II. Band
[Kritik des deutschen Sozialismus
in seinen verschiedenen Propheten]

Der wahre Sozialismus

<441> Dasselbe Verhältnis, das wir im ersten Bande (vgl. "Sankt Max", "Der politische Liberalismus") zwischen dem bisherigen deutschen Liberalismus und der französischen und englischen Bourgeoisie-Bewegung nachgewiesen haben, findet statt zwischen dem deutschen Sozialismus und der Proletariatsbewegung Frankreichs und Englands. Neben den deutschen Kommunisten hat sich eine Anzahl Schriftsteller aufgetan, die einige französische und englische kommunistische Ideen aufgenommen und mit ihren deutsch-philosophischen Voraussetzungen verquickt haben. Diese "Sozialisten" oder "wahren Sozialisten", wie sie sich nennen, sehen in der kommunistischen Literatur des Auslandes nicht den Ausdruck und das Produkt einer wirklichen Bewegung, sondern rein theoretische Schriften, die ganz, wie sie es sich von den deutschen philosophischen Systemen vorstellen, aus dem "reinen Gedanken" hervorgegangen sind. Sie denken nicht daran, daß diesen Schriften, selbst wenn sie Systeme predigen, die praktischen Bedürfnisse, die ganzen Lebensverhältnisse einer bestimmten Klasse bestimmter Länder zugrunde liegen. Sie nehmen die Illusion mancher dieser literarischen Parteirepräsentanten, als handle es sich bei ihnen um die "vernünftigste" Ordnung der Gesellschaft und nicht um die Bedürfnisse einer bestimmten Klasse und Epoche, auf Treu und Glauben an. Die deutsche Ideologie, in der diese "wahren Sozialisten" befangen sind, erlaubt ihnen nicht, das wirkliche Verhältnis zu betrachten. Ihre Tätigkeit gegenüber den "unwissenschaftlichen" Franzosen und Engländern besteht nun darin, vor allen Dingen die Oberflächlichkeit oder den "rohen" Empirismus dieser Ausländer gehörig der Verachtung des deutschen Publikums preiszugeben, der "deutschen Wissenschaft" einen Hymnus zu singen und ihr die Mission zu geben, die Wahrheit des Kommunismus und Sozialismus, den absoluten, den wahren Sozialismus erst an den Tag zu bringen. Sie geben sich auch sogleich an die Arbeit, um als Vertreter der "deutschen Wissenschaft" diese Mission zu erfüllen, obwohl <442> in den meisten Fällen diese "deutsche Wissenschaft" ihnen fast ebenso fremd geblieben ist wie die Originalschriften der Franzosen und Engländer, die sie nur aus den Kompilationen von Stein und Oelckers etc. kennen. Und worin besteht diese "Wahrheit", die sie dem Sozialismus und Kommunismus geben? Sie suchen sich die ihnen teils wegen ihrer Unkenntnis schon des bloß literarischen Zusammenhangs, teils wegen ihrer erwähnten falschen Auffassung der sozialistischen und kommunistischen Literatur gänzlich unerklärlichen Ideen dieser Literatur mit Hülfe der deutschen, namentlich Hegelschen und Feuerbachschen Ideologie klarzumachen. Sie heben die kommunistischen Systeme, Kritiken und Streitschriften ab von der wirklichen Bewegung, deren bloßer Ausdruck sie sind, und bringen sie dann in einen willkürlichen Zusammenhang mit der deutschen Philosophie. Sie trennen das Bewußtsein bestimmter geschichtlich bedingter Lebenssphären von diesen Lebenssphären und messen es an dem wahren, absoluten, d.h. deutsch-philosophischen Bewußtsein. Sie verwandeln ganz konsequent die Verhältnisse dieser bestimmten Individuen in Verhältnisse "des Menschen", sie erklären sich die Gedanken dieser bestimmten Individuen über ihre eignen Verhältnisse dahin, daß sie Gedanken über "den Menschen" seien. Sie sind damit vom wirklichen geschichtlichen Boden auf den Boden der Ideologie zurückgekommen und können nun, da sie den wirklichen Zusammenhang nicht kennen, mit Hülfe der "absoluten" oder einer andern ideologischen Methode leicht einen phantastischen Zusammenhang konstruieren. Diese Übersetzung der französischen Ideen in die Sprache der deutschen Ideologen und dieser willkürlich fabrizierte Zusammenhang zwischen dem Kommunismus und der deutschen Ideologie bilden dann den sogenannten "wahren Sozialismus", der, wie die englische Konstitution von den Tories, für "den Stolz der Nation und den Neid aller Nachbarvölker" ausposaunt wird.

Dieser "wahre Sozialismus" ist also weiter nichts als die Verklärung des proletarischen Kommunismus und der ihm mehr oder minder verwandten Parteien und Sekten Frankreichs und Englands im Himmel des deutschen Geistes und, wie wir ebenfalls sehen werden, des deutschen Gemütes. Der wahre Sozialismus, der auf der "Wissenschaft" zu beruhen vorgibt, ist vor allen Dingen selbst wieder eine esoterische Wissenschaft; seine theoretische Literatur ist nur für Die, die in die Mysterien des "denkenden Geistes" eingeweiht sind. Er hat aber auch eine exoterische Literatur, er muß, schon weil er sich um gesellschaftliche, exoterische Verhältnisse kümmert, eine Art Propaganda machen. In dieser exoterischen Literatur appelliert er nicht mehr an den deutschen "denkenden Geist", sondern an das deutsche "Gemüt". Dies ist um so leichter, als der wahre Sozialismus, dem es nicht mehr um die <443> wirklichen Menschen, sondern um "den Menschen" zu tun ist, alle revolutionäre Leidenschaft verloren hat und an ihrer Stelle allgemeine Menschenliebe proklamiert. Er wendet sich somit nicht an die Proletarier, sondern an die beiden zahlreichsten Menschenklassen Deutschlands, an die Kleinbürger und ihre philanthropischen Illusionen und an die Ideologen ebendieser Kleinbürger, die Philosophen und Philosophenschüler; er wendet sich überhaupt an das gegenwärtig in Deutschland herrschende "gemeine" und ungemeine Bewußtsein.

Es war nach den in Deutschland faktisch vorliegenden Verhältnissen notwendig, daß sich diese Zwischensekte bildete, daß eine Vermittlung des Kommunismus mit den herrschenden Vorstellungen versucht wurde. Es war ebenso notwendig, daß eine Menge deutscher Kommunisten, die von der Philosophie ausgingen, erst durch einen solchen Übergang zum Kommunismus kamen und noch kommen, während Andere, die den Schlingen der Ideologie sich nicht entwinden können, diesen wahren Sozialismus bis an ihr seliges Ende predigen werden. Wir können daher nicht wissen, ob diejenigen der "wahren Sozialisten", deren hier kritisierte Schriften vor einiger Zeit verfaßt wurden, diesen Standpunkt noch behaupten oder ob sie weitergegangen sind. Wir haben überhaupt gegen die Personen nichts, wir nehmen bloß die gedruckten Aktenstücke als Ausdruck einer für ein so versumpftes Land wie Deutschland unvermeidlichen Richtung.

Außerdem aber hat der wahre Sozialismus allerdings einer Masse jung-deutscher Belletristen, Wunderdoktoren und sonstiger Literaten ein Tür eröffnet zur Exploitation der sozialen Bewegung. Der Mangel wirklicher, leidenschaftlicher, praktischer Parteikämpfe in Deutschland machte auch die soziale Bewegung anfangs zu einer bloß literarischen. Der wahre Sozialismus ist die vollkommenste soziale Literaturbewegung, die ohne wirkliche Parteiinteressen entstand und nun, nachdem die kommunistische Partei sich formiert hat, trotz ihr fortbestehen will. Es versteht sich, daß seit dem Entstehen einer wirklichen kommunistischen Partei in Deutschland die wahren Sozialisten immer mehr auf Kleinbürger als Publikum und impotente und verlumpte Literaten als Repräsentanten dieses Publikums sich beschränken werden.

I.

"Die Rheinischen Jahrbücher"
oder
Die Philosophie des wahren Sozialismus

A. Communismus, Socialismus, Humanismus"
Rhein[ische] Jahrb[ücher] 1. Bd., p.167ff.

<445> Wir beginnen mit diesem Aufsatz, weil er den deutsch-nationalen Charakter des wahren Sozialismus mit vollständigem Bewußtsein und großem Selbstgefühl zur Schau trägt.

p. 168. "Es scheint, als ob die Franzosen ihre eignen Genies nicht verständen. Hier kommt ihnen die deutsche Wissenschaft zu Hülfe, die im Sozialismus, wenn bei der Vernunft eine Steigerung gilt, die vernünftigste Ordnung der Gesellschaft gibt."

Hier gibt also "die deutsche Wissenschaft" eine, und zwar "die vernünftigste", "Ordnung der Gesellschaft" "im Sozialismus". Der Sozialismus wird ein bloßer Zweig der allmächtigen, allweisen, Alles umfassenden deutschen Wissenschaft, die sogar eine Gesellschaft stiftet. Der Sozialismus ist zwar ursprünglich französisch, aber die französischen Sozialisten waren "an sich" Deutsche, weshalb auch die wirklichen Franzosen sie "nicht verstanden". Daher kann unser Verfasser sagen:

"Der Kommunismus ist französisch, der Sozialismus deutsch; ein Glück ist es für die Franzosen, daß sie einen so glücklichen gesellschaftlichen Instinkt haben, der ihnen einst die wissenschaftlichen Studien wird ersetzen helfen. Dieses Resultat lag in dem Entwicklungsgange beider Völker vorgezeichnet; die Franzosen kamen durch die Politik zum Kommunismus" (nun weiß man natürlich, wie das französische Volk zum Kommunismus kam), "die Deutschen durch die Metaphysik, die zuletzt in Anthropologie umschlug, zum Sozialismus" (nämlich zum "wahren Sozialismus"). "Beide lösen sich zuletzt in Humanismus auf."

Nachdem man den Kommunismus und Sozialismus in zwei abstrakte Theorien, zwei Prinzipien verwandelt hat, ist natürlich nichts leichter, als eine beliebige Hegelsche Einheit dieser beiden Gegensätze unter einem beliebigen unbestimmten Namen zu phantasieren. Womit nicht nur ein durchdringender <446> Blick in "den Entwicklungsgang beider Völker" geworfen, sondern auch die Erhabenheit des spekulierenden Individuums über Franzosen und Deutsche glänzend dargetan ist.

Übrigens ist dieser Satz ziemlich wörtlich kopiert aus dem Püttmannschen "Bürgerbuch". p. 43 und anderwärts; wie denn auch die "wissenschaftlichen Studien" des Verfassers über den Soziaismus sich auf eine konstruierende Reproduktion der in diesem Buch, den "Einundzwanzig Bogen" und anderen Schriften aus der Entstehungsepoche des deutschen Kommunismus gegebenen Ideen beschränken.

