Spaltung innerhalb des Lagers -
Die "Réforme" und der "National" -
Vormarsch der Demokratie
Geschrieben Ende November 1847.
Aus dem Englischen.
["The Northern Star" Nr. 528 vom 4. Dezember 1847]
<409> Seit meinem letzten Artikel sind die Bankette in Lille, Avesnes und Valenciennes durchgeführt worden. Avesnes war durchaus konstitutionell, Valenciennes halb-und-halb, Lille ein entschiedener Triumph der Demokratie über Bourgeoisie-Intrige. Ich gebe hier kurz die Tatsachen dieses äußerst wichtigen Treffens wieder.
Außer den Liberalen und der Partei des "National" waren die Demokraten von der "Réforme" eingeladen, und die Herren Ledru-Rollin und Flocon, Redakteur des letztgenannten Blattes, hatten die Einladung angenommen. Herr Odilon Barrot, der treffliche Bourgeois-Donnerer, war auch eingeladen, Alles war fertig, die Trinksprüche waren vorbereitet, als Herr Odilon Barrot ganz plötzlich erklärte, er könne weder teilnehmen noch zu seinem Trinkspruch "Parlamentarische Reform" sprechen, es sei denn, diese Reform würde durch den Zusatz qualifiziert "als ein Mittel, die Reinheit und Echtheit der im Juli 1830 eroberten Institutionen zu sichern". Dieser Zusatz schloß natürlich die Republikaner aus. Beim Komitee entstand große Bestürzung. Herr Barrot war unerbittlich. Schließlich beschloß man, die Entscheidung der ganzen Versammlung zu überlassen. Die Versammlung erklärte jedoch unumwunden, sie würde keine Änderung des Programms dulden; sie würde das Abkommen nicht verletzen, woraufhin die Demokraten nach Lilie gekommen waren. Herr Odilon Barrot zog sich aufgebracht (scornfully) mit seinem Schwanz liberaler Abgeordneter und Redakteure zurück. Die Herren Flocon und Ledru-Rollin wurden geholt; das Bankett wurde trotz der Liberaler durchgeführt, und die Rede des Herrn Ledru fand stürmischen Beifall.
<410> So endete der verräterische Plan der Bourgeois-Reformer mit einem glorreichen Triumph der Demokratie. Herr Odilon Barrot mußte schmählich abziehen und wird es nie wieder wagen, sein Gesicht in der demokratischen Stadt Lilie zu zeigen. Seine einzige Ausrede war, daß er angenommen hätte, die Herren von der "Réforme" beabsichtigten mit dem Lille-Bankett eine Revolution auszulösen - und das in tiefstem Frieden!
Etliche Tage darauf erhielt Herr Barrot einigen Trost durch das Bankett von Avesnes, einer bloßen Familienversammlung mehrerer Bourgeois-Liberaler. Hier hatte er das Vergnügen, auf den König anzustoßen. In Valenciennes jedoch war er wieder gezwungen, seinen Lieblingstrinkspruch zu unterdrücken, der in Lilie so kläglich unter den Tisch gefallen war. Es gab keinen Toast auf den König, obwohl die schrecklichen unüberlegten Revolutionsmacher nicht dabei waren. Der geschlagene Donnerer wird seine tugendsame Entrüstung hinunterschlucken müssen, bis ein anderes heimliches Bankett ihm gestatten wird, vor den erstaunten Krämern und Lichtziehern irgendwelcher Provinzstädtchen "Anarchismus", "physical forcism" <Lehre von der Anwendung der physischen Gewalt> und "Kommunismus" anzuprangern.
Das Bankett von Lilie löste außerordentliche Diskussionen in der Presse aus. Die konservativen Zeitungen triumphierten über die Spaltung in den Reihen der Reformer. Der alte schläfrige "Constitutionnel" des Herrn Thiers und der "Siècle", Herrn Barrots "eigene" Zeitung, wurden ganz plötzlich von schrecklichsten Krämpfen geschüttelt.
"Nein", rief der entrüstete "Siècle" seinem Krämerpublikum zu, "nein, wir gehören nicht zu diesen Anarchisten, wir haben nichts gemein mit diesen Restaurateuren der Schreckensherrschaft, mit diesen Anhängern von Marat und Robespierre; wir würden ihrer Blutherrschaft das gegenwärtige System vorziehen, sogar wenn es hundertmal schlimmer wäre als es ist."
