschlüsse sollten aufrechterhalten werden. Was tut Preußen? Unter dem Vorwand, daß auch Dänemark die illusorischen, von Kopenhagen aus für die Herzogtümer erlassenen Beschlüsse fallen läßt - Beschlüsse, die nie einen Schatten von Gesetzeskraft erhielten, außer auf der Insel Alsen -, unter diesem Vorwand willigt das kontrerevolutionierte Preußen ein, alle Beschlüsse der provisorischen Regierung zu vernichten.
Die dritte Bedingung endlich sollte die Einheit der Herzogtümer und ihre Einverleibung in Deutschland zur vorläufigen Anerkennung bringen; sie sollte den Versuch der Dänen vereiteln, die im dänischen Heer dienenden Schleswiger wieder nach Schleswig hineinzuschmuggeln, indem alle in Schleswig und Holstein bleibenden Truppen dem deutschen Oberbefehlshaber untergeordnet wurden. Und Preußen? Preußen willigt ein, die schleswigschen Truppen von den holsteinischen zu trennen, dem Oberbefehl des deutschen Feldherrn zu entziehen und einfach der zu 3/5 dänischen neuen Regierung zur Verfügung zu stellen.
Außerdem war Preußen nur zum Abschluß eines dreimonatlichen Waffenstillstandes bevollmächtigt (Art. 1 des ursprünglichen Entwurfs) und schloß ihn aus eigner Machtvollkommenheit auf sieben Monate ab; d.h. es bewilligte den Dänen Waffenruhe während der Wintermonate, wo die Hauptwaffe der Dänen, die Flotte, zur Blockade der deutschen und schleswigschen Küsten nutzlos wurde und wo der Frost den Deutschen erlaubte, über das Eis des Kleinen Belt zu rücken, Fünen zu erobern und Dänemark auf Seeland zu beschränken.
<388> Kurz, Preußen hat in allen drei Punkten seine Vollmacht mit Füßen getreten. Warum auch nicht? Sie war ja nicht kontrasigniert! Und hat Herr Camphausen, der preußische Gesandte bei der Zentralgewalt, in seinem Schreiben vom 2. September <Das Schreiben Camphausens wurde am 3. September 1848 ausgefertigt> an Herrn Heckscher "Exzellenz" (!!) nicht geradezu gesagt, die preußische Regierung habe sich "auf Grund jener Vollmacht zum Abschlusse ohne Vorbehalt für ermächtigt erklärt"?
Damit nicht genug. Der Reichsverweser schickt "Seinen" Unterstaatssekretär Max Gagern nach Berlin und von da nach Schleswig, um die Unterhandlungen zu überwachen. Er gibt ihm eine Vollmacht mit, welche abermals nicht kontrasigniert ist. Herr Gagern - wie er in Berlin behandelt worden, wissen wir nicht - kommt in den Herzogtümern an. Die preußischen Unterhändler sind in Malmö. Er erfährt nichts. In Lübeck werden die Ratifikationen ausgewechselt. Man zeigt Herrn Gagern an, daß dies erfolgt sei und daß er jetzt ruhig wieder nach Hause gehen könne. Der unglückliche Gagern samt seiner nicht kontrasignierten Vollmacht kann natürlich nichts anderes tun als nach Frankfurt zurückkehren und über die schäbige Rolle klagen, die er gespielt hat.
So ist der glorreiche Waffenstillstand geboren worden, der den Deutschen während der besten Kriegszeit die Hände bindet, der Schleswig-Holsteins revolutionäre Regierung und demokratische konstituierende Versammlung auflöst, alle Dekrete dieser vom Bundestage anerkannten Regierung vernichtet, der die Herzogtümer einer dänischen Regierung unter Anführung des verhaßten Moltke überliefert, der die schleswigschen Truppen aus ihren Regimentern reißt, dem deutschen Oberbefehl entzieht und der dänischen Regierung überliefert, von der sie nach Gutdünken aufgelöst werden können; der die deutschen Truppen zum Rückzuge von der Königsau bis nach Hannover und Mecklenburg zwingt und der Lauenburg der alten reaktionären dänischen Regierung in die Hände liefert.(1)
Nicht nur Schleswig-Holstein, ganz Deutschland mit Ausnahme von Urpreußen ist entrüstet über diesen schmählichen Waffenstillstand. Und das Reichsministerium, dem er von Herrn Camphausen mitgeteilt, zitterte zwar anfangs, nahm ihn aber schließlich doch auf sich. Was war auch zu machen? Herr Camphausen scheint gedroht zu haben, und für das feige, kontrerevolutionäre Reichsministerium ist das offizielle Preußen immer noch eine Macht.
