Der preußische Preßgesetzentwurf | Inhalt | Das "Fädreland" über den Waffenstillstand mit Dänemark

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 243-252
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1971


Der Bürgerwehrgesetzentwurf

["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 51 vom 21. Juli 1848]

<243> **Köln, 20. Juli. Die Bürgerwehr ist aufgelöst, das ist der Hauptparagraph des Gesetzentwurfs über die Errichtung der Bürgerwehr, obgleich er erst am Ende desselben als § 121 auftritt unter der bescheidnen Form:

"Durch die Bildung der Bürgerwehr nach der Bestimmung dieses Gesetzes werden alle zur Bürgerwehr gegenwärtig gehörenden oder neben derselben bestehenden bewaffneten Korps aufgelöst."

Mit der Auflösung der nicht direkt zur Bürgerwehr gehörigen Korps hat man ohne weitere Umstände begonnen. Die Auflösung der Bürgerwehr selbst kann nur unter dem Scheine ihrer Reorganisation vollbracht werden.

Der gesetzgeberische Anstand zwang in § 1 die hergebrachte konstitutionelle Phrase aufzunehmen:

"Die Bürgerwehr hat die Bestimmung, die verfassungsmäßige Freiheit und die gesetzliche Ordnung zu schützen."

Um dem "Wesen dieser Bestimmung" zu entsprechen, darf die Bürgerwehr aber weder denken an öffentliche Angelegenheiten noch von ihnen sprechen, noch über sie beraten oder beschließen (§1), noch sich versammeln, noch unter die Waffen treten (§ 6), noch überhaupt ein Lebenszeichen von sich gehen, es sei denn mit hoher obrigkeitlicher Erlaubnis. Nicht die Bürgerwehr "schützt" die Verfassung vor den Behörden, sondern die Behörden schützen die Verfassung vor der Bürgerwehr. Sie hat also (§ 4) den "Requisitionen der Behörden" blindlings "Folge zu leisten" und sich alles Einmischens "in die Verrichtungen der Gemeinde- oder Verwaltungs- oder gerichtlichen Behörden", wie alles etwaigen Räsonierens zu entschlagen. "Verweigert" sie den passiven Gehorsam, so kann der Herr Regierungspräsident sie auf vier Wochen "ihres Dienstes entheben" (§ 4). Erregt sie gar das allerhöchste Miß- <244> vergnügen, so kann eine "Königliche Verordnung" sie für "sechs Monate" ihres "Dienstes entheben" oder gar ihre "Auflösung" verfügen, der erst nach sechs Monaten eine Neubildung auf dem Fuße folgen soll (§ 3). Es "soll" also (§ 2) in "jeder Gemeinde des Königreichs eine Bürgerwehr bestehn", soweit nämlich der Herr Regierungspräsident oder der König nicht in jeder Gemeinde das Gegenteil zu verfügen sich veranlaßt finden. Wenn die Staatsangelegenheit nicht zum "Ressort" der Bürgerwehr, so gehört dagegen die Bürgerwehr "zum Ressort des Ministers des Innern", d.h. des Polizeiministers, der ihr natürlich Vorgesetzter und dem "Wesen seiner Bestimmung nach" der getreue Eckart der "verfassungsmäßigen Freiheit" ist (§ 5). Soweit die Bürgerwehr von dem Herrn Regierungspräsidenten und den übrigen Herrn Beamten nicht zum "Schutz der verfassungsmäßigen Freiheit", d.h. zur Ausführung des Dafürhaltens der Herrn Vorgesetzten beordert, d.h. zum Dienst kommandiert wird, besteht ihre eigentümliche Lebensaufgabe darin, das von einem königl[ichen] Oberst entworfene Dienstreglement auszuführen. Das Dienstreglement ist ihre Magna Charta, zu deren Schutz und Ausübung sie sozusagen gebildet ist. Es lebe das Dienstreglement! Die Einrollierung <Einreihung> in die Bürgerwehr gibt endlich Veranlassung, jeden Preußen "nach vollendetem 24. und vor zurückgelegtem 50. Lebensjahre" folgenden Eid schwören zu lassen:

"Ich schwöre Treue und Gehorsam dem Könige, der Verfassung und den Gesetzen des Königsreichs."

