Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 4, S. 191 - 203
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1972

[Karl Marx]

Der Kommunismus des "Rheinischen Beobachters"

Geschrieben am 5. September 1847.

["Deutsche-Brüsseler-Zeitung" Nr. 73 vom 12. September 1847]

<191>  Brüssel, 5. September. - In Nr. 70 dieses Blattes wird ein Artikel des "Rh[einischen] Beobachters" mit den Worten eingeleitet:

"Der 'Rh[einische] B[eobachter]' predigt in Nr. 206 Kommunismus wie folgt."

Mag diese Bemerkung ironisch gemeint sein oder nicht, die Kommunisten müssen dagegen protestieren, daß der "Rheinische Beobachter" "Kommunismus" predigen könne, speziell dagegen, daß der in Nr. 70 der "D[eutschen] B[rüsseler]-Z[eitung]" mitgeteilte Artikel kommunistisch sei.

Wenn eine gewisse Fraktion deutscher Sozialisten fortwährend gegen die liberale Bourgeoisie gepoltert hat, und zwar in einer Weise, die niemandem Vorteil brachte als den deutschen Regierungen, wenn jetzt Regierungsblätter wie der "Rh[einische] Beobachter", auf die Phrasen dieser Leute gestützt, behaupten, nicht die liberale Bourgeoisie, sondern die Regierung repräsentiere die Interessen des Proletariats, so haben die Kommunisten weder mit der ersteren noch mit der letzteren etwas gemein.

Man hat den deutschen Kommunisten allerdings die Verantwortlichkeit hierfür zuschieben wollen, man hat sie der Allianz mit der Regierung beschuldigt.

Diese Anschuldigung ist lächerlich. Die Regierung kann sich nicht mit den Kommunisten, die Kommunisten können sich nicht mit der Regierung verbinden, aus dem einfachen Grunde, weil die Kommunisten von allen revolutionären Parteien Deutschlands die allerrevolutionärste sind und weil die Regierung das besser weiß als irgend jemand anders.

Die Kommunisten sollten sich mit einer Regierung verbinden, von welcher sie zu Hochverrätern erklärt und als solche behandelt werden?

<192> Die Regierung sollte in ihren Organen Grundsätze propagieren, welche in Frankreich für anarchisch, brandstifterisch, zersetzend für alle gesellschaftlichen Verhältnisse gelten und welchen diese selbe Regierung eben dieselbigen Eigenschaften fortwährend zuschreibt?

Es ist kein Gedanke daran. Betrachten wir den sogenannten Kommunismus des "Rheinischen Beobachters"" und wir werden finden, daß er sehr unschuldig ist.

Der Artikel hebt an:

"Wenn wir unsre (!) soziale Lage betrachten, so zeigen sich überall die größten Übelstände und die dringendsten Bedürfnisse (!), und wir müssen es sagen, es ist viel versäumt. Das liegt tatsächlich vor, und es entsteht nur (!) die Frage, woher es kommt. Wir sind überzeugt, unsre Verfassung ist nicht schuld daran, denn (!) in Frankreich und England steht es (!) mit der sozialen Lage noch viel schlimmer. Gleichwohl (!) sucht der Liberalismus das Heilmittel nur in der Repräsentation; wäre das Volk vertreten, so würde es sich ja helfen. Das ist freilich ganz illusorisch, aber ebenso (!) höchst (!!) plausibel."

In diesem Satze sieht man den "Beobachter" leibhaftig vor sich, wie er verlegen um einen Anfang an der Feder kaut, spekuliert, schreibt, ausstreicht, wieder schreibt und so endlich nach einem beträchtlichen Zeitraum den obigen prächtigen Passus zustande bringt. Um auf den Liberalismus zu kommen, sein erbeigentümliches Steckenpferd, fängt er an mit "unsrer sozialen Lage", also genaugenommen der sozialen Lage des "Beobachters", die allerdings ihre Unannehmlichkeiten haben mag. Vermittelst der höchst trivialen Beobachtung, daß unsere soziale Lage miserabel und daß viel versäumt ist, gelangt er auf dem Wege einiger sehr dornenvollen Sätze auf einem Punkte an, wo ihm nur die Frage entsteht, woher es kommt. Diese Frage entsteht ihm aber nur, um sofort wieder zu verschwinden. Der "Beobachter" sagt es uns nämlich nicht, woher es kommt, er sagt uns auch nicht, woher es nicht kommt, er sagt uns bloß, wovon er überzeugt ist, daß es nicht kommt, und das ist natürlich die preußische Verfassung. Von der preußischen Verfassung gelangt er vermittelst eines kühnen "denn" nach Frankreich und England, und von hier hat er natürlich bis zum preußischen Liberalismus nur einen kleinen Sprung, den er, gestützt auf ein möglichst unmotiviertes "Gleichwohl", mit Leichtigkeit vollbringt. Und so ist er endlich auf jenem beliebten Terrain angelangt, wo er ausrufen kann: "Das ist freilich ganz illusorisch, aber ebenso höchst plausibel." Aber ebenso höchst!!!

