Die Auflösung der demokratischen Vereine in Baden | Inhalt | Die "Kölnische Zeitung" über englische Verhältnisse

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 278-283
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1971


Der Gesetzentwurf über die Aufhebung der Feudallasten

["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 60 vom 30. Juli 1848]

<278> **Köln, 29. Juli. Wenn hier und da ein Rheinländer vergessen haben sollte, was er der "Fremdherrschaft", der "Unterdrückung des korsischen Tyrannen" verdankt, so möge er den Gesetzentwurf über die unentgeltliche Aufhebung verschiedener Lasten und Abgaben lesen, den Herr Hansemann im Jahre der Gnade 1848 seinen Vereinbarern "zur Erklärung" zugehen läßt. Lehnsherrlichkeit, Allodifikationszins, Sterbefall, Besthaupt, Kurmede, Schutzgeld, Jurisdiktionszins, Dreidinggelder, Zuchtgelder, Siegelgelder, Blutzehnt, Bienenzehnt usw. - wie fremd, wie barbarisch klingen diese widersinnigen Namen unseren durch die französisch-revolutionäre Zertrümmerung der Feudalität, durch den Code Napoléon zivilisierten Ohren! Wie unverständlich ist uns dieser ganze Wust mittelaltriger Leistungen und Abgaben, dies Naturalienkabinett des modrigsten Plunders der vorsündflutlichen Zeit!

Und doch, ziehe deine Schuhe aus, denn du stehst auf heiligem Boden, deutscher Patriot! Diese Barbareien, sie sind die Trümmer der christlich-germanischen Glorie, sie sind die letzten Ringe einer Kette, die sich durch die Geschichte hinzieht und dich verbindet mit der Herrlichkeit deiner Väter bis hinauf zu den cheruskischen Wäldern! Diese Moderluft, dieser Feudalschlamm, die wir hier in klassischer Unverfälschtheit wiederfinden, sind unseres Vaterlandes ureigenste Produkte, und wer ein echter Deutscher ist, der muß mit dem Dichter ausrufen:

Das ist ja meine Heimatluft!
Die glühende Wange empfand es!
Und dieser Landstraßenkot, er ist
Der Dreck meines Vaterlandes
<H. Heine, "Deutschland. Ein Wintermärchen", Kaput VIII.>

<279> Wenn man diesen Gesetzentwurf überliest, so scheint es auf den ersten Blick, als tue unser Minister des Ackerbaues, Herr Gierke, auf Befehl Herrn Hansemanns einen gewaltig "kühnen Griff", als hebe er mit einem Federzug ein ganzes Mittelalter auf, und alles gratis, versteht sich!

Wenn man dagegen die Motive zum Entwurf ansieht, so findet man, daß sie gleich damit anfangen, zu beweisen, daß eigentlich gar keine Feudallasten unentgeltlich aufgehoben werden dürfen - also mit einer kühnen Behauptung, welche dem "kühnen Griff" direkt widerspricht.

Zwischen diesen beiden Kühnheiten laviert nun die praktische Schüchternheit des Herrn Ministers behutsam und vorsorglich durch. Links "die allgemeine Wohlfahrt" und die "Anforderungen des Zeitgeistes", rechts die "wohlerworbenen Rechte der Gutsherrschaften", in der Mitte der "preiswürdige Gedanke der freieren Entwickelung der ländlichen Verhältnisse", verkörpert in der schamhaften Verlegenheit des Herrn Gierke - welche Gruppe!

Genug. Herr Gierke erkennt vollständig an, daß die Feudallasten im allgemeinen nur gegen Entschädigung aufgehoben werden dürfen. Damit bleiben die drückendsten, die verbreitetsten, die hauptsächlichsten Lasten bestehen, oder, da sie tatsächlich durch die Bauern schon abgeschafft waren, werden sie wiederhergestellt.

