["The Northern Star" Nr. 544 vom 25. März 1848]
<531> An den Redakteur des "Northern Star"
Sehr geehrter Herr,
nach den bedeutsamen Ereignissen, die in Frankreich vor sich gingen, ist die Haltung des belgischen Volkes und seiner Regierung von größerem Interesse als gewöhnlich. Ich beeile mich daher, Ihren Lesern zu berichten, was sich seit Freitag, dem 25. Februar, zugetragen hat.
Erregung und Unruhe beherrschten die ganze Stadt am Abend jenes Tages. Alle möglichen Gerüchte wurden verbreitet, aber nichts wurde wirklich geglaubt. Eine aus allen Klassen zusammengewürfelte Menschenmenge füllte den Bahnhof und wartete begierig auf das Eintreffen neuer Nachrichten. Selbst der französische Botschafter, Ex-Marquis de Rumigny, war anwesend. Nachts um halb eins traf der Zug mit der erhebenden Nachricht von der Donnerstag-Revolution ein, und die ganze Menge rief in einem spontanen Ausbruch der Begeisterung: "Vive la Republique!" Die Nachricht verbreitete sich schnell über die ganze Stadt. Am Sonnabend war alles ruhig. Jedoch am Sonntag waren die Straßen voller Menschen, und jeder war gespannt darauf, welche Schritte die beiden Gesellschaften - die Demokratische Gesellschaft und die Alliance - unternehmen würden. Beide Körperschaften versammelten sich am Abend. Die Alliance, eine Gruppe von bürgerlichen Radikalen, beschloß abzuwarten und zog sich so von der Bewegung zurück. Die Demokratische Gesellschaft jedoch faßte eine Reihe höchst bedeutsamer Beschlüsse, wodurch sich diese Vereinigung an die Spitze der Bewegung stellte. Es wurde beschlossen, sich täglich zu versammeln, anstatt wöchentlich, und eine <532> Petition an den Stadtrat zu schicken, die nicht nur die Bewaffnung der bürgerlichen Nationalgarde, sondern aller Bürger in den Bezirken forderte. Am Abend gab es in den Straßen einige Unruhen. Die Leute riefen: "Vive la republique" und versammelten sich in Massen um das Rathaus. Einige Verhaftungen wurden vorgenommen, aber nichts von Bedeutung geschah.
Unter den verhafteten Personen waren zwei Deutsche -, ein politischer Emigrant, Herr Wolff, und ein Arbeiter. Sie müssen wissen, daß hier in Brüssel eine Deutsche Arbeiter-Gesellschaft, in der politische und soziale Fragen diskutiert wurden und eine deutsche demokratische Zeitung existierten. Die in Brüssel ansässigen Deutschen waren allgemein als sehr aktive und kompromißlose Demokraten bekannt. Sie waren fast alle Mitglieder der Demokratischen Gesellschaft, und der Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft, Dr. Marx, war ebenfalls Vizepräsident der Demokratischen Gesellschaft.
Die Regierung, die sich des engstirnigen Nationalismus, der in einer bestimmten Klasse der Bevölkerung eines kleinen Landes wie Belgien herrscht, voll bewußt war, nutzte diesen Umstand aus, um das Gerücht zu verbreiten, daß die ganze Agitation für die Republik von den Deutschen ins Werk gesetzt worden sei -, von Männern, die nichts zu verlieren hätten, die wegen schändlicher Vergehen aus drei oder vier Ländern ausgewiesen worden wären und die nun versuchten, sich an die Spitze der beabsichtigten belgischen Republik zu stellen. Diese amüsante Neuigkeit ging am Montag durch die ganze Stadt, und in kaum einem Tag erhob die gesamte Krämeraristokratie, die den Kern der Nationalgarde bildet, ein einmütiges Geschrei gegen die deutschen Rebellen, die ihr glückliches belgisches Vaterland revolutionieren wollen.
Die Deutschen hatten einen Treffpunkt in einem Kaffeehaus vereinbart, wohin jeder die neuesten Nachrichten aus Paris bringen sollte. Aber das Geschrei der Krämeraristokratie war so groß und die Gerüchte von Regierungsmaßnahmen gegen die Deutschen so vielfältig, daß sie gezwungen waren, selbst dieses unschuldige Mittel zur Aufrechterhaltung der Verbindung untereinander aufzugeben.