Sollten die Kommunisten so gesunken sein, daß man ihnen die Vaterschaft solcher Sätze, solcher klassischen Übergänge, solcher mit Leichtigkeit entstehenden und verschwindenden Fragen, solcher famosen Nur, Denn und <193> Gleichwohl und namentlich der Wendung: "aber ebenso höchst" zumuten könnte?

Außer dem "alten Feldherrn" Arnold Ruge gibt es nur wenig Männer in Deutschland, die so schreiben können, und diese wenigen sind sämtlich Konsistorialräte im Ministerium des Herrn Eichhorn.

Auf den Inhalt dieses Einleitungspassus einzugehen, kann nicht verlangt werden. Er hat keinen andern Inhalt als seine unbeholfene Form, er ist nur das Tor, durch welches wir in die Hallen treten, wo unser beobachtender Konsistorialrat einen Kreuzzug gegen den Liberalismus predigt.

Hören wir zu:

"Der Liberalismus hat vorweg den Vorteil, daß er sich dem Volke in leichteren und gefälligeren Formen nähert als die Bürokratie." (Allerdings, so schwerfällig und eckig schreibt selbst Herr Dahlmann oder Gervinus nicht.) "Er spricht von Volkswohl und Volksrechten. In Wahrheit aber schiebt er das Volk nur vor, um damit die Regierung einzuschüchtern; es gilt ihm nur als Kanonenfutter in dem großen Sturme gegen die Regierungsgewalt. Die Staatsgewalt an sich zu reißen, das ist die wahre Tendenz des Liberalismus, das Volkswohl ist ihm nur Nebensache."

Glauben der Herr Konsistorialrat, dem Volke hiermit irgend etwas Neues gesagt zu haben? Das Volk, und namentlich der kommunistische Teil des Volkes, weiß sehr wohl, daß die liberale Bourgeoisie nur ihr eigenes Interesse verfolgt, daß auf ihre Sympathien fürs Volk wenig zu bauen ist. Wenn aber der Herr Konsistorialrat hieraus den Schluß ziehen, daß die liberalen Bourgeois das Volk, soweit es sich an der politischen Bewegung beteiligt, für ihre Zwecke exploitieren, so müssen wir ihm antworten: Das ist freilich ganz plausibel für einen Konsistorialrat, aber ebenso höchst illusorisch.

Das Volk oder, um an die Stelle dieses weitschichtigen, schwankenden Ausdrucks den bestimmten zu setzen, das Proletariat räsoniert ganz anders, als man im geistlichen Ministerium sich träumen läßt. Das Proletariat fragt nicht, ob den Bourgeois das Volkswohl Nebensache oder Hauptsache sei, ob sie die Proletarier als Kanonenfutter gebrauchen wollen oder nicht. Das Proletariat fragt nicht, was die Bourgeois bloß wollen, sondern was sie müssen. Es fragt, ob der jetzige politische Zustand, die Herrschaft der Bürokratie, oder der von den Liberalen erstrebte, die Herrschaft der Bourgeoisie, ihm mehr Mittel bieten wird, seine eignen Zwecke zu erreichen. Dazu hat es nur nötig, die politische Stellung des Proletariats in England, Frankreich und Amerika mit der in Deutschland zu vergleichen, um zu sehen, daß die Herrschaft der Bourgeoisie dem Proletariat nicht nur ganz neue Waffen zum Kampf gegen die Bourgeoisie in die Hand gibt, sondern ihm auch eine ganz andere Stellung, eine Stellung als anerkannte Partei verschafft.

<194> Glauben denn der Herr Konsistorialrat, das Proletariat, das mehr und mehr der kommunistischen Partei sich anschließt, das Proletariat werde die Preßfreiheit, die Assoziationsfreiheit nicht zu benutzen wissen? Er lese doch die englischen und französischen Arbeiterblätter, er besuche doch einmal ein einziges Chartisten-Meeting!