Wir geben nun einige Proben von den in diesem Aufsatze erhobenen Einwendugen gegen den Kommunismus.

p. 168 "Der Kommunismus verbindet die Atome zu keinem organischen Ganzen."

Die Verbindung von "Atomen" zu einem "organischen Ganzen" ist ebensowenig zu verlangen wie die Quadratur des Zirkels.

"Wie der Kommunismus faktisch in Frankreich, seinem Hauptsitz, vertreten wird, ist er der rohe Gegensatz gegen die egoistische Zerfallenheit des Krämerstaats, über diesen politischen Gegensatz kommt er nicht hinaus, gelangt zu keiner unbedingten, voraussetzungslosen Freiheit". (ibidem)

Voilà das deutsch-ideologische Postulat der "unbedingten, voraussetzungslosen Freiheit", die nur die praktische Formel für das "unbedingte, voraussetzungslose Denken" ist. Der französische Kommunismus ist allerdings "roh", weil er der theoretische Ausdruck eines wirklichen Gegensatzes ist, über den er nach unserm Verfasser aber dadurch hinaus sein sollte, daß er diesen Gegensatz in der Einbildung als schon Überwunden unterstellt. Vergleiche übrigens "Bürgerbuch" u.a. p. 43.

"Innerhalb des Kommunismus kann die Tyrannei recht wohl fortbestehen, weil er nicht die Gattung fortbestehen läßt." p. 168

Arme Gattung! Bisher hat die "Gattung" gleichzeitig mit der "Tyrannei" bestanden; aber weil der Kommunismus die "Gattung" abschafft, deshalb kann er die Tyrannei fortbestehen lassen. Und wie fängt es nach unserm wahren Sozialisten der Kommunismus an, "die Gattung" abzuschaffen? Er "hat die Masse vor sich". (ibidem)

"Der Mensch wird im Kommunismus seines Wesens nicht bewußt ... seine Abhängigkeit wird durch den Kommunismus auf das letzte, brutalste Verhältnis gebracht, auf die Abhängigkeit von der rohen Materie - Trennung von Arbeit und Genuß. Der Mensch gelangt zu keiner freien sittlichen Tätigkeit".

<447> Um die "wissenschaftlichen Studien" zu würdigen, welche unsrem wahren Sozialisten zu diesem Satz verholfen haben, vergleiche man folgenden Satz:

"Die französischen Sozialisten und Kommunisten ...haben das Wesen des Sozialismus theoretisch keineswegs erkannt ... selbst die radikalen" (französischen) "Kommunisten sind noch keineswegs über den Gegensatz von Arbeit und Genuß hinaus ... haben sich noch nicht zum Gedanken der freien Tätigkeit erhoben ... Der Unterschied zwischen dem Kommunismus und der Krämerwelt ist nur der, daß die vollständige Entäußerung des wirklichen menschlichen Eigentums im Kommunismus aller Zufälligkeit enthoben, d.h. idealisiert werden soll." "Bürgerbuch", p. 43.

Unser wahrer Sozialist wirft also hier den Franzosen vor, daß sie ein richtiges Bewußtsein ihrer faktischen gesellschaftlichen Zustände haben, während sie das Bewußtsein "des Menschen" über "sein Wesen" zutage fördern sollten. Alle Vorwürfe dieser wahren Sozialisten gegen die Franzosen laufen darauf hinaus, daß die Feuerbachsche Philosophie nicht die letzte Pointe ihrer gesamten Bewegung ist. Wovon der Verfasser ausgeht, ist der vorgefundene Satz von der Trennung von Arbeit und Genuß. Statt mit diesem Satze anzufangen, dreht er ideologisch die Sache um, fängt an mit dem fehlenden Bewußtsein des Menschen, schließt daraus auf die "Abhängigkeit von der rohen Materie" und läßt diese sich realisieren in der "Trennung von Arbeit und Genuß". Wir werden übrigens noch Exempel davon sehen, wohin unser wahrer Sozialist mit seiner Unabhängigkeit "von der rohen Materie" kommt. - Überhaupt sind diese Herren alle von merkwürdigem Zartgefühl. Alles, namentlich die Materie, schockiert sie, überall klagen sie über Roheit. Oben hatten wir schon den "rohen Gegensatz", jetzt das "brutalste Verhältnis" der "Abhängigkeit von der rohen Materie".

Der Deutsche öffnet den Mund weit:
Die Liebe sei nicht zu roh,
Sie schadet sonst der Gesundheit.

<Abgewandeltes Zitat aus Heine, "Lyrisches Intermezzo, 50. Gedicht"> 

Natürlich, die deutsche Philosophie in ihrer Verkleidung als Sozialismus geht zwar zum Schein auf die "rohe Wirklichkeit", ein, aber sie hält sich immer in anständiger Entfernung von ihr und ruft ihr mit hysterischer Gereiztheit zu: Noi me tangere! <Rühr mich nicht an!>

Nach diesen wissenschaftlichen Einwürfen gegen den französischen Kommunismus kommen wir auf einige historische Erörterungen, die von der "freien sittlichen Tätigkeit" und den "wissenschaftlichen Studien" unsres wahren Sozialisten wie auch von seiner Unabhängigkeit von der rohen Materie glänzendes Zeugnis ablegen.

<448> p.170 kommt er zudem "Resultate", daß "der" (abermals) "rohe französische Kommunismus" der einzige ist, den es "gibt". Die Konstruktion dieser Wahrheit a priori wird mit großem "gesellschaftlichem Instinkt" durchgeführt und zeigt, daß "der Mensch seines Wesens sich bewußt" geworden ist. Man höre:

"Es gibt keinen andern, denn was Weitling gegeben hat, ist nur eine Verarbeitung fourieristischer und kommunistischer Ideen, wie er sie in Paris und Genf kennenlernte."

"Es gibt keinen" englischen Kommunismus, "denn was Weitling" usw. Thomas Morus, die Levellers, Owen, Thompson, Watts, Holyoake, Harney, Morgan, Southwell, Goodwyn Barmby, Greaves, Edmonds, Hobson, Spence werden sich sehr wundern, resp. im Grabe umdrehen, wenn ihnen zu Ohren kommt, wie sie keine Kommunisten sind, "denn" Weitling ging nach Paris und Genf.

Übrigens scheint der Weitlingsche Kommunismus doch auch ein andrer zu sein als der "rohe französische", vulgo Babouvismus, da er auch "fourieristische Ideen" enthält.

"Die Kommunisten waren besonders stark in der Aufstellung von Systemen oder gleich fertigen Gesellschaftsordnungen (Cabets Ikarien, 'La Félicité, Weitling). Alle Systeme aber sind dogmatisch-diktatorisch." p. 170

Mit seiner Meinungsabgabe über Systeme überhaupt hat der wahre Sozialismus sich natürlich der Mühe überhoben, die kommunistischen Systeme selbst kennenzulernen. Mit einem Schlage hat er nicht nur Ikarien, sondern auch alle philosophischen Systeme von Aristoteles bis Hegel, das système de la nature, das Linnésche und Jussieusche Pflanzensystem und sogar das Sonnensystem überwunden. Was übrigens die Systeme selbst angeht, so sind diese fast alle im Anfange der kommunistischen Bewegung aufgekommen und dienten damals der Propaganda als Volksromane, die dem noch unentwickelten Bewußtsein der sich eben in Bewegung setzenden Proletarier vollkommen entsprachen. Cabet selbst nennt seine "Icarie" einen roman philosophique <philosophschen Roman> und ist keineswegs aus seinem System, sondern aus seinen Streitschriften, überhaupt aus seiner ganzen Tätigkeit als Parteichef zu beurteilen. Einige dieser Romane, z.B. das Fouriersche System, sind mit wirklich poetischem Geiste, andere, wie das Owensche und Cabetsche, ohne alle Phantasie mit kaufmännischer Berechnung oder juristisch-schlauem Anschmiegen an die Anschauungen der zu bearbeitenden Klasse ausgeführt. Diese Systeme verlieren bei der Entwicklung der Partei alle Bedeutung und <449> werden höchstens nominell als Stichwörter beibehalten. Wer glaubt in Frankreich an Ikarien, wer in England an die verschiedenen modifizierten Pläne Owens, die er selbst je nach veränderten Zeitumständen oder mit Rücksicht auf Propaganda unter bestimmten Klassen predigte? Wie wenig der wirkliche Inhalt dieser Systeme in ihrer systematischen Form liegt, beweisen am besten die orthodoxen Fourieristen der "Démocratie pacifique", die bei all ihrer Orthodoxie die geraden Antipoden Fouriers, doktrinäre Bourgeois sind. Der eigentliche Inhalt aller epochemachenden Systeme sind die Bedürfnisse der Zeit, in der sie entstanden. Jedem derselben liegt die ganze vorhergegangne Entwicklung einer Nation, die geschichtliche Gestaltung der Klassenverhältnisse mit ihren politischen, moralischen, philosophischen und andern Konsequenzen zugrunde. Dieser Basis und diesem Inhalt der kommunistischen Systeme gegenüber ist mit dem Satz, daß alle Systeme dogmatisch-diktatorisch sind, gar nichts ausgerichtet. Den Deutschen lagen keine ausgebildeten Klassenverhältnisse vor wie den Engländern und Franzosen. Die deutschen Kommunisten konnten daher die Basis ihres Systems nur aus den Verhältnissen des Standes nehmen, aus dem sie hervorgingen. Daß daher das einzige existierende deutsche kommunistische System eine Reproduktion der französischen Ideen innerhalb der durch die kleinen Handwerkerverhältnisse beschränkten Anschauungsweise war, ist ganz natürlich.

Die Tyrannei, die innerhalb des Kommunismus fortbesteht, zeigt "der Wahnsinn Cabets, welcher verlangt, daß alle Welt auf seinen 'Populaire' abonnieren soll". p.168. Wenn unser Freund Forderungen, die ein Parteichef, durch bestimmte Umstände und die Gefahr der Zersplitterung beschränkter Geldmittel gezwungen, an seine Partei stellt, zuerst verdreht und dann an dem "Wesen des Menschen" mißt, so, muß er allerdings zu dem Resultate kommen, daß dieser Parteichef und alle andern Parteileute "wahnsinnig", dagegen bloß unparteiische Gestalten, wie er und das "Wesen des Menschen", gesunden Verstandes seien. Er möge übrigens aus Cabets "Ma ligne droite" das wahre Sachverhältnis kennenlernen.

Schließlich faßt sich der ganze Gegensatz unsres Verfassers und überhaupt der deutschen wahren Sozialisten und Ideologen gegen die wirklichen Bewegungen andrer Nationen in einem klassischen Satze zusammen. Die Deutschen beurteilen Alles sub specie aeterni <vom Gesichtspunkt der Ewigkeit> (nach dem Wesen des Menschen), die Ausländer sehen alles praktisch, nach den wirklich vorliegenden Menschen und Verhältnissen. Die Ausländer denken und handeln für die Zeit, die Deutschen für die Ewigkeit. Dies gesteht unser wahrer Sozialist folgendermaßen ein:

<450> "Schon durch seinen Namen, den Gegensatz gegen die Konkurrenz, zeigt der Kommunismus seine Einseitigkeit; soll denn aber diese Befangenheit, die wohl jetzt als Parteiname ihre Geltung haben kann ewig währen?"

