Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 4, S. 399 - 406
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1972

[Friedrich Engels]

Die Reformbewegung in Frankreich

Geschrieben Anfang November 1847.
Aus dem Englischen.


["The Northern Star" Nr. 526 vom 20. November 1847]

<399> Als während der letzten Session der gesetzgebenden Versammlung Herr E[mile] de Girardin jene zahlreichen und skandalösen Korruptionsfälle ans Tageslicht brachte, von denen er annahm, daß sie die Regierung zu Fall bringen würden, als sich die Regierung am Ende doch gegen den Sturm behauptet hatte, als die berühmten Zweihundertfünfundzwanzig <die Mehrheit der Deputiertenkammer, die die Regierung Guizot unterstützte> erklärten, daß sie von der Unschuld des Kabinetts "überzeugt" seien, schien alles vorbei zu sein, und die Opposition im Parlament fiel gegen Ende der Session in dieselbe Hilflosigkeit und Lethargie zurück, die sie am Anfang gezeigt hatte. Aber es war doch nicht alles vorbei. Die Herren Rothschild, Fould, Fulchiron und Co. waren zwar zufrieden, aber das Volk war es nicht und ein großer Teil der Bourgeoisie auch nicht. Die Mehrheit der französischen Bourgeoisie, besonders die mittlere und kleinere Bourgeoisie, mußte erkennen, daß die jetzigen Wähler mehr und mehr zu gehorsamen Dienern einer kleinen Gruppe von Bankiers, Börsenmaklern, Eisenbahnspekulanten, großen Fabrikanten, Grund- und Bergwerksbesitzern geworden waren, deren Interessen die einzigen sind, um die sich die Regierung kümmerte. Sie begriffen, daß für sie keine Hoffnung bestand, jemals die Stellung in den Kammern wiederzuerlangen, die sie seit 1830 mit jedem Tage mehr verloren hatten, solange sie nicht das Wahlrecht ausdehnten. Sie wußten, daß der Versuch einer Wahl- und Parlamentsreform für sie ein gefährliches Experiment war; aber was blieb ihnen anderes übrig? Da sie sahen, daß die Regierung und beide Kammern von der haute finance <Finanzaristokratie>, den Königen der Pariser Börse, gekauft waren, daß man ihre eigenen Interessen offen mit Füßen trat, standen <400> sie vor der Wahl, sich entweder geduldig zu fügen und demütig und bescheiden zu warten, bis die Habgier der herrschenden money lords sie an den Bettelstab gebracht hatte, oder eine Parlamentsreform zu wagen. Sie zogen das letztere vor.

Die Opposition aller Schattierungen schloß sich daher vor etwa vier Monaten zusammen, um eine Kundgebung für die Wahlreform zu veranstalten. Ein öffentliches Bankett wurde vorbereitet, das im Juli in den Festsälen des Château-Rouge zu Paris stattfand. Alle Gruppen von Reformern waren vertreten, und es war eine ziemlich bunte Gesellschaft; aber die Demokraten als die aktivsten hatten offensichtlich die Oberhand. Sie hatten ihre Teilnahme nur unter der Bedingung zugesagt, daß man nicht auf die Gesundheit des Königs trinken, sondern statt dessen ein Hoch auf die Herrschaft des Volkes ausbringen werde. Da das Komitee genau wußte, daß in der demokratischsten Stadt Frankreichs eine wirksame Kundgebung ohne die Demokraten unmöglich war, mußte es nachgehen. Wenn ich mich richtig erinnere, veröffentlichten Sie damals einen ausführlichen Bericht über dieses Bankett, das in jeder Beziehung mehr als alles andere eine Demonstration der Stärke der Demokratie in Paris war, sowohl in zahlenmäßiger als auch in intellektueller Hinsicht.

Das "Journal des Débats" versäumte nicht, ein fürchterliches Geschrei, über dieses Bankett zu erheben.

"Was! Kein Toast auf den König? Und dieser Trinkspruch wurde nicht aus Nachlässigkeit oder aus Mangel an Anstand unterlassen - O nein, ein Teil der Veranstalter machte seine Unterlassung zur Bedingung für ihre Unterstützung! Da haben sich ja der ruhige und friedfertige Herr Duvergier de Hauranne - der Verfechter der moralischen Gewalt und königstreue Herr Odilon Barrot mit einer feinen Gesellschaft eingelassen! Das ist nicht bloß Republikanismus, physical forcism <Lehre von der Anwendung physischer Gewalt>, Sozialismus, Utopismus, Anarchismus und Kommunismus! O nein, meine Herren, wir durchschauen Sie - wir haben genügend Beispiele Ihrer blutigen Taten kennengelernt; wir können beweisen, wofür Sie kämpfen! Vor 50 Jahren, meine Herren, nannten Sie sich Klub der Jakobiner!"