Aber im geistlichen Ministerium, wo der "Rh[einische] Beobachter" redigiert wird, hat man absonderliche Vorstellungen vom Proletariat. Man glaubt, mit pommerschen Bauern oder Berliner Eckenstehern zu tun zu haben. Man meint, die äußersten Grenzen des Tiefsinns erreicht zu haben, wenn man dem Volke nicht mehr panem et circenses <Brot und (Zirkus-)Spiele>, sondern panem et religionem <Brot und Religionen> verspricht. Man bildet sich ein, das Proletariat wünsche, daß ihm geholfen werde, man denkt nicht daran, daß es von niemand anders als von sich selbst Hülfe erwartet. Man ahnt nicht, daß das Proletariat den Redensarten der Herren Konsistorialräte von "Volkswohl" und schlechter sozialer Lage ebensosehr auf den Grund sieht wie den ähnlichen Redensarten der liberalen Bourgeois.

Und warum ist den Bourgeois das Volkswohl Nebensache? Der "Rh[ei nische] Beobachter" antwortet:

"Der Vereinigte Landtag hat es bewiesen, die Perfidie des Liberalismus liegt vor Augen. An der Einkommensteuer sollte der Liberalismus die Probe bestehen, und er hat sie nicht bestanden."

Diese wohlmeinenden Konsistorialräte, die sich in ihrer ökonomischen Unschuld einbilden, sie könnten dem Proletariat mit der Einkommensteuer Sand in die Augen streuen!

Die Schlacht- und Mahlsteuer liegt direkt auf dem Arbeitslohn, die Einkommensteuer liegt auf dem Profit des Kapitals. Höchst plausibel, Herr Konsistorialrat, nicht wahr? Aber die Kapitalisten werden und können sich ihre Profite nicht so ungestraft besteuern lassen. Die Konkurrenz führt das schon mit sich. In wenig Monaten nach Einführung der Einkommensteuer würde also der Arbeitslohn um gerade so viel herabgesetzt sein, als er durch die Aufhebung der Schlacht- und Mahlsteuer, durch die damit erniedrigten Preise der Lebensmittel effektiv gestiegen war.

Der Stand des nicht in Geld, sondern in den dem Arbeiter nötigen Lebensbedürfnissen ausgedrückten Arbeitslohns, d.h. der Stand des reellen, nicht nominellen Arbeitslohns hängt von dem Verhältnis von Nachfrage und Angebot ab. Ein veränderter Steuermodus kann für den Augenblick eine Störung verursachen, auf die Dauer aber nichts daran ändern.

<195> Der einzige ökonomische Vorteil der Einkommensteuer ist der, daß sie wohlfeiler zu erheben ist, und davon spricht der Konsistorialrat nicht. Das Proletariat gewinnt übrigens auch durch diesen Umstand nichts.

Worauf läuft also das ganze Gerede von der Einkommensteuer hinaus?

Erstens, das Proletariat ist bei der ganzen Sache gar nicht oder nur momentan interessiert.

Zweitens, die Regierung, die bei der Erhebung der Schlacht- und Mahlsteuer täglich mit dem Proletariat direkt in Berührung kommt, ihm gehässigerweise gegenübertritt, die Regierung steht bei der Einkommensteuer im Hintergrunde und zwingt die Bourgeoisie, die gehässige Tätigkeit des Lohndrückens ganz zu übernehmen.

Die Einkommensteuer würde also nur der Regierung vorteilhaft sein und daher der Ärger der Konsistorialräte über ihre Verwerfung.

Aber wir wollen selbst für einen Augenblick zugeben, daß das Proletariat bei der Sache interessiert sei; durfte dieser Landtag sie bewilligen?

Keineswegs. Er durfte gar keine Gelder bewilligen, er mußte das Finanzsystem ganz so lassen, wie es war, solange die Regierung nicht alle seine Forderungen erfüllt hatte. Die Verweigerung der Gelder ist in allen parlamentarischen Versammlungen das Mittel, wodurch die Regierung gezwungen wird, der Majorität nachzugehen. Diese konsequente Geldverweigerung ist das einzige, worin der Landtag sich energisch benahm, und daher müssen die enttäuschten Konsistorialräte gerade diese vor dem Volk zu verdächtigen suchen.

"Und doch", heißt es weiter im "Rh[einischen] Beob[achter]", "haben die Organe des Liberalismus recht eigentlich die Einkommensteuer aufs Tapet gebracht."

Ganz recht, und sie ist auch eine reine Bourgeois-Maßregel. Darum können die Bourgeois sie doch verweigern, wenn sie ihnen zur unrechten Zeit von Ministern vorgeschlagen wird, denen sie keine drei Schritt weit trauen können.

