Geschrieben Ende Februar 1847.
Aus dem Englischen.
["The Northern Star" Nr. 489 vom 6. März 1847]
<30> Endlich ist das lang erwartete Kunstwerk da! Endlich ist Preußen - wenn wir der "Times", dem "Globe", einigen französischen und einigen deutschen Blättern Glauben schenken - in die Reihen der konstitutionellen Länder eingetreten. Der "Northern Star" hat jedoch bereits genügend bewiesen, daß diese sogenannte Verfassung nichts anderes ist als eine dem preußischen Volk gestellte Falle, um es um die Rechte zu betrügen, die der verstorbene König zu einer Zeit, als er die Hilfe des Volkes brauchte, versprochen hatte. Daß dem so ist, daß Friedrich Wilhelm mit dieser sogenannten Verfassung Geld zu bekommen versucht, ohne verpflichtet zu sein, der öffentlichen Meinung Konzessionen zu machen, steht völlig außer Zweifel. Die demokratischen Zeitungen aller Länder - in Frankreich besonders der "National" und die "Réforme", ja sogar das ministerielle "Journal des Débats" - stimmen darin überein. Die gefesselte deutsche Presse stammelt Worte, die keinen anderen Schluß zulassen, als daß die Bewegungspartei in Preußen sich völlig im klaren ist über die schlauen Absichten ihres "offenherzigen, edelmütigen" Königs. Es ergibt sich also folgende Frage: Wird der König mit seinen Plänen Erfolg haben? Wird der Vereinigte Landtag entweder dumm oder feige genug sein, eine neue Anleihe zu bewilligen, ohne dem Volke umfassende Freiheiten zu sichern, und auf diese Weise dem König die Mittel geben, das gegenwärtige System beliebig lange fortzusetzen?
Wir antworten: Nein, er wird es nicht, er kann es nicht.
Der bisher befolgte Regierungsplan in Preußen war das Ergebnis der Wechselbeziehungen des Adels und der Bourgeoisie in Preußen. Der Adel <31> hat zuviel von seiner früheren Kraft, seinem Wohlstand und Einfluß verloren, um den König so zu beherrschen, wie er das früher getan hatte. Die Bourgeoisie war noch nicht stark genug, das Bleigewicht des Adels, das ihren kommerziellen und industriellen Fortschritt einengte, abzuwerfen. So war der König, der die Zentralmacht des Staates repräsentiert und unterstützt wird von der zahlenmäßig starken Klasse der Regierungsbeamten und Offiziere, abgesehen davon, daß ihm die Armee zur Verfügung steht, in der Läge, die Bourgeoisie durch den Adel und den Adel durch die Bourgeoisie niederzuhalten, indem er einmal den Interessen der einen und ein andermal den Interessen der andern schmeichelte und soviel wie möglich den Einfluß beider ins Gleichgewicht hielt. Durch dieses Stadium der absoluten Monarchie sind fast alle zivilisierten Länder Europas hindurchgegangen, und in den fortgeschrittensten Ländern hat es jetzt der Regierung der Bourgeoisie Platz gemacht.
Preußen, das fortgeschrittenste deutsche Land, ermangelte bisher einer Bourgeoisie, wohlhabend, stark, vereinigt und energisch genug, die Herrschaft des Absolutismus abzuschütteln und die Überreste des Feudaladels zu vernichten. Die beiden einander bekämpfenden Elemente, Adel und Bourgeoisie, befinden sich jedoch in einer solchen Lage, daß durch den natürlichen Fortschritt der Industrie und der Zivilisation das eine (die Bourgeoisie) an Wohlstand und Einfluß zunehmen muß, während das andere (der Adel) abnehmen, verarmen und seinen Vorrang mehr und mehr verlieren muß. Während sich daher der preußische Adel und die Großgrundbesitzer jedes Jahr in einer schlechteren Läge befanden, einmal durch die verheerenden Kriege mit Frankreich zu Beginn dieses Jahrhunderts, dann durch die englischen Korngesetze, die sie vom Markte Englands ausschlossen, schließlich durch die Konkurrenz Australiens in einem ihrer Hauptproduktionszweige, der Wolle, und durch viele andere Umstände - hat die Bourgeoisie Preußens an Wohlstand, Produktivkräften und Einfluß überhaupt gewaltig zugenommen. Die Kriege mit Frankreich, die Schließung der kontinentalen Märkte für die englischen Manufakturwaren riefen in Preußen eine Industrie ins Leben, und als der Frieden wiederhergestellt war, waren die emporgekommenen Fabrikanten stark genug, der Regierung Schutzzölle abzuzwingen (1818). Bald danach wurde der Zollverein gegründet, eine Union, die fast ausschließlich die Interessen der Bourgeoisie förderte. Vor allem aber zwang der heftige Konkurrenzkampf, der zwischen den verschiedenen handel- und gewerbetreibenden Nationen in den vergangenen dreißig Friedensjahren entbrannt ist, der etwas indolenten preußischen Bourgeoisie die Entscheidung auf, entweder zuzulassen, daß sie durch die fremde Konkurrenz <32> völlig ruiniert wird, oder, ebenso wie ihre Nachbarn, allen Ernstes ans Werk zu gehen.