Am nächsten Tage beantwortete der "National" das grimmig-wilde Knurren der zornschnaubend-gemäßigten Zeitung mit einer Flut von Zitaten aus Louis Philippes persönlichem Tagebuch von 1790 und 1791, wonach die Aufzeichnungen des damaligen "Citizen Égalité < Bürger Gleichheit (Name, den der Herzog von Orleans, Vater Louis-Philippes, in der Französischen Revolution annahm)> junior" jeden Tag mit den Worten begannen: "Heute war ich bei den Jakobinern" - "Heute erlaubte ich <401> mir, ein paar Worte an die Jakobiner zu richten, die mit herzlichem Beifall aufgenommen wurden" - "Heute wurde ich zum Amt des Torhüters der Jakobiner berufen" etc.

Das Zentralkomitee der Opposition hatte seine Freunde im ganzen Lande aufgefordert, dem Beispiel ihrer Metropole zu folgen und überall ähnliche Bankette für die Reform zu veranstalten. Das geschah denn auch, und in fast allen Teilen Frankreichs wurde eine große Anzahl Bankette zur Unterstützung der Reform gegeben. Aber nicht überall konnte die gleiche Einmütigkeit unter allen Gruppen der Reformer erzielt werden. In vielen Kleinstädten waren die Bourgeois-Liberalen stark genug, um den Trinkspruch auf die Gesundheit des Königs durchzusetzen, wodurch die Demokraten von der Teilnahme ausgeschlossen wurden. In anderen Ortschaften versuchten sie, den Trinkspruch in folgender Form durchzubringen: "Auf den konstitutionellen König und die Herrschaft des Volkes." Da die Demokraten damit auch nicht einverstanden waren, griff man zu einer neuen List und ersetzte den "konstitutionellen König" durch die "konstitutionellen Einrichtungen", in denen das Königtum natürlich stillschweigend mit einbegriffen war. Unter den Liberalen auf dem Lande erhob sich nun die große Frage, ob sie sogar auf diese Formulierung verzichten und alle Versuche aufgeben sollten, in irgendeiner Form auf die Gesundheit des Königs zu trinken, oder ob sie offen mit den Demokraten brechen sollten, die in diesem Fall ihre eigenen Bankette veranstaltet und ihnen schwere Konkurrenz gemacht hätten. Denn die demokratische Partei bestand auf der ursprünglichen Vereinbarung, daß der König bei der ganzen Angelegenheit überhaupt nicht erwähnt werden sollte, und wenn auch der "National" in einem Fall etwas schwankte, so stand doch die Partei der "Réforme" fest auf der republikanischen Seite. In den Großstädten mußten die Liberalen überall nachgeben, und wenn sie auch in den weniger wichtigen Ortschaften auf die Gesundheit des Königs getrunken haben, so war das nur deshalb möglich, weil solche Bankette eine Menge Geld kosten und das Volk daher natürlicherweise davon ausgeschlossen ist. Anläßlich des Banketts von Bar-le-Duc schrieb die "Réforme":

"Diejenigen, die sich einbilden, daß solche Kundgebungen Ausdruck der öffentlichen Meinung in Frankreich sind, irren sich ganz gewaltig; sie werden allein von der Bourgeoisie durchgeführt, und das Volk ist davon ausgeschlossen. Wenn diese Bewegung weiterhin innerhalb der engen Grenzen eines Bar-le-Duc-Banketts verläuft, wird sie wie alle Bourgeois-Bewegungen wieder verschwinden, ebenso wie die Freihandelsbewegung nach einigen hohlen Reden ziemlich bald das Zeitliche segnete."

Das erste große Bankett nach dem Pariser Bankett fand Anfang September in Straßburg statt. Es war ziemlich demokratisch, und zum Schluß <402> brachte ein Arbeiter ein Hoch auf die Organisation der Arbeit aus. Damit bezeichnet man in Frankreich das, was man in England mit der National Association of United Trades <Landesassoziation der vereinigten Gewerbe> durchzuführen versucht, nämlich, die Befreiung der Arbeit von der Unterdrückung durch das Kapital, indem man Industrie, Landwirtschaft und andere Gebiete unter einer demokratischen Regierung entweder zugunsten der vereinigten Arbeiter selbst oder zugunsten des gesamten Volkes weiterführt.