Wir nehmen übrigens dies Geständnis über die Vaterschaft der Einkommensteuer zu den Akten; es wird uns später von Nutzen sein.

Nach einigem möglichst leeren und verworrenen Geschwätz stolpert der Konsistorialrat plötzlich folgendermaßen über das Proletariat:

"Was heißt das, Proletariat?" (Dies ist abermals eine von den Fragen, die nur entstehen, um nicht beantwortet zu werden.) "Es ist keine Übertreibung, wenn wir" (d.h. die Konsistorialräte vom "Rh[einschen] B[eobachter]", nicht aber die übrigen profanen Zeitungen) "sagen: Ein Drittel des Volks hat keinen Boden seiner Existenz, und ein anderes Drittel steht auf der Neige. Die Sache der Proletarier ist die Sache der großen Majorität des Volks, die Kardinalfrage."

<196> Wie schnell doch ein einziger Vereinigter Landtag mit etwas Opposition diese Bürokraten zur Räson bringt! Wie lange ist es her, seit die Regierung den Zeitungen verbat, solche Übertreibungen zu behaupten, als hätten wir in Preußen ein Proletariat? seit der "Trier'schen Zeitung" u.a. - dieser Unschuldigen! - mit dem Verbot gedroht wurde, weil sie französische und englische schlechte Proletariatszustände böswilligerweise als auch in Preußen existierend vorstellig machen wollte? Doch wie die Regierung will. Nehmen wir ebenfalls zu den Akten, daß die große Majorität des Volks Proletarier sind.

"Der Landtag", heißt es weiter, "hat die Prinzipienfrage für die Kardinalfrage angesehen, d.h. die Frage, ob die hohe Versammlung die Staatsgewalt bekommen solle. Und was sollte das Volk bekommen? Keine Eisenbahn, keine Rentenbanken, keine Steuererleichterung! Glückseliges Volk!"

Man merke, wie unser glattgescheitelter Konsistorialrat allmählich das Fuchsohr zu zeigen beginnt. "Der Landtag hat die Prinzipienfrage für die Hauptfrage angesehen." Heilige Einfalt dieser liebevollen Blindschleichen! Die Frage, ob man der Regierung 30 Millionen Anleihe, eine Einkommensteuer von nicht vorauszubestimmendem Ertrag, eine Rentenbank, womit sie 400-500 Millionen auf die Domänen aufnehmen kann - ob man das alles dieser gegenwärtigen liederlichen und reaktionären Regierung zur Disposition stellen und sie dadurch auf ewige Zeiten unabhängig machen, oder ob man sie knapp halten, sie durch Entziehung der Gelder zur Unterwerfung unter die öffentliche Meinung bringen soll, das nennt so ein Leisetreter von Konsistorialrat die Prinzipienfrage!

"Und was soll das Volk bekommen?" fragt der teilnehmende Konsistorialrat. "Keine Eisenbahn" - es wird also auch keine Steuern zu zahlen haben, um die Zinsen der Anleihe und den bei dem Betrieb dieser Bahn unausbleiblichen großen Verlust zu decken.

"Keine Rentenbanken!" Tut unser Konsistorialrat nicht gerade so, als habe die Regierung den Proletariern Renten geben wollen? Aber im Gegenteil, sie wollte dem Adel Renten geben, die das Volk bezahlen sollte. Den Bauern sollte dadurch der Abkauf der Frondienste erleichtert werden. Wenn die Bauern noch einige Jahre warten, so werden sie wahrscheinlich nicht mehr nötig haben, sie abzukaufen. Wenn die Fronherren unter die Heugabeln der Bauern geraten, und das könnte sehr leicht einmal kommen, so hören die Frondienste von selbst auf.

"Keine Einkommensteuer." Aber solange die Einkommensteuer dem Volk kein Einkommen bringt, kann sie ihm ganz gleichgültig sein.

"Glückseliges Volk", fährt der Konsistorialrat fort, "du hast doch die Prinzipienfrage gewonnen! Und wenn du nicht verstehst, was das für ein Ding ist, so laß es dir <197> von deinen Repräsentanten erklären; während der langen Rede wirst du vielleicht deinen Hunger vergessen!"

Wer wagt noch zu sagen, die deutsche Presse sei nicht frei? Der "Rh[einische] Beob[achter]" gebraucht hier ganz ungestraft eine Wendung, die manche französische Provinzialjury ohne weiteres für eine Aufreizung der verschiedenen Klassen der Gesellschaft gegeneinander erklären und bestrafen lassen würde.