Der Fortschritt der Bourgeoisie war sehr wenig sichtbar, bis ihr im Jahre 1840 bei der Thronbesteigung des neuen Königs der geeignete Augenblick gekommen schien, zu zeigen, daß sich die Verhältnisse in Preußen seit 1815 in einem ziemlichen Maße geändert haben. Ich brauche nicht zu rekapitulieren, welche Fortschritte die Bewegung der Bourgeoisie seit jener Zeit gemacht hat, wie sie alle Teile des Königreichs erfaßte, bis schließlich die ganze Bourgeoisie, ein großer Teil der Bauernschaft und nicht wenige Adlige sich ihr anschlossen. Eine Repräsentativverfassung, Freiheit der Presse, öffentliches Gerichtsverfahren, Unabsetzbarkeit der Richter, Geschworenengerichte - solcherart waren die Forderungen der Bourgeoisie. Die Bauernschaft oder die kleinen Grundbesitzer sahen sehr wohl - zum mindesten in den aufgeklärteren Teilen des Königreichs -, daß solche Maßnahmen auch in ihrem Interesse lagen, weil sie nur durch diese hoffen konnten, sich von den Überresten des Feudalismus zu befreien und jenen Einfluß auf die Gesetzgebung zu erlangen, der für sie wünschenswert war. Der ärmere Teil des Adels dachte, daß das konstitutionelle System ihm vielleicht eine seinen Interessen gemäße Stellung in der Gesetzgebung verleihen würde und daß dieses System jedenfalls für ihn nicht ruinöser sein könnte als dasjenige, unter welchem er lebte. Hauptsächlich der Adel des eigentlichen Preußens und Posens, durch Mangel an Märkten für seine Produkte schwer bedrückt, schloß sich aus solchen Erwägungen der liberalen Bewegung an.
Die Bourgeoisie geriet mehr und mehr in eine schwierige Läge. Sie hatte ihre Manufaktur- und Bergbauunternehmungen ebenso wie ihre Schiffahrt in erheblichem Maße ausgedehnt; sie war der Hauptlieferant für den gesamten Markt des Zollvereins; ihr Wohlstand und ihre zahlenmäßige Stärke hatten sich sehr vergrößert. Aber während der letzten zehn bis fünfzehn Jahre hat der enorme Fortschritt der englischen Manufaktur- und Bergbauunternehmungen sie mit einer gefährlichen Konkurrenz bedroht. Jede Überfüllung des englischen Marktes warf große Mengen englischer Waren in das Gebiet des Zollvereins, wo sie zu Preisen verkauft wurden, die die Deutschen mehr ruinierten als die Engländer, denn diese machten in Zeiten der Prosperität große Profite auf dem amerikanischen Markt und anderen Märkten, während die Preußen ihre Produkte nirgends verkaufen konnten außer im Bereich ihrer eigenen Zollgrenze. Ihren Schiffen war fast völlig der Zugang zu den Häfen der anderen Staaten verwehrt, während Schiffe aller Flaggen die preußischen Häfen unter gleichen Bedingungen wie die preußischen Schiffe anliefen. So entstanden, obwohl es in Preußen verhältnismäßig wenig Kapital <33> gibt, Schwierigkeiten für profitable Kapitalanlagen. Das Geschäft schien unter ständigem Druck zu stehen; die Fabriken, die Maschinerie, der Warenbestand wurden langsam, aber stetig entwertet; und nur für kurze Zeit wurde diese allgemeine Flaute durch die Eisenbahnspekulationen unterbrochen, die in den vergangenen acht Jahren in Preußen ihren Anfang nahmen. Da diese Spekulationen den Wert des flüssigen Geldes in die Höhe trieben, steigerten sie die Entwertung des Warenvorrats, während sie selbst im Durchschnitt, wegen der verhältnismäßig dünnen Bevölkerung und des schwach entwickelten Gewerbes im größten Teil des Landes nicht sehr gewinnbringend waren. Sie boten jedoch immer noch eine bessere Profitchance als andere industrielle Anlagen, so daß jeder, der über einiges Kapital verfügte, sich an ihnen beteiligte. Wie gewöhnlich nahmen diese Spekulationen sehr bald fieberhaften