Gerichtliche Untersuchung gegen die "Neue Rheinische Zeitung" | Inhalt | Vereinbarungsdebatten vom 7. Juli

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 202-205
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1971


Die auswärtige deutsche Politik und die letzten Ereignisse zu Prag

["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 42 vom 12. Juli 1848]

<202> **Köln, 11. Juli. Trotz des patriotischen Geheuls und Getrommels fast der ganzen deutschen Presse hat die "Neue Rheinische Zeitung" vom ersten Augenblick an in Posen für die Polen, in Italien für die Italiener, in Böhmen für die Tschechen Partei ergriffen. Vom ersten Augenblick an durchschauten wir die machiavellistische Politik, welche, im Innern Deutschlands in den Grundfesten erschwankend, die demokratische Energie zu lähmen, die Aufmerksamkeit von sich abzulenken, der revolutionären Glutlava einen Abzugskanal zu graben, die Waffe der innern Unterdrückung zu schmieden suchte, indem sie einen engherzigen, dem kosmopolitischen Charakter des Deutschen widerstrebenden Stammhaß heraufbeschwor und in Stammkriegen von unerhörtem Greuel, von namenloser Barbarei eine Soldateska heranbildete, wie der Dreißigjährige Krieg sie kaum aufzuweisen hat.

In demselben Augenblick, wo die Deutschen um die innere Freiheit mit ihren Regierungen ringen, sie unter dem Kommando derselben Regierungen einen Kreuzzug gegen die Freiheit Polens, Böhmens, Italiens unternehmen lassen, welche Tiefe der Kombination! Welch geschichtliches Paradoxon! In revolutionärer Gärung begriffen, macht sich Deutschland nach außen Luft in einem Krieg der Restauration, in einem Feldzug für die Befestigung der alten Macht, gegen die es eben revolutioniert. Nur der Krieg mit Rußland ist ein Krieg des revolutionären Deutschlands, ein Krieg, worin es die Sünden der Vergangenheit abwaschen, worin es sich ermannen, worin es seine eigenen Autokraten besiegen kann, worin es, wie einem die Ketten langer, träger Sklaverei abschüttelnden Volke geziemt, die Propaganda der Zivilisation mit dem Opfer seiner Söhne erkauft und sich nach innen frei macht, indem es nach außen befreit. Je mehr das Tageslicht der Öffentlichkeit die jüngsten Ereignisse in scharfen Umrissen hervortreten läßt, desto mehr besiegeln Tat- <203> sachen unsere Auffassung der Stammkriege, womit Deutschland seine neue Ära verunehrt hat. Als Beitrag zu solcher Aufklärung lassen wir nachstehenden, obschon verspäteten Bericht von einem Deutschen in Prag folgen:

Prag, 24. Juni 1848 (verspätet)