Die arme Verfassung! Wie eingeengt, wie verschämt, wie bürgerlich bescheiden, mit welch subalterner Haltung sie dasteht, mitten zwischen dem Könige und den Gesetzen. Erst kommt der royalistische Eid, der Eid der lieben Getreuen, und dann kommt der konstitutionelle Eid, und zum Schluß kommt ein Eid, der gar keinen Sinn hat, es sei denn den legitimistischen, daß neben den Gesetzen, die aus der Verfassung hervorgehn, noch andre Gesetze bestehn, die aus königlicher Machtvollkommenheit entspringen. Und nun gehört der gute Bürger von Kopf bis Fuß zum "Ressort des Ministeriums des Innern".

Der brave Mann hat die Waffen und den Waffenrock erhalten, unter der Bedingung, zunächst auf seine ersten politischen Rechte, das Assoziationsrecht usw., zu verzichten. Seine Aufgabe, die "verfassungsmäßige Freiheit" zu schützen, wird dem "Wesen ihrer Bestimmung" gemäß dadurch gelöst, daß er blindlings die Befehle der Behörden vollzieht, daß er die gewöhnliche, selbst unter der absoluten Monarchie geduldete bürgerliche Freiheit ver- <245> tauscht mit dem passiven, willen- und selbstlosen Gehorsam des Soldaten. Schöne Schule, um, wie Herr Schneider in der Vereinbarungsversammlung sagt <Siehe "Die Debatte über den Jakobyschen Antrag", S. 223-225>, die Republikaner der Zukunft heranzuziehn! Was ist aus unserm Bürger geworden? Ein Mittelding zwischen einem preußischen Gendarmen und einem englischen Konstabler. Aber für alle seine Verluste tröstet ihn das Dienstreglement und das Bewußtsein, Ordre zu parieren. Statt die Armee in das Volk, war es nicht origineller, das Volk in die Armee aufzulösen?

Es ist ein wahrhaft bizarres Schauspiel, diese Verwandlung konstitutioneller Phrasen in preußische Tatsachen.

Wenn das Preußentum sich bequemt, konstitutionell, so soll aber auch der Konstitutionalismus sich bequemen, preußisch zu werden. Armer Konstitutionalismus! Brave Deutsche! Solange haben sie gejammert, daß man die "heiligsten" Versprechen nicht erfülle. Bald werden sie nur noch eine Furcht kennen, die Furcht vor der Erfüllung der heiligen Versprechen! Das Volk wird gestraft, par où il a péché <womit es gesündigt hat>. Ihr habt Preßfreiheit verlangt? Ihr sollt mit der Preßfreiheit gestraft werden und eine Zensur ohne Zensoren erhalten, eine Zensur durch das Parquet, eine Zensur durch ein Gesetz, das es im "Wesen der Bestimmung" der Presse findet, sich um alles zu kümmern, nur nicht um die Behörden, die unfehlbaren Behörden, eine Zensur der Gefängnis- und Geldstrafen. Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so sollt ihr schreien nach dem guten, alten, vielgelästerten, vielverkannten Zensor, dem letzten Römer, unter dessen asketischer Vorsehung ihr einen so bequem-gefahrlosen Lebenswandel führtet.

Ihr habt Volkswehr verlangt? Ihr sollt ein Dienstreglement erhalten. Ihr sollt zur Disposition der Behörden gestellt, ihr sollt militärisch einexerziert und im passiven Gehorsam geschult werden, daß euch die Augen übergehn.

Der preußische Scharfsinn hat ausgewittert, daß jede neue konstitutionelle Institution den interessantesten Anlaß bietet zu neuen Strafgesetzen, zu neuen Reglements, zu neuer Maßreglung, zu neuer Überwachung, zu neuen Schikanen und zu einer neuen Bürokratie.

Noch mehr konstitutionelle Forderungen! Noch mehr konstitutionelle Forderungen! ruft das Ministerium der Tat. Für jede Forderung haben wir eine Tat!

Forderung: Jeder Bürger soll zum Schutz der "verfassungsmäßigen Freiheit" bewaffnet werden.

