Die Turiner "Concordia" | Inhalt | Der Vereinbarungsdebatten über die Kreistände

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 262-270
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1971


Der Gesetzentwurf über die Zwangsanleihe und seine Motivierung

["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 56 vom 26. Juli 1848]

<262> **Köln, 25. Juli. Ein berüchtigter Gauner des gesegneten Viertels von St. Giles in London erschien vor den Assisen. Er war angeklagt, den Koffer eines berüchtigten Geizhalses der City um 2.000 Pfund Sterling erleichtert zu haben.

"Meine Herren Geschwornen", begann der Angeklagte, "ich nehme Ihre Geduld nicht für lange Zeit in Anspruch. Meine Verteidigung ist nationalökonomischer Natur und sie wird ökonomisch mit den Worten umgehen. Ich habe dem Herrn Cripps 2.000 Pfund Sterling genommen. Nichts sicherer als das. Aber ich habe einem Privatmann genommen, um dem Publikum zu geben. Wo sind die 2.000 Pfund Sterling hingekommen? Habe ich sie etwa egoistisch an mir gehalten? Durchsuchen Sie meine Taschen. Wenn Sie einen Pence finden, verkaufe ich Ihnen meine Seele um einen Farthing. Die 2.000 Pfund, Sie finden sie wieder bei dem Schneider, dem Shopkeeper <Krämer>, im Restaurant usw. Was habe ich also getan? Ich habe 'nutzlos liegende Summen, die nur durch eine Zwangsanleihe' dem Grabe des Geizes zu entreißen waren, 'in Zirkulation gesetzt'. Ich war ein Agent der Zirkulation, und die Zirkulation ist die erste Bedingung des Nationalreichtums. Meine Herren, Sie sind Engländer! Sie sind Ökonomen! Sie werden einen Wohltäter der Nation nicht verurteilen!"

Der Ökonom von St. Giles sitzt in Vandiemensland <heute Tasmanien, von 1803 bis 1854 britische Sträflingskolonie> und hat Gelegenheit, über die verblendete Undankbarkeit seiner Landsleute nachzudenken.

Aber er hat nicht umsonst gelebt. Seine Prinzipien bilden die Grundlage der Hansemannschen Zwangsanleihe.

"Die Zulässigkeit der Zwangsanleihe", sagt Hansemann in den Motiven zu dieser Maßregel, "beruht auf der gewiß begründeten Voraussetzung, daß ein großer Teil des baren Geldes in den Händen von Privatpersonen in kleinern oder größern Summen nutzlos liegt und nur durch eine Zwangsanleihe in Zirkulation gesetzt werden kann."

<263> Wenn ihr ein Kapital verzehrt, bringt ihr es in Zirkulation. Wenn ihr es nicht in Zirkulation bringt, verzehrt es der Staat, um es in Zirkulation zu bringen.

Ein Baumwollfabrikant beschäftigt z.B. 100 Arbeiter. Er zahle täglich jedem von ihnen 9 Silbergroschen. Es wandern also täglich 900 Silbergroschen, resp. 30 Taler aus seiner Tasche in die Tasche der Arbeiter und aus den Taschen der Arbeiter in die Taschen des Epiciers <Krämers>, des Hausbesitzers, des Schusters, des Schneiders usw. Diese Wanderung der 30 Taler heißt ihre Zirkulation. Von dem Augenblicke an, wo der Fabrikant seine Baumwollstoffe nur noch mit Verlust verkaufen oder gar nicht verkaufen kann, hört er auf zu produzieren, hört er auf, die Arbeiter zu beschäftigen, und mit dem Aufhören der Produktion hört die Wanderung der 30 Taler, hört die Zirkulation auf. Wir werden die Zirkulation zwangsweise herstellen! ruft Hansemann aus. Warum läßt der Fabrikant auch sein Geld nutzlos liegen? Warum läßt er es nicht zirkulieren? Wenn schönes Wetter ist, zirkulieren viele Leute im Freien. Hansemann treibt die Leute ins Freie, zwingt sie zu zirkulieren, um das schöne Wetter herzustellen. Großer Wetterkünstler!

Die ministerielle und kommerzielle Krise raubt dem Kapital der bürgerlichen Gesellschaft die Zinsen. Der Staat hilft ihr wieder auf die Beine, indem er auch das Kapital wegnimmt.