Die "Deutsche Allg[emeine] Z[ei]t[un]g" vom 22. d. [Mts.] enthält einen Artikel über die am 18. d. [Mts.] in Aussig abgehaltene Deutschenversammlung, in welcher Reden gehalten worden sind, die eine solche Unkenntnis unserer letzten Vorfälle und teilweise, um gelind zu sprechen, eine solche Bereitwilligkeit zeigen, unsere unabhängige Presse mit schmählichen Vorwürfen zu überhäufen, daß es [der] Referent für seine Pflicht hält, diese Irrtümer soviel als jetzt möglich aufzuklären und den Unbesonnenen und Böswilligen mit der Festigkeit der Wahrheit entgegenzutreten. Es ist überraschend, wenn Männer wie "der Gründer des Vereins zur Wahrung der deutschen Interessen im Osten" vor einer ganzen Versammlung aussprechen: "Solange der Kampf in Prag währt, kann von einer Verzeihung nicht die Rede sein, und wird uns der Sieg, so muß er künftig benutzt werden." Welcher Sieg ist denn den Deutschen, welche Verschwörung ist denn vernichtet worden? Wer freilich dem Korrespondenten der "Deutschen Allg[emeinen] -, der, wie es scheint, sich immer nur sehr oberflächlich unterrichtet, den pathetischen Phrasen eines kleinen Polen- und Franzosenfressers oder den Artikeln des perfiden "Frankfurter Journals" vertraut, das wie bei den Vorfällen in Baden Deutsche gegen Deutsche, so Deutsche gegen Böhmen aufzuhetzen sucht, der wird nie einen klaren Blick in die hiesigen Verhältnisse tun. Es scheint in Deutschland überall die Meinung zu herrschen, daß der Kampf in den Straßen Prags nur auf die Unterdrückung des deutschen Elements und auf Gründung einer slawischen Republik abgesehen gewesen sei. Vom letztem wollen wir nicht sprechen, denn die Idee ist zu naiv; was das erstere aber anbelangt, so war bei den Kämpfen auf den Barrikaden nicht die geringste Spur einer Rivalität der Nationalitäten bemerkbar; Deutsche und Tschechen standen zusammen zur Verteidigung bereit, und ich selbst habe öfters einen Redner, der tschechisch sprach, das Gesagte deutsch zu wiederholen aufgefordert, welches denn auch allemal ohne die geringste Bemerkung geschah. Man hört einwerfen, daß der Ausbruch der Revolution um zwei Tage zu zeitig gekommen sei, allein, dann hätte demungeachtet doch schon eine gewisse Organisation da und wenigstens für Munition gesorgt sein müssen; allein, hiervon ebenfalls keine Spur. Die Barrikaden wuchsen aufs Geratewohl da aus der Erde, wo sich zehn bis zwölf Menschen zusammen befanden; übrigens hätte man unmöglich mehr aufwerfen können, denn die kleinsten Gassen waren drei- bis viermal verbarrikadiert. Die Munition wurde in den Straßen gegenseitig ausgetauscht und war nur im höchsten Grade spärlich da. Von Oberbefehl, von irgendeinem Kommando war gar keine Rede; die Verteidiger hielten sich da, wo angegriffen wurde, und schossen ohne Leitung, ohne Kommando aus den Häusern und Barrikaden. Wo sollte also bei solch einem ungeleiteten, unorganisierten Widerstande der Gedanke an eine Verschwörung Grund finden, wenn es nicht durch eine offizielle Erklärung und Veröffentlichung der Untersuchung geschähe; allein, die <204> Regierung scheint dieses nicht für angemessen zu finden, denn vom Schlosse aus verlautet nichts, was Prag über seine blutigen Junitage aufklären könnte. Die gefangenen Swornostmitglieder sind bis auf einige wieder freigelassen; andere Gefangene werden es ebenfalls, nur Graf Buquoy, Villány und einige andere sind noch in Haft, und eines schönen Morgens können wir vielleicht ein Plakat an Prags Mauern lesen, nach welchem alles auf einem Mißverständnisse beruht habe. Die Operationen des kommandierenden Generals lassen ebensowenig auf einen Schutz der Deutschen gegen die Tschechen hindeuten; denn anstatt alsdann die deutsche Bevölkerung durch Aufklärung der Sache an sich zu ziehen, die Barrikaden zu nehmen und den "treuen" Bewohnern der Stadt Leben und Eigentum zu schützen, räumt er die Altstadt, zieht auf das linke Moldauufer und schießt Tschechen und Deutsche zusammen, denn die Bomben und Kugeln, welche in die Altstadt flogen, konnten sich unmöglich bloß Tschechen heraussuchen, sondern rissen nieder, ohne auf die Kokarde zu sehen. Wo ist also vernünftigerweise auf eine slawische Verschwörung zu schließen, wenn die Regierung bis jetzt keine Aufklärung verschaffen kann oder will.