Am Sonntagabend schon gelang es der Polizei, den Gastwirt, als Eigentümer des Raumes der Deutschen Gesellschaft, zu bewegen, ihr den Raum für künftige Treffen zu verweigern.
Die Deutschen haben sich während dieser Zeit außerordentlich gut verhalten. Obwohl sie den kleinlichsten Verfolgungen durch die Polizei ausgesetzt waren, blieben sie doch auf ihrem Posten. Jeden Abend wohnten sie den <533> Versammlungen der Demokratischen Gesellschaft bei. Sie hielten sich von allen lärmenden Ansammlungen auf den Straßen fern, aber sie bewiesen, obwohl sie sich persönlich exponierten, daß sie in der Stunde der Gefahr ihre belgischen Brüder nicht im Stich lassen würden.
Als sich einige Tage später die außergewöhnliche Erregung vom Sonntag und Montag gelegt hatte, als die Menschen zur Arbeit zurückgekehrt waren, als die Regierung sich von ihrem ersten Schreck erholt hatte, begann eine neue Verfolgungswelle gegen die Deutschen. Die Regierung erließ Verordnungen, nach denen alle ausländischen Arbeiter von dem Augenblick an, wo sie keine Arbeit hatten, des Landes verwiesen werden und alle Ausländer ohne Unterschied, deren Pässe nicht in Ordnung waren, in der gleichen Weise behandelt werden sollten. Durch diese Maßnahmen und die Gerüchte, die verbreitet wurden, brachte man die Meister gegen alle ausländischen Arbeiter auf und machte es jedem Deutschen unmöglich, Arbeit zu finden. Sogar jene, die Arbeit hatten, verloren sie und waren sodann einem Ausweisungsbefehl preisgegeben.
Nicht nur gegen Arbeiter ohne Arbeit, sondern auch gegen Frauen, setzte die Verfolgung ein. Ein junger deutscher Demokrat, der nach französischer und belgischer Sitte mit einer Französin in freier Ehe zusammen lebt und dessen Anwesenheit in Brüssel der Polizei anscheinend ein Dorn im Auge ist -, wurde plötzlich einer Reihe von Drangsalierungen ausgesetzt, die gegen seine Gefährtin gerichtet waren. Ihr, die keine Papiere besaß - und wer hatte jemals zuvor in Belgien daran gedacht, von einer Frau Papiere zu verlangen? -, drohte man mit sofortiger Ausweisung! und die Polizei erklärte, daß es nicht ihretwegen geschähe, sondern der Person wegen, mit der sie zusammen lebe. Siebenmal in drei Tagen war der Polizeikommissar in ihrer Wohnung, mehrere Male mußte sie zu ihm aufs Amt kommen und wurde von einem Agenten zum Polizeipräsidium eskortiert, und wenn nicht ein einflußreicher belgischer Demokrat interpelliert hätte, wäre sie sicher gezwungen gewesen, das Land zu verlassen.
Aber das alles ist noch gar nichts. Die Schikanen gegen Arbeiter - die Verbreitung von Gerüchten, daß man beabsichtige, diese oder jene Person zu verhaften, oder daß eine allgemeine Jagd auf Deutsche in allen Wirtshäusern der Stadt am Dienstagabend bevorsteht -, alles das ist nichts im Vergleich zu dem, was ich jetzt zu berichten habe.