Nach dieser gründlichen Vernichtung des Kommunismus geht unser Verfasser auf seinen Gegensatz, den Sozialismus, über.

"Der Sozialismus gibt die anarchische Ordnung, die der menschlichen Gattung, wie dem Universum, wesentlich eigentümlich ist" (p. 170) und ebendeshalb für "die menschliche Gattung" bisher nicht existiert hat.

Die freie Konkurrenz ist zu "roh", um unsrem wahren Sozialisten als "anarchische Ordnung" zu erscheinen.

"Voll Vertrauen auf den sittlichen Kern der Menschheit" dekretiert "der Sozialismus", daß "die Vereinigung der Geschlechter nur die höchste Steigerung der Liebe ist und sein sollte, denn nur das Natürliche ist wahr, und das Wahre ist sittlich." p. 171.

Der Grund, weshalb "die Vereinigung etc. etc. ist und sein sollte", paßt auf Alles. Z.B. "Voll Vertrauen auf den sittlichen Kern" des Affengeschlechts kann "der Sozialismus" ebenfalls dekretieren, daß die bei den Affen sich natürlich vorfindende Onanie "nur die höchste Steigerung der" Selbst-"Liebe ist und sein sollte; denn nur das Natürliche ist wahr, und das Wahre ist sittlich."

Woher der Sozialismus den Maßstab dessen nimmt, was "natürlich" ist, läßt sich schwer sagen.

"Tätigkeit und Genuß fallen in des Menschen Eigentümlichkeit zusammen. Durch diese warnen jene beiden bestimmt, nicht durch die außer uns stehenden Produkte."

"Da nun aber diese Produkte zur Tätigkeit, das ist zum wahren Lehen unumgänglich sind, dieselben aber durch die gemeinsame Tätigkeit der gesamten Menschheit sich von Letzterer gleichsam abgelöst haben, so sind oder sollen sie auch für Alle das gemeinsame Substrat weiterer Entwicklung sein (Gütergemeinschaft).

"Unsre heutige Gesellschaft ist freilich so verwildert, daß Einzelne in tierischem Heißhunger über die Produkte fremder Arbeit herfallen und dabei untätig ihr eignes Wesen verfaulen lassen (Rentiers); wovon wieder die notwendige Konsequenz ist, daß Andere, deren Eigentum (ihr eignes menschliches Wesen) nicht durch Untätigkeit, sondern durch aufreihende Anspannung verkümmert, zu maschinenmäßigem Produzieren getrieben werden (Proletarier) ... Beide Extreme unsrer Gesellschaft aber, Rentiers und Proletarier, stehen auf Einer Stufe der Bildung, Beide sind abhängig von den Dingen außer ihnen" oder "Neger", wie Sankt Max sagen würde, p.169, 170.

Diese obigen "Resultate" unsres "Mongolen" über "Unser Negertum" sind das Vollendetste, was der wahre Sozialismus bis jetzt "als zum wahren Leben unumgängliches Produkt gleichsam von sich abgelöst hat" und wovon <451> er nach "des Menschen Eigentümlichkeit" glaubt, daß "die gesamte Menschheit" darüber "in tierischem Heißhunger herfallen" müsse.

"Rentiers , "Proletarier", "maschinenmäßig", "Gütergemeinschaft" - diese vier Vorstellungen sind jedenfalls für unsren Mongolen "außer ihm stehende Produkte", in Beziehung auf welche seine "Tätigkeit" und sein "Genuß" darin besteht, sie als die bloß antizipierten Namen für die Resultate seines eignen "maschinenmäßigen Produzierens" darzustellen.

Wir erfahren, daß die Gesellschaft verwildert ist und daß deshalb die Individuen, die ebendiese Gesellschaft bilden, an allerhand Gebrechen leiden. Die Gesellschaft wird getrennt von diesen Individuen, verselbständigt, sie verwildert auf eigne Faust, und erst in Folge dieser Verwilderung leiden die Individuen. Die erste Folge dieser Verwilderung sind die Bestimmungen Raubtier, untätig und Inhaber eines "verfaulenden eignen Wesens", worauf wir zu unsrem Schrecken erfahren, daß diese Bestimmungen "der Rentier" sind. Dabei ist nur zu bemerken, daß dies "Verfaulenlassen des eignen Wesens" weiter nichts ist als eine philosophisch mystifizierte Manier, sich über die "Untätigkeit" klarzuwerden, von deren praktischer Beschaffenheit wenig zu wissen scheint.

Die zweite "notwendige Konsequenz" dieser ersten Folge der Verwilderung sind die beiden Bestimmungen: "Verkümmern des eignen menschlichen Wesens durch aufreibende Anspannung" und "Getriebenwerden zu maschinenmäßigem Produzieren". Diese beiden Bestimmungen sind die notwendige "Konsequenz davon, daß die Rentiers ihr eignes Wesen verfaulen lassen", und heißen in der profanen Sprache, wie wir wiederum mit Schrecken erfahren, "der Proletarier".

Der Kausalnexus des Satzes ist also folgender: Daß Proletarier existieren und maschinenmäßig arbeiten, findet sich als Tatsache vor. Warum müssen die Proletarier "maschinenmäßig produzieren"? Weil die Rentiers "ihr eignes Wesen verfaulen lassen". Warum lassen die Rentiers ihr eignes Wesen verfaulen? Weil "unsre heutige Gesellschaft so verwildert ist". Warum ist sie so verwildert? Das frage deinen Schöpfer.

Charakteristisch ist für unsren wahren Sozialisten, daß er in dem Gegensatz von Rentiers und Proletariern "die Extreme unsrer Gesellschaft" sieht. Dieser Gegensatz, der so ziemlich auf allen einigermaßen entwickelten Gesellschaftsstufen existiert hat und seit undenklicher Zeit von allen Moralisten breitgeschlagen ist, wurde namentlich ganz im Anfange der proletarischen Bewegung wieder hervorgesucht, zu einer Zeit, wo das Proletariat mit der industriellen und kleinen Bourgeoisie noch gemeinsame Interessen hatte. Vergleiche z.B. Cobbetts und P.L. Couriers Schriften oder Saint-Simon, der <452> im Anfange die industriellen Kapitalisten noch zu den travailleurs <Arbeitern> rechnete, im Gegensatz zu den oisifs <Müßiggängern>, den Rentiers. Diesen trivialen Gegensatz auszusprechen, und zwar nicht in der gewöhnlichen, sondern in der heiligen philosophischen Sprache, für diese kindliche Einsicht nicht den passenden, sondern einen verhimmelten, abstrakten Ausdruck zu geben, darauf reduziert sich die Gründlichkeit der im wahren Sozialismus vollendeten deutschen Wissenschaft hier wie in allen andern Fällen. Dieser Gründlichkeit setzt dann auch der Schluß die Krone auf. Hier verwandelt unser wahrer Sozialist die ganz verschiedenen Bildungsstufen der Proletarier und Rentiers in "eine Stufe der Bildung", weil er von ihren wirklichen Bildungsstufen Umgang nehmen und sie unter die philosophische Phrase "Abhängigkeit von den Dingen außer ihnen" subsumieren kann. Hier hat der wahre Sozialismus die Bildungsstufe gefunden, auf der die Verschiedenheit aller Bildungsstufen in den drei Naturreichen, der Geologie und Geschichte sich vollständig in nichts auflöst.

Trotz seines Hasses gegen die "Abhängigkeit von den Dingen außer ihm" gesteht der wahre Sozialist doch ein, daß er von ihnen abhängig ist, "da die Produkte", d.h. eben diese Dinge, "zur Tätigkeit" und "zum wahren Leben unumgänglich sind". Dies verschämte Geständnis wird gemacht, um einer philosophischen Konstruktion der Gütergemeinschaft Bahn zu brechen, einer Konstruktion, die in so baren Unsinn verläuft, daß sie bloß der Aufmerksamkeit des Lesers zu empfehlen ist.

Wir kommen jetzt zu dem ersten der oben zitierten Sätze. Hier wird wieder die "Unabhängigkeit von den Dingen" für die Tätigkeit und den Genuß in Anspruch genommen. Tätigkeit und Genuß "werden bestimmt" durch "die Eigentümlichkeit des Menschen". Statt diese Eigentümlichkeit in der Tätigkeit und dem Genuß der ihn umgebenden Menschen nachzuweisen, wo er sehr bald gefunden haben würde, inwiefern hier die außer uns stehenden Produkte ebenfalls mitsprechen, läßt er Beide in "der Eigentümlichkeit des Menschen zusammenfallen". Statt die Eigentümlichkeit der Menschen in ihrer Tätigkeit und der dadurch bedingten Weise des Genusses sich zur Anschauung zu bringen, erklärt er Beide aus der "Eigentümlichkeit des Menschen", wo dann alle Diskussion abgeschnitten ist. Von der wirklichen Handlung des Individuums flüchtet er sich wieder in seine unbeschreibliche, unnahbare Eigentümlichkeit. Wir sehen hier übrigens, was die wahren Sozialisten unter der "freien Tätigkeit" verstehen. Unser Verfasser verrät uns unvorsichtigerweise, daß sie die Tätigkeit ist, die "nicht durch die Dinge außer uns bestimmt wird", d.h. der actus purus, die reine, absolute Tätig- <453> keit, die nichts als Tätigkeit ist und in letzter Instanz wieder auf die Illusion vom "reinen Denken" hinausläuft. Diese reine Tätigkeit wird natürlich sehr verunreinigt, wenn sie ein materielles Substrat und ein materielles Resultat hat; der wahre Sozialist befaßt sich nur widerstrebend mit solcher unreinen Tätigkeit und verachtet ihr Produkt, das nicht mehr "Resultat", sondern "nur ein Abfall vom Menschen" genannt wird (p. 169). Das Subjekt, das dieser reinen Tätigkeit zugrunde liegt, kann daher auch kein wirklicher sinnlicher Mensch, sondern nur der denkende Geist sein. Die so verdeutschte "freie Tätigkeit" ist nur eine andere Formel für die obige "unbedingte, voraussetzungslose Freiheit". Wie sehr übrigens dies Gerede von der "freien Tätigkeit", das bei den wahren Sozialisten nur dazu dient, ihre Unkenntnis der wirklichen Produktion zu verhüllen, in letzter Instanz auf das "reine Denken" hinausläuft, beweist unser Verfasser schon dadurch, daß das Postulat der wahrhaften Erkenntnis sein letztes Wort ist.

"Diese Sonderung der beiden Hauptparteien der Zeit" (nämlich des französischen rohen Kommunismus und des deutschen Sozialismus) "hat sich durch die Entwicklung der letzten zwei Jahre ergeben, wie sie namentlich in Heß' 'Philosophie der That' - Herweghs ,Einundzwanzig Bogen' - begann. Es war somit an der Zeit, auch einmal die Schibboleths der gesellschaftlichen Parteien näher zu beleuchten." p. 173.