Antwort: Jeder Bürger gehört von nun an zum Ressort des Ministeriums des Innern.

<246> Es wäre leichter, die Griechen wiederzuerkennen unter den Tierformen, worin die Circe sie verwandelt, als die konstitutionellen Institutionen unter den Phantasiegebilden, worin das Preußentum sie umzaubert und sein Ministerium der Tat.

Nach der preußischen Reorganisation Polens die preußische Reorganisation der Bürgerwehr!

["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 52 vom 22. Juli 1848]

** Köln, 21. Juli. Wir haben gesehn, die "allgemeinen Bestimmungen" des Gesetzentwurfs über die Bürgerwehr verlaufen sich dahin: Die Bürgerwehr hat aufgehört zu existieren. Wir gehn noch flüchtig auf einige andere Abschnitte des Entwurfs ein, um den Geist des "Ministeriums der Tat" abzudestillieren, und auch hier müssen wir wählig mit dem Rohstoff des pseudonymen Instituts verfahren. Eine große Anzahl §§ unterstellt die neue Gemeinde- und Kreisordnung, eine neue administrative Einteilung der Monarchie usw., lauter Wesen, die, wie bekannt, nur noch im geheimnisschwangern Schoße des Ministeriums der Tat ihr verborgnes Leben führen. Warum also hat das Ministerium der Tat seinen Gesetzentwurf über die Reorganisation der Bürgerwehr den verheißenen Gesetzentwürfen über die Gemeinde- und Kreisordnung usw. vorhergehen lassen?

Im Abschnitt III finden wir zwei Dienstlisten, die Dienstliste der Honetten und die Dienstliste der aus öffentlichen Mitteln unterstützten Bürgerwehrpflichtigen (§14 [und 16]). Zu den Leuten, die aus öffentlichen Mitteln unterstützt werden, zählt natürlich nicht das Heer der Beamten. Man weiß, daß sie in Preußen die eigentlich produktive Klasse bilden. Die Paupers nun sind, wie die Sklaven im alten Rom, "nur in außerordentlichen Fällen zum Dienste heranzuziehen". Wenn die Paupers ihrer bürgerlichen Unselbständigkeit wegen zum Schutz der "verfassungsmäßigen Freiheit" so wenig berufen sind als die Lazzaroni in Neapel, verdienen sie in diesem neuen Institut des passiven Gehorsams eine untergeordnete Stellung einzunehmen?

Abgesehen von den Paupers, finden wir aber eine ungleich wichtigere Unterscheidung zwischen den zahlungsfähigen und den zahlungsunfähigen Bürgerwehrpflichtigen.

Vorher noch eine Bemerkung. Nach § 53 soll

"die Bürgerwehr eine im ganzen Lande gleiche, einfache Dienstkleidung tragen, welche vom König bestimmt wird. Die Dienstkleidung darf nicht so beschaffen sein, daß sie Veranlassung zur Verwechselung mit dem Heere gibt."

<247> Natürlich! Die Kleidung muß so beschaffen sein, daß das Heer der Bürgerwehr und die Bürgerwehr dem Volke gegenübersteht und daß bei solchen Gelegenheiten wie Einhauen, Füsilieren u.dgl. Kriegsmanövern keine Verwechselung vorfallen kann. Die Dienstkleidung als solche ist aber ebenso unentbehrlich wie die Dienstliste, wie das Dienstreglement. Die Livrée der Freiheit ist eben die Dienstkleidung. Diese Livrée gibt Anlaß, die Kosten der Ausstattung eines Bürgerwehrmanns bedeutend zu vermehren, und die vermehrten Kosten dieser Ausstattung geben willkommnen Anlaß, zwischen den Bourgeois der Bürgerwehr und den Proletariern der Bürgerwehr eine unendliche Kluft zu graben.

Man höre:

§ 57. "Für die Dienstkleidung, wo eine solche stattfindet, für die Dienstzeichen und für die Waffen muß jedes Mitglied der Bürgerwehr auf eigene Kosten sorgen. Die Gemeinde ist jedoch verpflichtet, diese Gegenstände auf ihre Kosten in solcher Menge zu beschaffen, als zur Ausrüstung desjenigen Teils der wirklich diensttuenden Mannschaft, welcher die Kosten aus eignen Mitteln nicht tragen kann, erforderlich ist."