<389> Aber nun kam die Nationalversammlung. Ihre Genehmigung war nötig, und so erbaulich diese Versammlung auch ist, so schämte sich Herr Heckscher "Exzellenz" doch, mit diesem Aktenstück hervorzurücken. Unter tausend Bücklingen, mit den demütigsten Bitten um Ruhe und Mäßigung, las er es vor. Ein allgemeiner Sturm folgte. Selbst das rechte Zentrum, ja ein Teil der Rechten, Herr Dahlmann selbst, gerieten in den heftigsten Zorn. Man befahl den Ausschüssen, binnen 24 Stunden zu berichten. Man beschloß, auf diesen Bericht hin den Rückmarsch der Truppen sofort zu sistieren. Der Beschluß über den Waffenstillstand selbst ist noch nicht gefaßt.
Die Nationalversammlung hat endlich einmal einen energischen Beschluß gefaßt, obwohl das Ministerium erklärte, es werde abtreten, wenn der Beschluß durchgehe. Dieser Beschluß ist nicht die Aufhebung, er ist ein Bruch des Waffenstillstandes. Er wird in den Herzogtümern nicht nur Aufregung, er wird offenen Widerstand gegen die Ausführung des Waffenstillstandes, gegen die neue Regierung hervorrufen und neue Verwickelungen herbeiführen.
Wir haben indes wenig Hoffnung, daß die Versammlung den Waffenstillstand selbst verwirft. Herr Radowitz braucht nur neun Stimmen aus dem Zentrum herüberzuziehen, und er hat die Majorität. Und das sollte ihm während der paar Tage, wo die Sache ruht, nicht gelingen?
Beschließt die Versammlung, den Waffenstillstand aufrechtzuerhalten, so haben wir Proklamation der Republik und Bürgerkrieg in Schleswig-Holstein, Unterjochung der Zentralgewalt unter Preußen, allgemeine Verachtung von ganz Europa gegen die Zentralgewalt und die Versammlung und doch gerade soviel Verwickelungen als hinreichen, um jedes zukünftige Reichsministerium unter unlösbaren Schwierigkeiten zu erdrücken.
Beschließt sie, den Waffenstillstand fallenzulassen, so haben wir einen europäischen Krieg, Bruch zwischen Preußen und Deutschland, neue Revolutionen, den Zerfall Preußens und die wirkliche Einheit Deutschlands. Die Versammlung möge sich nicht einschüchtern lassen: zwei Drittel mindestens von Preußen halten zu Deutschland.
Aber werden die Repräsentanten der Bourgeoisie in Frankfurt nicht lieber jeden Schimpf einstecken, werden sie nicht lieber unter Preußens Knechtschaft sich begeben, als daß sie einen europäischen revolutionären Krieg wagen, als daß sie sich neuen Stürmen aussetzen, die ihre eigene Klassenherrschaft in Deutschland gefährden?
Wir glauben es. Die feige Bourgeoisnatur ist zu mächtig. Wir haben zu der Frankfurter Versammlung nicht das Vertrauen, daß sie die schon in Polen preisgegebene Ehre Deutschlands in Schleswig-Holstein auslösen werde.
Geschrieben von Friedrich Engels.
Fußnoten
(1) Dieser Kunstgriff wurde folgendermaßen vollbracht: Die alte Regierung wurde aufgelöst; darauf wählte für die neue Dänemark eins, Preußen das zweite, beide zusammen das dritte Mitglied dieser alten Regierung wieder. <=