Der Jude Pinto, der berühmte Börsenspieler des 18. Jahrhunderts, empfiehlt in seinem Buch über die "Zirkulation" das Börsenspiel. Das Börsenspiel produziere zwar nicht, aber es befördre die Zirkulation, die Wanderung des Reichtums aus einer Tasche in die andere. Hansemann verwandelt die Staatskasse in ein Roulette, worauf das Vermögen der Staatsbürger zirkuliert. Hansemann-Pinto!

In den "Motiven" zum "Zwangsanleihegesetz" stößt Hansemann nun auf eine große Schwierigkeit. Warum hat die freiwillige Anleihe nicht die nötigen Summen eingebracht?

Man kennt ja das "unbedingte Vertrauen", dessen sich die jetzige Regierung erfreut. Man kennt den schwärmerischen Patriotismus der großen Bourgeoisie, die sich über nichts mehr beklagt, als daß einige Wühler ihr hingegebenes Vertrauen nicht zu teilen sich erfrechen. Man kennt ja die Loyalitätsadressen aus allen Provinzen. Und "trotz alledem und alledem" ist Hansemann genötigt, die poetische freiwillige Anleihe in die prosaische Zwangsanleihe zu verwandeln!

Im Regierungsbezirke Düsseldorf z.B. haben Adlige 4.000 Taler, Offiziere <264> 900 Taler beigesteuert - und wo herrscht mehr Vertrauen als unter den Adligen und Offizieren im Regierungsbezirk Düsseldorf? Von den Beiträgen der Prinzen des königlichen Hauses gar nicht zu reden.

Lassen wir uns von Hansemann das Phänomen erklären.

"Die freiwilligen Beiträge sind bisher nur spärlich eingegangen. Es ist dies wohl weniger dem Mangel an Vertrauen zu unseren Zuständen, als der Ungewißheit über das wirkliche Bedürfnis des Staates zuzuschreiben, indem man abwarten zu dürfen glaubte, ob und in welchem Maße die Geldkräfte des Volks in Anspruch genommen werden möchten. Auf diesen Umstand gründet sich die Hoffnung, daß jeder nach Kräften freiwillig beitragen werde, sobald ihm die Beitragspflicht als eine unabweisbare Notwendigkeit vorgeführt wird."

Der Staat, in höchsten Nöten, appelliert an den Patriotismus. Er ersucht höflichst den Patriotismus, auf den Altar des Vaterlands 5 Millionen Taler niederzulegen, und zwar nicht einmal als Geschenk, sondern nur als freiwilliges Darlehn. Man besitzt das höchste Vertrauen in den Staat, aber man bleibt taub gegen seinen Notschrei! Man befindet sich leider in solcher "Ungewißheit" über das "wirkliche Bedürfnis des Staats", daß man sich vorläufig unter den größten Seelenleiden entschließt, dem Staate gar nichts zu geben. Man hat zwar das höchste Vertrauen zu der Staatsbehörde, und die ehrenwerte Staatsbehörde behauptet, der Staat bedürfe 15 Millionen. Eben aus Vertrauen traut man der Versicherung der Staatsbehörde nicht, betrachtet vielmehr ihr Geschrei nach 15 Millionen als eine reine Spielerei.

Man kennt die Geschichte von jenem wackern Pennsylvanier, der seinen Freunden nie einen Dollar lieh. Er besaß solches Vertrauen in ihren geordneten Lebenswandel, er schenkte ihrem Geschäft einen solchen Kredit, daß er bis zu seiner Todesstunde nie die "Gewißheit" gewann, sie befänden sich in einem "wirklichen Bedürfnis" nach einem Dollar. In ihren stürmischen Forderungen erblickte er nur Prüfungen seines Vertrauens, und das Vertrauen des Mannes war unerschütterlich.

Die preußische Staatsbehörde fand den ganzen Staat von Pennsylvaniern bewohnt.

Aber Herr Hansemann erklärt sich das sonderbare politisch-ökonomische Phänomen noch aus einem andern merkwürdigen "Umstand".