Wir haben hier also auf der einen Seite die wirklich existierende kommunistische Partei in Frankreich mit ihrer Literatur und auf der andern einige deutsche Halbgelehrte, die sich die Ideen dieser Literatur philosophisch zu verdeutlichen streben. Diese letzteren gelten ebensogut wie die ersteren für eine "Hauptpartei der Zeit", also für eine Partei, die nicht nur für ihren nächsten Gegensatz, die französischen Kommunisten, sondern auch für die englischen Chartisten und Kommunisten, die amerikanischen Nationalreformer und überhaupt alle andern Parteien "der Zeit" von unendlicher Wichtigkeit ist. Leider wissen alle diese Parteien nichts von der Existenz dieser "Hauptpartei". Es ist aber seit geraumer Zeit die Manier der deutschen Ideologen, daß jede ihrer literarischen Fraktionen, besonders die, die "am weitesten zu gehen" wähnt, sich nicht nur für "eine Hauptpartei", sondern geradezu für "die Hauptpartei der Zeit" erklärt. Wir haben so unter andern "die Hauptpartei" der kritischen Kritik, "die Hauptpartei" des mit sich einigen Egoismus und jetzt "die Hauptpartei" der wahren Sozialisten. Deutschland kann es auf diese Weise noch zu einem ganzen Schock von "Hauptparteien" bringen, deren Existenz bloß in Deutschland und auch hier nur unter dem kleinen Stande der Gelehrten, Halbgelehrten und Literaten bekannt ist, während sie alle wähnen, die Kurbel der Weltgeschichte zu drehen, wenn sie das lange Garn ihrer eignen Phantasien spinnen.

<454> Diese "Hauptpartei der wahren Sozialisten hat sich "durch die Entwicklung der letzten zwei Jahre ergeben, wie sie namentlich in Heß' Philosophie begann". D.h., sie hat "sich ergeben", als die Verwicklung unsres Verfassers in den Sozialismus "begann", nämlich in den "zwei letzten Jahren", womit es für ihn "an der Zeit war", sich vermittelst einiger "Schibboleths" über das, was er für "gesellschaftliche Parteien" hält, "auch einmal näher" zu erleuchten.

Nachdem wir so mit dem Kommunismus und Sozialismus fertig geworden sind" führt uns unser Verfasser die höhere Einheit beider, den Humanismus, vor. Von diesem Augenblicke an betreten wir das Land "des Menschen", und von nun an trägt sich die ganze wahre Geschichte unsres wahren Sozialisten nur in Deutschland zu.

"In dem Humanismus nun lösen sich alle Namenstreitigkeiten auf; zu was Kommunisten, zu was Sozialisten? Wir sind Menschen" (p. 72)

- tous frères, tous amis <alle Brüder, alle Freunde>,

Laßt uns nicht schwimmen gegen den Strom,
Ihr Brüder, es hilft uns wenig!
Laßt uns besteigen den Templower Berg
und rufen: Es lebe der König!

Zu was Menschen, zu was Bestien, zu was Pflanzen, zu was Steine? Wir sind Körper!

Folgt eine historische Auseinandersetzung, die auf der deutschen Wissenschaft basiert und die den Franzosen ihr "gesellschaftlicher Instinkt einst ersetzen helfen wird". Antike Zeit - Naivetät, Mittelalter - Romantik, neue Zeit - Humanismus. Durch diese drei Trivialitäten ist natürlich der Humanismus unsres Verfassers historisch konstruiert und als die Wahrheit der Humaniora von ehedem erwiesen. Über dergleichen Konstruktionen vergleiche man "Sankt Max" im ersten Bande, der diesen Artikel viel kunstgerechter und weniger dilettantisch fabriziert.

p. 172 wird uns berichtet, daß

"die letzte Folge des Scholastizismus die Spaltung des Lebens ist, die Heß vernichtete".

Die Theorie wird hier also als die Ursache der "Spaltung des Lebens" dargestellt. Man sieht nicht ein, weshalb diese wahren Sozialisten überhaupt von der Gesellschaft sprechen, wenn sie mit den Philosophen glauben, daß alle wirklichen Spaltungen durch Begriffsspaltungen hervorgerufen wurden. <455> Sie können sich in diesem philosophischen Glauben an die weltschöpferische und weltzerstörende Macht der Begriffe dann auch einbilden, ein beliebiges Individuum habe durch irgendwelche "Vernichtung" von Begriffen "die Spaltung des Lebens vernichtet. Bei diesen wahren Sozialisten wird, wie bei allen deutschen Ideologen, die literarische Geschichte fortwährend mit der wirklichen Geschichte als gleich wirkend durcheinandergeworfen. Diese Manier ist allerdings sehr begreiflich bei den Deutschen, die die miserable Rolle, die sie in der wirklichen Geschichte gespielt haben und fortwährend spielen, dadurch verdecken, daß sie die Illusionen, an denen sie so besonders reich waren, auf gleiche Stufe mit der Wirklichkeit stellen.

Nun zu den "letzten zwei Jahren", in denen die deutsche Wissenschaft sämtliche Fragen gründlichst erledigt und den andern Nationen nichts mehr übrig läßt als die Ausführung ihrer Dekrete.

"Das Werk der Anthropologie, die Wiedergewinnung seines" (Feuerbachs oder des Menschen?) "ihm entfremdeten Wesens durch den Menschen ward durch Feuerbach nur einseitig vollzogen, d.h. begonnen; er vernichtete die religiöse Illusion, die theoretische Abstraktion, den Gott-Menschen, während Heß die politische Illusion, die Abstraktion seines" (Hessens oder des Menschen?), "Vermögens, seiner Tätigkeit, d. i. das Vermögen zerstört. Nur durch die Arbeit des letzteren ward der Mensch von den letzten Mächten außer ihm befreit, zu sittlicher Tätigkeit befähigt - alle Uneigennützigkeit der früheren" (vorhessischen) "Zeit war nur eine scheinbare - und in seine Würde wieder eingesetzt: oder wo galt der Mensch früher" (vor Heß) "das, was er war? Wurde er nicht nach seinen Schätzen geschätzt? Sein Geld schaffte ihm seine Geltung." p. 171.

Charakteristisch ist für alle diese hohen Worte von Befreiung usw., daß immer nur "der Mensch" der Befreite etc. ist. Obgleich es nach den obigen Aussprüchen scheint, als habe nun das "Vermögen", "Geld" usw. aufgehört, so erfahren wir doch im folgenden Satz:

"Nun erst, nach Zerstörung dieser Illusionen" (das Geld ist, sub specie aeterni <vom Gesichtspunkt der Ewigkeit> betrachtet, allerdings eine Illusion, l'or n'est qu'une chimère <das Gold ist nur ein Hirngespinst>), "kann an eine neue, menschliche Ordnung der Gesellschaft gedacht werden." (ibid.)

Dies ist aber ganz überflüssig, denn

"die Erkenntnis des Wesens des Menschen hat ein wahrhaft menschliches Leben zur natürlichen, notwendigen Folge". (p. 172.)

Durch die Metaphysik, durch die Politik pp. zum Kommunismus oder Sozialismus kommen - diese bei den wahren Sozialisten sehr beliebten Phrasen besagen weiter nichts, als daß dieser oder jener Schriftsteller die ihm <456> von Außen zu gekommenen und aus ganz andern Verhältnissen entsprungenen kommunistischen Ideen sich in der Redeweise seines bisherigen Standpunkts angeeignet und ihnen den diesem Standpunkte entsprechenden Ausdruck gegeben hat. Ob einer oder der andre dieser Standpunkte bei einer ganzen Nation vorwiegt, ob ihre kommunistische Anschauungsweise politisch, metaphysisch oder sonst tingiert ist, hängt natürlich von der ganzen Entwicklung des Volkes ab. Unser Verfasser zieht aus der Tatsache, daß die Anschauungsweise der meisten französischen Kommunisten eine politische Färbung hat - einer Tatsache, der die andre gegenübersteht, daß sehr viele französische Sozialisten von der Politik gänzlich abstrahiert haben - den Schluß, daß die Franzosen "durch die Politik", durch ihre politische Entwicklung "zum Kommunismus gekommen seien". Dieser überhaupt in Deutschland sehr stark zirkulierende Satz beweist nicht, daß unser Verfasser von der Politik, namentlich der französischen politischen Entwicklung, oder vom Kommunismus irgend etwas weiß, sondern nur, daß er die Politik für eine selbständige Sphäre hält, die ihre eigne, selbständige Entwicklung hat, ein Glaube, den er mit allen Ideologen teilt.

Ein anderes Stichwort der wahren Sozialisten ist das "wahre Eigentum", das "wahre, persönliche Eigentum", "wirkliche", "gesellschaftliche", "lebendige", "natürliche" ppp. Eigentum, wogegen sie höchst charakteristisch das Privateigentum als "sogenanntes Eigentum" bezeichnen. Wir haben schon im ersten Bande darauf hingewiesen, daß dieser Sprachgebrauch ursprünglich von den Saint-Simonisten herrührt, bei denen er indes nie diese deutsche metaphysisch-mysteriöse Form erreichte und bei denen er im Anfange der sozialistischen Bewegung gegenüber dem bornierten Geschrei der Bourgeois einigermaßen berechtigt war. Das Ende, das die meisten Saint-Simonisten genommen haben, beweist übrigens, wie leicht dies "wahre Eigentum" sich in "gewöhnliches Privateigentum" wieder auflöst.

Wenn man sich den Gegensatz des Kommunismus zur Welt des Privateigentums in der rohsten Form vorstellt, d.h. in der abstraktesten Form, in der man alle wirklichen Bedingungen dieses Gegensatzes entfernt, so hat man den Gegensatz von Eigentum und Eigentumslosigkeit. Man kann dann die Aufhebung dieses Gegensatzes als Aufhebung der einen oder der andern Seite fassen, als Aufhebung des Eigentums, wobei die allgemeine Eigentumslosigkeit oder Lumperei herauskommt, oder als Aufhebung der Eigentumslosigkeit, die in der Herstellung des wahren Eigentums besteht. In der Wirklichkeit stehen auf der einen Seite die wirklichen Privateigentümer, auf der andern die <457> eigentumslosen kommunistischen Proletarier. Dieser Gegensatz wird täglich schärfer und drängt auf eine Krise hin. Wenn also die theoretischen Vertreter der Proletarier irgend etwas durch ihre literarische Tätigkeit ausrichten wollen, so müssen sie vor Allem darauf dringen, daß alle Phrasen entfernt werden, die das Bewußtsein der Schärfe dieses Gegensatzes schwächen, alle Phrasen, die diesen Gegensatz vertuschen und wohl gar den Bourgeois Gelegenheit bieten, sich kraft ihrer philanthropischen Schwärmereien der Sicherheit halber den Kommunisten zu nähern. Alle diese schlechten Eigenschaften finden wir aber in den Stichwörtern der wahren Sozialisten, namentlich in dem "wahren Eigentum". Wir wissen sehr gut, daß die kommunistische Bewegung nicht durch ein paar deutsche Phrasenmacher verdorben werden kann. Aber es ist dennoch nötig, in einem Lande wie Deutschland, wo die philosophischen Phrasen seit Jahrhunderten eine gewisse Macht hatten und wo die Abwesenheit der scharfen Klassengegensätze andrer Nationen ohnehin dem kommunistischen Bewußtsein weniger Schärfe und Entschiedenheit gibt, allen Phrasen entgegenzutreten, die das Bewußtsein über den totalen Gegensatz des Kommunismus gegen die bestehende Weltordnung noch mehr abschwächen und verwässern könnten.

