Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 4, S. 384 - 386
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1972

[Friedrich Engels]

[Das Bankett der Chartisten zur Feier der Wahlen von 1847]

Geschrieben am 1. November 1847
Aus dem Französischen.


["La Réforme vom 6. November 1847]

<384> Vorgestern hatte ich mich in einem Brief bemüht, die Chartisten und ihren Führer Feargus O'Connor gegen die Angriffe der Zeitungen der radikalen Bourgeoisie zu verteidigen. Ich kann Ihnen heute, zu meiner großen Genugtuung, eine Begebenheit mitteilen, die bestätigt, was ich über den Geist der beiden Parteien behauptet habe. Sie werden dann selbst urteilen, wem die demokratische Bewegung Frankreichs ihre Sympathien bewahren soll, den Chartisten, also aufrichtigen Demokraten ohne Hinterhalt, oder den radikalen Bourgeois, die so sorgsam Worte wie Volkscharte oder allgemeines Wahlrecht vermeiden und sich darauf beschränken, ihren Glauben an das volle Wahlrecht zu proklamieren!

Vergangenen Monat fand in London ein Bankett statt, um den Triumph der demokratischen Überzeugungen bei den letzten Wahlen zu feiern. Achtzehn radikale Abgeordnete waren geladen, aber da die Initiative zu diesem Bankett von den Chartisten ausgegangen war, blieben alle diese Herren fern - mit Ausnahme von O'Connor. Man sieht also, die Radikalen legen ein Verhalten an den Tag, das sehr wohl darauf schließen läßt, wie treu sie ihren jüngsten Wahlversprechen bleiben werden.

Man kam ohne sie aus - um so mehr, als sie uns einen so ehrenwerten Vertreter zugeteilt hatten, den Dr. Epps, schüchtern, Kleinkramreformator; ein Geist, versöhnlich gegenüber jedermann, nur nicht gegenüber aktiven und energischen Verfechtern unserer Ansichten; ein bürgerlicher Philanthrop, der, wie er sagt, darauf brennt, das Volk zu befreien, der aber nicht möchte, daß sich das Volk ohne ihn befreie, ein würdiger Anhänger also des bürgerlichen Radikalismus.

Dr. Epps brachte als erster einen Toast auf die Souveränität des Volkes aus, der aber trotz einiger etwas lebhafterer Passagen im allgemeinen so lau war, daß die Versammlung mehrmals anfing, unruhig zu werden.

<385> "Ich glaube nicht", sagte er, "daß sich die Souveränität des Volkes durch eine Revolution erreichen läßt. Die Franzosen haben drei Tage lang gekämpft; ihre nationale Souveränität ließ man vor ihren Augen geschickt verschwinden. Ich glaube auch nicht, daß sie sich durch große Reden erreichen läßt. Die am wenigsten reden, schaffen am meisten. Ich liebe jene Männer nicht, die viel Lärm machen; und es sind nicht die großen Worte, die zu großen Maßnahmen führen."

Diese indirekten Ausfälle gegen die Chartisten wurden mit zahlreichen Zeichen des Mißfallens aufgenommen. Das konnte auch gar nicht anders sein, besonders als Dr. Epps noch hinzufügte:

"Man hat die Bourgeoisie bei den Arbeitern verleumdet; als ob nicht gerade die Bourgeoisie die Klasse wäre, die allein den Arbeitern politische Rechte verschaffen kann! ('Nein! nein!') Nein? sind es nicht die Bourgeois, die wählen? Und sind nicht die Wähler die einzigen, die das Wahlrecht jenen geben können, die es nicht haben? Ist etwa einer unter Euch, der nicht ein Bourgeois werden möchte, wenn er es könnte? Ja, wenn die Arbeiter von den Kneipen und vom Tabak ließen, dann hätten sie Geld übrig, um ihre politische Agitation zu unterstützen, und sie hätten so eine Kraftquelle, die zu ihrer Emanzipation beitragen würde, usw. usw."

So sehen die Reden der Leute aus, die O'Connor und die Chartisten ablehnen!

Die Redner nach Herrn Epps wiesen unter zahlreichen Beifallskundgebungen der Versammelten die seltsamen Theorien des radikalen Doktors mit machtvoller Energie zurück.

Herr MacGrath, Mitglied des Exekutivkomitees der Chartistenvereinigung, erinnerte daran, daß das Volk kein Vertrauen in die Bourgeoisie setzen dürfe und daß es seine Rechte selbst erobern müsse: es entspricht nicht der Würde des Volkes, zu betteln um das, was ihm gehört.

Herr Jones erinnerte die Versammelten daran, daß die Bourgeoisie das Volk immer vergessen hat; und jetzt, sagte er, wo die Bourgeoisie merkt, daß die demokratische Bewegung Fortschritte macht, jetzt will sie sich zuerst der Demokraten bedienen, um die Landaristokratie zu stürzen, um dann die Demokraten zu vernichten, sowie sie ihr Ziel erreicht hat.

Herr O'Connor antwortete Herrn Epps noch deutlicher und fragte ihn, wer denn das Land durch die Last einer enormen Verschuldung erdrückt habe, wenn nicht die Bourgeoisie? Wer, wenn nicht die Bourgeoisie, habe Arbeiter ihrer politischen und sozialen Rechte beraubt? Wer, wenn nicht siebzehn ehrenwerten Bürger, denen die Demokraten unseligerweise ihre Stimme gegeben, haben es am heutigen Abend abgelehnt, der Einladung des Volkes zu entsprechen? Nein, nein, das Kapital repräsentiert niemals die <386> Arbeit! Eher wird Friede werden zwischen Tiger und Schaf, ehe Kapitalisten und Arbeiter in ihren Interessen und Gefühlen eins werden!

Der Redakteur des "Northern Star", Herr Harney, brachte den letzten Toast aus: "Auf unsere Brüder, die Demokraten aller Länder! Auf den Erfolg ihrer Bemühungen um Freiheit und Gleichheit!" Die Könige, die Aristokraten, die Priester, die Kapitalisten aller Länder, sagte er, sind untereinander verbündet. Mögen die Demokraten aller Länder der Erde ihrem Exempel folgen! Überall rückt die demokratische Bewegung mit Riesenschritten vor. In Frankreich fordert ein Bankett nach dem anderen die Wahlreform, und die Bewegung nimmt derartige Ausmaße an, daß sie zu einem glücklichen Ergebnis führen muß. Hoffen wir, daß diesmal die Massen die Nutznießer der Agitation sind, und daß die Reform, die die Franzosen erzwingen werden, mehr taugt als jene, die wir im Jahre 1831 erhielten.

Es gibt keine wahre Reform, solange die Souveränität nicht voll und ganz der Nation gehört; es gibt keine nationale Souveränität, solange die Prinzipien der Verfassung von 1793 nicht Wirklichkeit geworden sind.

Herr Harney gab anschließend eine Übersicht über die Fortschritte der demokratischen Bewegung in Deutschland, in Italien, in der Schweiz, und zum Schluß lehnte auch er auf das allerenergischste die seltsamen Theorien des Herrn Epps über die Rechte der Bourgeoisie ab.