Charakter an und endeten in einer Krise, die seit etwa zwölf Monaten auf den preußischen Geldmärkten lastet. So befand sich die Bourgeoisie zu Anfang dieses Jahres in einer sehr unangenehmen Lage: die Geldmärkte standen unter dem Druck eines außergewöhnlichen Bargeldmangels; die Industriegebiete verlangen mehr denn je nach den Schutzzöllen, die ihnen die Regierung verweigert hat; die Küstenstädte fordern Navigationsgesetze, das einzige Mittel zur Erleichterung ihrer Läge; und darüber hinaus - eine Preissteigerung auf den Getreidemärkten, die das Land an den Rand einer Hungersnot brachte. Alle diese Ursachen der Unzufriedenheit wirkten gleichzeitig und daher um so stärker auf das Volk: die schlesischen Leineweber im größten Elend; die Baumwollbetriebe stillgelegt; in dem großen Industriegebiet am Rhein fast alle Arbeiter feiernd; die Kartoffelernte größtenteils vernichtet und Brot zu Wucherpreisen. Der Augenblick war offensichtlich für die Bourgeoisie gekommen, die Regierungsgewalt einem schwachsinnigen König, einem schwachen Adel und einer dünkelhaften Bürokratie aus den Händen zu nehmen, um sie sich selbst zu sichern.
Es ist eine merkwürdige Tatsache, die jedoch in jeder revolutionären Epoche wieder auftritt, daß in dem gleichen Augenblick, da die führende Klasse einer Bewegung in der günstigsten Läge ist, jene Bewegung zu vollenden, die alte, überlebte Regierung nichts anderes mehr tun kann, als eben diese führende Klasse um Beistand zu ersuchen. So 1789 in Frankreich, als Hungersnot, schlechte Geschäfte und Spaltungen im Adel die Bourgeoisie sozusagen in eine Revolution hineintrieben - gerade zu diesem Zeitpunkt fand die Regierung ihre Geldquellen erschöpft und war genötigt, durch die Einberufung der Generalstände die Revolution einzuleiten. So 1847 in Preußen. Zur gleichen Zeit, da die gleichgültigere preußische Bourgeoisie durch die Umstände beinahe gezwungen ist, das Regierungssystem zu ändern, <34> ist der König durch Geldmangel gezwungen, diese Systemänderung zu beginnen und seinerseits die preußischen Generalstände <d.h. den preußischen Vereinigten Landtag> einzuberufen. Es steht außer Zweifel, daß die Stände ihm viel weniger Widerstand leisten würden, als es jetzt der Fall ist, wenn der Geldmarkt flüssig wäre, die Fabriken vollauf zu tun hätten (was eintreten würde durch einen blühenden Handel, schnellen Absatz und die sich daraus ergebenden hohen Preise für Manufakturwaren in England) und wenn Getreide zu einem einigermaßen niedrigen Preise zu haben wäre. Aber so ist es: In Zeiten einer herannahenden Revolution haben die fortschrittlichen Klassen der Gesellschaft stets alle Chancen auf ihrer Seite.
Im Laufe der Jahre 1845 und 1846 habe ich den Lesern des "Star" mehr als einmal dargetan, daß der König von Preußen in einer argen finanziellen Klemme saß; gleichzeitig habe ich ihre Aufmerksamkeit auf die verschiedenen klugen Pläne gelenkt, mit denen seine Minister ihm herauszuhelfen suchten; ich habe vorausgesagt, daß die ganze Geschichte mit einer Einberufung der Generalstände enden müsse. Das Ereignis war also weder unerwartet noch, wie man es jetzt hinstellt, durch die großmütige Huld seiner verschwenderischen Majestät verursacht; nichts als reine Notwendigkeit, Armut und Elend konnten ihn zu einem solchen Schritt bewegen, und jedes Kind in Preußen weiß das. Die einzige Frage ist also: Wird die preußische Bourgeoisie durch die Auflegung einer neuen Anleihe mit ihrer Garantie dem König gestatten, so weiterzumachen wie bisher und ihre Petitionen und Bedürfnisse abermals für sieben Jahre zu ignorieren?