Das stimmt sogar: Für so friedliche Krämer und Lichtzieher paßt die weiße Nachtmütze hundertmal besser als die rote Mütze der Jakobiner. Jedoch zur gleichen Zeit, als diese Zeitungen der "Réforme" gemeinen und höchst bösartigen Schimpf antaten, behandelten sie den "National" mit äußerster Achtung. Der "National" hat sich dabei tatsächlich mehr als zweifelhaft benommen. Schon beim Bankett von Cosne verurteilte diese Zeitung das Verhalten mehrerer Demokraten, die nicht mitmachen wollten, weil auf des Königs Gesundheit angestoßen wurde. Jetzt sprach sie wieder sehr kühl von dem Bankett zu Lilie und bedauerte den Zwischenfall, der die Kundgebung einen Augenblick lang störte, während einige Verbündete des "National" <411> aus der Provinz das Verhalten der Herren Ledru und Flocon offen angriffen. Die "Réforme" forderte nun von dieser Zeitung eine deutlichere Erklärung. Der "National" erklärte, daß sein Artikel deutlich genug wäre. Was war dann also der bedauerliche Zwischenfall in Lille? fragte die "Réforme". Was bedauern Sie da? Bedauern Sie das Verhalten des Herrn Barrot oder des Herrn Ledru-Rollin? Bedauern Sie die Frechheit oder das Pech des Herrn Barrot? Oder handelt es sich um die Rede des Herrn Ledru für allgemeines Wahlrecht? Bedauern Sie die Niederlage des Monarchismus oder den Triumph der Demokratie? Erkennen Sie das, was Ihre Verbündeten in der Provinz dazu sagen, an oder nicht? Nehmen Sie das Lob des "Siècle" an, oder beziehen Sie einen Teil der Beschimpfungen, mit denen er uns überhäuft, auf sich? Hätten Sie Herrn Marie, Ihrem Freund, geraten, nachzugeben, wenn Herr Odilon Barrot in Orleans ähnliche Ansprüche erhoben hätte? Der "National" erwiderte, aus Parteigründen wollten sie mit der "Réforme" keine Kontroverse haben. Sie wären für Artikel, die von einem ihrer "Freunde" an Provinzzeitungen geschickt werden, nicht verantwortlich. Was die anderen Fragen anbelange, so erlaube ihnen die Vergangenheit des "National", diese unbeachtet zu lassen und sich die Mühe einer Antwort zu sparen. Die "Réforme" antwortete darauf nur mit dieser Bemerkung: "Unsere Fragen bleiben bestehen." Die Demokraten haben nun die Dokumente vor sich liegen - sie mögen selbst urteilen. Das haben sie getan; eine große Anzahl radikaler und sogar liberaler Zeitungen Frankreichs haben sich ganz entschieden für die "Réforme" erklärt.
Das Verhalten des "National" verdient in der Tat schärfste Verurteilung. Diese Zeitung gerät mehr und mehr in die Hände der Bourgeoisie. Sie hat in der letzten Zeit immer die Sache der Demokratie im entscheidenden Moment im Stich gelassen. Sie hat die Vereinigung mit der Bourgeoisie gepredigt und hat bei mehr als einer Gelegenheit niemand anderem als Thiers und Odilon Barrot gedient. Wenn der "National" nicht sehr bald sein Verhalten ändert, wird er aufhören, als demokratische Zeitung zu zählen. Bei der Lille-Affaire hat der "National" aus bloßer persönlicher Antipathie gegen Männer, die radikaler sind als sie, nicht gezögert, diejenigen Prinzipien aufzugeben, auf denen sie ein Bündnis mit den Liberalen geschlossen hatte hinsichtlich der Durchführung von Banketten. Nach dem, was geschehen ist, wird der "National" nie wieder imstande sein, bei künftigen Banketten ernsthaft gegen Trinksprüche auf den König aufzutreten. Die "Vergangenheit" des "National" ist nicht so glänzend, daß er sich erlauben könnte, die Fragen seines Zeitgenossen mit Schweigen zu beantworten. Man denke nur an seine Verteidigung der Pariser Befestigungswerke!
<412> PS. - Das Reform-Bankett von Dijon hat diese Woche stattgefunden. Dreizehnhundert saßen an der Tafel. Die ganze Angelegenheit war vollkommen demokratisch. Kein Trinkspruch auf den König, natürlich. Alle Sprecher gehörten der Partei der "Réforme" an. Die Herren Louis Blanc, Flocon, E[tienne] Arago und Ledru-Rollin waren die Hauptredner. Herr Flocon, Redakteur der "Réforme", brachte einen Trinkspruch auf die ausländischen Demokraten aus und erwähnte die englischen Chartisten in sehr ehrenvoller Weise. Nächste Woche werde ich Ihnen sowohl den vollen Wortlaut seiner Rede als auch einen vollständigen Bericht über den ganzen Verlauf dieser äußerst wichtigen Versammlung geben.