Diese Theorie vom wahren Eigentum faßt das bisherige wirkliche Privateigentum nur als Schein, dagegen die aus diesem wirklichen Eigentum abstrahierte Vorstellung als Wahrheit und Wirklichkeit dieses Scheins, ist also durch und durch ideologisch. Sie spricht nur klarer und bestimmter die Vorstellungen der Kleinbürger aus, deren wohltätige Bestrebungen und fromme Wünsche ebenfalls auf die Aufhebung der Eigentumslosigkeit hinauslaufen.

Wir haben in diesem Aufsatze wieder gesehen, welche borniert-nationale Anschauungsweise dem vorgeblichen Universalismus und Kosmopolitismus der Deutschen zugrunde liegt.

Franzosen und Russen gehört das Land,
Das Meer gehört den Briten,
Wir aber besitzen im Luftreich des Traums
Die Herrschaft unbestritten.
Hier üben wir die Hegemonie
Hier sind wir unzerstückelt;
Die andern Völker haben sich
Auf platter Erde entwickelt.

<Aus Heines "Deutschland, ein Wintermärchen, Kaput VII.>

Dieses Luftreich des Traums, das Reich des "Wesens des Menschen", halten die Deutschen den andern Völkern mit gewaltigem Selbstgefühl als die Vollendung und den Zweck der ganzen Weltgeschichte entgegen; auf jedem Felde betrachten sie ihre Träumereien als schließliches Endurteil über die Taten <458> der andern Nationen, und weil sie überall nur das Zusehen und Nachsehen haben, glauben sie berufen zu sein, über alle Welt zu Gericht zu sitzen und die ganze Geschichte in Deutschland ihr letztes Absehen erreichen zu lassen. Daß dieser aufgeblasene und überschwengliche Nationalhochmut einer ganz kleinlichen, krämerhaften und handwerkermäßigen Praxis entspricht, haben wir bereits mehrere Male gesehen. Wenn die nationale Borniertheit überall widerlich ist, so wird sie namentlich in Deutschland ekelhaft, weil sie hier mit der Illusion, über die Nationalität und über alle wirklichen Interessen erhaben zu sein, denjenigen Nationalitäten entgegengehalten wird, die ihre nationale Borniertheit und ihr Beruhen auf wirklichen Interessen offen eingestehen. Übrigens findet sich unter allen Völkern das Beharren auf der Nationalität nur noch bei den Bourgeois und ihren Schriftstellern.

B) "Socialistische Bausteine"
"Rhein[ische] Jahrb[ücher]" p. 155 seqq.

In diesem Aufsatze wird der Leser zunächst durch einen belletristisch-poetischen Prolog auf die schwereren Wahrheiten des wahren Sozialismus vorbereitet. Der Prolog beginnt damit, als "Endzweck alles Strebens, aller Bewegungen, der schweren und unermüdeten Anstrengungen vergangener Jahrtausende" ... "das Glück" zu konstatieren. Wir erhalten in einigen kurzen Zügen sozusagen eine Geschichte des Strebens nach Glück:

"Als das Gebäude der alten Welt in Trümmer zerfiel, flüchtete sich das menschliche Herz mit seinen Wünschen hinüber in das Jenseits; dorthin übertrug es sein Glück." p. 156.

Daher alles Pech der irdischen Welt. In der neuesten Zeit hat der Mensch dem Jenseits den Abschied gegeben, und unser wahrer Sozialist fragt nun:

"Vermag er die Erde wiederum als das Land seines Glücks zu begrüßen? Hat er in ihr wieder seine ursprüngliche Heimat erkannt? Warum trennt er dann noch länger Leben und Glück, warum hebt er die letzte Scheidewand nicht auf, welche das irdische Leben selbst noch immer in zwei feindliche Hälften spaltet?" (ibidem.)

"Land meiner seligsten Gefühle!" etc.

Er erläßt nun eine Einladung zu einem Spaziergange an "den Menschen", eine Einladung, die "der Mensch" mit Vergnügen akzeptiert. "Der Mensch" tritt in die "freie Natur" und entwickelt unter Anderm folgende Herzensergießungen eines wahren Sozialisten:

<459> ". ! . bunte Blumen ... hohe und stolze Eichen ... ihr Wachsen und Blühen, ihr Leben ist ihre Befriedigung, ihr Glück... eine unermeßliche Schar von kleinen Tieren auf den Wiesen ... Waldvögel ... mutige Schar junger Rosse ... ich sehe" (spricht "der Mensch"), "daß diese Tiere kein anderes Glück kennen noch begehren als dasjenige, welches für sie in der Äußerung und im Genusse ihres Lebens liegt. Wenn die Nacht herabsinkt, begegnet dem Blick meines Auges eine unzählbare Schar von Welten, welche nach ewigen Gesetzen im unendlichen Raum kreisend sich umschwingen. In diesen Schwingungen sehe ich eine Einheit von Leben, Bewegung und Glück." p. 157.

"Der Mensch" konnte noch eine Masse andrer Dinge in der Natur sehen, z.B. die größte Konkurrenz unter Pflanzen und Tieren, wie z.B. im Pflanzenreich, in seinem "Walde von hohen und stolzen Eichen" diese hohen und stolzen Kapitalisten dem kleinen Gebüsch die Lebensmittel verkümmern und dies ebenfalls ausrufen könnte: terra, aqua, aere et igni interdicti sumus <von Erde, Wasser, Luft und Feuer sind wir ausgeschlossen worden>; er konnte die Schmarotzerpflanzen, die Ideologen der Vegetation, sehen, ferner einen offenen Krieg zwischen den "Waldvögeln" und der "unermeßlichen Schar kleiner Tiere", zwischen dem Grase seiner "Wiesen" und der "mutigen Schar junger Rasse". Er konnte in des "unzählbaren Schar von Welten" eine ganze himmlische Feudalmonarchie mit Hintersassen und Inliegern sehen, von welchen letzteren einige, z.B. der Mond, eine sehr kümmerliche Existenz fristen, aere et aqua interdicti; ein Lehnswesen, in dem sogar die heimatlosen Vagabunden, die Kometen, eine ständische Gliederung erhalten haben, und in dem z.B. die zerschlagenen Asteroiden von zeitweiligen unangenehmen Auftritten zeugen, während die Meteorsteine, diese gefallnen Engel, sich verschämt durch "den unendlichen Raum" schleichen, bis sie irgendwo ein bescheidnes Unterkommen finden. Weiter hinaus würde er dann auf die reaktionären Fixsterne kommen.

"Alle diese Wesen finden in der Übung und Äußerung aller ihrer Lebensfähigkeiten, mit denen sie von der Natur begabt sind, zugleich ihr Glück, die Befriedigung und den Genuß ihres Lebens."

D.h., in der gegenseitigen Einwirkung der Naturkörper aufeinander, in der Äußerung ihrer Kräfte findet "der Mensch", daß diese Naturkörper darin ihr Glück usw. finden.

"Der Mensch" erhält nunmehr von unsrem wahren Sozialisten einen Verweis wegen seiner Zwietracht:

"Ist der Mensch nicht gleichfalls hervorgegangen aus der Urwelt, ein Geschöpf der Natur wie alle andern? Ist er nicht aus denselben Stoffen gebildet, mit denselben allge- <460> meinen Kräften und Eigenschaften begabt, welche alle Dinge beleben? Warum sucht er sein Glück auf der Erde noch immer in einem irdischen Jenseits?" p. 158.

"Dieselben allgemeinen Kräfte und Eigenschaften", die der Mensch mit "allen Dingen" gemein hat, sind Kohäsion, Undurchdringlichkeit, Volumen, Schwere usw., die man auf der ersten Seite jedes Lehrbuchs der Physik ausführlich verzeichnet findet. Wie hieraus ein Grund gezogen werden kann, warum der Mensch nicht "sein Glück in einem irdischen Jenseits suchen" sollte, ist schlechterdings nicht abzusehen. Aber, ermahnt er den Menschen:

"Sehet die Lilien auf dem Felde."

 Ja, sehet die Lilien auf dem Felde, wie sie von den Ziegen verspeist, von "dem Menschen" ins Knopfloch verpflanzt werden, wie sie unter den unkeuschen Liebkosungen der Viehmagd und des Eselstreibers zusammenknicken!

"Sehet die Lilien auf dem Felde, sie arbeiten nicht, sie spinnen nicht, und euer himmlischer Vater ernähret sie doch."

Gehet hin und tut desgleichen!

Nachdem wir so die Einheit "des Menschen" mit "allen Dingen" erfahren haben, erfahren wir nun seinen Unterschied von "allen Dingen".

"Aber der Mensch erkennt sich, besitzt das Bewußtsein seiner selbst. Während in den andern Wesen die Triebe und Kräfte der Natur einzeln und unbewußt zur Erscheinung kommen, vereinigen sie sich im Menschen und gelangen in ihm zum Bewußtsein ... seine Natur ist der Spiegel der ganzen Natur, welche sich in ihm erkennt. Wohlan! Erkennt sich die Natur in mir, so erkenne ich in der Natur mich selbst, in ihrem Leben mein eignes Leben [...] So leben auch wir aus, was die Natur in uns hineingelegt hat." p. 158.

Dieser ganze Prolog ist ein Muster naiver philosophischer Mystifikation. Der wahre Sozialist geht von dem Gedanken aus, daß der Zwiespalt von Leben und Glück aufhören müsse. Um für diesen Satz einen Beweis zu finden, nimmt er die Natur zu Hülfe und unterstellt, daß in ihr dieser Zwiespalt nicht existiere, und hieraus schließt er, daß, da der Mensch ebenfalls ein Naturkörper sei und die allgemeinen Eigenschaften des Körpers besitze, für ihn dieser Zwiespalt ebenfalls nicht existieren dürfe. Mit viel größerem Rechte konnte Hobbes sein bellum omnium contra omnes <[seinen] Kampf aller gegen alle> aus der Natur beweisen und Hegel, auf dessen Konstruktion unser wahrer Sozialist fußt, in der Natur den Zwiespalt, die liederliche Periode der absoluten Idee erblicken und das Tier sogar die konkrete Angst Gottes nennen. Nachdem unser <461> wahrer Sozialist die Natur so mystifiziert hat, mystifiziert er das menschliche Bewußtsein, indem er es zum "Spiegel" der so mystifizierten Natur macht. Natürlich, sobald die Äußerung des Bewußtseins den Gedankenausdruck eines frommen Wunsches über menschliche Verhältnisse der Natur untergeschoben, versteht es sich von selbst, daß das Bewußtsein nur der Spiegel ist, in dem die Natur sich selbst beschaut. Wie oben aus der Qualität des Menschen als bloßer Naturkörper, so hier aus seiner Qualität als bloßer passiver Spiegel, in dem die Natur zum Bewußtsein kommt, wird bewiesen, daß "der Mensch" den in der Natur als nicht existierend unterstellten Zwiespalt ebenfalls in seiner Sphäre aufzuheben habe. Doch sehen wir uns den letzten Satz, in dem sich der ganze Unsinn zusammenfaßt, näher an.