Der Konsistorialrat benimmt sich übrigens schrecklich unbeholfen. Er will dem Volk schmeicheln und traut ihm nicht einmal zu, zu wissen, was die Prinzipienfrage für ein Ding sei. Dafür, daß er an seinem Hunger Teilnahme heucheln muß, rächt er sich, indem er es für dumm, für politisch unfähig erklärt. Das Proletariat weiß so gut, was die Prinzipienfrage für ein Ding ist, daß es dem Landtage nicht vorwirft, sie gewonnen zu haben, sondern, sie nicht gewonnen zu haben. Das Proletariat wirft dem Landtage vor, daß er sich defensiv gehalten, daß er nicht angegriffen hat, daß er nicht zehnmal weiter gegangen ist. Es wirft ihm vor, daß er nicht entschieden genug auftrat, um dem Proletariat die Beteiligung an der Bewegung möglich zu machen. Das Proletariat konnte sich freilich nicht für die ständischen Rechte interessieren. Aber ein Landtag, der Geschworenengerichte, Gleichheit vor dem Gesetz, Aufhebung der Frondienste, Preßfreiheit, Assoziationsfreiheit und eine wirkliche Repräsentation verlangt, ein Landtag, der ein für allemal mit der Vergangenheit gebrochen und seine Forderungen nach den Bedürfnissen der Zeit eingerichtet hätte statt nach den alten Gesetzen, solch ein Landtag konnte auf die kräftigste Unterstützung des Proletariats rechnen.

Der "Beobachter" fährt fort:

"Und möge Gott geben, daß dieser Landtag nicht die Regierungsgewalt absorbiert, sonst wäre allen sozialen Verbesserungen ein unüberwindlicher Hemmschuh angelegt."

Der Herr Konsistorialrat möge sich beruhigen. Ein Landtag, der mit der preußischen Regierung nicht einmal fertig wurde, mit dem wird das Proletariat im Notfall schon fertig werden.

"Es ist gesagt worden", beobachtet der Konsistorialrat weiter, "die Einkommensteuer führe zur Revolution, zum Kommunismus. Zur Revolution - allerdings, d.h. zu einer Umgestaltung der sozialen Verhältnisse, zur Beseitigung des grenzenlosen Elends."

Entweder will der Konsistorialrat sich über sein Publikum mokieren und nur sagen: Die Einkommensteuer beseitigt das grenzenlose Elend, um das begrenzte Elend an seine Stelle zu setzen, und dergleichen schlechte Berliner <198> Witze mehr -, oder er ist der größte und unverschämteste Ignorant in ökonomischen Dingen, den es gibt. Er weiß nicht, daß in England die Einkommensteuer seit sieben Jahren besteht und kein einziges soziales Verhältnis umgestaltet, kein Haarbreit grenzenlosen Elends beseitigt hat. Er weiß nicht, daß da, wo in Preußen das grenzenloseste Elend existiert, in den schlesischen und ravensbergischen Weberdörfern, bei den kleinen schlesischen, posenschen, Mosel- und Weichselbauern, daß da gerade die Klassensteuer, d.h. die Einkommensteuer besteht.

Doch wer kann auf solche Abgeschmacktheiten ernsthaft antworten. Weiter heißt es:

"Auch zum Kommunismus, wie man ihn eben versteht ... Wo durch Handel und Gewerbe alle Verhältnisse so miteinander verflochten und in Fluß gebracht sind, daß der einzelne sich im Strome der Konkurrenz nicht halten kann, da ist er durch die Natur der Verhältnisse an die Gesellschaft gewiesen, welche die Folgen der allgemeinen Fluktuationen im einzelnen ausgleichen muß. Da ist die Gesellschaft für das Bestehen ihrer Mitglieder solidarisch verpflichtet."

Da hätten wir ja den Kommunismus des "Rh[einischen] Beobachters". Also: In einer Gesellschaft wie der unsrigen, wo kein Mensch seiner Existenz, seiner Lebenslage sicher ist, hat die Gesellschaft die Verpflichtung, jedem seine Existenz sicherzustellen. Erst gesteht der Konsistorialrat, daß die bestehende Gesellschaft dies nicht kann, und dann verlangt er von ihr, sie soll dies ihr Unmögliche doch tun.

Aber sie soll das im einzelnen nachholen, worauf sie in ihren allgemeinen Fluktuationen keine Rücksicht nehmen kann, so versteht es der Konsistorialrat.