Am Freitagabend <In "The Northern Star" irrtümlich: Sonnabend> erhielt neben anderen Dr. Marx eine königliche Order, worin ihm befohlen wurde, das Land innerhalb von vierundzwanzig Stunden <534> zu verlassen. Er packte gerade seine Koffer für die Reise, als um ein Uhr morgens trotz des Gesetzes, das das Betreten der Wohnung eines Bürgers von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang verbietet, zehn bewaffnete, von einem Kommissar angeführte Polizisten in sein Haus einbrachen, ihn festnahmen und ihn zum Gefängnis des Rathauses führten. Man nannte ihm keinen anderen Verhaftungsgrund, als daß sein Paß nicht in Ordnung wäre, obwohl er ihnen mindestens drei Pässe vorlegte, und obwohl er schon drei Jahre in Brüssel wohnte! Er wurde abgeführt. Seine Frau lief voller Angst sofort zu einem belgischen Anwalt, der seine Dienste immer verfolgten Ausländern angeboten hatte - demselben, dessen freundliche Vermittlung schon oben erwähnt wurde -, Herrn Jottrand, Präsident der Demokratischen Gesellschaft. Als sie zurückkam, traf sie einen belgischen Freund, Herrn Gigot. Er begleitete sie nach Hause. An der Tür des Hauses von Dr. Marx fanden sie zwei der Polizisten vor, die ihren Mann verhaftet hatten. "Wo haben Sie meinen Mann gelassen?" fragte sie. "Nun, wenn Sie uns folgen, werden wir Ihnen zeigen, wo er ist." Sie führten sie gemeinsam mit Herrn Gigot zum Rathaus, aber anstatt ihr Versprechen zu halten, übergaben sie sie beide der Polizei, und man warf sie ins Gefängnis. Frau Marx, die ihre drei kleinen Kinder nur mit einer Hausangestellten zu Hause gelassen hatte, wurde in einen Raum geführt, wo sie eine Gesellschaft von Prostituierten der niedrigsten Sorte vorfand, mit denen sie die Nacht verbringen mußte. Am nächsten Morgen führte man sie in einen ungeheizten Raum, wo sie, vor Kälte zitternd, drei Stunden bleiben mußte. Herr Gigot wurde ebenfalls zurückgehalten. Herrn Marx hatte man mit einem tobenden Irren zusammen in einen Raum gesteckt, gegen den er sich andauernd zur Wehr setzen mußte. Zu diesem schändlichen Vorgehen kam noch eine höchst brutale Behandlung von seiten der Kerkermeister.
Um drei Uhr nachmittags wurden sie endlich vor den Richter geführt, der alsbald ihre Freilassung veranlaßte. Und wessen wurden Frau Marx und Herr Gigot bezichtigt? Der L.andstreicherei, weil keiner von ihnen einen Paß in der Tasche hatte!
Herr Marx war ebenfalls freigelassen worden mit dem Befehl, das Land noch am selben Abend zu verlassen. Und das, nachdem man ihn achtzehn von den vierundzwanzig Stunden, die ihm zur Regelung seiner Angelegenheiten geblieben waren, eingesperrt hatte; nachdem man nicht nur ihn, sondern auch seine Frau die ganze Zeit von ihren drei Kindern getrennt hatte, von denen das älteste noch nicht das vierte Lebensjahr erreicht hat, wies man ihn aus, ohne ihm eine Minute für die Regelung seiner Angelegenheiten zu gewähren.
<535> Herr Gigot war bei seiner Verhaftung erst einen Tag vorher aus dem Gefängnis entlassen worden. Er wurde zusammen mit drei Demokraten aus Lüttich am Montagmorgen um sechs Uhr in einem Hotel festgenommen und wegen Landstreicherei verhaftet, weil sie keine Papiere hatten. Ihre Freilassung sollte am Dienstag erfolgen, sie wurden aber gegen jedes Gesetz bis Donnerstag zurückgehalten. Einer von ihnen, Herr Tedesco, befindet sich immer noch im Gefängnis; keiner weiß, wessen er beschuldigt wird. Er und Herr Wolff werden entweder freigelassen oder im Laufe der Woche vor ein Tribunal gestellt.
Ich muß jedoch sagen, daß sich die belgischen Arbeiter und einige andere Demokraten dieser Nation, besonders Herr Jottrand, sehr anständig gegen die verfolgten Deutschen verhalten haben. Sie haben gezeigt, daß sie über kleinliche, nationalistische Gefühle erhaben sind. Sie sahen in uns nicht Ausländer, sondern Demokraten.
Ich höre, daß ein Verhaftungsbefehl gegen einen belgischen Arbeiter und tapferen Demokraten, nämlich Herrn de Guasco, erlassen worden ist. Ein anderer, Herr Dassy, der vergangenen Sonntag wegen Aufruhrs verhaftet wurde, stand gestern vor dem Tribunal; das Urteil ist noch nicht verkündet worden.
Ich erwarte täglich und stündlich meinen Ausweisungsbefehl, wenn nicht Schlimmeres, denn niemand kann vorhersagen, was diese Belgisch-Russische Regierung wagen wird. Ich halte mich bereit, in der kürzesten Frist abzureisen. Das ist die Lage eines deutschen Demokraten in diesem "freien" Lande, das, wie die Zeitungen melden, der Französischen Republik in nichts nachsteht.
Mit brüderlichem Gruß
Ihr alter Freund
Brüssel, den 5. März