Das Volk steuerte nicht freiwillig bei, "weil es abwarten zu dürfen glaubte, ob und in welchem Maße seine Geldkräfte in Anspruch genommen werden möchten". Mit andern Worten: Niemand zahlte freiwillig, weil jeder abwartete, ob und in welchem Maße er zum Zahlen gezwungen würde. Vorsichtiger Patriotismus! Höchst verwickeltes Vertrauen! Auf diesen "Umstand" nun, daß hinter der blauäugig-sanguinischen freiwilligen Anleihe jetzt die dunkelblickende <265> hypochondrische Zwangsanleihe steht, "gründet" Herr Hansemann "die Hoffnung, daß jeder nach Kräften freiwillig beitragen werde". Wenigstens muß der verstockteste Zweifler die Ungewißheit verloren und die Überzeugung gewonnen haben, daß es der Staatsbehörde mit ihren Geldbedürfnissen wirklicher Ernst ist, und das ganze Übel lag ja, wie wir gesehen, nur in dieser peinlichen Ungewißheit. Wenn ihr nicht gebt, wird euch genommen, und das Nehmen macht euch und uns Unbeschwerlichkeiten. Wir hoffen also, daß euer Vertrauen von seiner überspannten Art abläßt und statt in hohlklingenden Phrasen in vollklingenden Talern sich äußert. Est-ce clair? <Ist das klar?>

So sehr nun Herr Hansemann auf diesen "Umstand" "Hoffnungen" gründet, so hat jedoch die grübelnde Gemütsart seiner Pennsylvanier ihn selbst angesteckt, und er sieht sich veranlaßt, nach noch stärkeren Reizmitteln zum Vertrauen umzuschauen. Das Vertrauen ist zwar da, aber es will nicht heraus. Es bedarf der Reizmittel, um es aus seinem latenten Zustand zu treiben.

"Um aber für die freiwillige Beteiligung einen noch stärkeren Antrieb" (als die Aussicht auf die Zwangsanleihe) "zu schaffen, ist [in] § 1 die Verzinsung der Anleihe zu 3 1/3 Prozent projektiert und ein Termin" (bis zum ersten Oktober) "offen gelassen, bis zu welchem freiwillige Darlehen zu 5 Prozent noch angenommen werden sollen."

Herr Hansemann setzt also eine Prämie von 12/3 Prozent auf das freiwillige Darlehn, und nun wird der Patriotismus wohl flüssig werden, die Koffer werden springen, und die goldenen Fluten des Vertrauens werden in die Staatskasse strömen.

Herr Hansemann findet es natürlich "billig", den großen Leuten 12/3 Prozent mehr zu zahlen als den kleinen, die nur gewaltsam das Unentbehrliche sich nehmen lassen. Zur Strafe ihrer weniger komfortablen Vermögensumstände werden sie überdem noch die Rekurskosten zu tragen haben.

So erfüllt sich der Bibelspruch. Wer hat, dem wird gegeben. Wer nicht hat, dem wird genommen.

["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 60 vom 30. Juli 1848]

**Köln, 29. Juli. Wie Peel einst für die Getreidezölle, so hat Hansemann-Pinto für den unfreiwilligen Patriotismus eine "gleitende Skala" entdeckt.

"In betreff des Prozentsatzes für die Beitragspflichtigkeit", sagt unser Hansemann in seinen Motiven, "ist eine progressive Skala angenommen, da offenbar die Fähigkeit, Geld zu beschaffen, mit dem Betrage des Vermögens in arithmetischem Verhältnis steigt."

<266> Mit dem Vermögen steigt die Fähigkeit, Geld zu beschaffen. Mit andern Worten: In dem Maße, als man über mehr Geld zu verfügen hat, hat man über mehr Geld zu verfügen. Soweit nichts richtiger. Daß aber die Fähigkeit, Geld zu beschaffen, nur in arithmetischem Verhältnis steigt, mögen die verschiedenen Vermögensbeträge auch in geometrischem Verhältnis stehn - das ist eine Entdeckung Hansemanns, die ihm größeren Ruhm bei der Nachwelt sichern muß als dem Malthus der Satz, daß die Lebensmittel nur in arithmetischem Verhältnis wachsen, während die Bevölkerung in geometrischem Verhältnis steigt.

Wenn also z.B. verschiedene Vermögensbeträge sich zueinander verhalten, wie

1, 2, 4, 8, 16, 32, 64, 128, 256, 512,

so wächst nach der Entdeckung des Herrn Hansemann die Fähigkeit, Geld zu beschaffen, wie

1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10.