Dann folgten die Bankette von Bar-le-Duc, eine Kundgebung der Bourgeoisie, die der Bürgermeister mit einem Trinkspruch auf die Gesundheit des konstitutionellen Königs abschloß (wirklich äußerst konstitutionell); die Bankette von Colmar, Reims und Meaux, welche alle völlig von der Bourgeoisie beherrscht wurden, die in diesen zweitrangigen Städten stets ihren Willen durchsetzen konnte.

Aber das Bankett von Saint-Quentin war wieder mehr oder weniger demokratisch, und das von Orléans in den letzten Septembertagen war von Anfang bis Ende ein völlig demokratisches Treffen. Das beweist der Trinkspruch auf die Arbeiterklasse, den Herr Marie ausbrachte, einer der gefeiertsten Anwälte von Paris und ein Demokrat. Er eröffnete seine Ansprache mit folgenden Worten:

"An die Arbeiter, an jene Männer, die stets vernachlässigt und vergessen worden sind, aber immer den Interessen ihres Landes treu dienten, die immer bereit waren, dafür zu sterben, sei es für die Verteidigung ihrer Heimat gegen Überfälle von außen, sei es für den Schutz unserer Institutionen, wenn sie von Feinden im Inland bedroht werden! An jene, von denen wir die Julitage forderten und die sie uns gaben; die schrecklich sind in ihren Taten, hochherzig in ihrem Sieg und herrlich in ihrer Tapferkeit, Aufrichtigkeit und Selbstlosigkeit!"

Er schloß den Toast mit den Worten: "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit!" Es ist charakteristisch, daß das Bankett zu Orléans das einzige war, auf dem offiziell Gedecke für die Vertreter der Arbeiterklasse reserviert waren.

Die Bankette von Coulommiers, Melun und Cosne waren allerdings wieder ausschließlich Zusammenkünfte der Bourgeoisie. Das "Links-Zentrum", die Bourgeois-Liberalen des "Constitutionnel" und des "Siècle" ergötzten sich an den Reden der Herren Barrot, Beaumont, Drouyn de Lhuys und ähnlicher Reformkrämer. In Cosne sprachen sich die Demokraten offen gegen die Kundgebung aus, weil man auf den Trinkspruch für den König bestanden hatte. Dieselbe Enge des Geistes herrschte auf dem Bankett von La Charité an der Loire.

<403> Das Bankett von Chartres war dagegen völlig demokratisch. Kein Trinkspruch auf den König, sondern auf eine weitestgehende Wahl- und Parlamentsreform, Trinksprüche auf Polen und Italien, auf die Organisation der Arbeit.

In dieser Woche werden Bankette in Lille, Valenciennes und Avesnes und im ganzen nördlichen Departement stattfinden. Zumindest die Treffen von Lille und Valenciennes werden höchstwahrscheinlich eine entschieden demokratische Wendung nehmen. Im Süden Frankreichs, in Lyon und im Westen, werden ebenfalls Kundgebungen vorbereitet. Die Reformbewegung ist noch lange nicht abgeschlossen.

Sie ersehen aus diesem Bericht, daß die Reformbewegung von 1847 von Anfang an durch den Kampf zwischen Liberalen und Demokraten gekennzeichnet ist, daß, während die Liberalen in allen kleineren Ortschaften ihren Willen durchsetzten, die Demokraten in allen großen Städten stärker waren: in Paris, Straßburg, Orleans, Chartres und sogar in einer kleineren Stadt, nämlich in Saint-Quentin, daß die Liberalen sehr viel Wert auf die Unterstützung durch die Demokraten legten, daß sie sich drehten und wanden und Konzessionen machten, während die Demokraten nicht um Haaresbreite von den Bedingungen abwichen, die sie für ihre Unterstützung gestellt hatten, und daß die Demokraten auf allen Treffen, an denen sie teilnahmen, den Sieg davontrugen. So schlug die ganze Bewegung schließlich zugunsten der Demokratie um, denn alle jene Bankette, die irgendwie öffentliches Interesse erregten, waren durchweg demokratisch.

Die Reformbewegung wurde von den im September tagenden Räten der Departements unterstützt, die sich vollkommen aus Bourgeois zusammensetzen. Die Räte der Departements von Côte-d'Or, Finistère, Aisne, Moselle, Haut-Rhin, Oise, der Vogesen, des Nordens und andere forderten mehr oder weniger umfangreiche Reformen, die natürlich alle innerhalb der Schranken des Bourgeois-Liberalismus bleiben.