Der Mensch besitzt Selbstbewußtsein, erstes Faktum, was ausgesagt wird. Die Triebe und Kräfte der einzelnen Naturwesen werden verwandelt in die Triebe und Kräfte "der Natur", die dann natürlich in diesen einzelnen Wesen vereinzelt "zur Erscheinung kommen". Diese Mystifikation war nötig, um nachher die Vereinigung dieser Triebe und Kräfte "der Natur" im menschlichen Selbstbewußtsein hervorzubringen. Hiermit wird dann auch ganz selbstredend das Selbstbewußtsein des Menschen verwandelt in das Selbstbewußtsein der Natur in ihm. Diese Mystifikation wird dadurch scheinbar wieder aufgelöst, daß der Mensch an der Natur Revanche nimmt und dafür, daß die Natur in ihm ihr Selbstbewußtsein findet, er nun in ihr das seinige sucht - eine Prozedur, wobei er natürlich nichts in ihr findet, als was er durch die oben beschriebne Mystifikation in sie hineingelegt hat.

Er ist jetzt glücklich wieder dabei angekommen, wovon er im Anfange ausging, und dies Herumdrehen auf dem Absatz nennt man neuerdings in Deutschland ... Entwicklung.

Nach diesem Prologe kommt die eigentliche Entwicklung des wahren Sozialismus.

Erster Baustein

p. 160. "Saint-Simon sagte auf seinem Totenbett zu seinen Schülern: Mein ganzes Lehen faßt sich in Einen Gedanken zusammen: allen Menschen die freieste Entwicklung ihrer natürlichen Anlagen zu sichern. Saint-Simon war ein Verkündiger des Sozialismus."

Dieser Satz wird nach der oben geschilderten Methode der wahren Sozialisten und in Verbindung mit der Naturmystifikation des Prologs verarbeitet.

<462> "Die Natur als Grundlage alles Lebens ist eine aus sich selbst hervorgehende und auf sich selbst zurückgehende Einheit, welche alle die unzähligen Mannigfaltigkeiten ihrer Erscheinungen umfaßt und außer welcher Nichts ist." p. 158.

Wir haben gesehen, wie man es anfängt, die verschiedenen Naturkörper und ihre gegenseitigen Verhältnisse in mannigfaltige "Erscheinungen" des geheimen Wesens dieser mysteriösen "Einheit" zu verwandeln. Neu ist in diesem Satze nur, daß die Natur einmal "die Grundlage alles Lebens" heißt und gleich darauf gesagt wird, daß "außer ihr Nichts ist", wonach sie "das Leben" ebenfalls umschließt und nicht seine bloße Grundlage sein kann.

Auf diese Donnerworte folgt das Pivot <der Angelpunkt> des ganzen Aufsatzes:

"Jede dieser Erscheinungen, jedes Einzelleben besteht und entwickelt sich nur durch seinen Gegensatz, seinen Kampf mit der Außenwelt, beruht nur auf seiner Wechselwirkung mit dem Gesamtleben, mit dem es wiederum durch seine Natur zu einem Ganzen, zur organischen Einheit des Universums verknüpft ist." p. 158, 159.

Dieser Pivotalsatz wird folgendermaßen näher erläutert:

"Das Einzelleben findet einerseits seine Grundlage, seine Quelle und Nahrung in dem Gesamtleben, andererseits sucht das Gesamtleben das Einzelleben in stetem Kampf zu verzehren und in sich aufzulösen." p. 159.

Nachdem dieser Satz so von allem Einzelleben ausgesagt ist, kann er "demnach" auch auf den Menschen angewandt werden, wie dies auch wirklich geschieht:

"Der Mensch kann sich demnach nur in und durch das Gesamtleben entfalten." (Nr. II) ibid.

Nun wird dem unbewußten Einzelleben das bewußte, dem allgemeinen Naturleben die menschliche Gesellschaft gegenübergestellt und dann der letztzitierte Satz unter folgender Form wiederholt:

"Ich kann meiner Natur nach nur in und durch die Gemeinschaft mit andern Menschen zur Entwicklung, zum selbstbewußten Genusse meines Lebens gelangen, meines Glückes teilhaftig werden." (Nr. II) ibid.

Diese Entwicklung des einzelnen Menschen in der Gesellschaft wird, wie oben beim "Einzelleben" überhaupt, weiter ausgeführt:

"Der Gegensatz des einzelnen zum allgemeinen Leben wird auch in der Gesellschaft die Bedingung zur bewußten menschlichen Entwicklung. Ich entwickle mich im steten Kampfe, in steter Gegenwirkung gegen die Gesellschaft, die mir als beschränkende Macht gegenübersteht, zur Selbstbestimmung, zur Freiheit, ohne welche <463> kein Glück ist. Mein Leben ist eine fortwährende Befreiung, ein fortwährender Streit und Sieg über die bewußte und unbewußte Außenwelt, um sie mir zu unterwerfen und sie zum Genusse meines Liebens zu verbrauchen. Der Trieb der Selbsterhaltung, das Streben nach eignem Glück, Freiheit, Befriedigung sind also natürliche, d.h. vernünftige Lebensäußerungen." (ibid.)

Weiter.

"Ich verlange demnach von der Gesellschaft, daß sie mir die Möglichkeit gewährt. von ihr meine Befriedigung, mein Glück zu erkämpfen, daß sie meiner Kampfeslust ein Schlachtfeld eröffne. - Wie die einzelne Pflanze Boden, Wärme, Sonne, Luft und Regen verlangt, um zu wachsen, ihre Blätter, Blüten und Früchte zu tragen, so will auch der Mensch in der Gesellschaft die Bedingungen für die allseitige Ausbildung und Befriedigung aller seiner Bedürfnisse, Neigungen und Anlagen finden. Sie soll ihm die Möglichkeit zur Erringung seines Glücks bieten. Wie er sie benutzen, was er aus sich, aus seinem Leben machen wird, das hängt von ihm, von seiner Eigenheit ab. Über mein Glück kann Niemand als ich selbst bestimmen." p. 159, 160.

Folgt nun der von uns am Anfange dieses Bausteins zitierte Satz Saint-Simons als Schlußresultat der ganzen Auseinandersetzung. Der französische Einfall ist somit durch die deutsche Wissenschaft begründet. Worin besteht diese Begründung?

Der Natur waren bereits oben einige Ideen untergeschoben, die der wahre Sozialist in der menschlichen Gesellschaft realisiert zu sehen wünscht. Wie früher der einzelne Mensch, so ist jetzt die ganze Gesellschaft der Spiegel der Natur. Von den der Natur untergeschobenen Vorstellungen kann jetzt ein weiterer Schluß auf die menschliche Gesellschaft gezogen werden. Da der Verfasser sich nicht auf die historische Entwicklung der Gesellschaft einläßt und sich bei dieser dürren Analogie beruhigt, so ist nicht abzusehen, weshalb sie nicht zu allen Zeiten ein getreues Abbild der Natur gewesen. Die Phrasen über die Gesellschaft, die den Einzelnen als beschränkende Macht gegenüber tritt usw., passen daher auch auf alle Gesellschaftsformen. Daß bei dieser Konstruktion der Gesellschaft einige Inkonsequenzen sich einschleichen, ist natürlich. So muß hier im Gegensatz zur Harmonie des Prologs ein Kampf in der Natur anerkannt werden. Die Gesellschaft, das "Gesamtleben", faßt unser Verfasser nicht als die Wechselwirkung der sie zusammensetzenden "Einzelleben", sondern als eine besondre Existenz, die mit diesen "Einzelleben" noch in eine aparte Wechselwirkung tritt. Wenn hier irgendeine Beziehung auf wirkliche Verhältnisse zugrunde liegt, so ist es die Illusion von der Selbständigkeit des Staates gegenüber dem Privatleben und der Glaube an diese scheinbare Selbständigkeit als an etwas Absolutes. Übrigens handelt es sich hier ebensowenig wie im ganzen Aufsatze von Natur und Gesellschaft, <464> sondern bloß von den beiden Kategorien Einzelnheit und Allgemeinheit, denen verschiedene Namen gegeben werden und von welchen gesagt wird, daß sie einen Gegensatz bilden, dessen Versöhnung höchst wünschenswert sei.

Aus der Berechtigung des "Einzellebens" gegen das "Gesamtleben" folgt, daß die Befriedigung der Bedürfnisse, die Entwicklung der Anlagen, die Selbstliebe pp. "natürliche, vernünftige Lebensäußerungen" sind. Aus der Auffassung der Gesellschaft als Spiegelbild der Natur folgt, daß in allen bisherigen Gesellschaftsformen, die gegenwärtige eingeschlossen, diese Lebensäußerungen zu ihrer vollständigen Entwicklung kamen und in ihrer Berechtigung anerkannt wurden.

Plötzlich erfahren wir p. 159, daß "in unsrer heutigen Gesellschaft" diese vernünftigen, natürlichen Lebensäußerungen dennoch so oft unterdrückt werden" und "gewöhnlich nur deshalb in Unnatur, Verbildung, Egoismus, Laster pp. ausarten".

Da also dennoch die Gesellschaft nicht der Natur, ihrem Urbilde, entspricht, so "verlangt" der wahre Sozialist von ihr, daß sie sich naturgemäß einrichte, und beweist sein Recht zu diesem Postulat durch das unglückliche Beispiel von der Pflanze. Erstens "verlangt" nicht die Pflanze von der Natur alle die oben aufgezählten Existenzbedingungen, sondern sie wird gar nicht Pflanze, sie bleibt Samenkorn, wenn sie sie nicht findet. Dann hängt die Beschaffenheit der "Blätter, Blüten und Früchte" sehr von dem "Boden", der "Wärme" pp., von den klimatischen und geologischen Verhältnissen ab, unter denen sie wächst. Während also das der Pflanze untergeschobene "Verlangen" sich in eine vollständige Abhängigkeit von den vorliegenden Existenzbedingungen auflöst, soll ebendies Verlangen unsren wahren Sozialisten berechtigen, eine Einrichtung der Gesellschaft nach seiner individuellen "Eigenheit" zu verlangen. Das Postulat der wahren sozialistischen Gesellschaft begründet sich auf das eingebildete Postulat einer Kokospalme an "das Gesamtleben", ihr am Nordpol "Boden, Wärme, Sonne, Luft und Regen" zu verschaffen.