Trotz des scheinbaren Wachsens der Beitragspflichtigkeit nimmt also nach unserm Ökonomen die Fähigkeit, Geld zu beschaffen, in demselben Maße ab, worin das Vermögen zunimmt.

In einer Novelle des Cervantes finden wir den größten spanischen Finanzmann im Irrenhaus. Der Mann hatte ausfindig gemacht, daß die spanische Staatsschuld vernichtet sei, sobald

"die Cortes das Gesetz genehmigen, daß alle Vasallen Seiner Majestät vorn 14. bis in das 60. Jahr verpflichtet sein sollen, einen Tag im Monat bei Wasser und Brot zu fasten, und zwar an einem nach Belieben auszuwählenden und zu bestimmenden Tage. Der Aufwand aber, der sonst an Früchten, Gemüse, Fleischspeisen, Fischen, Weinen, Eiern und Hülsenfrüchten an diesem Tage verbraucht worden wäre, soll zu Geld angeschlagen und Seiner Majestät abgeliefert werden, ohne daß ein Heller, bei Strafe des Meineides, wegfalle."

Hansemann kürzt das Verfahren ab. Er hat seine sämtlichen Spanier, die ein jährliches Einkommen von 400 Talern besitzen, aufgefordert, einen Tag im Jahr ausfindig zu machen, an dem sie 20 Taler entbehren können. Er hat die Kleinen aufgefordert, der gleitenden Skala gemäß sich für 40 Tage ungefähr aller Konsumtion zu enthalten. Wenn sie zwischen August und September die 20 Taler nicht finden, wird ein Gerichtsvollzieher im Oktober sie suchen nach den Worten: Suchet, so werdet ihr finden.

Folgen wir weiter den "Motiven", die der preußische Necker uns anvertraut.

"Jedes Einkommen", belehrt er uns, "aus Gewerbe im weitesten Sinne des Wortes, also ohne Rücksicht darauf, ob davon Gewerbesteuer bezahlt wird, wie das Einkom- <267> men der Ärzte, Advokaten, kann nur nach Abzug der Betriebsausgaben, einschließlich der von den Schulden zu zahlenden Zinsen in Betracht kommen, da nur auf diese Weise das reine Einkommen gefunden wird. Aus demselben Grunde mußte das Gewerbebetriebskapital außer Anspruch gelassen werden, sofern der nach dem Einkommen zu berechnende Anleihebeitrag sich höher beläuft als der nach dem Betriebskapital berechnete."

Nous marchons de surprise en surprise. <Wir schreiten von Überraschung zu Überraschung.> Das Einkommen kann nur in Betracht kommen nach Abzug des Betriebskapitals, denn die Zwangsanleihe kann und soll nichts anderes sein als die außerordentliche Form einer Einkommensteuer. Und die Betriebskosten gehören so wenig zum Einkommen des Industriellen, wie der Baumstamm und die Wurzel des Baums zu seinen Früchten gehören. Aus diesem Grunde also, weil bloß das Einkommen besteuert werden soll und nicht das Betriebskapital, wird eben das Betriebskapital besteuert und nicht das Einkommen, wenn die erste Manier dem Fiskus profitlicher scheint. Es ist Herrn Hansemann also völlig gleichgültig, "auf welche Weise das reine Einkommen gefunden wird". Was er sucht, ist, "auf welche Weise das größte Einkommen" für den Fiskus "gefunden wird".

Herr Hansemann, der das Betriebskapital selbst angreift, gleicht dem Wilden, der den Baum fällt, um in den Besitz seiner Früchte zu gelangen.

"Wenn also" (Art. 9 des Gesetzentwurfs) "sich die nach dem Gewerbebetriebskapital zu bemessende Anleihebeteiligung höher als nach dem zehnfachen Betrage des Einkommens beläuft, tritt die erstere Art der Abschätzung ein" und wird also das "Gewerbebetriebskapital" selbst "in Anspruch genommen".

Sooft es also dem Fiskus beliebt, kann er das Vermögen statt des Einkommens seinen Forderungen zugrunde legen.

