Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 4, S. 407 - 408
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1972

[Friedrich Engels]

[Chartistenbewegung]

Geschrieben am 21. November 1847.
Aus dem Französischen.

["La Réforme" vom 22. November 1847]

<407> Die Eröffnung eines neugewählten Parlaments, dem überdies hervorragende Vertreter der Volkspartei angehören, mußte unweigerlich eine außergewöhnliche Bewegung in den Reihen der demokratischen Kräfte zur Folge haben. Die örtlichen Verbände der Chartisten reorganisieren sich überall. Es mehren sich die Versammlungen; sie schlagen Aktionsmöglichkeiten verschiedenster Art vor und diskutieren sie. Das Exekutivkomitee der Chartistenvereinigung hat jetzt die Leitung dieser Bewegung übernommen und in einer Adresse an die britische Demokratie den Kampagneplan der Partei für die gegenwärtige Session entwickelt.

"In wenigen Tagen", heißt es dort, "wird ein Haus zusammentreten, das es wagt, sich offen vor dem Volke Haus der Gemeinen <Unterhaus des englischen Parlamentes> Englands zu nennen. In wenigen Tagen wird dieses Haus, das von einer einzigen Klasse der Gesellschaft gewählt wurde, seine unrechtmäßige und widerwärtige Arbeit aufnehmen, um die Interessen eben dieser Klasse, zum Schaden des Volkes, zu festigen.

Das Volk muß in Massen von Anbeginn Protest dagegen erheben, daß dieses Haus die gesetzgeberische Gewalt usurpiert hat und nunmehr ausübt. Ihr, die Chartisten des Vereinigten Königreichs, habt dazu alle Möglichkeiten; es ist eure Pflicht, Sie zu nutzen. Wir unterbreiten euch deshalb eine neue nationale Petition für die Charte des Volkes. Setzt eure Unterschriften zu Millionen darunter; sorgt dafür, daß wir sie vorlegen können als den Ausdruck des Willens der Nation, als den feierlichen Protest des Volkes gegen jedes ohne die Zustimmung des Volkes erlassene Gesetz, als eine Bill zur Rückgabe der dem Volk seit Jahrhunderten entrissenen nationalen Souveränität.

Die Petition allein kann aber dem Gebot der Stunde nicht genügen. Wir haben zwar in der gesetzgebenden Versammlung einen Sitz für Herrn O'Connor erobert. Die demokratischen Abgeordneten werden in ihm einen wachsamen Führer voller Tatkraft finden. Aber O'Connor braucht Unterstützung durch den Druck von außen, und diesen Druck von außen, diese starke, Achtung erzwingende öffentliche Meinung, die müßt ihr schaffen. Überall müssen sich die Gruppen unserer Vereinigung reorganisieren, alle früheren Mitglieder müssen sich wieder einreihen, überall müssen Meetings einberufen werden. Überall muß die Diskussion über die Charte auf die Tagesordnung <408> gesetzt werden; alle Ortsverbände müssen Beiträge beschließen, um unsere Kassen aufzufüllen. Seid aktiv, zeigt die alte englische Energie, und die Kampagne, die jetzt ihren Anfang nimmt, wird die ruhmreichste sein, die wir jemals für den Sieg der Demokratie unternommen haben."

Die Gesellschaft der Brüderlichen Demokraten, die sich aus Demokraten fast aller europäischen Nationen zusammensetzt, hat sich jetzt gleichfalls ganz und gar der chartistischen Agitation offen angeschlossen. Sie hat folgende Resolution angenommen:

"In Erwägung, daß das englische Volk im Kampf um die Demokratie in den anderen Ländern nur in dem Maße wirksamen Beistand geben kann, wie es für sich selbst die Herrschaft der Demokratie errungen hat;

daß es zu den Pflichten unserer zur Unterstützung der kämpferischen Demokratie aller Länder gegründeten Gesellschaft gehört, sich den Bemühungen der englischen Demokraten um eine Wahlreform auf der Basis der Charte anzuschließen;

verpflichtet sich die Gesellschaft der Brüderlichen Demokraten, mit allen ihren Kräften die Agitation für die Volkscharte fördern zu helfen."

Diese brüderliche Gesellschaft, die die hervorragendsten Demokraten in London, Engländer sowohl wie Ausländer, zu ihren Mitgliedern zählt, gewinnt an Bedeutung von Tag zu Tag. Sie ist so stark gewachsen, daß die Londoner Liberalen es für richtig befunden haben, ihr eine bürgerliche Internationale Liga entgegenzustellen, die von hervorragenden Vertretern des Freihandels im Parlament geleitet wird. Diese neue Vereinigung, an deren Spitze die Herren Dr. Bowring, Oberst Thompson und andere Verfechter der Handelsfreiheit stehen, hat kein anderes Ziel, als unter den Ausländern Propaganda für den Freihandel, unter dem Deckmantel philanthropischer und liberaler Phrasen, zu treiben. Aber es scheint, daß sie nicht recht vom Fleck kommt. In den sechs Monaten ihres Bestehens hat sie fast nichts getan, während die Brüderlichen Demokraten offen gegen jeden Akt der Unterdrückung aufgetreten sind, von welcher Seite der Versuch auch ausging. Deshalb haben sich auch die englischen und ausländischen demokratischen Bewegungen, soweit sie in London vertreten sind, den Brüderlichen Demokraten angeschlossen und haben gleichzeitig erklärt, daß sie sich nicht für die Interessen der freihändlerischen Fabrikanten Englands ausnutzen lassen werden.