Aus dem angeblichen Verhältnis der metaphysischen Personen Einzelnheit und Allgemeinheit, nicht aus der wirklichen Entwicklung der Gesellschaft, wird das obige Postulat des Einzelnen an die Gesellschaft deduziert. Hierzu braucht man nur die einzelnen Individuen als Repräsentanten, Verkörperungen der Einzelnheit, und die Gesellschaft als Verkörperung der Allgemeinheit zu interpretieren, und das ganze Kunststück ist fertig. Zugleich ist hierdurch der saint-simonistische Satz von der freien Entwicklung der Anlagen auf seinen richtigen Ausdruck und seine wahre Begründung zurückgeführt.

<465> Dieser richtige Ausdruck besteht in dem Unsinn, daß die Individuen, die die Gesellschaft bilden, ihre "Eigenheit" bewahren, daß sie bleiben wollen, wie sie sind, während sie von der Gesellschaft eine Veränderung verlangen, die bloß aus ihrer eignen Veränderung hervorgehen kann.

Zweiter Baustein

"Und wer das Lied nicht weiter kann,
Der fang' es wieder von vornen an."

"Die unendliche Mannigfaltigkeit aller Einzel-
Wesen als Einheit zusammengefaßt ist der Weltorganismus". (p. 160.)

Also zurück an den Anfang des Aufsatzes sind wir geschleudert und erleben die ganze Komödie vom Einzelleben und Gesamtleben zum andern Mal. Wiederum enthüllt sich uns das tiefe Geheimnis der Wechselwirkung zwischen den beiden Leben, restauré à neuf <auf neu hergerichtete> durch den neuen Ausdruck "polares Verhältnis" und die Verwandlung des Einzellebens in ein bloßes Symbol, "Abbild" des Gesamtlebens. Dieser Aufsatz reflektiert sich kaleidoskopisch in sich selbst, eine Manier der Entwicklung, die allen wahren Sozialisten gemeinsam ist. Sie machen es mit ihren Sätzen wie jenes Kirschenweib, das unter dem Einkaufspreise losschlug nach dem richtigen ökonomischen Prinzip: Die Masse muß es tun. Bei dem wahren Sozialismus ist dies um so notwendiger, als seine Kirschen faul waren, ehe sie reiften.

Einige Proben dieser Selbstspiegelung:

Baustein Nr. I. p.158, 159

Baustein Nr. II. p.160, 161

"Jedes Einzelleben besteht und entwickelt sich nur durch seinen Gegensatz ... beruht nur auf der Wechselwirkung mit dem Gesamtleben,

"Jedes Einzelleben besteht und entwickelt sich in und durch das Gesamtleben, das Gesamtleben nur in und durch das Einzelleben." (Wechselwirkung.)

Mit dem es wieder durch seine Natur zu einem Ganzen verknüpft ist.

"Das Einzelleben entwickelt sich ... als Teil des allgemeinen Lebens.

Organische Einheit des Universums.

Einheit zusammengefaßt ist der Weltorganismus.

Das Einzelleben findet einerseits seine Grundlage, Quelle und Nahrung in dem Gesamtleben,

Das" (das Gesamtleben) " der Boden und Nahrung seiner" (des Einzellebens) "Entfaltung wird ... daß sich beide gegenseitig begründen ...

<466> Andrerseits sucht das Gesamtleben das Einzelleben in stetem Kampfe zu verzehren.

Daß sich beide bekämpfen und feindlich gegenüberstehen.

Demnach (p.159)

Daraus folgt (p.161)

Was dem unbewußten Einzelleben das unbewußte, allgemeine Weltleben, das ist dem bewußten ... Leben die menschliche Gesellschaft.

Das auch das bewußte Einzelleben durch das bewußte Gesamtleben und" ... (umgekehrt) ... "bedingt ist.

Ich kann nur in und durch die Gemeinschaft mit andern Menschen zur Entwicklung gelangen ... Der Gegensatz des einzelnen und allgemeinen Lebens wird auch in der Gesellschaft" usw.

Der einzelne Mensch entwickelt sich nur in und durch die Gesellschaft, die Gesellschaft" vice versa <umgekehrt> usw.

"Die Natur ... ist eine ... Einheit, welche alle die unzähligen Mannigfaltigkeiten ihrer Erscheinungen umfaßt."

"Die Gesellschaft ist die Einheit, welche die Mannigfaltigkeit der einzelnen menschlichen Lebensentwicklungen in sich begreift und zusammenfaßt."

Mit dieser Kaleidoskopie nicht zufrieden, wiederholt unser Verfasser seine einfachen Sätze über Einzelnheit und Allgemeinheit auch noch auf andre Weise. Zuerst stellt er diese paar dürren Abstraktionen als absolute Prinzipien auf und schließt daraus, daß in der Wirklichkeit dasselbe Verhältnis wiederkehren müsse. Dies gibt schon Gelegenheit, unter dem Schein der Deduktion alles zweimal zu sagen, in abstrakter und als Schluß daraus in scheinbar konkreter Form. Dann aber wechselt er mit den konkreten Namen, die er seinen beiden Kategorien gibt. Die Allgemeinheit tritt so nach der Reihe als Natur, unbewußtes Gesamtleben, bewußtes ditto, allgemeines Leben, Weltorganismus, zusammenfassende Einheit, menschliche Gesellschaft, Gemeinschaft, organische Einheit des Universums, allgemeines Glück, Gesamtwohl pp., und die Einzelnheit unter den entsprechenden Namen unbewußtes und bewußtes Einzelleben, Glück des Einzelnen, eignes Wohl pp. auf. Bei jedem dieser Namen müssen wir dieselben Phrasen wieder anhören, die über Einzelnheit und Allgemeinheit schon oft genug gesagt sind.

Der zweite Baustein enthält also nichts, als was der erste schon enthielt. Da sich aber bei den französischen Sozialisten die Worte égalité, solidarité, unité des intérêts < Gleichheit, Solidarität, Einheit der Interessen > vorfinden, so sucht unser Verfasser sie durch Verdeutschung zu "Bausteinen" des wahren Sozialismus zuzuhauen.

<467> "Als bewußtes Mitglied der Gesellschaft erkenne ich jedes andre Mitglied als ein von mir verschiedenes, mir gegenüberstehendes, zugleich aber wieder als ein auf dem gemeinschaftlichen Urgrunde des Seins ruhendes und von ihm ausgehendes, mir gleiches Wesen. Ich erkenne jeden Mitmenschen durch seine besondre Natur als mir entgegengesetzt und durch seine allgemeine Natur als mir gleich. Die Anerkennung der menschlichen Gleichheit, der Berechtigung eines Jeden zum Leben, beruht demnach auf dem Bewußtsein der gemeinschaftlichen. allen gemeinsamen menschlichen Natur: Liebe, Freundschaft, Gerechtigkeit und alle gesellschaftlichen Tugenden beruhen gleichfalls auf dem Gefühle der natürlichen menschlichen Zusammengehörigkeit und Einheit. Hat man sie bisher als Pflichten bezeichnet und auferlegt, so werden sie in einer Gesellschaft, welche nicht auf äußern Zwang, sondern auf das Bewußtsein der inneren menschlichen Natur, d.h. die Vernunft, gegründet ist, zu freien, naturgemäßen Äußerungen des Lebens werden. In der natur-, d.h. vernunftgemäßen Gesellschaft müssen daher die Bedingungen des Lebens für alle Mitglieder gleich, d.h. allgemein sein." p. 161. 162.

Der Verfasser besitzt ein großes Talent, zuerst einen Satz assertorisch aufzustellen und ihn dann durch ein Daher, Dennoch pp. als Konsequenz aus sich selbst zu legitimieren. Ebenso versteht er es, mitten in diese merkwürdige Art der Deduktion traditionell gewordene sozialistische Sätze durch ein "Hat", "Ist" - "so müssen", "so wird" usw. erzählend einzuschmuggeln.

In dem ersten Baustein hatten wir auf der einen Seite den Einzelnen und auf der andern das Allgemeine, gegenüber den Einzelnen, als Gesellschaft. Hier kehrt der Gegensatz in der Form wieder, daß der Einzelne in sich selbst in eine besondre und eine allgemeine Natur gespalten wird. Aus der allgemeinen Natur wird dann auf die "menschliche Gleichheit" und die Gemeinschaftlichkeit geschlossen. Die den Menschen gemeinschaftlichen Verhältnisse erscheinen hier also als Produkt des "Wesens des Menschen", der Natur, während sie ebensogut wie das Bewußtsein der Gleichheit historische Produkte sind. Damit noch nicht zufrieden, begründet der Verfasser die Gleichheit durch ihr allerseitiges Beruhen "auf dem gemeinschaftlichen Urgrunde des Seins". Im Prolog erfuhren wir p.158, daß der Mensch "aus denselben Stoffen gebildet, mit denselben allgemeinen Kräften und Eigenschaften begabt ist, welche alle Dinge beleben". Im ersten Baustein erfuhren wir, daß die Natur die "Grundlage alles Lebens" ist, also "der gemeinschaftliche Urgrund des Seins". Der Verfasser ist also weit über die Franzosen hinausgegangen, indem er "als bewußtes Mitglied der Gesellschaft" nicht nur die Gleichheit der Menschen unter sich, sondern auch ihre Gleichheit mit jedem Floh, jedem Strohwisch, jedem Stein bewiesen hat.

Wir wollen gerne glauben, daß "alle gesellschaftlichen Tugenden" unsres wahren Sozialisten "auf dem Gefühl der natürlichen menschlichen Zusam- <468> mengehörigkeit und Einheit" beruhen, obwohl auf dieser "natürlichen Zusammengehörigkeit" auch die Feudalhörigkeit, die Sklaverei und alle gesellschaftlichen Ungleichheiten aller Epochen beruhen. Nebenbei bemerkt, ist diese "natürliche menschliche Zusammengehörigkeit" ein täglich von den Menschen umgestaltetes historisches Produkt, das immer sehr natürlich war, so unmenschlich und widernatürlich es nicht nur vor dem Richterstuhl "des Menschen", sondern auch einer nachfolgenden revolutionären Generation erscheinen mag.

Zufällig erfahren wir noch, daß die jetzige Gesellschaft "auf äußerm Zwang" beruht. Nicht die beschränkenden materiellen Lebensbedingungen gegebner Individuen stellen sich die wahren Sozialisten unter "äußerm Zwang" vor, sondern nur den Staatszwang, Bajonette, Polizei, Kanonen, welche, weit entfernt, die Grundlage der Gesellschaft zu sein, nur eine Konsequenz ihrer eignen Gliederung sind. Es ist dies bereits in der "Heiligen Familie" und jetzt wieder im ersten Bande dieser Publikation auseinandergesetzt.