Das Volk verlangt den mysteriösen preußischen Staatsschatz in Augenschein zu nehmen. Das Ministerium der Tat antwortet auf diese taktlose Anforderung durch den Vorbehalt, einen durchdringenden Blick in sämtliche Kaufmannsbücher zu werfen und ein Inventarium über den Vermögensbestand seiner sämtlichen Angehörigen aufzunehmen. Die konstitutionelle Ära in Preußen beginnt damit, nicht das Staatsvermögen durch das Volk, sondern das Volksvermögen durch den Staat kontrollieren zu lassen, um so der schamlosesten Einmischung der Bürokratie in den bürgerlichen Verkehr und die Privatverhältnisse Tür und Tor zu eröffnen. In Belgien hat der Staat ebenfalls zu einer Zwangsanleihe seine Zuflucht genommen, aber er hält sich bescheiden an die Steuerregister und Hypothekenbücher, an vorhandene öffentliche Dokumente. Das Ministerium der Tat dagegen spielt das Spartanertum aus der preußischen Armee in die preußische Nationalökonomie hinein.

<268> In seinen "Motiven" sucht Hansemann zwar den Bürger zu beschwichtigen durch allerlei milde Worte und freundliche Vorstellungen.

"Der Verteilung der Anleihe", flüstert er ihm zu, "liegt die Selbstschätzung zum Grunde." Alles "Gehässige" wird vermieden.

"Auch nicht einmal eine summarische Angabe der einzelnen Vermögensteile wird erfordert ... Die zur Prüfung der Selbstschätzungen niedergesetzte Kreiskommission soll im Wege gütlicher Vorstellung zu angemessener Beteiligung auffordern, und erst, wenn dieser Weg ohne Erfolg ist, den Betrag einschätzen. Gegen diese Entscheidung steht der Rekurs an eine Bezirkskommission usw."

Selbstschätzung" Nicht einmal summarische Angabe der einzelnen Vermögensteile! Gütliche Vorstellung! Rekurs!

Sage, was willst du mehr?
<H. Heine, "Du hast Diamanten und Perlen">

Fangen wir gleich mit dem Ende an, mit dem Rekurs.

Art. 16 bestimmt:

"Die Einziehung erfolgt ohne Rücksicht auf eingelegten Rekurs zu den festgesetzten Terminen, vorbehaltlich der Rückzahlung, insoweit der Rekurs für begründet befunden wird."

Also erst die Exekution trotz dem Rekurs, hinterher die Begründung trotz der Exekution!

Noch mehr!

Die durch den Rekurs verursachten "Kosten fallen dem Rekurrenten zur Last, wenn sein Rekurs ganz oder teilweise verworfen wird und werden nötigenfalls exekutivisch beigetrieben". (Art. 19.) Wer die ökonomische Unmöglichkeit einer exakten Vermögensabschätzung kennt, sieht auf den ersten Blick, daß der Rekurs immer teilweise verworfen werden kann, der Rekurrent also jedesmal den Schaden davonträgt. Der Rekurs mag also beschaffen sein, wie er will, eine Geldbuße ist sein unzertrennlicher Schatten. Allen Respekt vor dem Rekurs!

Von dem Rekurs, dem Ende, gehen wir zurück zum Anfang, der Selbstschätzung.

Herr Hansemann scheint nicht zu fürchten, daß seine Spartaner sich selbst überschätzen.

Nach Art. 13 bildet "die Selbstangabe der zum Beitrag Verpflichteten die Grundlage der Anleiheverteilung". Die Architektonik des Herrn Hansemann ist so beschaffen, daß man aus der Grundlage seines Gebäudes keineswegs auf die weitern Umrisse desselben schließen kann.

Oder vielmehr die "Selbstangabe", die in der Form einer "Erklärung" den vom Herrn "Finanzminister oder in dessen Auftrage von der Bezirksregie- <269> rung zu bestimmenden Beamten einzureichen ist" - diese Grundlage wird nun tiefer begründet. Nach Art. 14 "treten zur Prüfung der abgegebenen Erklärungen eine oder mehrere Kommissionen zusammen, deren Vorsitzender sowie übrige Mitglieder zur Zahl von mindestens fünf vom Finanzminister oder der von ihm beauftragten Behörde zu ernennen sind". Die Ernennung des Finanzministers oder der von ihm beauftragten Behörde bildet also die eigentliche Grundlage der Prüfung.