"Ein Drittel des Volks hat keinen Boden seiner Existenz und ein anderes Drittel steht auf der Neige."

Also zehn Millionen Individuen, bei denen im einzelnen auszugleichen ist. Glaubt der Konsistorialrat allen Ernstes, die pauvre <armselige> preußische Regierung werde das fertigbringen?

Allerdings, und zwar vermittelst der Einkommensteuer, welche zum Kommunismus führt, wie der "Rh[einische] Beobachter" ihn eben versteht.

Vortrefflich. Nachdem man uns verworrenes Zeug über angeblichen Kommunismus vorgeschwatzt, nachdem man erklärt hat, die Gesellschaft sei für das Bestehen ihrer Mitglieder solidarisch verpflichtet, sie müsse für sie sorgen, obwohl sie dies nicht könne, nach allen diesen Verirrungen, Widersprüchen, <199> unmöglichen Forderungen wird uns noch zugemutet, die Einkommensteuer als die Maßregel anzunehmen" die alle Widersprüche lösen, alle Unmöglichkeiten möglich machen, die die Solidarität aller Gesellschaftsglieder herstellen soll.

Wir verweisen auf Herrn von Duesbergs Denkschrift über die Einkommensteuer, die dem Landtag vorgelegt wurde. In dieser Denkschrift war bereits für den letzten Groschen des Ertrags der Einkommensteuer Verwendung gefunden. Die bedrängte Regierung hatte keinen Heller übrig zur Ausgleichung der allgemeinen Fluktuationen im einzelnen, zur Erfüllung der solidarischen Verpflichtungen der Gesellschaft. Und wenn statt zehn Millionen nur zehn Einzelne durch die Natur der Verhältnisse an den Herrn von Duesberg gewiesen worden wären, der Herr von Duesberg hätte die zehn abweisen müssen.

Aber nein, wir täuschen uns; außer der Einkommensteuer hat der Herr Konsistorialrat noch ein anderes Mittel zur Einführung des Kommunismus, wie er ihn eben versteht:

"Was ist das A und das O des christlichen Glaubens? Das Dogma von der Erbsünde und der Erlösung. Und darin liegt die solidarische Verbindung der Menschheit in ihrer höchsten Potenz; Einer für Alle und Alle für Einen."

Glückseliges Volk! Die Kardinalfrage ist für ewige Zeiten gelöst. Das Proletariat wird unter den doppelten Fittichen des preußischen Adlers und des heiligen Geistes zwei unerschöpfliche Lebensquellen finden: erstens den Überschuß der Einkommensteuer über die gewöhnlichen und außergewöhnlichen Staatsbedürfnisse, welcher Überschuß gleich Null ist; und zweitens die Revenüen aus den himmlischen Domänen der Erbsünde und Erlösung, welche ebenfalls gleich Null sind. Diese beiden Nullen geben einen prächtigen Boden ab für das eine Drittel des Volks, welches keinen Boden seiner Existenz hat, eine gewaltige Stütze für das andere Drittel, welches auf der Neige steht. Allerdings imaginäre Überschüsse, Erbsünde und Erlösung werden den Hunger des Volks ganz anders stillen als die langen Reden der liberalen Deputierten! Weiter heißt es:

"Wir beten auch im 'Vaterunser': 'Führe uns nicht in Versuchung'. Und was wir für uns erbitten, das sollen wir selbst gegen unsere Nebenmenschen üben. Unsre sozialen Zustände versuchen aber allerdings den Menschen, und das Übermaß der Not reizt zum Verbrechen."

Und wir, die Herren Bürokraten, Richter und Konsistorialräte des preußischen Staats, üben diese Rücksicht, indem wir nach Herzenslust rädern, köpfen, einsperren und auspeitschen lassen und dadurch die Proletarier "in <200> Versuchung führen", uns später ebenfalls rädern, köpfen, einsperren und auspeitschen zu lassen. Was auch nicht ausbleiben wird.

"Solche Zustände", erklärt der Herr Konsistorialrat, "darf ein christlicher Staat nicht dulden, er muß dem abhelfen."

Ja, mit absurden Windbeuteleien über die solidarischen Verpflichtungen der Gesellschaft, mit imaginären Überschüssen und nicht akzeptablen Wechseln auf Gott Vater, Sohn und Kompanie.

"Auch das ohnehin langweilige Gerede über den Kommunismus kann man sparen", meint unser beobachtender Herr Konsistorialrat. "Wenn nur diejenigen, die den Beruf dazu haben, die sozialen Prinzipien des Christentums entwickeln, dann werden die Kommunisten bald verstummen."