§ 59. "Die Gemeinde behält das Eigentumsrecht <im Gesetzentwurf: Eigentum> der von ihr angeschafften Ausrüstungsgegenstände und kann dieselben außer der Zeit des Dienstgebrauches an besonderen Orten aufbewahren lassen."

Alle also, die sich nicht von Kopf bis Fuß militärisch ausrüsten können - und es ist dies die große Mehrzahl der preußischen Bevölkerung, es ist die Gesamtheit der Arbeiter, es ist ein großer Teil des Mittelstandes -, diese alle sind gesetzlich entwaffnet "außer der Zeit des Dienstgebrauchs", während die Bourgeoisie der Bürgerwehr zu jeder Zeit im Besitz von Waffen und Dienstkleidungen bleibt. Da dieselbe Bourgeoisie in der Form der "Gemeinde" sämtliche von ihr "angeschafften Ausrüstungsgegenstände" an "besondern Orten aufbewahren lassen kann", so befindet sie sich nicht nur im Besitz ihrer eignen Waffen, sie befindet sich zudem im Besitz der Waffen des bürgerwehrlichen Proletariats, und sie "kann" und "wird", sollte es zu ihr mißliebigen politischen Kollisionen kommen, die Herausgabe der Waffen selbst zum "Dienstgebrauch" verweigern. So ist das politische Privilegium des Kapitals in der unscheinbarsten, aber in der wirksamsten, in der entschiedensten Form wiederhergestellt. Das Kapital besitzt das Privilegium der Waffen gegenüber dem Wenigvermögenden, wie der mittelaltrige Feudalbaron gegenüber seinem Leibeignen.

Damit das Privilegium in seiner ganzen Ausschließlichkeit wirke, ist nach § 56 nur

<248> "auf dem Lande und in Städten unter 5.000 Einwohnern die Bewaffnung der Bürgerwehrmänner mit Pike oder Seitengewehr ausreichend und bei dieser Bewaffnungsart statt der Dienstkleidung nur ein vom Obersten zu bestimmendes Dienstzeichen erforderlich."

In allen Städten über 5.000 Einwohner muß die Dienstkleidung den Zenzus, der wirklich erst in den Besitz der Wehrfähigkeit setzt, und mit ihm die Zahl des bürgerwehrlichen Proletariats vermehren. Wie Dienstkleidung und Waffen diesem Proletariat, d.h. dem größten Teil der Bevölkerung, nur geliehen sind, so ist ihm überhaupt das Wehrrecht nur geliehen, seine Existenz als Wehrmann ist nur eine geliehene, und - beati possidentes, glücklich die Besitzenden! Die moralische Unbehaglichkeit, worin ein geliehener Rock das Individuum einhüllt, und nun gar ein geliehener Rock, der, wie beim Soldaten, von einem Leib auf den andern der Reihe nach herumfliegt - diese moralische Unbehaglichkeit ist natürlich das erste Erfordernis für die Römer, die berufen sind, die "verfassungsmäßige Freiheit zu schützen". Aber im Gegensatz dazu, wird nicht das stolze Selbstgefühl der zahlungsfähigen Bürgerwehr wachsen, und was will man mehr?

Und selbst diese Bedingungen, welche das Wehrrecht für den größten Teil der Bevölkerung illusorisch machen, sie sind im Interesse des besitzenden Teils, des privilegierten Kapitals, wieder unter neue, noch einengendere Bedingungen eingeschachtelt.

Die Gemeinde braucht nämlich die Ausrüstungsgegenstände nur vorrätig zu haben für den "wirklich diensttuenden" Teil der zahlungsunfähigen Mannschaft. Nach § 15 verhält es sich mit diesem "wirklich diensttuenden" Teil wie folgt:

"In allen Gemeinden, in welchen die Gesamtzahl der für den laufenden Dienst verwendbaren Männer den 20. Teil der Bevölkerung übersteigt, hat die Gemeindevertretung das Recht, die wirklich diensttuende Mannschaft auf diesen Teil der Bevölkerung zu beschränken. Macht sie von dieser Befugnis Gebrauch, so muß sie einen Wechsel des Dienstes in der Art feststellen, daß alle für den laufenden Dienst verwendbaren Männer nach und nach an die Reihe kommen. Es darf jedoch bei dem jedesmaligen Wechsel nicht mehr als ein Drittel auf einmal ausscheiden; auch müssen alle Altersklassen nach Verhältnis der darin vorhandenen Zahl von Bürgerwehrmännern gleichzeitig herangezogen werden."