Weicht die Selbstschätzung ab von dem "Ermessen" dieser vom Finanzminister ernannten Kreis- oder Stadtkommission, so wird der "Selbstschätzer" aufgefordert, sich zu erklären. (Art. 15.) Er mag nun eine Erklärung abgeben oder nicht abgeben, es kömmt alles darauf an, ob sie der von dem Finanzminister ernannten Kommission "genügt". Genügt sie nicht, "so hat die Kommission den Beitrag nach eigner Schätzung festzusetzen und davon den Beitragspflichtigen zu benachrichtigen".

Erst schätzt der Beitragspflichtige sich selbst und benachrichtigt davon den Beamten. Jetzt schätzt der Beamte und benachrichtigt davon den Beitragspflichtigen. Was ist aus der "Selbstschätzung" geworden? Die Grundlage ist zugrunde gegangen. Während aber die Selbstschätzung nur den Anlaß bot zu einer schweren "Prüfung" des Pflichtigen, schlägt die fremde Schätzung sofort in Exekution um. Art. 16 verfügt nämlich:

"Die Verhandlungen der Kreis- (Stadt-) Kommissionen sind der Bezirksregierung einzureichen, welche danach alsbald die Rollen der Anleihebeträge aufzustellen und den betreffenden Kassen zur Einziehung - nötigenfalls im Wege der Exekution - nach den für die [...] Steuern geltenden Vorschriften zuzufertigen hat."

Wir haben schon gesehen, wie bei den Rekursen nicht alles "Rose" ist. Der Rekursweg versteckt noch andere Dornen.

Erstens. Die Bezirkskommission, welche die Rekurse prüft, wird von Deputierten gebildet, welche von den nach dem Gesetz vom 8. April 1848 gewählten Wahlmännern usw. erwählt werden.

Aber der ganze Staat zerfällt vor der Zwangsanleihe in zwei feindselige Lager, das Lager der Widerspenstigen und das Lager der Wohlmeinenden, gegen deren geleisteten oder angebotenen Beitrag Ausstellungen bei der Kreiskommission nicht erhoben sind. Die Deputierten dürfen nur aus dem wohlmeinenden Lager erwählt werden. (Art. 17.)

Zweitens. "Den Vorsitz führt ein vom Finanzminister zu ernennender Kommissarius, dem zum Vortrage ein Beamter beigeordnet werden kann." (Art. 18.)

Drittens. "Die Bezirkskommission ist befugt, die spezielle Abschätzung des Vermögens oder Einkommens anzuordnen und zu diesem Ende Werttaxen <270> aufzunehmen oder kaufmännische Bücher einsehen zu lassen. Reichen diese Mittel nicht aus, so kann vom Rekurrenten eidesstattliche Versicherung gefordert werden."

Wer sich also den "Schätzungen" der vom Finanzminister ernannten Beamten nicht unbedenklich fügt - muß zur Strafe seine sämtlichen Vermögensverhältnisse zwei Bürokraten und 15 Konkurrenten vielleicht offenlegen. Dornenvoller Pfad des Rekurses! Hansemann verhöhnt also nur sein Publikum, wenn er in den Motiven sagt:

"Der Verteilung der Anleihe liegt die Selbstschätzung zum Grunde. Um solche aber in keiner Weise gehässig zu machen, ist auch nicht einmal eine summarische Angabe der einzelnen Vermögensteile erforderlich."

Die Strafe des "Meineides" des Projektenmachers des Cervantes, sie sogar fehlt nicht im Projekt des Ministers der Tat.

Statt sich mit seinen Scheinmotiven abzuquälen, hätte unser Hansemann besser getan, mit dem Mann in der Komödie zu sagen:

"Wie wollt Ihr, daß ich alte Schulden zahle und neue Schulden mache, wenn Ihr mir nicht Geld leiht?" <Cervantes, "Gespräch zwischen Cipion und Berganza, den Hunden des Auferstehungshospitals">

In diesem Augenblicke aber, wo Preußen an Deutschland im Dienst seiner Sonderinteressen einen Verrat zu begehen und gegen die Zentralgewalt zu rebellieren sucht, ist es die Pflicht eines jeden Patrioten, keinen Pfennig freiwillig zur Zwangsanleihe beizusteuern. Nur durch eine konsequente Abschneidung der Lebensmittel kann Preußen gezwungen werden, sich an Deutschland zu ergeben.