Die sozialen Prinzipien des Christentums haben jetzt achtzehnhundert Jahre Zeit gehabt, sich zu entwickeln, und bedürfen keiner ferneren Entwicklung durch preußische Konsistorialräte.

Die sozialen Prinzipien des Christentums haben die antike Sklaverei gerechtfertigt, die mittelalterliche Leibeigenschaft verherrlicht und verstehen sich ebenfalls im Notfall dazu, die Unterdrückung des Proletariats, wenn auch mit etwas jämmerlicher Miene, zu verteidigen.

Die sozialen Prinzipien des Christentums predigen die Notwendigkeit einer herrschenden und einer unterdrückten Klasse und haben für die letztere nur den frommen Wunsch, die erstere möge wohltätig sein.

Die sozialen Prinzipien des Christentums setzen die konsistorialrätliche Ausgleichung aller Infamien in den Himmel und rechtfertigen dadurch die Fortdauer dieser Infamien auf der Erde.

Die sozialen Prinzipien des Christentums erklären alle Niederträchtigkeiten der Unterdrücker gegen die Unterdrückten entweder für gerechte Strafe der Erbsünde und sonstigen Sünden oder für Prüfungen, die der Herr über die Erlösten nach seiner unendlichen Weisheit verhängt.

Die sozialen Prinzipien des Christentums predigen die Feigheit, die Selbstverachtung, die Erniedrigung, die Unterwürfigkeit, die Demut, kurz alle Eigenschaften der Kanaille, und das Proletariat, das sich nicht als Kanaille behandeln lassen will, hat seinen Mut, sein Selbstgefühl, seinen Stolz und seinen Unabhängigkeitssinn noch viel nötiger als sein Brot.

Die sozialen Prinzipien des Christentums sind duckmäuserisch, und das Proletariat ist revolutionär.

Soviel über die sozialen Prinzipien des Christentums.

Weiter:

<201> "Wir haben die soziale Reform als den vornehmsten Beruf der Monarchie erkannt."

Haben wir? Bisher war davon die Rede gar nicht. Doch es sei. Und worin besteht die soziale Reform der Monarchie? In der Durchsetzung einer den Organen des Liberalismus gestohlenen Einkommensteuer, die Überschüsse bieten soll, von denen der Finanzminister nichts weiß, in den verunglückten Landrentenbanken, in der preußischen Ostbahn und namentlich in dem Profit eines ungeheuren Kapitals von Erbsünde und Erlösung!

"Dazu rät das Interesse des Königtums selbst" - wie tief muß also das Königtum gesunken sein!

"Dies fordert die Not der Gesellschaft" - welche für den Augenblick viel mehr Schutzzölle als Dogmen fordert.

"Dies empfiehlt das Evangelium" - dies empfiehlt überhaupt alles, nur nicht der erschrecklich öde Zustand der preußischen Staatskasse, jenes Abgrundes, der binnen drei Jahren die 15 russischen Millionen unwiederbringlich verschlungen haben wird. Das Evangelium empfiehlt übrigens sehr viel, unter anderem auch die Kastration, als Anfang der sozialen Reform bei sich selbst. Matth[äus] 25.

"Das Königtum", erklärt unser Herr Konsistorialrat, "ist mit dem Volke eins."

Diese Redensart ist nur eine andere Form für das alte "l'état c'est moi" <"der Staat bin ich">, und zwar ganz genau dieselbe Form, die Ludwig XVI. am 23. Juni 1789 gegen seine rebellischen Stände gebrauchte: Wo Ihr nicht gehorcht, so schicke ich Euch nach Hause - "et seul je ferai le bonheur de mon peuple" <"dann werde ich allein für das Wohl meines Volkes sorgen">.

Das Königtum muß schon sehr bedrängt sein, wenn es sich zu dem Gebrauche dieser Form entschließt, und unser gelehrter Herr Konsistonalrat weiß gewiß, wie sich das französische Volk damals bei Ludwig XVI. für ihre Anwendung bedankte.

"Der Thron", versichert der Herr Konsistorialrat ferner, "muß auf der breiten Basis des Volks ruhen, da steht er am besten."

Solange nämlich die breiten Schultern diesen beschwerlichen Überbau nicht mit einem gewaltigen Ruck in die Gosse werfen.

"Die Aristokratie", so schließt der Herr Konsistorialrat, "läßt dem Königtum seine Würde und gibt ihm einen poetischen Schmuck, entzieht ihm aber die reelle Macht. Das Bürgertum raubt ihm die Macht wie die Würde und gibt ihm nur eine Zivilliste. Das Volk bewahrt dem Königtum seine Macht, seine Würde und seine Poesie."