Aber wie, werden Sie fragen, sehen die verlangten Reformen aus? Es gibt so viele verschiedene Reformvorschläge, wie es Schattierungen der Liberalen und Radikalen gibt. Die Mindestforderung ist die Ausdehnung des Wahlrechts auf die Kapazitäten - die Sie in England vielleicht als Akademiker bezeichnen -, auch wenn sie nicht die 200 Francs direkter Steuern zahlen, durch die man heutzutage das Wahlrecht bekommt. Die Liberalen fernerhin haben einige andere Vorschläge mehr oder weniger mit den Radikalen gemeinsam. Sie lauten:

1. Die Ausdehnung der Unvereinbarkeit, d.h. die Erklärung, daß gewisse Regierungsämter mit den Funktionen eines Abgeordneten unvereinbar sind.

<404> Die Regierung hat gegenwärtig mehr als 150 ihrer untergeordneten Angestellten in der Deputiertenkammer, die alle jederzeit entlassen werden können und daher gänzlich vom Kabinett abhängig sind.

2. Die Erweiterung einiger Wahlbezirke; einige davon haben weniger als 150 Wähler, diese unterliegen daher völlig dem Einfluß, den die Regierung auf ihre lokalen und persönlichen Interessen ausübt.

3. Die Wahl aller Deputierten eines Departements in einer Wählervollversammlung, die in der entsprechenden Hauptstadt des Departements stattfindet, so daß die lokalen Interessen mehr oder weniger in den allgemeinen Interessen des ganzen Departements untertauchen und auf diese Weise Korruption und Einfluß der Regierung unwirksam gemacht werden.

Außerdem gibt es Vorschläge, die Bedingungen des Zensus stufenweise zu verringern. Der radikalste dieser Vorschläge kam von dem "National", der Zeitung der republikanischen Kleingewerbetreibenden, der das Wahlrecht auf alle Angehörigen der Nationalgarde ausdehnen will. Das würde der ganzen Klasse von Kleingewerbetreibenden und Händlern das Stimmrecht geben und das Wahlrecht in demselben Maße ausdehnen wie bei der Reformbill in England, aber die Folgen einer solchen Maßnahme würden in Frankreich von weit größerer Bedeutung sein. Die Kleinbourgeoisie wird in diesem Lande von den Großkapitalisten derartig unterdrückt und ausgepreßt, daß sie zu direkten aggressiven Maßnahmen gegen die money lords greifen muß, sobald sie das Wahlrecht erhalten hat. Wie ich bereits vor Monaten in einem Ihnen übersandten Artikel darlegte, würde sie sich immer stärker mitreißen lassen, sogar gegen ihren eigenen Willen; sie wäre gezwungen, entweder ihre bereits errungenen Positionen aufzugeben oder ein offenes Bündnis mit der Arbeiterklasse zu schließen, und das würde über kurz oder lang zur Republik führen. In gewissem Maße ist sie sich dessen auch bewußt. Ihre Mehrheit unterstützt das allgemeine Wahlrecht. So auch der "National", der die obenerwähnte Maßnahme nur soweit unterstützt, wie sie als ein vorbereitender Schritt auf dem Weg zur Reform betrachtet wird. Unter allen Pariser Tageszeitungen gibt es jedoch nur eine, die sich mit nichts weniger als dem allgemeinen Wahlrecht zufrieden gibt und die unter dem Begriff "Republik" nicht nur politische Reformen versteht, welche am Ende die Arbeiterklasse in demselben Elend lassen werden wie zuvor - sondern soziale Reformen, und zwar ganz bestimmte Reformen. Diese Zeitung ist die "Réforme".