Und nun berechne man, für welchen winzigen Teil des bürgerwehrlichen Proletariats und der Gesamtbevölkerung die Ausrüstungsgegenstände wirklich von der Gemeinde beschafft werden?

In unsrem gestrigen Artikel sahen wir das Ministerium der Tal das konstitutionelle Institut der Bürgerwehr reorganisieren im Sinne des altpreußi- <249> schen, des bürokratischen Staats. Erst heute sehen wir es auf der Höhe seiner Mission, sehen wir es dies Institut der Bürgerwehr gestalten im Sinne der Julirevolution, im Sinne Louis-Philippes, im Sinne der Epoche, welche dem Kapital die Krone aufsetzt und

mit Pauken und Trompeten
seiner jungen Herrlichkeit
<H. Heine , "Berg-Idylle", Gedicht aus der "Harzreise">

huldigt.

Ein Wort an das Ministerium Hansemann-Kühlwetter-Milde. Herr Kühlwetter hat vor einigen Tagen ein Rundschreiben gegen die Umtriebe der Reaktion an sämtliche Regierungspräsidenten erlassen. Woher dieses Phänomen?

Das Ministerium der Tat will die Herrschaft der Bourgeoisie begründen, indem es gleichzeitig mit dem alten Polizei- und Feudalstaate einen Kompromiß abschließt. In dieser doppelschlächtigen widerspruchsvollen Aufgabe sieht es jeden Augenblick die erst zu gründende Herrschaft der Bourgeoisie und seine eigne Existenz von der Reaktion im absolutistischen, im Feudalsinn überflügelt - und es wird ihr unterliegen. Die Bourgeoisie kann ihre eigne Herrschaft nicht erkämpfen, ohne vorläufig das gesamte Volk zum Bundesgenossen zu haben, ohne daher mehr oder minder demokratisch aufzutreten.

Aber die Restaurationsepoche verbinden wollen mit der Juliepoche, die noch mit dem Absolutismus, dem Feudalismus, dem Krautjunkertum, der Soldaten- und Bürokratenherrschaft ringende Bourgeoisie das Volk schon ausschließen, schon unterjochen und beiseite werfen lassen - das ist die Quadratur des Zirkels, das ist ein historisches Problem, woran selbst ein Ministerium der Tat, selbst ein Triumvirat Hansemann-Kühlwetter-Milde scheitern wird.

["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 54 vom 24. Juli 1848]

**Köln, 23. Juli. Der Abschnitt des Bürgerwehrgesetzentwurfs über die "Wahl und Ernennung der Vorgesetzten" ist ein wahres Labyrinth von Wahlmethoden. Wir wollen die Ariadne spielen und dem modernen Theseus - der wohllöblichen Bürgerwehr - den Faden geben, der sie durch das Labyrinth durchführen wird. Aber der moderne Theseus wird so undankbar sein wie der antike, und nachdem er den Minotaurus getötet, seine Ariadne - die Presse - treulos auf dem Felsen von Naxos sitzenlassen.

Numerieren wir die verschiedenen Gänge des Labyrinths.

Gang 1. Direkte Wahl.

§ 42. "Die Anführer der Bürgerwehr bis zum Hauptmann hinauf einschließlich werden von den wirklich diensttuenden Bürgerwehrmännern gewählt."

<250> Seitengang. "Die wirklich diensttuenden Bürgerwehrmänner" bilden nur einen kleinen Teil der wirklich "wehrfähigen" Mannschaft. Vergleiche § 15 und unsern vorgestrigen Artikel.

Die "direkte" Wahl ist also auch nur sozusagen eine direkte Wahl.

Gang II. Indirekte Wahl.