Aber, meint Herr Gierke,

"wenn dennoch einzelne Verhältnisse, deren innere Begründung mangelhaft oder deren Fortdauer mit den Anforderungen des Zeitgeistes und der allgemeinen Wohlfahrt nicht vereinbar ist, ohne Entschädigung aufgehoben werden, so mögen die dadurch Betroffenen nicht verkennen, daß sie nicht allein dem allgemeinen Besten, sondern auch ihrem eigenen wohlverstandenen Interesse einige Opfer bringen, um das Verhältnis der Berechtigten und Verpflichteten zu einem friedlichen und freundlichen zu gestalten und dadurch dem Grundbesitz überhaupt die Stellung im Staate zu bewahren, die ihm zum Heile des Ganzen gebührt".

Die Revolution auf dem Lande bestand in der tatsächlichen Beseitigung aller Feudallasten. Das Ministerium der Tat, das die Revolution anerkennt, erkennt sie auf dem Lande dadurch an, daß es sie unter der Hand vernichtet. Den ganzen alten Status quo zurückzuführen, ist unmöglich; die Bauern würden ihre Feudalbarone ohne weiteres totschlagen, das sieht selbst Herr Gierke ein. Man hebt also eine pomphafte Liste von unbedeutenden, nur hie und da existierenden Feudallasten auf und stellt die Hauptfeudallast, die sich in dem einfachen Wort Frondienste zusammenfaßt, wieder her.

Der Adel opfert durch sämtliche aufzuhebende Rechte nicht 50.000 Taler jährlich und rettet dadurch mehrere Millionen. Ja, wie der Minister hofft, <280> wird er sich dadurch die Bauern versöhnen und in Zukunft sogar ihre Stimmen bei den Kammerwahlen erwerben. In der Tat, das Geschäft wäre gut, wenn Herr Gierke sich nicht verrechnete!

Die Einwände der Bauern wären damit beseitigt, des Adels, soweit er seine Situation richtig erkennt, ebenfalls. Bleibt noch die Kammer, die Bedenken der juristischen und radikalen Konsequenzmacherei. Der Unterschied zwischen den aufzuhebenden und nicht aufzuhebenden Lasten, der kein anderer ist als der zwischen ziemlich wertlosen und sehr wertvollen Lasten, muß um der Kammer willen eine scheinbare juristische und ökonomische Begründung erhalten. Herr Gierke muß nachweisen, daß die aufzuhebenden Lasten 1. eine mangelhafte innere Begründung haben, 2. der allgemeinen Wohlfahrt, 3. den Anforderungen des Zeitgeistes widersprechen und 4. ihre Aufhebung im Grunde keine Verletzung des Eigentumsrechts, keine Expropriation ohne Entschädigung ist.

Um die mangelhafte Begründung dieser Abgaben und Leistungen zu beweisen, vertieft sich Herr Gierke in die düstersten Regionen des Lehnrechts. Die ganze, "ursprünglich sehr langsame Entwicklung der germanischen Staaten seit einem tausendjährigen Zeitraum" wird von Herrn Gierke heraufbeschworen. Aber was hilft das Herrn Gierke? Je tiefer er geht, je mehr er den stockigen Schlamm des Lehnrechts aufrührt, desto mehr beweist ihm das Lehnrecht nicht die mangelhafte, sondern die vom feudalen Standpunkt aus sehr solide Begründung der fraglichen Lasten; und der unglückliche Minister setzt sich nur der allgemeinen Heiterkeit aus, wenn er sich abarbeitet, das Lehnrecht modern-zivilrechtliche Orakelsprüche ausstoßen, den Feudalbaron des 12. Jahrhunderts ebenso denken und urteilen zu lassen wie den Bourgeois des neunzehnten.

Herr Gierke hat glücklicherweise den Grundsatz des Herrn v. Patow geerbt: alles was Ausfluß der Lehnsherrlichkeit und Erbuntertänigkeit sei, unentgeltlich aufzuheben, alles andere aber nur ablößbar zu lassen. <Siehe "Patows Ablösungsdenkschrift"> Aber glaubt Herr Gierke, es gehöre ein größerer Aufwand von Scharfsinn dazu, um ihm nachzuweisen, daß die aufzuhebenden Lasten durchschnittlich ebenfalls "Ausflüsse der Lehnsherrlichkeit" seien?