Wir haben diese Frage bereits beantwortet. Sie kann das nicht. Wir haben das an der Lage der jeweiligen Klasse nachgewiesen, und wir werden es jetzt nachweisen an der Zusammensetzung des Vereinigten Landtages:
Vertreter des hohen und niederen Adels |
311 |
Vertreter der Städte und der Bauernschaft |
306 |
Da der König seine Absicht bekanntgegeben hat, die Zahl der Vertreter des hohen Adels (insgesamt 80) durch Neuernennungen zu erhöhen, können wir die Zahl der Adligen um dreißig erhöhen, wodurch die Gesamtzahl der Adligen, nämlich der Regierungspartei, auf 341 steigt. Man subtrahiere von dieser Zahl die liberalen Fraktionen des niederen Adels, nämlich den gesamten Adel des eigentlichen Preußens, zwei Drittel des posenschen Adels sowie einige Mitglieder des rheinischen, schlesischen, brandenburgischen und westfälischen Adels, sagen wir siebzig liberale Mitglieder, die mit den <35> Städten und der Bauernschaft stimmen werden, und die Stellung der Parteien ist folgende:
Adel oder Regierungspartei |
271 |
Städte und Bauernschaft oder liberale Opposition |
376 |
Somit wird, selbst wenn wir einräumen, daß dreißig oder vierzig Vertreter der Städte oder der Bauernschaft entlegener Gebiete für die Regierung stimmen könnten, stets eine liberale Mehrheit von fünfundzwanzig bis fünfzig Stimmen übrigbleiben, und mit geringer Energie von seiten der Liberalen wird es leicht sein, auf jede Geldforderung mit einer anderen Forderung nach liberalen Institutionen zu antworten. Es besteht außerdem kein Zweifel, daß das Volk unter den gegenwärtigen Umständen die Bourgeoisie unterstützen und durch seinen Druck von außen, der in der Tat sehr wünschenswert wäre, den Vertretern im Parlament die Courage stärken und ihre Energien wecken wird.
Somit ist die Verfassung Preußens, obgleich an sich unbedeutend, dennoch der Beginn einer neuen Epoche für dieses Land und für ganz Deutschland. Sie kennzeichnet den Sturz des Absolutismus und des Adels und den Aufstieg der Bourgeoisie; sie kennzeichnet den Beginn einer Bewegung, die sehr bald zu einer Repräsentativverfassung für die Bourgeoisie, einer freien Presse, unabhängigen Richtern und Geschworenengerichten führen und die wer weiß wo enden wird. Sie kennzeichnet die Wiederholung des Jahres 1789 in Preußen. Wenn nun die revolutionäre Bewegung, die jetzt beginnt, nur die Bourgeoisie direkt interessieren wird, so ist sie doch keineswegs ohne Belang für die Interessen des Volkes. Von dem Augenblick an, da die Macht der Bourgeoisie konstituiert ist, beginnt die besondere und ausgeprägte demokratische Bewegung. In dem Kampf gegen Despotismus und Aristokratie kann das Volk, die demokratische Partei, nur eine sekundäre Rolle spielen; die erste Rolle gebührt der Bourgeoisie. Jedoch von dem Moment an, da die Bourgeoisie ihre eigene Regierung errichtet, sich identifiziert mit einem neuen Despotismus, einer neuen Aristokratie gegen das Volk, von diesem Moment an tritt die Demokratie als die einzige, ausschließliche Bewegungspartei auf; von diesem Augenblick an ist der Kampf vereinfacht, auf zwei Parteien reduziert und schlägt durch diesen Umstand um in einen "Krieg bis aufs Messer". Die Geschichte der französischen und englischen demokratischen Parteien beweist das vollauf.
Ein anderer Umstand verdient vermerkt zu werden. Die Eroberung der politischen Macht durch die Bourgeoisie Preußens wird die politische Stellung aller europäischen Länder ändern. Die nordische Allianz wird aufgelöst werden. Österreich und Rußland, die bei der Beraubung Polens die Haupt- <36> beteiligten waren, werden völlig isoliert werden von dem übrigen Europa, denn Preußen zieht die kleineren Staaten Deutschlands, die alle konstitutionelle Regierungen haben, mit sich. So wird das Gleichgewicht der Kräfte in Europa völlig verändert werden durch die Folgen dieser unbedeutenden Verfassung, das Hinüberwechseln von drei Vierteln Deutschlands aus dem Lager des stagnierenden Osteuropas in das Lager des progressiven Westeuropas. - Im Februar 1846 brach der letzte polnische Aufstand aus. Im Februar 1847 beruft Friedrich Wilhelm seine Generalstände ein. Die Rache Polens ist im Anmarsch!
E.