§ 48. "Der Major des Bataillons wird von den Hauptleuten, Zugführern und Führern [der Rotten] der betreffenden Kompanien nach absoluter Stimmenmehrheit gewählt."

Gang III. Kombination der indirekten Wahl mit königlicher Ernennung.

§ 49. "Der Oberst wird von dem Könige aus einer Liste von drei Kandidaten ernannt, welche von den Anführern der betreffenden Bataillone bis abwärts zu den Zugführern, diese mit eingeschlossen, gewählt werden."

Gang IV. Kombination der indirekten Wahl mit Ernennung von seiten der Herren Befehlshaber.

§ 50. "Die Adjutanten werden von den betreffenden Befehlshabern aus der Zahl der Zugführer, der Bataillonsschreiber aus der Zahl der Führer der Rotten, der Bataillonstambour aus der Zahl der Trommler ernannt."

Gang V. Direkte Ernennung auf bürokratischem Wege.

§ 50. "Der Feldwebel und der Schreiber der Kompanie wird von dem Hauptmann, der Wachtmeister und der Schreiber der Schwadron von dem Rittmeister, der Rottenmeister von dem Zugführer ernannt."

Wenn also diese Wahlmethoden mit einer verfälschten direkten Wahl beginnen, so schließen sie mit dem unverfälschten Aufhören aller Wahl, mit dem Gutdünken der Herren Hauptleute, Rittmeister und Zugführer. Finis coronat opus. <Das Ende krönt das Werk.> Es fehlt diesem Labyrinth nicht an der pointe, der Spitze.

Die aus diesem verwickelten chemischen Prozeß sich niederschlagenden Kristalle vom strahlenden Oberst bis zum unscheinbaren Gefreiten herab setzen sich für sechs Jahre fest.

§ 51. "Die Wahlen und Ernennungen der Anführer geschehen auf sechs Jahre."

Man begreift nickt, warum nach solchen Vorsichtsmaßregeln das Ministerium der Tat in den "allgemeinen Bestimmungen" noch der Taktlosigkeit bedurfte, der Bürgerwehr ins Gesicht zu rufen: Aus einem politischen sollt ihr zu einem rein polizeilichen Institut und zu einer Pflanzschule altpreußischer Dressur reorganisiert werden. Wozu die Illusion rauben!

Die königliche Ernennung ist so sehr eine Kanonisation, daß in dem Abschnitt "Bürgerwehrgerichte" kein Gericht für den "Oberst", sondern aus- <251> drücklich nur Gerichte bis zu den Majoren hinauf sich finden. Wie könnte ein königl[icher] Oberst ein Verbrechen begehen?

Das bloße Dasein als Wehrmann ist dagegen so sehr eine Profunation des Bürgers, daß ein Wort seiner Vorgesetzten genügt, ein Wort von dem königl[ichen] unfehlbaren Oberst bis zu dem ersten besten Kerl hinab, den der Herr Hauptmann zum Feldwebel oder der Herr Zugführer zum Rottenmeister ernannt hat, um den Wehrmann 24 Stunden seiner persönlichen Freiheit zu berauben und einsperren zu lassen.

§ 81. "Jeder Vorgesetzte kann seinen Untergebenen im Dienste zurechtweisen; er kann sogar dessen sofortige Verhaftung und Einsperrung auf 24 Stunden anordnen, wenn der Untergebene sich im Dienste der Trunkenheit oder einer sonstigen groben Dienstwidrigkeit schuldig macht."

Der Herr Vorgesetzte entscheidet natürlich, was eine sonstige grobe Dienstwidrigkeit ist, und der Untergebene hat Ordre zu parieren.

Wenn also der Bürger gleich im Eingang dieses Entwurfs dadurch dem "Wesen seiner Bestimmung", dem "Schutz der verfassungsmäßigen Freiheit" entgegenreifte, daß er aufhörte das zu sein, was nach Aristoteles die Bestimmung des Menschen ist - ein "Zoon politikon", ein "politisches Tier" -, so vollendet er erst seinen Beruf durch die Preisgebung seiner bürgerlichen Freiheit an das Gutdünken eines Obersten oder eines Rottenmeisters.