Wir brauchen wohl nicht hinzuzufügen, daß Herr Gierke im Interesse der Konsequenz überall moderne Rechtsbegriffe zwischen die feudalen Rechtsbestimmungen einschmuggelt und im höchsten Notfall immer an sie appelliert. Mißt Herr Gierke aber einige dieser Lasten an den Vorstellungen des modernen Rechts, so ist nicht einzusehn, warum dies nicht bei allen ge- <281> schieht. Aber freilich, da würden die Frondienste vor der Freiheit der Person und des Eigentums schlimm wegkommen.

Noch schlimmer aber geht es Herrn Gierke mit seinen Unterscheidungen, wenn er das Argument der öffentlichen Wohlfahrt und der Anforderungen des Zeitgeistes, anführt. Es versteht sich doch wohl von selbst: Wenn diese unbedeutenden Lasten der öffentlichen Wohlfahrt im Wege sind und den Anforderungen des Zeitgeistes widersprechen, so tun es die Frondienste, Roboten, Laudemien usw. noch viel mehr. Oder findet Herr Gierke das Recht, die Gänse der Bauern zu rupfen (§ 1, Nr. 14) unzeitgemäß, das Recht aber, die Bauern selbst zu rupfen, zeitgemäß?

Folgt die Beweisführung, die betreffende Aufhebung verletze kein Eigentumsrecht. Der Beweis dieser schreienden Unwahrheit kann natürlich nur scheinbar, und zwar nur dadurch geführt werden, daß man der Ritterschaft vorrechnet, diese Rechte seien wertlos für sie, und diese Wertlosigkeit kann natürlich nur annähernd bewiesen werden. Herr Gierke rechnet nun mit der größten Emsigkeit alle 18 Abteilungen des ersten Paragraphen durch und merkt nicht, daß in demselben Maße, als es ihm gelingt, die Wertlosigkeit der fraglichen Lasten zu beweisen, er auch die Wertlosigkeit seines Gesetzentwurfs nachweist. Guter Herr Gierke! Wie hart es uns ankommt, ihn aus seiner süßen Täuschung zu reißen und ihm seine archimedisch-feudalistischen Zirkel zu zertreten!

Nun aber noch eine Schwierigkeit! Bei den früheren Ablösungen der jetzt aufzuhebenden Lasten, wie bei allen Ablösungen, sind die Bauern von den bestochenen Kommissionen fürchterlich zugunsten des Adels übervorteilt worden. Sie verlangen jetzt Revision aller unter der alten Regierung abgeschlossenen Ablösungsverträge, und sie haben vollkommen recht!

Aber Herr Gierke kann sich auf nichts einlassen. Dem "steht das formelle Recht und Gesetz entgegen", was überhaupt jedem Fortschritt entgegensteht, da jedes neue Gesetz ein altes formelles Recht und Gesetz aufhebt.

"Die Folgen davon sind mit Sicherheit dahin vorauszusagen, daß man, um den Verpflichteten Vorteile auf einem den Rechtsgrundsätzen aller Zeiten widersprechenden Wege" (Revolutionen widersprechen auch den Rechtsgrundsätzen aller Zeiten) "zu verschaffen, über einen sehr großen Teil des Grundbesitzes im Staate, mithin (!) über den Staat selbst unberechenbares Unheil bringen mußte!"