Der Bürger Dr. Göschen aus Leipzig hat eine Dankadresse an den Fürst v. Windischgrätz abgefaßt, welcher der General aber doch ja nicht zu viel Wichtigkeit als Ausdruck der Volksstimme beilegen möge. Der Bürger Göschen ist einer von den vorsichtigen Liberalen, die nach den Februartagen plötzlich liberal wurden; er ist der Antragsteller einer Vertrauensadresse an das sächsische Ministerium, das Wahlgesetz betreffend, während ganz Sachsen einen Schrei der Mißbilligung ausstieß, denn ein Sechstel seiner Bewohner, und gerade ein Teil der befähigteren Köpfe, verlor sein erstes bürgerliches Recht, sein Stimmrecht; er ist einer von denen, die sich im Deutschen Vereine entschieden gegen die Zulassung der deutschen Nichtsachsen zur Wahl in Sachsen aussprachen, und - hört, welche Doppelzüngigkeit! - kurze Zeit nachher dem Vereine der in Sachsen wohnenden nichtsächsischen deutschen Staatsbürger zur Wahl eines eigenen Deputierten nach Frankfurt seine ganze Mitwirkung im Namen seines Klubs zusagte; kurz, um ihn mit einem Worte zu charakterisieren, er ist der Gründer des Deutschen Vereins. Dieser Mann richtet eine Dankadresse an den österreichischen General und dankt ihm für den Schutz, den er dem gesamten deutschen Vaterlande habe angedeihen lassen. Ich glaube gezeigt zu haben, daß aus dem Geschehenen noch durchaus nicht erwiesen ist, inwiefern sich der Fürst v. Windischgrätz bis jetzt um das deutsche Vaterland verdient gemacht hat; der Ausgang der Untersuchung erst wird es zeigen. Wir wollen daher "den hohen Mut, die kühne Tatkraft, die feste Ausdauer" des Generals der Geschichte zur Beurteilung anheimstellen und hinsichtlich des Ausdrucks "niedriger Meuchelmord" in betreff des Todes der Fürstin nur erwähnen, daß es keineswegs bewiesen ist, daß jene Kugel für die Fürstin bestimmt gewesen ist, die die ungeteilteste Achtung ganz Prags besessen; ist es der Fall, so wird der Mörder seiner Strafe nicht entgehen, und der Schmerz des Fürsten ist gewiß nicht größer gewesen als der jener Mutter, welche ihre neunzehnjährige Tochter, auch ein unschuldiges Opfer, mit zerschmettertem Kopfe hintragen sah. Was den Ausdruck der Adresse "tapfere Scharen, die so mutvoll unter Ihrer Führung kämpften" betrifft, so bin ich gänzlich mit dem Bürger Göschen einverstanden, denn wenn er wie <205> ich gesehen hätte, mit welchem kriegerischen Ungestüm jene "tapferen Scharen" Montag mittag in der Zeltner Gasse auf die wehrlose Menge einstürmten, so würde er seine Ausdrücke viel zu schwach gefunden haben. Ich selbst muß es gestehen, so wehe es auch meiner militärischen Eitelkeit tut, daß ich mich, als friedfertiger Spaziergänger unter einer Gruppe Frauen und Kinder beim Tempel stehend, samt diesen von dreißig bis vierzig k. k. Grenadieren habe in die Flucht schlagen lassen und so komplett, daß ich meine ganze Bagage, d.h. meinen Hut, den Händen der Sieger überlassen mußte, denn ich fand es überflüssig zu erwarten, bis die hinter mir in den Haufen fallenden Schläge auch mich ereilten, habe aber doch zu bemerken Gelegenheit gehabt, daß sechs Stunden später an der Barrikade der Zeltner Gasse dieselben k. k. Grenadiere es für gut befanden, eine halbe Stunde lang mit Kartätschen und Sechspfündern auf die höchstens mit zwanzig Mann besetzte Barrikade zu schießen und dieselbe dann - doch nicht zu nehmen, bis sie gegen Mitternacht von den Verteidigern verlassen wurde. Zum Handgemenge ist es nicht gekommen, außer in einzelnen Fällen, wo die Übermacht auf seiten der Grenadiere war. Graben und neue Allee sind, den Verwüstungen der Häuser nach zu urteilen, größtenteils durch Artillerie gesäubert worden, und ich lasse es dahingestellt sein, ob es großer Todesverachtung bedarf, eine breite Straße von einem Hundert kaum bewaffneter Verteidiger mit Kartätschenschüssen zu reinigen.

Was nun die letzte Rede des Herrn Dr. Stradal aus Teplitz betrifft, nach welchem "die Prager Blätter zugunsten fremder Zwecke wirkten", also vermutlich russischer, so erkläre ich im Namen der unabhängigen Presse Prags diese Äußerung entweder für ein Übermaß von Unwissenheit oder eine infame Verleumdung, deren Absurdität aus der Haltung unserer Blätter hinlänglich sich erwiesen hat und erweisen wird. Prags freie Presse hat nie eine andere Tendenz als Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit Böhmens und gleiche Berechtigung beider Nationalitäten verteidigt. Sie weiß aber sehr wohl, daß die deutsche Reaktion wie in Posen, wie in Italien, einen engherzigen Nationalismus heraufzubeschwüren sucht, teils um die Revolution im Innern Deutschlands zu unterdrücken, teils um die Soldateska zum Bürgerkrieg heranzubilden.