Das "Ministerium der Tat" scheint eigentümlich orientalisch-mystischen Vorstellungen, einer Art von Molochskultus zu huldigen. Um die "verfassungsmäßige Freiheit" der Regierungspräsidenten, Bürgermeister, Polizeidirektoren und Präsidenten, Polizeikommissarien, Beamten der Staatsanwaltschaft, Gerichtspräsidenten oder Direktoren, Untersuchungsrichter, Friedensrichter, Ortsschulzen, Minister, Geistlichen, im aktiven Dienst befindlichen Militärpersonen, Grenz-, Zoll-, Steuer-, Forstschutz- und Postbeamten, der Vorsteher und Gefangenwärter in allen Gefangenanstalten, der exekutivischen Sicherheitsbeamten und der Leute unter 25 oder über 50 Jahre - lauter Personen, die nach den §§ 9, 10, 11 nicht zur Bürgerwehr gehören -, um die "verfassungsmäßige Freiheit" dieser Elite der Nation zu schützen, muß der übrige Rest der Nation seine verfassungsmäßigen Freiheiten bis zur persönlichen Freiheit herab auf dem Altar des Vaterlandes eines blutigen Opfertodes sterben lassen. Pends toi, Figaro! Tu n'aurais pas inventé cela! <Häng dich auf, Figaro, Du würdest das nicht ersonnen haben! aus: Figaros Hochzeit>

Es bedarf keiner Andeutung, daß der Abschnitt über die Strafen mit wollüstiger Gründlichkeit ausgearbeitet ist. Das ganze Institut soll "dem Wesen seiner Bestimmung" nach ja nur eine Strafe für die konstitutionellen <252> und volkswehrlichen Gelüste einer wohllöblichen Bürgerschaft sein. Wir bemerken nur noch, daß außer den gesetzlich bestimmten Straffällen auch die vom königl[ichen] Obersten unter Zuziehung des Majors und Genehmigung der apokryphischen "Bezirksvertretung" entworfene Magna Charta der Bürgerwehr, das Dienstreglement, zu einer neuen Musterkarte von Strafen (siehe § 82 und folgende) Veranlassung gibt. Es versteht sich von selbst, daß Geldstrafen die Gefängnisstrafen ersetzen können, damit der Unterschied zwischen der zahlungsfähigen und der unzahlungsfähigen Bürgerwehr, der von dem "Ministerium der Tat" erfundene Unterschied zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat der Bürgerwehr sich einer hochnotpeinlichen Sanktion erfreue.

Den eximierten Gerichtsstand, den das Ministerium der Tat in der Verfassung im großen und ganzen aufgeben muß, schmuggelt es in die Bürgerwehr wieder ein. Alle Disziplinarvergehen der Bürgerwehrmänner und Rottenführer gehören zur Kompetenz der Kompaniegerichte, bestehend aus zwei Zugführern, zwei Rottenführern und drei Bürgerwehrmännern. (§ 87.) Alle Disziplinarvergehn der "Anführer der zum Bataillon gehörenden Kompanien, vom Zugführer aufwärts bis einschließlich des Majors" gehören zur Kompetenz der Bataillonsgerichte, bestehend aus zwei Hauptleuten, zwei Zugführern und drei Rottenführern. (§ 88.) Für den Major findet wieder ein besonderer eximierter Gerichtsstand statt, denn, verfügt derselbe § 88, "betrifft die Untersuchung einen Major, so treten dem Bataillonsgerichte zwei Majore als Gerichtsmitglieder hinzu". Der Herr Oberst endlich, wie schon gesagt, ist von jedem Gerichtsstand eximiert.

Der treffliche Gesetzentwurf endet mit folgendem Paragraphen:

(§ 123.) "Die Bestimmungen über die Mitwirkung der Bürgerwehr zur Verteidigung des Vaterlandes im Kriege, sowie über ihre dann eintretende Bewaffnung, Ausrüstung und Verpflegung, bleiben dem Gesetze über die Heeresverfassung vorbehalten."

Mit andern Worten: Die Landwehr existiert fort neben der reorganisierten Bürgerwehr.

Verdient das Ministerium der Tat nicht allein wegen dieses Gesetzentwurfs und wegen seines Waffenstillstandsprojektes mit Dänemark in Anklagezustand versetzt zu werden?