Gegenüber der jetzigen, "auf äußerm Zwang beruhenden" Gesellschaft stellt der Sozialist das Ideal der wahren Gesellschaft auf, die auf dem "Bewußtsein der Innern menschlichen Natur, d.h. der Vernunft" beruht. Also auf dem Bewußtsein des Bewußtseins, dem Denken des Denkens. Der wahre Sozialist unterscheidet sich nicht einmal im Ausdruck mehr von den Philosophen. Er vergißt, daß sowohl die "innere Natur" der Menschen wie ihr "Bewußtsein" darüber, "d.h." ihre "Vernunft", zu allen Zeiten ein historisches Produkt war, und daß, selbst wenn ihre Gesellschaft, wie er meint, "auf äußerm Zwang" beruhte, ihre "innere Natur" diesem "äußern Zwang" entsprach.

Folgen p. 163 die Einzelnheit und Allgemeinheit mit gewohntem Gefolge in der Gestalt des einzelnen Wohls und des Gesamtwohls. Ähnliche Erklärungen über das Verhältnis beider findet man in jedem Handbuch der Nationalökonomie bei Gelegenheit der Konkurrenz, und u.a. auch, nur besser ausgedrückt, bei Hegel.

Z.B. "Rhein[ische] Jahrb[ücher]" p. 163:

"Indem ich das Gesamtwohl fördere, fördere ich mein eignes Wohl, und indem ich mein eignes Wohl fördere, das Gesamtwohl."

Hegels "Rechtsphilosophie", p. 248 (1833):

"Meinen Zweck befördernd, fördere ich das Allgemeine, und dieses befördert wiederum meinen Zweck."

<469> Vgl. auch "Rechtsphil[osophie]", p. 323 seqq. über das Verhältnis des Staatsbürgers zum Staat.

Als letztes Ergebnis erscheint daher die bewußte Einheit des Einzellebens mit dem Gesamtleben, die Harmonie." (p. 163, "Rh[einische] J[ahrbücher]".)

"Als letztes Ergebnis" nämlich daraus, daß

"dieses polare Verhältnis zwischen dem einzelnen und allgemeinen Leben darin besteht, daß sich einmal Beide bekämpfen und feindlich gegenüberstehen, das andre Mal, daß sich Beide gegenseitig bedingen und begründen."

"Als letztes Ergebnis" folgt hieraus höchstens die Harmonie der Disharmonie mit der Harmonie, und aus der ganzen abermaligen Repetition der bekannten Phrasen folgt nur der Glaube des Verfassers, daß sein vergebliches Abquälen mit den Kategorien der Einzelnheit und Allgemeinheit die wahre Form sei, in der die gesellschaftlichen Fragen zu lösen seien.

Der Verfasser schließt mit folgendem Tusch:

"Die organische Gesellschaft hat zur Grundlage die allgemeine Gleichheit und entwickelt sich durch die Gegensätze der Einzelnen gegen das Allgemeine zum freien Einklange, zur Einheit des einzelnen mit dem allgemeinen Glücke, zur sozialen" (!) "gesellschaftlichen" (!!) "Harmonie, dem Spiegelbilde der universellen Harmonie." p. 164.

Nur die Bescheidenheit kann diesen Satz einen "Baustein" nennen. Er ist ein ganzer Urfels des wahren Sozialismus.

Dritter Baustein

"Auf dem polaren Gegensatz, der Wechselwirkung meines besondern Lebens mit dem allgemeinen Naturleben, beruht der Kampf des Menschen mit der Natur. Wenn dieser Kampf als bewußte Tätigkeit erscheint, heißt er Arbeit." p. 164.

Sollte nicht umgekehrt die Vorstellung von dem "polaren Gegensatz" auf der Beobachtung eines Kampfes der Menschen mit der Natur beruhen? Erst wird eine Abstraktion aus einem Faktum gezogen; dann erklärt, daß dies Faktum auf dieser Abstraktion beruhe. Wohlfeilste Methode, deutsch-tief und spekulativ zu erscheinen.

Z.B.: Faktum: Die Katze frißt die Maus.

Reflexion: Katze - Natur, Maus - Natur, Verzehren der Maus durch die Katze = Verzehren der Natur durch die Natur = Selbstverzehren der Natur.

<470> Philosophische Darstellung des Faktums: Auf dem Selbstverzehren der Natur beruht das Gefressenwerden der Maus von der Katze.

Nachdem also auf diese Weise der Kampf des Menschen mit der Natur mystifiziert ist, wird die bewußte Tätigkeit des Menschen in Beziehung auf die Natur mystifiziert, indem sie als Erscheinung dieser bloßen Abstraktion wirklicher Kämpfe gefaßt wird. Schließlich wird dann das profane Wort Arbeit als Resultat dieser Mystifikation hereingeschmuggelt, ein Wort, das unser wahrer Sozialist von Anfang an auf der Zunge hatte, aber erst nach gehöriger Legitimierung auszusprechen wagte. Die Arbeit wird aus der bloßen, abstrakten Vorstellung des Menschen und der Natur konstruiert und daher auch auf eine Weise bestimmt, die auf alle Entwicklungsstufen der Arbeit gleich gut paßt und nicht paßt.

"Die Arbeit ist demnach jede bewußte Tätigkeit des Menschen, wodurch er die Natur seiner Herrschaft in geistiger und materieller Beziehung zu unterwerfen strebt, um sie zum bewußten Genuß seines Lebens zu bringen, sie zu seiner geistigen oder körperlichen Befriedigung zu verwenden." (ibid.)

Wir machen bloß auf die glänzende Schlußfolgerung aufmerksam:

"Wenn dieser Kampf als bewußte Tätigkeit erscheint, heißt er Arbeit - die Arbeit ist demnach jede bewußte Tätigkeit des Menschen" usw.

Diese tiefe Einsicht verdanken wir dem "polaren Gegensatz".

Man rufe sich den obigen saint-simonistischen Satz von dem libre développement de toutes les facultés <[der] freien Entwicklung aller Fähigkeiten> ins Gedächtnis zurück. Man erinnere sich zu gleicher Zeit, daß Fourier an die Stelle des heutigen travail répugnant <[der] abstoßenden Arbeit> den travail attrayant <[die] anziehende Arbeit> gesetzt sehen wollte. Dem "polaren Gegensatz" verdanken wir folgende philosophische Begründung und Explikation dieser Sätze:

"Da aber" (dies Aber soll andeuten, daß hier kein Zusammenhang stattfindet) "das Leben in jeder Entfaltung, Übung und Äußerung seiner Kräfte und Fähigkeiten zu seinem Genusse, zu seiner Befriedigung kommen soll, so ergibt sich, daß die Arbeit selbst eine Entfaltung und Entwicklung menschlicher Anlagen sein und Genuß, Befriedigung und Glück gewähren soll. Die Arbeit selbst muß mithin zu einer freien Äußerung des Lebens und dadurch zum Genuß werden." (ibid.)

Hier wird gezeigt, was in der Vorrede der "Rh[einischen] Jahrb[ücher]" versprochen ist, nämlich "inwiefern die deutsche Gesellschaftswissenschaft in ihrer bisherigen Ausbildung sich von der französischen und englischen <471> unterscheidet", und was das heißt, "die Lehre des Kommunismus wissenschaftlich darzustellen".

Es ist schwer, jeden logischen Lapsus in diesen wenigen Zeilen aufzudecken, ohne langweilig zu werden. Zunächst die Schnitzer gegen die formelle Logik.

Um zu beweisen, daß die Arbeit, eine Äußerung des Lebens, Genuß bringen soll, wird unterstellt, daß das Leben in jeder Äußerung Genuß bringen soll, und hieraus geschlossen, daß das Leben dies auch in seiner Äußerung als Arbeit soll. Mit dieser paraphrastischen Verwandlung eines Postulats in eine Konklusion nicht zufrieden, macht der Verfasser die Konklusion noch dazu falsch. Daraus, daß "das Leben in jeder Entfaltung zum Genuß kommen soll", ergibt sich für ihn, daß die Arbeit, die eine dieser Entfaltungen des Lebens ist, "selbst eine Entfaltung und Entwicklung menschlicher Anlagen", also wieder des Lebens, "sein soll". Sie soll also sein, was sie ist. Wie hätte die Arbeit es anfangen sollen, um jemals nicht eine "Entfaltung menschlicher Anlagen" zu sein? Damit nicht genug. Weil die Arbeit dies sein soll, "muß" sie es "mithin" sein, oder noch besser: Weil sie eine "Entfaltung und Entwicklung menschlicher Anlagen sein soll", muß sie mithin ganz etwas Andres werden, nämlich "eine freie Äußerung des Lebens", wovon bisher noch gar nicht die Rede war. Und während oben direkt von dem Postulat des Lebensgenusses auf das Postulat der Arbeit als Genuß geschlossen wurde, wird hier dies letztere Postulat als Konsequenz des neuen Postulats der "freien Äußerung des Lebens in der Arbeit" dargestellt.

Was den Inhalt dieses Satzes angeht, so ist nicht abzusehen, warum die Arbeit nicht immer das war, was sie sein soll, und warum sie es jetzt werden muß, oder warum sie etwas werden soll, was sie bis dato nicht muß. Aber bisher war freilich nicht das Wesen des Menschen und der polare Gegensatz des Menschen und der Natur entwickelt.

Folgt eine "wissenschaftliche Begründung" des kommunistischen Satzes von dem gemeinschaftlichen Eigentum an den Produkten der Arbeit:

"Das Produkt der Arbeit aber" (dies abermalige Aber hat denselben Sinn wie das obige) "muß zugleich dem Glücke des Einzelnen, Arbeitenden und dem allgemeinen Glücke dienen. Dies geschieht durch die Gegenseitigkeit, durch die gegenseitige Ergänzung aller gesellschaftlichen Tätigkeiten." (ibid.)

Dieser Satz ist nichts als eine durch das Wort "Glück" schwankend gemachte Kopie dessen, was in jeder Ökonomie der Konkurrenz und Teilung der Arbeit nachgerühmt wird.

Endlich philosophische Begründung der französischen Organisation der Arbeit:

<472> "Die Arbeit als eine genußreiche, Befriedigung gewährende und zugleich dem allgemeinen Wohle dienende freie Tätigkeit ist die Grundlage der Organisation der Arbeit." p. 165.

Da die Arbeit erst "eine genußreiche pp. freie Tätigkeit" werden soll und muß, es also noch nicht ist, so wäre eher zu erwarten, daß die Organisation der Arbeit umgekehrt die Grundlage der "Arbeit als einer genußreichen Tätigkeit" ist. Aber der Begriff der Arbeit als dieser Tätigkeit reicht vollständig hin.

Der Verfasser glaubt am Schlusse seines Aufsatzes zu "Resultaten" gekommen zu sein.

Diese "Bausteine" und "Resultate", zusammen mit den übrigen Granitblöcken, die sich in den "Einundzwanzig Bogen", dem "Bürgerbuch" und den "Neuen Anekdotis" finden, bilden den Felsen, auf den der wahre Sozialismus, alias deutsche Sozialphilosophie, seine Kirche bauen wird.

Wir werden gelegentlich einige der Hymnen, einige Fragmente des cantique allégorique hébraique et mystique <hebräischen und mystischen allegorischen Lobgesangs > hören, die in dieser Kirche gesungen werden.