Und nun beweist Herr Gierke mit erschütternder Gründlichkeit, daß solch ein Verfahren

"den ganzen Rechtszustand des Grundbesitzes in Frage stellen und erschüttern und dadurch in Verbindung mit zahllosen Prozessen und Kosten <Im stenogr. Bericht: unermeßlichen Kosten und zahllosen Prozessen> dem Grundbesitz, der <282> Hauptgrundlage des Nationalwohlstandes, eine schwer heilbare Wunde schlagen werde"; daß es "ein Eingriff in die Rechtsgrundsätze über die Gültigkeit der Verträge sei, ein Angriff auf die unzweifelhaftesten Vertragsverhältnisse, welcher in seinen Konsequenzen jedes Vertrauen auf die Stabilität des Zivilrechts erschüttern und somit den ganzen Geschäftsverkehr auf die bedrohlichste Weise gefährden müsse"!!!

Hier also sieht Herr Gierke einen Eingriff ins Eigentumsrecht, der alle Rechtsgrundsätze erschüttern würde. Und warum ist die unentgeltliche Aufhebung der fraglichen Lasten kein Eingriff? Hier liegen nicht bloß unzweifelhafteste Vertragsverhältnisse, hier liegt eine seit unvordenklicher Zeit unverweigerlich ausgeführte, unangefochtene Berechtigung vor, während bei dem Verlangen der Revision die fraglichen Verträge keineswegs unangefochten sind, da die Bestechungen und Übervorteilungen notorisch und in vielen Fällen erweisbar sind.

Wir können es nicht leugnen: So unbedeutend die aufgehobenen Lasten sind, Herr Gierke verschafft durch ihre Aufhebung "den Verpflichteten Vorteile auf einem den Rechtsgrundsätzen aller Zeiten widersprechenden Wege", dem "das formelle Recht und Gesetz direkt entgegensteht"; er "zerrüttet den ganzen Rechtszustand des Grundbesitzes", er greift die "unzweifelhaftesten" Rechte in ihrer Wurzel an.

In der Tat, Herr Gierke, so schwere Sünden begehen, um so pauvre <ärmliche> Resultate zu erreichen, war das der Mühe wert?

Allerdings, Herr Gierke greift das Eigentum an - das ist unleugbar -, aber nicht das moderne, bürgerliche Eigentum, sondern das feudale. Das bürgerliche Eigentum, das sich auf den Ruinen des feudalen erhebt, stärkt er durch diese Zerstörungen des feudalen Eigentums. Und er will bloß deshalb die Ablösungsverträge nicht revidieren, weil durch diese Verträge die feudalen Eigentumsverhältnisse in bürgerliche verwandelt worden sind, weil er sie also nicht revidieren kann, ohne zugleich formell das bürgerliche Eigentum zu verletzen. Und das bürgerliche Eigentum ist natürlich ebenso heilig und unverletzlich, wie das feudale angreifbar und, je nach Bedürfnis und Courage der Herren Minister, verletzlich ist.

Was ist nun des langen Gesetzes kurzer Sinn?

Der schlagendste Beweis, daß die deutsche Revolution von 1848 nur die Parodie der französischen Revolution von 1789 ist.

Am 4. August 1789, drei Wochen nach dem Bastillensturm, wurde das französische Volk auf einen Tag mit den Feudallasten fertig.

Am 11. Juli 1848, vier Monate nach den Märzbarrikaden, werden die Feudallasten mit dem deutschen Volk fertig, teste Gierke cum Hansemanno <bezeugt durch Gierke und Hansemann>.

<283> Die französische Bourgeoisie von 1789 ließ ihre Bundesgenossen, die Bauern, keinen Augenblick im Stich. Sie wußte, die Grundlage ihrer Herrschaft war Zertrümmerung des Feudalismus auf dem Lande, Herstellung der freien, grundbesitzenden Bauernklasse.

Die deutsche Bourgeoisie von 1848 verrät ohne allen Anstand diese Bauern, die ihre natürlichsten Bundesgenossen, die Fleisch von ihrem Fleisch sind, und ohne die sie machtlos ist gegenüber dem Adel.

Die Fortdauer, die Sanktion der Feudalrechte in der Form der (illusorischen) Ablösung, das ist also das Resultat der deutschen Revolution von 1848. Das ist die wenige Wolle von dem vielen Geschrei!

Geschrieben von Karl Marx.