Man darf jedoch nicht glauben, daß die Reformbewegung heute die einzige in Frankreich ist. Ganz im Gegenteil! Auf all diesen Banketten, ganz gleich, ob liberal oder demokratisch, war die Bourgeoisie vorherrschend, und lediglich an dem Bankett von Orleans nahmen auch Arbeiter teil. Die Arbei- <405> terbewegung läuft neben diesen Banketten her, ganz in der Stille, unterirdisch und fast unsichtbar für jeden, der sie nicht aufmerksam verfolgt. Aber sie ist heute stärker denn je zuvor. Die Regierung weiß das recht gut. Sie hat all diese Bankette der Bourgeoisie gestattet, aber als die Druckereiarbeiter von Paris im September die Genehmigung für ihr Jahrestreffen einholen wollten, das bisher alljährlich stattgefunden hatte und absolut keinen politischen Charakter trug, wurde sie ihnen verweigert. Die Regierung hat so große Angst vor der Arbeiterklasse, daß sie ihr nicht die geringste Freiheit läßt. Sie hat Angst, weil das Volk alle Versuche, Erhebungen und Aufstände zu machen, vollkommen aufgegeben hat. Die Regierung ersehnt einen Aufstand, sie provoziert ihn mit allen Mitteln. Die Polizei wirft kleine Bomben mit Flugblättern aufrührerischen Inhalts ab, die bei der Explosion über die ganze Straße verstreut werden. Ein Streitfall in einer Werkstatt der Rue Saint-Honoré wurde zu höchst brutalen Angriffen auf das Volk benutzt, um es zu Aufruhr und Gewalttätigkeit herauszufordern. Zehntausende versammelten sich 14 Tage lang jeden Abend; man behandelte sie auf die schändlichste Weise; sie waren nahe daran, Gewalt mit Gewalt zu vergelten, aber sie blieben standhaft und gaben der Regierung keinen Vorwand, die Gesetzesschraube noch enger anzuziehen. Man stelle sich vor, was für ein stillschweigendes Einvernehmen, was für ein gemeinsames Gefühl für das, was zu tun war, in diesem Moment geherrscht haben muß, was für eine Überwindung es das Volk von Paris gekostet haben muß, lieber eine so schändliche Behandlung zu ertragen, als einen hoffnungslosen Aufstand zu wagen. Was für einen enormen Fortschritt bedeutet doch diese Selbstbeherrschung gerade bei den Arbeitern von Paris, die selten auf die Straßen gegangen sind, ohne alles, was ihnen in den Weg kam, kurz und klein zu schlagen, denen Aufstände zur Gewohnheit geworden sind und die in eine Revolution genauso fröhlich wie in eine Weinschenke marschieren. Aber wenn man daraus die Schlußfolgerung ziehen würde, daß das revolutionäre Feuer des Volkes im Verlöschen ist, wäre man im Irrtum. Im Gegenteil, die Arbeiterklasse hier fühlt stärker denn je zuvor die Notwendigkeit einer Revolution, die viel durchgreifender, viel radikaler ist als die erste. Aber sie weiß aus ihren Erfahrungen von 1830, daß der Kampf allein nicht genügt, daß sie, wenn der Feind erst einmal geschlagen ist, Maßnahmen ergreifen muß, die die Beständigkeit ihres Sieges gewährleisten, die nicht nur die politische, sondern auch die gesellschaftliche Macht des Kapitals zerstören, die ihr gesellschaftlichen Wohlstand und auch politische Stärke sichern. Daher wartet sie sehr ruhig die passende Gelegenheit ab, vertieft sich aber inzwischen ernsthaft in das Studium jener sozial-ökonomischen Fragen, deren Lösung zeigen wird, welche Maßnahmen allein den <406> Wohlstand aller auf fester Grundlage herbeiführen können. Innerhalb von ein bis zwei Monaten wurden in den Werkstätten von Paris 6.000 Exemplare des Buches von Herrn Louis Blanc über "Die Organisation der Arbeit" verkauft, wobei man noch in Betracht ziehen muß, daß vorher bereits fünf Auflagen von diesem Buch erschienen sind. Die Arbeiter lesen außerdem eine Reihe von anderen Werken zu diesen Problemen; sie treffen sich in kleinen Gruppen von zehn bis zwanzig Mann und diskutieren die verschiedenen Pläne, die darin vorgeschlagen werden. Sie sprechen nicht viel über die Revolution, da sie eine Angelegenheit ist, über die keine Zweifel bestehen und über die sich alle einig sind; wenn der Augenblick gekommen ist, in dem der Zusammenstoß zwischen Volk und Regierung unvermeidlich ist, werden sie auf den Straßen und Plätzen sein und in Blitzesschnelle das Pflaster aufreißen, Omnibusse, Wagen und Kutschen quer über die Straßen legen, jede Allee verbarrikadieren, jede enge Gasse zu einer Festung machen und allem Widerstand zum Trotz von der Bastille gegen die Tuilerien vorrücken. Dann, fürchte ich, werden sich die hohen Herren der Reformbankette in der dunkelsten Ecke ihrer Häuser verkriechen oder wie welkes Laub vor dem Gewitter des Volkes auseinandergewirbelt werden. Dann ist es aus mit den Herren Odilon Barrot, de Beaumont und anderen liberalen Großmäulern, und dann wird das Volk sie genauso unbarmherzig verurteilen, wie sie heute die konservativen Regierungen verurteilen.