Die "Kölnische Zeitung" über Italien | Inhalt | Vermittlung und Intervention. Radetzky und Cavaignac

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 373-375
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1959


Die "Zeitungs-Halle" über die Rheinprovinz

["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 87 vom 27. August 1848]

<373> **Köln, 26. August. Die "Berliner Zeitungs-Halle" enthält folgenden Artikel:

"Wir hatten neulich Gelegenheit, davon zu reden, daß eine Zeit gekommen ist, in welcher aus den alten Staatenkörpern mehr und mehr der Geist entweicht, der sie so lange zusammengehalten hat. In betreff Österreichs möchte wohl niemand daran zweifeln; aber auch in Preußen treten von Tage zu Tage immer merklicher Zeichen der Zeit hervor, welche unsere Bemerkung bestätigen und gegen die wir uns nicht blind machen dürfen. Es gibt jetzt nur ein Interesse, welches noch die Provinzen des Staates an den Staat Preußen zu fesseln vermag, das ist das Interesse an der Entwicklung freisinniger Staatseinrichtungen, das Interesse an der gemeinsamen Begründung und wechselseitigen Förderung einer neuen und freien Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Das auf dem Wege des politischen und sozialischen Fortschrittes rüstig weiterstrebende Schlesien wird sich schwerlich in Preußen wohl fühlen, wenn nicht Preußen als Staat diesem Interesse vollständig genügt. Von der Provinz Sachsen ist es nur zu bekannt, daß sie dem preußischen Staat stets, seitdem sie ihm einverleibt worden, im Herzen gegrollt hat. Und was die Rheinprovinz anbetrifft, so wird es wohl noch in aller Angedenken sein, mit welchen Drohungen Deputierte derselben vor dem 18. März hier auftraten und den Umschwung der Dinge beschleunigten. Der Geist der Entfremdung wächst in dieser Provinz. Ein Flugblatt ohne Angabe des Druckortes und Druckers, welches jetzt viel verbreitet wird, gibt davon ein neues Zeugnis."

Das Flugblatt, wovon die "Zeitungs-Halle" spricht, wird allen unsern Lesern bekannt sein.

Was uns freuen muß, ist die Einsicht, die endlich unter den Berlinern wenigstens einen Repräsentanten findet, daß Berlin weder für Deutschland noch speziell für das Rheinland ein Paris ist. Berlin beginnt einzusehn, daß es uns nicht regieren, daß es sich nicht die Autorität verschaffen kann, die einer Zentralstadt zukommt. Berlin hat seine Inkompetenz in der halben März- <374> revolution, im Zeughaussturm, in der letzten Emeute zur Genüge bewiesen. Zu der Unentschiedenheit, mit der das Berliner Volk auftritt, gesellt sich noch der gänzliche Mangel an Kapazitäten in allen Parteien. In der ganzen Bewegung seit dem Februar ist in Berlin kein einziger aufgestanden, der imstande war, seine Partei zu leiten. Der Geist in dieser Zentralstadt des "Geistes" ist äußerst willig, aber ebenso schwach wie das Fleisch. Selbst ihren Hansemann, ihren Camphausen, ihren Milde mußten sich die Berliner vom Rhein oder von Schlesien holen. Berlin, weit entfernt ein deutsches Paris zu sein, ist nicht einmal ein preußisches Wien. Es ist keine Hauptstadt, es ist eine "Residenz".

Es ist immer anerkennenswert, daß man selbst in Berlin zu der Einsicht kommt, die hier am Rhein längst allgemein verbreitet ist, daß nur aus dem Zerfall der deutschen sog. Großmächte die deutsche Einheit hervorgehen kann. Wir haben unsere Ansicht hierüber nie verheimlicht. Wir schwärmen weder für den vergangnen noch für den gegenwärtigen Ruhm Deutschlands, weder für die Freiheitskriege noch für die "glorreichen Siege der deutschen Waffen" in der Lombardei und in Schleswig. Aber wenn je aus Deutschland irgend etwas werden soll, so muß Deutschland sich konzentrieren, es muß nicht nur der Phrase, sondern der Tat nach ein Reich werden. Und dazu ist es vorher allerdings nötig, daß es "kein Österreich, kein Preußen mehr" gibt.

"Der Geist" übrigens, der uns mit Altpreußen "so lange zusammengehalten hat", war ein sehr handgreiflicher, plumper Geist; es war der Geist von 15.000 Bajonetten und soundso viel Kanonen. Nicht umsonst legte man hier am Rhein eine Soldatenkolonie von Wasserpolacken und Kassuben an. Nicht umsonst steckte man unsre Jugend in die Berliner Garde. Es geschah nicht, um uns mit den übrigen Provinzen zu versöhnen, es geschah, um Provinz auf Provinz zu hetzen, um den Nationalhaß der Deutschen und der Slawen, um den Lokalhaß jedes kleinen deutschen Provinzchens gegen seine sämtlichen Nachbarprovinzen im Interesse der patriarchalisch-feudalen Despotie zu exploitieren. Divide et impera! <Teile und herrsche!>

In der Tat, es ist Zeit, daß die fingierte Rolle, die "die Provinzen", d.h. die uckermärkische und hinterpommersche Junkerschaft durch ihre angstschlotternden Adressen den Berlinern übertragen und die die Berliner eiligst übernommen haben, endlich einmal aufhöre. Berlin ist nicht und wird nie werden der Sitz der Revolution, die Hauptstadt der Demokratie. Nur die vor Bankerott, Schuldarrest und Laternenpfahl bebende Phantasie der märki- <375> schen Ritterschaft konnte ihm diese Rolle übertragen, nur die kokettierende Eitelkeit des Berliners konnte darin die Provinzen repräsentiert sehn. Wir erkennen die Märzrevolution an, aber für das, was sie wirklich war, und nicht für mehr. Ihr größter Mangel ist, daß sie die Berliner nicht revolutioniert hat.

Die "Zeitungs-Halle" glaubt, durch freisinnige Institutionen lasse sich der zerfallende preußische Staatskörper zusammenkitten. Im Gegenteil. Je freisinniger die Institutionen, desto freier werden sich die heterogenen Elemente auseinanderscheiden, desto mehr wird sich zeigen, wie notwendiger die Trennung ist, desto mehr wird die Unfähigkeit der Berliner Politiker aller Parteien an den Tag kommen.

Wir wiederholen. Innerhalb Deutschlands mit den altpreußischen Provinzen zusammenzubleiben, dagegen hat die Rheinprovinz nichts einzuwenden; aber sie zwingen wollen, ewig innerhalb Preußens, gleichviel ob eines absolutistischen, eines konstitutionellen oder eines demokratischen Preußens zu bleiben, das hieße Deutschlands Einheit unmöglich machen, das hieße vielleicht sogar - wir sprechen die allgemeine Stimmung des Volks aus - ein großes, schönes Gebiet für Deutschland verloren machen, während man es für Preußen erhalten will.

Geschrieben von Friedrich Engels.