<202> In diesem Passus nimmt der Herr Konsistorialrat unglücklicherweise den renommistischen Appell Friedrich Wilhelms an Sein Volk in der Thronrede zu ernsthaft. Sein letztes Wort ist: Sturz der Aristokratie, Sturz der Bourgeoisie, Herstellung einer auf das Volk sich stützenden Monarchie.

Wären diese Forderungen nicht reine Phantasien, so wurden sie eine vollständige Revolution in sich schließen.

Wir wollen gar nicht einmal darauf eingehen, daß die Aristokratie nicht anders gestürzt werden kann als durch die Bourgeoisie und das Volk zusammen, daß eine Herrschaft des Volks in einem Lande, wo Aristokratie und Bourgeoisie noch nebeneinander bestehen, ein reiner Unsinn ist. Auf solche Fabeleien eines Eichornschen Konsistorialrats kann man nicht durch ernsthafte Entwicklungen antworten.

Wir wollen denjenigen Herren, die das geängstete preußische Königtum durch einen Salto mortale ins Volk retten möchten, nur einige wohlwollende Bemerkungen machen.

Das Volk ist von allen politischen Elementen für einen König das allergefährlichste. Nicht das Volk, von dem Friedrich Wilhelm spricht, das sich für einen Fußtritt und einen Silbergroschen mit tränenden Augen bedankt; dies Volk ist durchaus ungefährlich, denn es existiert nur in der Einbildung des Königs. Aber das wirkliche Volk, die Proletarier, die kleinen Bauern und der Pöbel, das ist, wie Hobbes sagt, puer robustus, sed malitiosus, ein robuster und bösartiger Knabe, und laßt sich weder von mageren noch von fetten Königen zum besten haben.

Dies Volk würde vor allen Dingen von Sr. Majestät eine Konstitution nebst allgemeinem Stimmrecht, Assoziationsfreiheit, Preßfreiheit und andere unangenehme Dinge erzwingen.

Und wenn es das alles hätte, so würde es dies dazu benutzen, um möglichst rasch die Macht, die Würde und die Poesie des Königtums zu erklären.

Der gegenwärtige würdige Inhaber dieses Königtums wurde sich glücklich schätzen können, wenn das Volk ihn als öffentlichen Deklamator beim Berliner Handwerkerverein mit 250 Taler Zivilliste und einer kühlen Blonden täglich anstellte.

Wenn die Herren Konsistorialräte, die jetzt das Geschick der preußischen Monarchie und des "Rhein[ischen] Beobachters" lenken, daran zweifeln sollten, so mögen sie sich nur einmal die Geschichte ansehen. Die Geschichte stellt den Königen, die an Ihr Volk appellierten, noch ganz andere Horoskope.

Karl I. von England appellierte auch an Sein Volk von seinen Ständen. Er rief sein Volk zu den Waffen gegen das Parlament. Das Volk aber erklärte sich <203> gegen den König, warf alle Mitglieder, die nicht das Volk repräsentierten, zum Parlament hinaus und ließ schließlich durch das so zum wirklichen Repräsentanten des Volks gewordene Parlament den König köpfen. Damit endigte der Appell Karls I. an Sein Volk. Solches geschah am 30. Januar 1649 und erlebt im Jahre 1849 sein zweihundertjähriges Jubiläum.

Ludwig XVI. von Frankreich appellierte ebenfalls an Sein Volk. Er appellierte drei Jahre hindurch immer von einem Teil des Volks an den andern, er suchte Sein Volk, das wahre Volk, das für ihn begeisterte Volk und fand es nirgends. Zuletzt fand er es im Lager von Koblenz, hinter den Reihen der preußischen und österreichischen Armee. Das ward aber seinem Volke in Frankreich zu arg. Am 10. August 1792 sperrte es den Appellanten in den Temple <Staatsgefängnis während der Französischen Revolution (1789-1794)> und berief den Nationalkonvent, der es in jeder Beziehung repräsentierte.

Dieser Konvent erklärte sich kompetent, um über den Appell des Exkönigs zu urteilen, und schickte nach einigen Beratungen den Appellanten auf den Revolutionsplatz, wo er am 21. Januar 1793 guillotiniert wurde.

Das kommt davon, wenn die Könige an Ihre Völker appellieren. Was aber davon kommt, wenn die Konsistorialräte eine demokratische Monarchie stiften wollen, müssen wir erst abwarten.